An diesem Samstagabend Anfang Februar gibt es gleich zwei Orte in Köln, an denen „Oh, wie ist das schön“-Gesänge ertönen. Zum einen im RheinEnergie Stadion, in dem der Erste Fußballclub der Stadt mit 2:0 gegen die Eintracht aus Frankfurt gewinnt. Und zum anderen im Carlswerk Victoria beim Konzert von Daniel Wirtz. Nachdem Corona ihm fast drei Jahre Stillstand verordnet hat, ist der 49-Jährige endlich wieder auf Tour. „Hier wirtz gelebt, nicht inszeniert, das Original ist wieder hier und ist auf Angriff programmiert“, heißt es im Titelsong seines erst zwei Tage zuvor veröffentlichten sechsten Studioalbums „DNA“ (hier findet ihr unser Review) und alle vor und auf der Bühne zeigen vom ersten Ton an, dass sie bedingungslosen Bock aufeinander haben.
Wirtz hat die Zwangspause dazu genutzt, um ein paar alte Zöpfe abzuschneiden und eine neue Band an den Start zu bringen. Mit im Tourbus sitzen nun Pascal Kravetz an Bass und Piano sowie die beiden Niederländer JB Meijers (Gitarre) und Joost Kroon (Schlagzeug). Überhaupt scheint Wirtz gerade eine ziemliche Vorliebe für unsere niederländischen Nachbarn zu hegen, denn die letzten Proben für die aktuelle Konzertreise fanden im legendären Rotterdamer Ahoy statt und als Support hat er Ambo aus Amsterdam mitgebracht, die mit ihrem halbstündigen wilden Gemisch aus Punk, Rock und Metal durchaus zu gefallen wissen.
Was dann folgt ist mit dem Wort „Party“ nur unzureichend beschrieben. Die neuen Songs wie „Dünnes Eis“, „DNA“ oder „Ein klares Nein“ bilden zunächst den Schwerpunkt der Setlist und sie verwandeln die ehemalige Kabelfabrik an der Schanzenstraße in einen brodelnden Rockclub, in dem nach Herzenslust getanzt und gesungen wird. Dazu trägt sicherlich das ein oder andere Bier ebenso bei wie die Tatsache, dass sich die Kölner in der Karnevalszeit ohnehin in einem permanenten emotionalen Ausnahmezustand befinden. Die Klaviatur der großen Gefühle, die Wirtz seit 2007 spielt, bedient die hemdsärmelig gröhlende Rockerfraktion ebenso wie die eher verträumt lauschende Abteilung. Und beides schafft er ohne jegliche Anbiederung oder falsches Pathos. Man nimmt ihm jedes Wort, das er da singt, genau so ab und in vielen seiner Songs findet man sich selbst wieder. Im einen Moment badet man in Testosteron und im nächsten in Tränen.
Wirtz nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch die letzten siebzehn Jahre, die in Köln einst im 400 Leute fassenden Luxor begann. Heute sind es mehr als dreimal so viele. Irgendwann zwischendurch bedankt er sich aufrichtig dafür, dass „ihr nach all der langen Zeit immer noch da seid“. „Ne Weile her“, „Keine Angst“ oder „Richtig weh“ stammen aus diesen mühsamen Anfangstagen und es sind auch heute noch besondere Gänsehautmomente, wenn Wirtz sie alleine mit seiner Akustikgitarre zelebriert oder in Begleitung von Pascal Kravetz am Piano singend durch die Reihen der Fans spaziert. In den zwei Stunden musikalischer Vollbedienung reisen wir zusammen über „Atlantis“ in „Die fünfte Dimension“, sind „Willkommen im Krieg“, rufen „Hallo Erde“, um kurz bei „Schweigen mit dir“ innezuhalten und uns am Ende unbeschreiblich „Frei“ zu fühlen.
„Während and’re rätseln über Zweck und Sinn, werd‘ ich tiefe Spuren mit lauten Liedern zieh’n“, hat Wirtz 2009 in „Meinen Namen“ von seinem zweiten Album „Erdling“ gesungen. In Köln ist diese Prophezeiung heute Wirklichkeit geworden. Und weil er es auch leise kann, hat Wirtz zum Schluss noch ein Versprechen abgegeben. Er kommt in diesem Jahr noch einmal zurück, aber dann nicht elektrisch verstärkt, sondern mit dem kleinen Unplugged-Besteck. Wer die beiden Stromlos-Alben von 2014 und 2020 kennt und eines der damaligen Konzerte erlebt hat, der weiß, dass es ähnlich intensiv werden wird wie heute. Und so steht um kurz vor 23 Uhr eine glückliche und dankbare Band einer glücklichen und dankbaren Menge an Leuten gegenüber, die alle „Oh, wie ist das schön“ singen.
Wer Musik macht, möchte gehört werden – gerade, wenn er etwas zu sagen hat. Dies gilt schon immer und ganz besonders für Daniel Wirtz. 2007 erscheint der 49-jährige Wahl-Frankfurter mit seinem Debüt „11 Zeugen“ erstmals auf dem Rockradar. Textlich beweist er dabei eine klare Kante und nimmt als einer der Wenigen im deutschsprachigen Musikzirkus kein Blatt vor den Mund. Seitdem ist viel passiert. Mit „Auf die Plätze, fertig, los“ von 2015 und „Die fünfte Dimension“ von 2017 veröffentlicht Wirtz zuletzt zwei weitere Vollstromalben, auf denen er sich seiner sprachlichen Wucht leider weitestgehend selbst beraubt und mehr in Richtung Radioquote schielt. Dazwischen liegt das grandiose Unplugged-Konzept mit zwei außergewöhnlichen Akustikalben und wunderschönen Konzertabenden. Bis Corona auch Wirtz im wahren Leben den Stecker zieht und ihm für geschlagene drei Jahre Stillstand verordnet. Einziges leises wie beeindruckendes Lebenszeichen ist die komplett selbstproduzierte „Co-WIRTZ-19“-Scheibe mit elf Lockdown-Versionen früherer Songs. Danach herrscht rund um Wirtz eine geradezu ohrenbetäubende Stille.
Bis jetzt! Denn Anfang Februar erscheint sein sechstes Studioalbum „DNA“, das lauter und deutlicher ist als alles zuvor. Schluss mit der teilweisen Hinwendung zum Mainstream. Schluss mit den bis auf die Knochen reduzierten Neuarrangements altbekannter Stücke. Wirtz ist wieder da und er strotzt nur so vor Energie. Wo früher auch mal die ein oder andere melancholische Note ihren Platz fand, geht es auf „DNA“ nur in eine Richtung. Das Album ist ein emotionaler Striptease aus vollfettem Sound und schmutzigen Gitarren, auf dem Wirtz gewohnt deutlich mit den letzten drei Jahren seines Lebens abrechnet. Es lag ihm eine Menge auf der Seele. Und er schreit es raus.
„Hab den alten Staub vom Pult gewischt und neue Saiten aufgezogen, mich mit frischem Personal verstärkt, Zack der Zeiger zeigt nach oben“, heißt es im Opener und Titelsong. Das frische Personal sind unter anderem Pascal Kravetz und der niederländische Gitarrist JB Meijers. Sie sorgen dafür, dass Wirtz das Gaspedal wiedergefunden hat und es auf neun der zehn Songs von „DNA“ auch bis zum Anschlag durchtritt. Wer bisher immer noch die Sorge hatte, dass Wirtz seine Unverwechselbarkeit an der Garderobe des Massengeschmacks abgelegt haben könnte, der wird eines Besseren belehrt. Nicht umsonst heißt das Album „DNA“, denn wie wir natürlich alle wissen, trägt die DNA unsere Erbinformationen und ist somit quasi der Bauplan eines Individuums. Wirtz kehrt zu seiner DNA zurück und die besteht seit 17 Jahren aus harter Rockmusik und Texten, die sein Innerstes schonungslos nach Außen kehren.
Kreissägengitarren, die man zuletzt so kraftstrotzend von Soundgarden gehört hat (Gott hab sie selig!), und ein Schlagzeug, das sich förmlich selbst zerlegt, bilden den Rahmen für die musikalische Reise in die emotionalen Eingeweide von Daniel Wirtz. In „Dünnes Eis“ taumelt er durch die „neue schöne kalte Welt“ und fragt sich wer Freund und wer Feind ist. „Ein klares Nein“ hält allen Wendehälsen und Wetterfähnchen den Spiegel vors Gesicht, während er wegen „Lucy“ fast den Verstand verliert und nebenbei „Atlantis“ untergehen lässt: „Ein Hauch von gar nichts mehr, wo einst mein Leben stand“. Soviel sei verraten, er baut es verbal auch wieder auf. Hoffnungslosigkeit gilt nicht. In „Operation Unsterblichkeit“ zelebriert Wirtz das Leben im Hier und Jetzt. Lautstark! Am Ende hält er dann in „Schweigen mit dir“ doch noch einmal kurz inne und feiert die Liebe, die uns auffängt, „wenn um uns rum ein Orkan tobt“ und „der Lärm die Ohren betäubt“.
Vor betäubten Ohren muss man nach dem Anhören von „DNA“ definitiv keine Angst haben. Das Album ist eher wie ein Tritt in den Arsch. Dynamisch. Lebendig. Und gewohnt authentisch. Endlich! Jetzt wo Wirtz wieder da ist, merkt man erst wie sehr er gefehlt hat. Davon könnt ihr euch auch auf der anstehenden Tour überzeugen. Ich bin mir sicher, es werden schweißtreibende Abende mit großer Lust auf das original Rundum-Durchdreh-Programm der Marke Wirtz. Die Pause war schließlich lang genug.
WIRTZ – DNA LIVE TOUR 2024:
01.02.2024 – Stuttgart, Im Wizemann
02.02.2024 – Saarbrücken, Garage
03.02.2024 – Köln, Carlswerk Victoria
08.02.2024 – Bremen, Aladin
09.02.2024 – Münster, Skaters Palace
10.02.2024 – Hannover, Capitol
11.02.2024 – Hamburg, Grosse Freiheit 36
15.02.2024 – Frankfurt, Batschkapp
16.02.2024 – Erfurt, Club Central
17.02.2024 – Leipzig, Felsenkeller
18.02.2024 – München, Backstage Werk
21.02.2024 – Berlin, Huxleys Neue Welt
22.02.2024 – Nürnberg, Hirsch
23.02.2024 – Dortmund, FZW Halle
In einer Welt, in der sich die Nachrichten überschlagen, ist Vertrauen und Verständnis die höchste Währung. Wirtz liefert mit „Schweigen mit dir“ einen emotionalen und dynamischen Song, der mit ruhigen Klängen beginnt und in einer atmosphärischen Rocknummer endet. Er erinnert uns daran, dass in schweren Zeiten die Gemeinsamkeit der Schlüssel für unser Gleichgewicht im Leben ist. Der Track kann HIER gestreamt werden.
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Wirtz ist sechs Jahre nach seinem letzten Vollstromalbum zurück, mit großer Lust an Lärm und harten Gitarren und am gemeinsam zelebrierten Rundum-Durchdreh-Programm. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Musiker, seine Alben landen zuverlässig in den höchsten Chartregionen und ruft er zur emotionalen Rockmesse, sind die Clubs des Landes bis unters Dach voll. Und das, obwohl – oder doch eher gerade weil – Wirtz seit 2007 seinen Weg konsequent an den Majorstrukturen vorbei geht. Eigene Plattenfirma, eigene Identität, vom ersten Tag an. Gewiss, die Teilnahme am Erfolgsformat „Sing meinen Song“ sorgt 2015 für Rückenwind, getragen wird das Projekt aber seit Beginn von einer wachsenden Schar an Unterstützern, die keine Lust auf Trends hat, sondern das Wahrhaftige spürt und schätzt. Wirtz, das steht für DIY vom ersten Ton bis zum letzten Atemzug. „Als Plattenboss und A&R setz ich aufs beste Exemplar und das ist meine DNA“, singt er 2023.
Als die Pandemie der Kultur im März 2020 den Stecker zieht, steht Wirtz nur wenige Tage vor dem Start einer ausverkauften Unplugged-Tour. Es ist ein Schock, der die komplette Struktur durchschüttelt. Es wird ruhig um Wirtz, weil es nichts zu berichten gibt. Aber abseits des täglichen Wahnsinns entsteht neue Musik. In neuen Konstellationen, aber mit alten Qualitäten: Roh, gnadenlos ehrlich, Gefühl und Härte. Wirtz hat „die alten Pfade neu planiert, die ganze Hütte kernsaniert“.
„DNA“ erzählt viel über drei Jahre „gestohlene Lebenszeit“. „Es lag eine Menge auf der Seele, das man rausschreien musste“, sagt Wirtz zu seiner lauten Rückkehr. Ein Versprechen an viele, viele Fans, die ihren Wirtz wieder am liebsten hart gerockt und nicht gerührt genießen. „DNA“ lässt da keine Wünsche offen, zeigt aber auch nur eine Facette, für die Wirtz seit jeher steht. Das Album „DNA“ erscheint am 02. Februar 2024 und kann HIER bestellt werden. Auch eine Tour wurde für 2024 bereits angekündigt:
Es beginnt mit einem Knall, ein hartes Riff sägt los und schon in der ersten Strophe von „DNA“ ist die letzte Chance auf einen leisen Zweifel laut ausgeräumt: WIRTZ ist wieder da! „Hier wirtz gelebt, nicht inszeniert, das Original ist wieder hier und ist auf Angriff programmiert“, ruft der Frankfurter Musiker in seinem ersten musikalischen Lebenszeichen nach Jahren der Ruhe all jenen entgegen, die ihn so sehnlich vermisst haben und auch denen, die ihn erst jetzt lieben lernen. Es ist eine Kampfansage mit Augenzwinkern, aber die Idee ist klar: „DNA“ ist mehr als ein Lebenszeichen, mehr auch als der Vorbote eines neuen Albums – es ist ein Mission Statement: WIRTZ ist sechs Jahre nach seinem letzten Vollstromalbum zurück, mit großer Lust an Lärm und harten Gitarren und am gemeinsam zelebrierten Rundum-Durchdreh-Programm.
WIRTZ ist einer der erfolgreichsten deutschen Musiker, seine Alben landen zuverlässig in den höchsten Chartregionen und ruft er zur emotionalen Rockmesse, sind die Clubs des Landes bis unters Dach voll. Und das, obwohl – oder doch eher gerade weil – WIRTZ seit 2007 seinen Weg konsequent an den Majorstrukturen vorbei geht. Eigene Plattenfirma, eigene Identität, vom ersten Tag an. Gewiss, die Teilnahme am Erfolgsformat „Sing meinen Song“ sorgt 2015 für Rückenwind, getragen wird das Projekt aber seit Beginn von einer wachsenden Schar an Unterstützern, die keine Lust auf Trends hat, sondern das Wahrhaftige spürt und schätzt. WIRTZ, das steht für DIY vom ersten Ton bis zum letzten Atemzug. „Als Plattenboss und A&R setz ich aufs beste Exemplar und das ist meine DNA“, singt er 2023.
Als die Pandemie der Kultur im März 2020 den Stecker zieht, steht WIRTZ nur wenige Tage vor dem Start einer ausverkauften Unplugged-Tour. Es ist ein Schock, der die komplette Struktur durchschüttelt. Es wird ruhig um WIRTZ, weil es nichts zu berichten gibt. Aber abseits des täglichen Wahnsinns entsteht neue Musik. In neuen Konstellationen, aber mit alten Qualitäten: Roh, gnadenlos ehrlich, Gefühl und Härte. WIRTZ hat „die alten Pfade neu planiert, die ganze Hütte kernsaniert“.
„DNA“ erzählt viel über drei Jahre „gestohlene Lebenszeit“. „Es lag eine Menge auf der Seele, das man rausschreien musste“, sagt WIRTZ zu seiner lauten Rückkehr. Ein Versprechen an viele, viele Fans, die ihren WIRTZ wieder am liebsten hart gerockt und nicht gerührt genießen. „DNA“ lässt da keine Wünsche offen, zeigt aber auch nur eine Facette, für die WIRTZ seit jeher steht.
Es kommt noch viel mehr, für den Moment aber ist „DNA“ der Knall, mit dem das Vakuum, das WIRTZ 2020 hinterlassen hat, implodiert. WIRTZ ist wieder da.
Mit Fortsetzungen ist das ja so eine Sache. In vielen Fällen geht der erneute Aufguss leider in die Hose. Nur selten wird das Original vom Nachfolger übertroffen. Als 2014 „Unplugged“ von Wirtz erschien, war das Album für mich eine Art Offenbarung. Das lag zum einen an meiner damaligen persönlichen Situation, für die der 44-jährige Frankfurter quasi den Soundtrack lieferte. Zum zweiten lag es natürlich auch daran, dass der Vollgasrocker vierzehn seiner Songs bis auf die Knochen reduzierte und in ein ungewohnt filigranes Gewand kleidete, das so zart und zerbrechlich war, dass es fast wehtat. Textlich bewies er dabei immer eine klare Kante und nahm als einer der Wenigen im deutschsprachigen Musikzirkus kein Blatt vor den Mund. Seitdem hat Wirtz mit „Auf die Plätze, fertig, los“ von 2015 und „Die fünfte Dimension“ von 2017 zwei weitere Studioalben veröffentlicht, auf denen er sich seiner sprachlichen Wucht leider weitestgehend selbst beraubte und mehr in Richtung Radioquote schielte. So ging ich dann auch eher skeptisch an „Unplugged II“ heran, sollte das Album doch ausschließlich aus akustischen Versionen ausgewählter Songs dieser beiden letzten Alben bestehen.
Das stimmt dann doch nicht so ganz, denn mit „11 Zeugen“ hat es immerhin der Song ans Ende von „Unplugged II“ geschafft, mit dem 2008 alles begann. Auch die übrigen zwölf Stücke gehen im Vergleich zu ihren Originalen bis auf eine Ausnahme als Gewinner aus ihren Neuarrangements hervor. Trotzdem bin ich nach einigen Hördurchgängen immer noch der Meinung, dass ein Querschnitt durch alle bisherigen fünf Studioalben besser gewesen wäre, aber das kann Wirtz ja dann ab März auf der schon größtenteils ausverkauften Unplugged-Tour nachholen, auf die man sich nach den einzigartigen Konzerterlebnissen vor sechs Jahren zu Recht freuen darf.
Bis dahin lässt sich „Unplugged II“ am besten bei einem gepflegten Glas Wein und unter einer kuscheligen Decke alleine oder in trauter Zweisamkeit auf dem heimischen Sofa genießen. Fast eine Stunde lang entführt uns Wirtz aus dem Alltag in die Welt großer Gefühle. Dabei ist das trotz des Einsatzes von Geige, Cello oder Piano teilweise schon fast wieder „plugged“, wie beim Opener „Auf die Plätze, fertig, los“, bei „Die fünfte Dimension“ oder – abgesehen vom grossartigen Intro – „Moment für die Ewigkeit“. Im Gegensatz dazu erreichen viele Stücke eine emotionale Tiefe, die man ihnen kaum zugetraut hätte. Die teils voluminösen Streicher und der unverkennbare Gesang von Wirtz verleihen ihnen eine fragile Schönheit, die so intensiv ist, dass die Songs noch tagelang im Ohr bleiben. Das gilt für „Regentropfen“ ebenso wie für „Sehnsucht“ oder die bereits in ihren ursprünglichen Versionen wunderbaren „Das verheißene Glück“ und „Mantra“. Lediglich „Entdeckung der Langsamkeit“ fällt im Vergleich dazu etwas ab. Abgerundet wird das Ganze von einem geschmackvollen Artwork und einem nett gestalteten Booklet. In Zeiten der digitalen Musikverwertung keine Selbstverständlichkeit.
Man merkt „Unplugged II“ bei jedem Ton an wieviel Herzblut Wirtz erneut in das Projekt gesteckt hat. Es ist beileibe kein lauwarmer Aufguss der Ursprungsidee und geht – um den Bogen zum Anfang dieser Rezension zu schlagen – alles andere als in die Hose. Das Album macht mächtig Lust darauf es live zu erleben und dabei auf die alten Bekannten vom ersten „Unplugged“ zu treffen, vielleicht sogar ergänzt durch einige Überraschungsgäste aus der Zeit vor 2014. „Alles was ich bisher gemacht habe hat noch nie so gut geklungen“, hat Wirtz damals im Interview mit uns gesagt. Das trifft auch diesmal zu. Und auf dem nächsten Album darf dann gerne wieder gerockt werden.
Wenn Wirtz kommt ist die Bude voll. Das war in Köln schon immer so. Inzwischen hat sich der 43-jährige Frankfurter einmal quer durch die Domstadt gespielt. Angefangen 2008 vor 300 Leuten im Luxor über die Kulturkirche, Live Music Hall und das E-Werk bis hin zum Palladium. Fehlt eigentlich nur noch die Lanxess Arena. Sein heutiger Besuch ist der Nachholtermin für den ursprünglich schon Anfang Mai vorgesehenen Auftritt, der aber wie die gesamte Tour aufgrund eines bandinternen Unglücksfalles verschoben werden musste. Quasi als Wiedergutmachung wird das Konzert komplett mitgeschnitten und im Laufe des kommenden Jahres als DVD erscheinen. Wirtz selbst konnte sich bereits vor vier Tagen ein Bild von der Location machen, als er seinen Kumpel Wolfgang Niedecken an gleicher Stelle bei dessen Gig mit BAP für einen Song unterstützt hat. Und einen weiteren erwähnenswerten Nebeneffekt gibt es auch noch: All jene, die einen Platz auf der Gästeliste ergattert haben, können freiwillig einen Beitrag nach Wahl für ein Hilfsprojekt in Tansania spenden, was wir ebenfalls gerne tun.
Die Begutachtung der Vorgruppe Deine Cousine lassen wir zugunsten eines hopfenhaltigen Kaltgetränks ausfallen, was angesichts der Töne, die aus der Halle bis zur Theke dringen, die richtige Entscheidung zu sein scheint. Anschließend suchen wir uns ein Plätzchen mit guter Sicht auf die Bühne, was aufgrund der lästigen Pfeiler nicht so einfach ist. Immerhin kommt der Sound im Vergleich zu so manch anderem Konzertabend im Palladium diesmal vom ersten Ton an nahezu perfekt rüber. Dieser erste Ton gebührt dem Intro zu „Die fünfte Dimension“, dem Titelsong zu Wirtz‘ fünftem Studioalbum, das fast auf den Tag genau vor einem Jahr veröffentlicht wurde. Das neue Album ist zunächst auch der Schwerpunkt in der Setlist und im ersten Drittel mit gleich sechs Songs vertreten, darunter erfreulicherweise auch meine beiden persönlichen Favoriten „Das verheißene Glück“ und „Entdeckung der Langsamkeit“. Während „Gib mich nicht auf“ sind auf dem Screen im Hintergrund der Bühne Szenen aus dem Videoclip und im weiteren Verlauf des Abends noch andere Animationen zu sehen, die im Zusammenspiel mit der akzentuierten Lightshow eine fast schon heimelige Atmosphäre ins Palladium zaubern. Die Kölner danken es Wirtz und Band, in der diesmal niemand geringerer als Pascal Kravetz die Gitarre bedient, mit minutenlangen „Jetzt geht’s los“-Sprechchören.
Überhaupt ist die Stimmung nach eher verhaltenem Beginn spätestens ab der zweiten Konzerthälfte DVD-kompatibel. Während „Wir“ fordert Wirtz die Fans auf ihre Handytaschenlampen in die Luft zu halten, was ich ein klein wenig albern finde. Das mag aber daran liegen, dass es noch keine Handys gab, als ich zum ersten Mal auf Konzerte gegangen bin und wir stattdessen Feuerzeuge hochgehalten haben. Wirtz macht das aber schnell wieder gut, indem er vor „Frei“ eine emotionale Ansprache hält, in der er uns allen nochmal bewusst macht, wie dankbar wir dafür sein sollten zu den schätzungsweise zwei Prozent der Weltbevölkerung zu gehören, die ihr Leben in Freiheit genießen dürfen. Und so endet das Mainset dann auch passenderweise mit einem weiteren Kölner Chor und „Oh wie ist das schön“-Gesängen. War die Setlist bis hierhin sehr rockig, so ändert sich das im Zugabenblock kaum. Lediglich „Keine Angst“ beginnt Wirtz solo und akustisch, bis wieder die gesamte Band einsteigt. „Ne Weile her“ und „Mon Amour“ setzen dann schließlich die Schlußpunkte unter einen bis dahin schon gelungenen Konzertabend, der allerdings noch eine weitere Steigerung erfahren soll.
Denn wir erinnern uns, heute abend wird ja eine Live-DVD aufgezeichnet. Und offensichtlich hat sich bei der ersten Version von „Seelen“ ausgerechnet Pascal Kravetz verspielt. Während sich ein Drittel der Fans bereits auf dem Heimweg befindet, probiert sich die Band mit dem Rest an einer zweiten Version, die zur Zufriedenheit aller gelingt. Und weil es so schön war (inklusive der entsprechenden Sprechchöre) legt Wirtz zum endgültigen Ende mit „Kamikaze“ noch einen drauf und lässt die Fans dabei auf Kommando aus der Hocke aufspringen und tanzen. Nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden (!) verneigt er sich ausgiebig vor dem feiernden Palladium während im Hintergrund der Schriftzug „Danke Köln“ an die Wand geworfen wird.
Legt man heute die drei Kriterien für ein gutes Konzert zugrunde, nämlich Länge, Stimmung und Setlist, dann kann die zu erwartende DVD nur der Knaller werden. Ich hätte zwar gerne noch einige ältere bis uralte Stücke gehört, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Angesichts der weichgespülten Sangesbarden, die aktuell im Formatradio auf Deutsch rumheulen dürfen (die Namen könnt ihr für euch selbst einsetzen), tut es immer wieder gut mit Daniel Wirtz jemanden zu erleben, der nicht nur authentisch rüberkommt, sondern in seinen Texten auch fast kein Blatt vor den Mund nimmt. Und wer weiß? Vielleicht reicht das ja bei seinem nächsten Besuch in Köln sogar für die Lanxess Arena. Eines steht jedenfalls jetzt schon fest: Es wird rocken!
Satte zehn Jahre ist Daniel Wirtz nun schon als Solokünstler unterwegs und seit seinem Debüt „11 Zeugen“ hat er sich Stück für Stück in der deutschsprachigen Musikszene etabliert. Auf „11 Zeugen“ folgten bis heute drei weitere Studioalben, ein Unplugged- und ein Best Of-Jubiläumsalbum. Besonders in den vergangenen beiden Jahren hat er seine Fanbasis durch „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ und eine eigene TV-Show namens „One Night Song – Blind Date im Wirtz-Haus“ enorm vergrößert. Das Ergebnis waren die größte Wirtz-Tour aller Zeiten, Support-Slots bei Udo Lindenberg und Xavier Naidoo und ein ganzer Sack voller Musikpreise. Wenn man weiß, dass es bis dahin ein langer und mühsamer Weg war, dann kann man Daniel Wirtz die mediale Aufmerksamkeit nur uneingeschränkt gönnen. Die Kehrseite der Medaille bestand allerdings in der Befürchtung nicht weniger alteingesessener Fans, dass er dabei seine Unverwechselbarkeit an der Garderobe des Massengeschmacks abgelegt haben könnte. Ein Indiz dafür schien auch das letzte Album „Auf die Plätze, fertig, los“ von 2015 zu sein, auf dem der 42-jährige Wahl-Frankfurter deutlich glattgebügelter rüberkam als in den Jahren zuvor. Deshalb so viel zur Beruhigung schon mal vorweg: Mit seinem neuen Album dürften sich diese Befürchtungen in Luft auflösen.
„Die fünfte Dimension“ ist endlich wieder ein emotionaler Striptease mit vollfettem Sound, schmutzigen Gitarren und klaren Worten geworden. Ein bißchen davon konnte man bereits auf dem im April veröffentlichten Best Of spüren, das mit dem beschwörenden „Wer wir waren“ und „Seelen“ zwei neue Songs enthielt, die es nun auch auf „Die fünfte Dimension“ geschafft haben. Das Album rockt und da wo es nicht rockt macht es eine wohlige Gänsehaut. In „Weil ich dich mag“ lässt uns Wirtz auf seine eigene Art an der Geburt seines Sohnes und dem anstrengenden Start ins ungewohnte Familienleben teilhaben. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ prangert die Sucht nach ständiger Erreichbarkeit und den täglichen Meinungsbrei an. Merke: Gras wächst nicht schneller wenn man daran zieht.
Als idealer Opener für die nächste Tour (die im April und Mai 2018 stattfinden wird) entpuppt sich die erste Single „Gib mich nicht auf“ mit ihrem kratzigen Vinylintro. Schön sind auch „Bilder von damals“, in dem sich Wirtz samt choraler Unterstützung an seine wilde Kinderzeit erinnert oder das abschließende „10 Jahre“, das sowohl Rück- als auch Ausblick ist und den Kreis um „Die fünfte Dimension“ wunderbar schließt. Überhaupt bleibt die Suche nach Ausfällen auf diesem Album erfolglos. Wenn man denn danach suchen möchte. Wie sehr sich Wirtz mit „Die fünfte Dimension“ wieder auf seine Anfangstage irgendwo zwischen Album Nummer 2 („Erdling“) und Album Nummer 3 („Akustik Voodoo“) besinnt, wird besonders in „Das verheißene Glück“ deutlich, das musikalisch da anknüpft, wo er 2011 mit „Strom der Zeit“ aufgehört hat. Zu dessen eindringlicher Botschaft kann man viele aktuelle Bezüge finden: Freiheit ist kein Selbstläufer. Ohne Freiheit gibt es kein friedliches Miteinander. Geht deshalb den Rattenfängern nicht auf den Leim, die Freiheit unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Alternative durch Egoismus ersetzen wollen. Auch deshalb ist „Das verheißene Glück“ der beste Song des Albums.
Der Weichspülfaktor tendiert in allen zwölf Songs gegen Null und selbst wenn es mal melancholisch wird (wie in dem hymnischen Treueschwur „Ich bleibe hier“), rutscht Wirtz zu keiner Zeit ins Kitschige ab. Das ist angesichts der ewig gleichklingenden Kollegen wie Revolverheld oder Max Giesinger und Konsorten, die mit ihrem inhaltslosen Deutschpop die Radiokanäle verkleben, ebenso wichtig wie wohltuend. Wirtz hat auf „Die fünfte Dimension“ der Versuchung widerstanden seine Authentizität auf dem Altar der Kommerzialisierung zu opfern. Danke dafür! Und die Höchstwertung!
Was sich über viele Jahre langsam, aber kontinuierlich vom zarten Versuch zu einem Lehrbeispiel in Sachen selbstbewusstem, erfolgreichem „Do it yourself“-Phänomen entwickelt hat, ist 2015 endgültig durch die Decke gegangen. Im Sommer hat Wirtz den Soulstar und Platinseller Xavier Naidoo auf dessen großer „Frei Sein“ Open-Air-Tour begleitet. Dabei dürften die meisten der Naidoo-Fans den Frankfurter schon aus dem unmittelbar vor Tourstart ausgestrahlten und ungeheuer erfolgreichen VOX-Format „Sing meinen Song“ gekannt haben. Direkt im Anschluss ist Wirtz dann mit seinem eigenen neuen Album „Auf die Plätze, fertig, los“ zu einer ausgedehnte Headliner-Tour durch Deutschland aufgebrochen, auf der er mit seiner Mischung aus klaren Worten, harten Riffs und sensiblem Kern die Hallen zum Kochen bringt. Vor dem Abschlusskonzert der Tour im Kölner E-Werk traf sich Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll mit einem überaus entspannten und gutgelaunten Daniel Wirtz zum Interview. Dabei unterhielten sich die beiden nicht nur über „Sing meinen Song“ oder das neue Album, sondern auch über alte und neue Fans, Vergleiche mit den Foo Fighters oder wie es ist Windeln zu wechseln.
Köln ist heute die letzte Station deiner Auf die Plätze, fertig, los-Tour. Bist du zufrieden wie es gelaufen ist?
Wirtz: Mega. Wenn wir das heute nochmal so hinkriegen wie die ganzen anderen Male, dann kann man da einen dicken Haken hinter machen. Dann hatten sowohl die Leute vor als auch auf der Bühne eine Menge Spass und haben Clubgeschichte geschrieben. Wir haben so viel Geraffel dabei, das hat der ein oder andere Club auch noch nicht gesehen. An Licht, an Technik und so Zeugs. Die Veranstalter haben jedes Mal keine Worte dafür gefunden (lacht). Wobei es in dem Haus hier schon fast ein bißchen billig aussieht. Da hätte man auch das Doppelte mitnehmen können. Aber es wird auch so gut aussehen, glaube ich. Es sind insgesamt 25 Tonnen Material, 50 Lampen und bespielbare Flächen mit Beamern. Wir haben eine sehr, sehr gute Lichtcrew am Start, die normalerweise Fanta 4 oder Grönemeyer macht. Gute Jungs. Ich habe es nur leider noch nie von vorne gesehen, aber es muss unglaublich sein (lacht).
Habt ihr euch für das letzte Konzert der Tour irgendwas Spezielles überlegt? Eine Überraschung? Kommt Stefan Raab?
Wirtz: Nee, ich glaube, das Set und alles ist so in sich schlüssig, dass man da jetzt nicht nochmal am falschen Rad drehen muss. Es wird einfach nochmal niedergerissen. Totaler Abriss ist heute das Motto. Die letzten Körner werden jetzt verbrannt.
Glaubst du, dass dir die Teilnahme an „Sing meinen Song“ den entscheidenden Karrierekick verpasst hat? Ehrlich gesagt war mein erster Gedanke, als ich von deiner Teilnahme erfahren habe: Ach du Scheisse, was macht er denn jetzt?
Wirtz: Der Matthias (Hoffmann, Anmerkung der Redaktion), mein Partner und Produzent, der seit acht Jahren an meiner Seite ist, hat früher auf die Frage, was er denn so macht immer geantwortet: Wirtz. Und die Antwort war jedesmal: Wer? Das Schöne nach dieser Sendung, als das in aller Munde war, war dann, dass die Leute geantwortet haben: Ach krass. Der ist das? Ist ja obergeil (lacht). Also dafür hat es sich alleine schon gelohnt. Und auf der anderen Seite ist es natürlich schon ein Massenmedium. In der Außenwirkung habe ich das verkauft was ich mache. Ich habe keinen auf die falsche Fährte gelockt. Wenn jemand das gut fand, was ich da gemacht habe und jetzt auf ein Konzert kommt, dann wird er nicht denken: Oh Gott, was ist denn hier los? Sondern das war relativ konsequent und für mich eine schöne Plattform, um mich mal zu zeigen. Und die Reaktionen sind am Ende die gleichen gewesen wie vorher. Ich glaube, diejenigen, die mich dadurch entdeckt haben, sind genauso fasziniert wie alle anderen, die vielleicht von ihrem Kumpel mal eine Info oder eine CD bekommen haben. Ich glaube nicht, dass jemand, der sowieso schon keine Gitarrenmusik mag, sich aus Mitleid oder Sympathie die Platte gekauft hat. Wir haben da einfach das gezeigt was wir sind. Und das war für mich auch der Grund da hinzugehen.
Ich muss sagen, mich freut das ungemein. 2008, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, hast du hier in Köln im Luxor vor vielleicht 300 Leuten gespielt. Und jetzt hat es richtig Bäm gemacht.
Wirtz: Wobei wir die Tour extra schon im Vorfeld gebucht hatten. Also in den Clubs, die wir mit dem neuen Album und ohne „Sing meinen Song“ sowieso als den nächsten logischen Schritt gemacht hätten. Dadurch dass wir erfahrungsgemäß wissen, dass du bei jeder neuen Platte mal so 30 Prozent an Leuten obendrauf rechnen kannst. Da ist es dann zum Beispiel in Hamburg vom Übel & Gefährlich, wo 800 Leute reinpassen, ins Docks mit 1100 gegangen. Das hätten wir auch ohne die Sendung gemacht. Da hing natürlich schneller das „Ausverkauft“-Schild dran als sonst. Ganz krass war Bielefeld. Da war ich im PC 69, wo so 400 Leute reinpassen. Und da standen jetzt plötzlich 2200 Leute. In Bielefeld. In der Stadt, die es nicht gibt (lacht). Keine Ahnung, wo die Leute alle herkommen. Ich habe mir jeden Abend die Frage gestellt: Wer ist denn jetzt der alte Fan und wer der neue Fan? Ich konnte das nicht ausmachen. Immer wenn ich gedacht habe, ich habe einen neuen entdeckt, hat er bei den alten Songs lauthals mitgeschrien. Das Publikum war eh immer sehr gemischt von 18 bis 50 und das ist so geblieben. Egal wo man mich entdeckt, ob nun durch einen Freund, auf einem Festival oder in der Sendung, da mache ich ja keinen Unterschied. Ich sage ja nicht: Okay, du hast VOX geguckt, du darfst nicht kommen.
In meinem Review zum neuen Album habe ich geschrieben: Wirtz hat seine Ecken und Kanten poliert. Ich finde es ist luftiger und positiver geworden als die Alben, die du vorher gemacht hast. Würdest du mir da zustimmen?
Wirtz: Ich bin gespannt, was du nach dem Konzert dazu schreibst. Ich finde das schon sehr livetauglich. Ein Album ist natürlich immer eine Momentaufnahme der Zeit, in der man daran arbeitet beziehungsweise der Zeit vom letzten Album bis zu dem Tag, an dem du dann wieder ins Studio gehst. Wenn dir dann in der Phase mal keine Frau das Herz rausreißt, mit der hohen Hacke drauftritt und draufkotzt, dann begrüsse ich das auch mal und dann ist das vielleicht auch nicht das Thema der Platte. „Du fährst im Dunkeln“ ist zum Beispiel der Rat an jemanden, von dem man denkt: Alter, du bist keine 20 mehr und tust aber trotzdem noch jedes Wochenende oder unter der Woche so. Da macht man sich Sorgen, dass man demnächst auf irgendeiner Beerdigung auftritt. Ein guter Tipp, den ich mal bekommen habe und womit ich den Wink mit dem Zaunpfahl weiterleite. Ob der dadurch weniger Kante hat kann ich nicht beurteilen. Mit „Freitag Abend“, „Wenn du willst“ oder „Ich weiss es nicht“ sind natürlich auch drei Partykracher drauf, die das Album enorm erhellen. Bis dahin finde ich es sehr homogen zu den alten Platten. „Du verschwendest meine Zeit“ oder „Wo ich steh“ ist mit einem ähnlichen Augenzwinkern abgeschickt worden. Live macht das auf jeden Fall eine Menge Spass. Ich hatte einige Leute, die vor der Tour noch ein bißchen mit der neuen Platte gehadert und nachher ihr Urteil revidiert haben. Es macht enorm Spass aus vier Alben eine Setlist zusammen zu bauen, wo du weisst, dass du immer noch einen Song in petto hast. Hinten raus gibt es dann nur noch Hits, Hits, Hits (lacht).
Ich will ja auch gar nicht mit dem Album hadern. Das wäre weit übertrieben. Aber es ist anders.
Wirtz: Es klingt vielleicht auch deshalb ein bißchen aufgeräumter, weil wir das Album von der Produktionsseite anders angegangen sind als sonst. Normal gehen wir ins Studio und fangen irgendwo an. Da wird dann schon mal der Bass aufgenommen oder das Schlagzeug. Wir haben ja nur eine Kabine wo das alles stattfindet. Dann wird das Schlagzeug wieder abgebaut, dann wird ein Text draufgesungen, dann kommt das Schlagzeug wieder rein für die nächste Nummer. Bei den anderen Platten hattest du so immer irgendwie das Gefühl, dass da zwölf oder dreizehn verschiedene Schlagzeuger spielen, weil es immer irgendwie anders klingt. Das haben wir diesmal ausgelagert und in einem Studio gemacht, wo das Schlagzeug immer an der gleichen Stelle steht. Wenn du einen konstanten Schlagzeugraum hast, dann entscheidet der eigentlich schon wie das Album klingt. Alles hat seinen festen Platz und seine Lücken. Wenn du da ins Detail gehst und Geld keine Rolle spielt, ist das eine Philosophie für sich. Da wird die Bassdrum auf den Millimeter an die richtige Stelle geschoben. Bei der letzten Produktion der Foo Fighters wurden die Becken von Dave Grohl zum Beispiel separat getrommelt. Wir machen das mit dem Matthias in Frankfurt und die Foo Fighters geben das durch achtzig Hände der weltbesten Leute in den Staaten.
Brendan O’Brien wird wahrscheinlich nicht anklopfen und fragen, ob er deine nächste Platte produzieren darf.
Wirtz: Man weiss es nicht (lacht). Mal gucken was im nächsten Jahr passiert. Bis jetzt war es jedenfalls ganz gut. Das muss man sich bewusst machen. Vielleicht sollte ich dafür mal nach Castrop-Rauxel ziehen. Oder den Winter in Berlin verbringen. Oder nach Skandinavien in der Zeit wo es da nur dunkel ist. Auch geil. Da kommst du auch schön schräg drauf.
Wie man so hört warst du als Kind sehr rebellisch. Jetzt bist du selber Vater. Hast du vor bei deinem Sohn etwas anders zu machen als deine Eltern früher bei dir?
Wirtz: Wow… also an meine Zeit mit zwei Jahren kann ich mich nicht erinnern. Meine Zeitrechnung fängt eher so mit gefühlten 14 an, wo man dann die ersten Auseinandersetzungen mit den Eltern hat. Man will natürlich immer anders sein als seine Eltern und irgendwann sagt dann doch jemand: Boah, du bist ja wie dein Vater. Da will ich mich überhaupt nicht von freisprechen. Ich glaube, genauso wie meine Eltern versucht haben mir das Beste zu geben, werde ich es auch versuchen. Und mein Sohn wird es wahrscheinlich auch total kacke finden. Mein Vater hat sich natürlich tierisch gefreut als er gehört hat, dass es ein Junge wird. Er meinte: Jetzt kannst du dir mal schön angucken, was ich mit dir alles durchgemacht habe.
Auf den Konzerten hast du immer dein „WIRtz“-T-Shirt an. Jetzt sind ja eine Menge neuer Fans dazugekommen, auch wenn man die nicht immer auf Anhieb erkennt. Hast du trotzdem noch dieses „WIR“-Gefühl?
Wirtz: Ich habe nicht das Gefühl, dass etwas verloren gegangen ist. Auch wenn die Schuhgrösse jetzt vielleicht eine andere ist. Wenn du natürlich im Luxor fünf Leute dabei hast, die mit acht Tequila im Turm anfangen Pogo zu tanzen, dann sieht das von der Bühne so aus als ob der ganze Club bebt. Aber auch in der Live Music Hall oder hier im E-Werk sind alle Hände oben und du hast immer noch deine zehn Leute, die meinen sie müssten Pogo tanzen. Stimmungsmäßig kann ich da keinen Unterschied sehen. Logischerweise ist das am Wochenende immer ein bißchen anders als in der Woche. Die Leute sind teilweise gestandene Menschen, die haben einen Job, die haben acht Stunden gearbeitet, kommen heute vielleicht nicht direkt aus Köln, sondern aus der Umgebung und wissen, dass sie nachher wieder mit der Bahn oder dem Auto zurück müssen, weil morgen früh wieder der Wecker klingelt oder das Kind am Start ist. Da kannst du dir keinen reinlöten. Am Wochenende ist deshalb schon mehr Bambule als in der Woche. Mit acht Bier geht man eben schon ein bißchen mehr aus sich raus als mit einem Tee.
Die Unplugged-Geschichte aus dem letzten Jahr fand ich grossartig. Also sowohl die Tour als auch das Album.
Wirtz: Ja, aber da hatte man im Fanlager ja auch schon das Gefühl, dass da jetzt bestimmt die falschen Leute kommen und das zum Mainstream wird. Am Ende waren es dann aber doch die gleichen Leute, nur dass sie diesmal versucht haben sich schick anzuziehen. Und man hat halt gesessen und die Fresse gehalten (lacht).
Würdest du so etwas nochmal wiederholen oder bist du froh, dass du jetzt endlich wieder rocken und die Sau rauslassen kannst?
Wirtz: Die Art und Weise wie das Unplugged teilweise geklungen hat und das schöne Ambiente drumherum hat mich natürlich auf die Idee gebracht, dass man da drunter hier jetzt nicht mehr antreten möchte. Deshalb ist das auf der Tour auch alles etwas aufwendiger. Das Geld, was durch die hundert Leute mehr reingekommen ist, haben wir direkt in die Hand genommen um die Skills aufzustocken. Ich hoffe, das werdet ihr später auch sehen. Jeder hat bisher gesagt: So gut hat der Laden bis jetzt noch nie geklungen. Und so fett hat er auch noch nie ausgesehen. Hier ist das natürlich schwer, weil das E-Werk einfach eine Institution ist. Der Laden ist es gewohnt, dass hier grosse Produktionen reinkommen. Unser alter Bassist Christian Adameit war zuletzt bei U2 und er meinte, dass er nicht das Gefühl hatte, die haben mehr Geld ausgegeben als wir (lacht). Ich bin gespannt auf deine Meinung. Vielleicht haben wir ja nachher noch die Gelegenheit darüber zu quatschen oder beim nächsten Mal. Ansonsten werde ich es ja lesen. Also wenn ich noch ein bißchen Stimme oben rechts im Bett finde, dann wird es hoffentlich gut.
Zum Schluss würde ich dir gerne noch fünf Schlagworte geben und du antwortest auf jedes mit einem Satz. Erstes Schlagwort: Köln.
Wirtz: Köln ist ganz nah am Nest. Also an Heinsberg. Ich war als Kind oft in Köln. Ich habe mit der Band hier viele enorm schöne Erinnerungen und gefühlte Erfolge mit nach Hause genommen. Der Kölner kann wenn er will und ich bin auch heute abend wieder sehr darauf gespannt.
Xavier Naidoo.
Wirtz: Ein unglaublich netter, sympathischer, musikaffiner Typ. Kein negatives Wort über ihn würde je über meine Lippen kommen. Vielen, vielen Dank für den unglaublichen Sommer, in dem er mir noch das Heiligste geschenkt hat, das ein Musiker einem anderen geben kann und das sind seine Leute.
Windeln.
Wirtz: Hach, Windeln ist auch so ein Ding. Ich bin froh, wenn er mal ins richtige Loch kackt, wo man dann nur draufdrückt (lacht). Nach dem Stillen hat sich das vom Geruch her auch schon ein bißchen verändert. Ich bin da eigentlich ganz flott drin. Leider nicht so gut wie die Mutter, die das mittlerweile schon im Stehen kann. Ich muss ihn dafür immer noch auf’s Kreuz legen, was er natürlich scheisse findet. Aber er weiss, dass der Papa sich dabei so ekelt, dass er vergisst sich darüber aufzuregen, auf dem Rücken liegen zu müssen. Er lacht sich dann mehr über mich tot.
Südafrika.
Wirtz: Ein unglaublich krasses Land. Als ich von Kapstadt bis zu diesem Ressort gefahren bin, hatte ich sehr komische Vibes, weil ich noch nie so eine krasse Schere zwischen Arm und Reich gesehen habe. Auf der linken Seite die Truman-Show, auf der rechten Seite die Slums. Landschaftlich unglaublich. Ich habe auf den 150 Kilometern von Kapstadt bis dahin gedacht, dass ich durch Ibiza, die Pfalz über Sylt nach Irland, Schottland und dann am Ende nach Spanien fahre. Alle anderen sind privat noch zwei Wochen länger da geblieben und haben das Land erkundet. Wir hatten keine Zeit, weil wir im Endspurt mit dem Album waren. Das habe ich sehr, sehr bedauert, weil bis dahin auch nicht gross Zeit für Sightseeing war.
Okay, letztes Schlagwort: Lieblingshalle.
Wirtz: Auf der Tour gab es so ein, zwei Hallen, die ich bis dato noch nicht kannte. In Ulm das Roxy. Da war ich überhaupt nicht drauf vorbereitet, dass in Ulm so ein Laden mit so einer Technik steht. Da war ich total geflashed. Das hat Mörderspass gemacht und da möchte ich gerne auch nochmal hin. Im E-Werk hatte ich auch noch nie das Vergnügen. Es ist ja ausverkauft und das ist schon imposant. Oder der Ringlokschuppen in Bielefeld. Ansonsten die Columbiahalle in Berlin. Das war bis dato mein grösstes Konzert, das ich spielen durfte. Das haben wir auf DVD gebannt und die wird dieses Jahr hoffentlich auch noch fertig.
Das sind doch schöne Aussichten. Erstmal vielen Dank für das wieder mal sehr nette Gespräch und viel Glück für das Konzert heute abend.
Wir bedanken uns ebenso bei Till Erdenberger für die freundliche Vermittlung des Interviews und bei Matthias Hoffmann für die nette Versorgung vor Ort!
Seit Jahren schafft es Daniel Wirtz seinen Bekanntheitsgrad kontinuierlich zu steigern. Und womit? Mit Recht! Nach einem überaus erfolgreichen Unplugged-Abstecher mit gefeierten Shows im vergangenen Jahr und einem hoch gecharteten Album, macht Wirtz 2015 nun da weiter, wo er vor dem Ausflug in Akustikgefilde aufgehört hat: Rock mit Herz, Seele, Strom und Texten, von denen er selbst mal gesagt hat, dass sie so tiefe Einblicke zulassen, „dass sich das Singen anfühlt, wie nackt U-Bahn fahren“. Die Teilnahme an der letzten „Sing meinen Song“-Staffel, wo er quasi als Joker den Hauptgewinn abräumte, hat ihm noch einen zusätzlichen Karrierekick verpasst. Drei Mal wurden seine Interpretationen zum Song des Abends gewählt. Im Juni erschien dann sein neues und insgesamt fünftes Album „Auf die Plätze, fertig, los!“, das er den Fans nun auf seiner bis dato größten Deutschlandtour vorstellt. Das Konzert in Köln bildet dabei den Abschluss. Und der fällt mehr als würdig aus!
Wie die meisten anderen Hallen meldet auch das E-Werk heute Abend „ausverkauft“. Beim Interview, das wir vor der Show mit ihm geführt haben, hat Wirtz bereits eine „fette Produktion“ angekündigt. Und damit nicht zuviel versprochen. Bevor es soweit ist, wird den Kölnern jedoch erstmal von Milliarden kräftig eingeheizt. So heißt die Combo aus Berlin, die eine halbe Stunde lang für mächtig Alarm auf der Bühne sorgt und deren aktuelles Album „Kokain & Himbeereis“ sicher mehr als nur ein schnelles Ohr wert ist.
Als Wirtz und Band um kurz vor 21 Uhr passenderweise mit „Auf die Plätze, fertig los“ in ihr Set starten, wird eines schnell klar: Einen so perfekten Sound habe zumindest ich im E-Werk selten erlebt. Am Soundboard hat man schonmal nicht gespart. Die Instrumente sind vom ersten Ton an wunderbar ausbalanciert und ihre Lautstärke gibt Wirtz‘ Stimme exakt die Tiefe und den Raum, den sie braucht, um sich vollständig zu entfalten. Dazu gibt es allerlei Projektionen im Bühnenhintergrund und eine auf den Punkt stimmige und sehr stimmungsvolle Lightshow. Ähnliches war man von dem Frankfurter bislang nicht unbedingt gewohnt. Aber das bisschen Bombast steht ihm verdammt gut. Auch die neuen Songs, mit denen ich mich auf CD bis heute teilweise noch schwertue, bekommen live einen viel druckvolleren Charakter.
Bevor es in der Setlist weitergeht müssen Wirtz und Gitarrist Kai Stuffel (der auf den putzigen Spitznamen „Keile“ hört) erstmal einem Mädel Hilfe leisten, das vorne an der Bühne ohnmächtig geworden ist. Sie wird einem Sanitäter übergeben. Danach kann mit „Du fährst im Dunkeln“ und „Freitag Abend“ weitergerockt werden. Die Songs sind gut gewählt und schlagen einen Bogen vom aktuellen Album bis zurück zum Debüt „11 Zeugen“ von 2008. Das E-Werk feiert ausgelassen mit und die Stimmung steigt proportional zu den Temperaturen in der Halle. Spätestens bei „Ne Weile her“ ist der Siedepunkt erreicht. Zeit für eine Verschnaufpause… und ein paar Tränen.
Die fließen nämlich bei dem einen oder der anderen um mich herum zum wunderschönen „Sag es“, das Wirtz nur in Begleitung von Kai Stuffel singt. Als er dann mit dem Pur-Cover „Wenn sie diesen Tango hört“ das ganz grosse Gefühlskino anschmeisst, ist es selbst um die Fassung derjenigen Männer geschehen, die eben noch verschämt ihrer Frau das Taschentuch gereicht haben. Zum Abschluss des emotionalen Kraftaktes serviert uns Wirtz noch eine akustische Gänsehaut-Version von „Scherben“. Dann darf wieder gelacht werden. Stuffel kommt in der Setlist durcheinander und spielt das falsche Stück an. Er kontert sein Mißgeschick mit einem selbstironischen Schnipsel des White Stripes-Krachers „Seven Nation Army“. Wie geplant geht es anschließend mit „L.M.A.A.“ über „Meinen Namen“ und „Mantra“ dem Ende des Mainsets entgegen. Die Pause bis zur Zugabe wird von den Kölnern mit „Wooooo hoooo!“- und „Oh, wie ist das schön“-Sprechchören überbrückt.
Im Zugabenblock dürfen sich die Fans über drei weitere Songs freuen. „Keine Angst“ und „Mon Amour“, bei denen die Band noch einmal alles gibt und schließlich den sentimentalen Abschied aus „Nada Brahma“, in dem Wirtz verspricht, dass wir uns alle irgendwann wiedersehen. Bevor es endgültig nach Hause geht, dankt er ausgiebig allen in seiner Crew, angefangen bei seinen grossartigen Mitmusikanten bis hin zum Busfahrer und holt zum obligatorischen Facebook-Foto auch nochmal die Jungs von Milliarden auf die Bühne. Trotz seiner derzeitigen Erfolge ist Wirtz immer noch der sympathische und bodenständige Kumpeltyp geblieben, als der er vor sieben Jahren im Kölner Luxor angefangen hat. Als er nach zwei Stunden alleine und völlig ausgepowert am Bühnenrand steht und ehrlich überwältigt ist von der Begeisterung, die ihm entgegenschlägt, da wird aus dem „Nada Brahma“-Versprechen ein fester Vorsatz. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich schon am 26.12. im Palladium, wo er im Rahmen des Minifestivals „Rockiges Fest“ auftritt. Das Fazit des heutigen Abends lautet:
Seit dem letzten Studioalbum „Akustik Voodoo“ vor vier Jahren hat sich mächtig viel getan im Hause Wirtz. Obwohl das Album bis in die Top 5 der Charts kletterte, hing Daniel Wirtz immer noch so ein bißchen das Schild mit dem „Geheimtipp“-Schriftzug um den Hals. Dabei brachte er mit seinen energiegeladenen Rocksongs und den emotionalen und ehrlichen Texten als einer der wenigen hierzulande mal so richtig Feuer unter das deutschsprachige Dach. Im vergangenen Jahr nahm er kurzzeitig etwas Dampf vom Kessel und veröffentlichte ein grandioses Unplugged-Album (hier findet ihr unser Review). Und schließlich ist der 39-jährige Frankfurter vor kurzem Vater geworden, was seinen Blick auf die Dinge nochmals entscheidend verändert hat: „Dinge, die früher eine ungeheure Wichtigkeit hatten, kann man heute zwischen Windeln und Flaschen locker weglächeln“.
Diese Lockerheit hört man seinem neuen und fünften Album „Auf die Plätze, fertig, los“ dann auch deutlich an. Was als erstes auffällt: Die zwölf Songs klingen sehr viel positiver und optimistischer als alles, was Wirtz jemals zuvor gemacht hat. Da wo sonst an fast jeder Ecke eine mal mehr, mal weniger steife Brise Schwermut lauerte, kommt der Wind nun aus einer anderen Richtung. Er hat seine „Tränen in die Sonne gehängt“, wie es im Closer „Das nächste Mal“ so schön heißt. Leider ist die textliche Klinge, mit der Wirtz seine Songs bisher scharfzüngig rasiert hat, zugleich stumpfer geworden. Und dabei möchte ich gar nicht das böse Wort „radiokompatibel“ strapazieren. Fakt ist aber, dass „Auf die Plätze, fertig, los“ zwar gefühlsmäßig immer noch ganz nah dran ist an den großen und kleinen Alltagsbeobachtungen, die Dinge jedoch deutlich entschärfter auf den Punkt bringt. Fans der ersten Stunde werden das Fehlen der bislang gewohnten sprachlichen Kompromisslosigkeit bedauern, bei der Erschließung neuer Fanpotentiale ist das mit Sicherheit nicht hinderlich. Ebenso wenig wie Wirtz‘ Teilnahme an der zweiten Staffel von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ oder die Tour als Support-Act von Xavier Naidoo.
Musikalisch wird auf dem neuen Album endlich wieder gerockt. „Lehn dich zurück und schnall dich an, weil’s stürmisch werden kann“ singt Wirtz im Titelsong und das wird es über weite Strecken tatsächlich. „Auf die Plätze, fertig, los“ ist nebenbei auch noch ein perfekter Opener für die anstehenden Konzerte. In „Regentropfen“ oder „Aus Versehen“ tritt Wirtz das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Dazwischen liegt das eher transzendente „Mantra“. In „Wir“ zitiert Wirtz die Kollegen von U2 während ihrer „Pop“-Phase und für „Ich weiß es nicht“ hat er sich den Backgroundchor der Rolling Stones ausgeliehen. „Du fährst im Dunkeln“ glänzt mit einem gelungenen Funkeinschlag.
Die Klaviatur der großen Gefühle beherrscht er natürlich nach wie vor, wie das hymnische „Viel Glück“ eindrucksvoll beweist. Weitere Höhepunkte von „Auf die Plätze, fertig, los“ sind die verpunkte Liebeserklärung „Wenn du willst“ sowie das bombastisch-schwelgende „Sehnsucht“. Einzig mit „Freitag Abend“ leistet sich Wirtz einen Ausrutscher, der gefährlich nah am Schlagerniveau endet, bevor das bereits erwähnte „Das nächste Mal“ für einen hoffnungsfrohen Abschluss des Albums sorgt.
„Auf die Plätze, fertig, los“ ist vor allem eines nicht: Langweilig. Es ist das bisher abwechslungsreichste Wirtz-Album und gleichzeitig das erste, das man sich wirklich erarbeiten oder besser gesagt erhören muss. Die Vorgänger waren eindimensionaler und damit leichter verdaulich, was überhaupt nicht negativ gemeint ist. Für seinen neuen Longplayer hat Daniel Wirtz Ebenen verschoben und Blickwinkel geändert, er hat quasi seine Ecken und Kanten poliert, sowohl sprachlich als auch musikalisch. Es dauert etwas, bis man sich daran gewöhnt hat. Im Ergebnis lohnt sich die Mühe für „Auf die Plätze, fertig, los“ aber allemal.
Es ist ein wunderschöner Frühlingstag, dieser Montag Ende März in Köln. Als wir uns am frühen Abend auf den Weg nach Nippes machen, spürt man förmlich, wie sehr sich die Stadt bereits für den Sommer herausputzt. In den Straßencafés herrscht reges Treiben und vor den Kneipen genießen die ersten Leute ihr Feierabendkölsch bei einer Zigarette und ein bisschen „Verzäll“. Überall blickt man in gutgelaunte Gesichter und die Aussicht Wirtz in der Kulturkirche mal ganz anders zu erleben lässt auch uns vorfreudig grinsen. Wo der 38-jährige Frankfurter normalerweise intensiv auf der Rockschiene unterwegs ist, zieht er heute mal komplett den Stecker. Nach dem zweiten Teil seiner „Akustik Voodoo“-Tour zog er sich ins Studio zurück und spielte alle Songs völlig neu arrangiert mit Cello, Violine und Klavier ein. Das Ergebnis hört auf den Namen „Unplugged“ und ist Ende Februar erschienen (ein Review des Albums könnt ihr hier nachlesen).
Unter diesem Motto steht auch die aktuelle Tour, die Wirtz und sein siebenköpfiges Ensemble gleich zweimal in die Domstadt führt. Am 10. April wird es noch ein Zusatzkonzert an gleicher Stelle geben, das jedoch ebenso wie der heutige Termin schon restlos ausverkauft ist. Kein Wunder, denn die neogotische Lutherkirche in der Siebachstraße genießt völlig zu Recht und weit über Köln hinaus einen hervorragenden Ruf als Kultstätte für Konzerte, Lesungen, Comedy, Kabarett, Film oder Kunst. Zwischen Heiligenfiguren und Kölsch-Theke bildet sie auch diesmal wieder einen extrem stimmungsvollen Rahmen. Über dem Altar, der zur Bühne umfunktioniert ist, hängen weiße Stoffbahnen und zwei längliche Kästen, die – auch wenn es makaber klingt – ein wenig an Särge erinnern.
Um kurz nach 20 Uhr betreten unter lautstarkem Jubel erst der Reihe nach die Band und dann Wirtz, stilecht im schwarzen Hemd und mit weißem Schlips, die in warme Rot- und Blautöne getauchte Szenerie. Wirtz nimmt zu den zarten Klängen von „Erster Stein“ auf einem Barhocker Platz und von Anfang an hat man fast das Gefühl in einem Kammermusikabend gelandet zu sein. Die dezente Lightshow unterstützt diesen intimen Effekt noch zusätzlich. Die Stücke sind in den reduzierten Versionen manchmal kaum wiederzuerkennen, gewinnen dadurch aber nochmal enorm an emotionaler Tiefe. „Nada Brahma“, „Gebrannte Kinder“, „Ne Weile her“ und besonders mein persönlicher Mitheulsong „Scherben“ sorgen für eine Gänsehaut biblischen Ausmaßes. Wirtz‘ Stimme schwebt wie ein warmer Mantel über der Musik und während er singt ist es teilweise mucksmäuschenstill in den Bänken vor ihm. Ja, es ist sogar das erste Konzert, das ich erlebe, bei dem sich die Fans mit Zischlauten gegenseitig zur Ruhe ermahnen. Nur zwischen den Songs wird geklatscht. Oft minutenlang.
Während „Meinen Namen“ entschuldigt sich Wirtz augenzwinkernd und mit einem Blick nach oben für die Verwendung des F-Wortes, bevor er bei „Frei“ zum lautstarken Mitsingen einlädt. Die Kölner interpretieren die Aufforderung mit „Oh, wie ist das schön“-Sprechchören auf ihre Weise. „Strom der Zeit“, „Heute weiß ich“, „Der Feind in meinem Kopf“ oder „Geschichten ohne Sieger“ werden mit Standing Ovations honoriert, die Wirtz sichtlich beeindruckt entgegennimmt. Anschließend bittet er die vorwiegend weiblichen Fans, die im hinteren Teil der Kulturkirche stehen müssen, zu sich nach vorne in den Mittelgang. Gerade diese bodenständige und bescheidene Art ist es, die ihn so ungeheuer sympathisch rüberkommen lässt. Zu „Hier“, meinem zweiten Favoriten des Abends, verstärkt er sein Ensemble an der Triangel. Die Band – bestehend aus Schlagzeug, Bass, Gitarre, zwei Violinen, Cello und Klavier – hätte das nicht unbedingt nötig gehabt. Insbesondere Eric Krüger zeigt immer wieder sein exzellentes Können am Piano.
„Hol mich heim“ und „Mon Amour“ sind dann die beiden Schlusspunkte unter diesen außergewöhnlichen Abend. Produzent Matthias Hoffmann schießt vom Schlagzeug aus noch das obligatorische Facebook-Foto mit der Band im Vorder- und den begeisterten Fans im Hintergrund. Wirtz macht den Eindruck, als wolle er die Bühne gar nicht mehr verlassen, aber den Curfew und das Schlafbedürfnis der Anwohner kann auch er nicht ignorieren. Eines jedenfalls steht nach dieser knapp zweistündigen Gefühlsüberflutung der Marke Wirtz fest: „Es endet da wo es begann, wir sehn uns wieder irgendwann, zwischen Happy End und Drama, irgendwo im Nada Brahma“.
Eigentlich ist Wirtz bekannt für seine emotionalen und energiegeladenen Rocksongs. Ein weiteres Markenzeichen seiner bisherigen drei Alben „11 Zeugen“, „Erdling“ und „Akustik Voodoo“ sind die kompromisslosen und ehrlichen Texte. Nachdem er den zweiten Teil seiner „Akustik Voodoo“-Tour beendet hatte, zog sich der 38-jährige Frankfurter ins Studio zurück und spielte alle Songs komplett neu arrangiert mit Cello, Violine und Klavier ein. Das Ergebnis heißt „Unplugged“ und kommt am 21.02. in die Läden.
Man darf sehr gespannt sein wie es klingt, wenn sich Wirtz bis auf die Knochen seziert. Bevor er im März auf eine bereits fast ausverkaufte „Unplugged“-Tour geht, hatten einige glückliche Fans die Möglichkeit, das neue Album vorab exklusiv zu hören. In Kooperation mit Gibson, MyVideo und Joiz TV gab es in drei Städten Pre-Listening-Sessions. Dabei hielt der Gibson Bus auch vor dem Music Store in Köln. Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll nutzte die Gelegenheit um zuzusteigen und sich mit Wirtz über die Zeit von der ersten Idee bis zum fertigen Album, aber auch über die anstehende Tour, das Verhältnis zu seinen Fans (die er nicht so nennen möchte), Justin Bieber oder fehlende Telefonanrufe von Dave Grohl zu unterhalten.
Wir haben uns zuletzt 2008 vor deinem Auftritt im Kölner Luxor unterhalten. Dein Debüt „11 Zeugen“ war gerade erschienen. Damals hast du gesagt, dass es spätestens nach dem dritten Album mit der Solokarriere zünden muss. Hast du heute das Gefühl, dass es gezündet hat?
Daniel Wirtz: Ich habe gesagt, mit dem dritten Album sind wir in der Festhalle, oder (lacht)? Sagen wir es mal so: Ich darf mich weiß Gott nicht beklagen. Dafür, dass ich eigentlich immer noch unter dem Radar fliege und viele Leute überhaupt keine Ahnung haben, dass es mich gibt, hatte ich trotzdem das Glück mittlerweile in der Live Music Hall zu spielen. Das ist schön und macht es auch besonders. Die Tour jetzt einfach aus dem Nichts und mit einem Song, den man ins Internet gestellt hat, fast auszuverkaufen, ist das schönste Kompliment das man von seinen Zuhörern bekommen kann. Ich habe immer ein Problem damit Fans zu sagen. Dieses blinde Vertrauen zu wissen: Wenn der in der Stadt ist, dann ist das gesetzt. Ich habe ja auch noch ein paar Jahre, um mich da weiter hochzurackern. Und auf der anderen Seite wäre es ja blöd, wenn es jetzt schon bergab ginge (lacht). So geht es wenigstens, wenn auch langsam, jedes Jahr stetig bergauf. Aber das ist schon ein langer Weg, wenn man mal so zurückdenkt. Mir kommt er gefühlt wesentlich kürzer vor. Dass es mittlerweile das siebte Jahr ist sieht man nur an den Augenringen (lacht).
Ich habe dich als ehrlichen, offenen und sehr lockeren Typen kennengelernt und ich glaube, das bist du bis heute geblieben, obwohl die Verlockung mal gepflegt abzuheben und den Rockstar raushängen zu lassen zwischendurch sicherlich nicht gerade klein war. Wie hast du dir deine Bodenständigkeit bewahrt?
Daniel Wirtz: In meiner ersten Lebenshälfte mit Sub7even habe ich es genau so gemacht. Da war ich Anfang 20. Wir hatten einen Majordeal bei BMG und ich habe gedacht ich bin jetzt Aerosmith. Das Management hat das auch so fokussiert. Und das ist für ein Kind vom Dorf wie mich dann schon so: Wenn die den Rockstar von mir erwarten, wo sind dann die Bitches (lacht)? Die erste Frage war dann, welche Farbe die Ledergarnitur im Nightliner haben soll. Da habe ich mal beige-rot gesagt (lacht). Wie gesagt, das habe ich alles in meiner Kindheit zelebriert und echt gemerkt, dass das total bescheuert ist. Aber es ist ein ganz normaler Werdegang und ich glaube wenn es so nicht gewesen wäre, dann wäre ich vielleicht irgendwann mal durchgedreht. Aber so wird das nie wieder passieren. Der Drops ist gelutscht. Dafür ist es auch viel zu viel Arbeit. Man ist sich der Vergänglichkeit und dass morgen alles wieder vorbei sein kann mittlerweile viel zu bewußt. Es ist wie in jedem Job: Arbeite hart, gib alles, dann hast du Erfolg. Wenn du meinst du müsstest Rockstar sein, geh zu „Superstars“, genieß das Jahr und dann verglühst du wieder.
Nehmen wir mal an es wäre morgen vorbei…
Daniel Wirtz: …dann würde ich glücklich auf vier wunderschöne Soloalben zurückblicken und bestimmt was anderes Schönes finden. So wie Peter Fox im „Haus am See“. Ob es so luxuriös ist und für Orangenbaumblätter reicht weiß ich allerdings nicht. Ich würde wahrscheinlich trotzdem weiterhin Musik machen. Ich trommele ja jetzt schon auf den Knien weil ich hier zwei Tage im Bus sitze und keine Gitarre spiele. Aber man kann sein Leben bestimmt auch noch mit anderen Sachen gestalten.
Im März startet deine Unplugged-Tour unter dem Motto „Wirtz zieht den Stecker“, die bereits zu weiten Teilen ausverkauft ist. Bei unserem Interview damals im Luxor hast du mir schon erzählt, dass du von einer Unplugged-Tour durch Kinosäle träumst.
Daniel Wirtz: Genau und jetzt spiele ich in Kirchen. Der Gedanke ist immer schon da gewesen. Wir haben hier und da ein Unplugged-Set gespielt. Oder wenn man auf der Musikmesse von den Gibson Leuten eingeladen war. Und da sind Menschen teilweise 500 oder 600 Kilometer gefahren, um mir bei drei Songs auf der Akustikgitarre zuzuhören. Das war der Anstoß zu sagen: Wenn der Kunde das will, und der Kunde ist bei mir König, dann lasst uns mal eine Unplugged-Tour machen. Aber jetzt einfach loszufahren wäre auch blöd. Es wäre schöner das irgendwie festzuhalten. Also haben wir angefangen die ersten Songs einzuspielen, die Arrangements runterreduziert auf Akustikgitarre und ein bißchen Percussionzeugs gemacht. Aber am Ende war es immer noch ein Gitarrenriff ohne Eier. Ich habe gesungen und Matthias (Hoffmann, Daniel’s Produzent, Anm.d.Red.) sitzt auf der anderen Seite der Scheibe und ich sehe in seinem Gesicht immer, ob es was ist oder nicht. Wir haben beide gedacht, das ist ja total langweilig. Wer soll denn bitte so eine Platte kaufen? Wer braucht das? Ich brauche es nicht. Das mag auf einem Konzert hintenraus vielleicht als Medley noch funktionieren, wenn die Emotionen sowieso blank sind, aber auf einer Platte ist das total scheiße. Ich hatte keinen Bock das zu singen. Damit war das Thema eigentlich schon geknickt und wir wollten uns lieber auf die vierte Rockplatte konzentrieren. Oder wir finden jetzt irgendeine Möglichkeit, wie wir das so interessant gestalten, dass wir uns erstens künstlerisch nochmal herausgefordert fühlen und zweitens dass es Emotionen in uns weckt. Das ist ja immer das Kriterium ob ein Song gut oder schlecht ist. Okay, also dachten wir, bevor wir das Ding endgültig in die Tonne hauen, gehen wir total frei an die Sache ran. Worum geht es eigentlich? Es geht eigentlich bei Wirtz um Textinhalt. Also lassen wir den mal stehen. Alles andere wurde weggewischt. Scheiß auf Melodieführung, scheiß auf Rhythmus, Beat, Geschwindigkeit. Wie würdest du den Text singen, wenn es nur der Worte wegen wäre? Und die Instrumente nur dazunimmst, um die Worte zu stärken. Also letztlich schon fast Hörbuchcharakter. So sind wir immer weiter von dem Original weggekommen. Zum Beispiel sind wir auf dem Klavier hängengeblieben, was so weit weg war von der Originalversion, dass es genau jetzt funktioniert hat. Als die erste Version dann stand und ich diese Klangwelt auf einmal auf dem Kopfhörer hatte und vor dem Mikro stand, da dachte ich nur: Wow. Das macht natürlich Spass hier reinzusingen. Du kannst den Ton oben auch mal abknicken lassen und es fällt einfach mal in die Kopfstimme rein. Ich hatte Platz zum Singen und Wohlfühlen. Auf beiden Seiten der Fensterscheibe gab es ein extremstes Lächeln (lacht).
Ich muss zugeben, dass ich noch gar nicht in das „Unplugged“-Album reinhören konnte. Ich habe nur das Video zu „Geschichten ohne Sieger“ gesehen.
Daniel Wirtz: Ach, du hast die Platte noch gar nicht gehört. Ich habe noch ein zweites Video, das ist heute im Rohschnitt reingekommen. Das würde ich dir nachher gerne zeigen, ob du mir ein Go oder ein No gibst.
Ja, das können wir sehr gerne machen. Das Album erscheint am 21. Februar und enthält insgesamt vierzehn Songs. Nach welchen Kriterien hast du gerade die ausgewählt?
Daniel Wirtz: Alle Songs waren im Pool und wir haben bei allen versucht diese Entfernung zum Original hinzukriegen. Das hat halt nicht bei jedem geklappt. Andere, von denen ich es mir gewünscht hätte waren zu nah dran und haben nicht funktioniert. Teilweise ist es auch am Text gescheitert. „L.M.A.A.“ ist zum Beispiel eine Nummer, die hätte ich gerne da drauf gehabt. So eine Punkrocknummer funktioniert aber nicht, wenn man sie mit einer netten Stimme singt. Da selektiert sich alles aus. Und das waren am Ende die Vierzehn, die stehengeblieben sind. Ich habe jetzt das Gefühl, das sind die Originalsongs und ich hab mal Rocksongs draus gemacht (lacht). Selbst dieser Switch andersrum funktioniert. Wenn jetzt jemand zum ersten Mal von mir erfährt und das hört und der hört sich danach den Rocksong an, dann wird er anders überrascht. Menschen, die normalerweise bei einer E-Gitarre schon ausschalten, werden sich dann vielleicht auch in das Original verlieben. Es ist keine Platte für Zwischendurch. Abends, wenn man nix zu tun hat und bevor man ein Buch nimmt, gibt man sich das Ding am besten über Kopfhörer bei einem Glas Wein. Wir haben es natürlich auch sehr geil aufnehmen lassen. Die Streicher aus dem besten Studio in Hamburg mit den besten Streichern die es in Deutschland gibt. Bis hin zu einem Sensationspianisten (Tom Schlüter, Anm.d.Red.), der in einem Raum, der nur für den Flügel gebaut wurde, für uns gespielt hat. Mit Raumbefeuchter. Total nerd. Der Raum ist auch in dem Video zu sehen. Alles was ich bisher gemacht habe hat noch nie so gut geklungen. Es macht Spass das zu hören. Du kannst bis hinten durchhören. Du hörst jede Pedale und wenn der Flügel kurz atmet.
Gerade in den letzten Monaten habe ich nochmal total viel Musik von dir gehört, weil das auch gerade gut zu meiner persönlichen Situation passte. Dabei ist mir aufgefallen, dass es eigentlich keine fröhlichen Songs von dir gibt.
Daniel Wirtz: Da hast du schon Recht. „Hier“ ist eigentlich das einzige Liebeslied, das auch ein bißchen optimistisch ist. Ich glaube die Tatsache, dass man nicht alleine ist, ist das einzige optimistische an allen Wirtz-Songs. Wenn man musikalisch die Bestätigung kriegt, da ging es einem genauso und der lebt immer noch. Ich bin nicht alleine. Das Leben geht weiter.
Wenn man „11 Zeugen“ mit „Akustik Voodoo“ oder auch „Erdling“ vergleicht, dann finde ich, dass du deine Texte sprachlich mit der Zeit etwas entschärft hast. Würdest du mir da zustimmen?
Daniel Wirtz: Ich sag mal subtiler beschimpft (lacht). Klar kann man jetzt jedes Mal wieder Arschloch sagen, aber ich finde eine Beleidigung wie „Du bist echt häßlich wenn du schläfst“ trifft viel mehr. Vielleicht ist es auch ein bißchen verkopfter geworden. Noch mehr nachgedacht, noch mehr zweite Ebenen eingebaut. „Akustik Voodoo“ hat es glaube ich auf die Spitze getrieben. Wenn du über babylonische Türme singst und du fängst an zu googeln. Was war denn der Turmbau zu Babel? Worum ging es denn da? Gottgleich werden und verschiedene Sprachen. Dass du da immer mal wieder so Falltüren hast für den der sich bemüht und diesen Weg erschnuppert. Ich hatte das Gefühl, dass meine Leute auf diese Schnitzeljagd Bock haben und die Birne auch so weit anhaben, um das mitzufilmen. Dann macht das irre viel Spass. Ich warte zwar immer noch auf den Anruf vom Philosophischen Quartett, aber ich wäre bereit (lacht). Für Leute, die gerne mit Sprache arbeiten ist das grandios. Für den anderen, der sagt, ich bin eher der emotionale Typ, haut „11 Zeugen“ natürlich wesentlich mehr ins Gesicht. Und den Song, wo ich den einen beleidige, habe ich ja schon. Warum soll ich also noch einen zweiten Song schreiben, um den anderen zu beleidigen? Der kriegt den ersten geschickt. Der passt universell auf jeden. Einfach „Wo ich steh“ als Betreff und tschüß.
Heute gibt es hier noch eine Pre-Listening-Session des neuen Albums inklusive Meet & Greet. Der intensive Kontakt zu deinen Fans war dir schon immer sehr wichtig. Ich erinnere mich, dass du nach dem Konzert im Luxor zum Beispiel noch nach vorne gekommen bist, dich mit den Leuten unterhalten, Autogramme gegeben und ein Bier getrunken hast. Inwiefern ist das mit dem steigenden Erfolg schwieriger geworden?
Daniel Wirtz: Man ist ja schon relativ im Wohnzimmer. Wenn man in der Live Music Hall aber jetzt nicht mehr mit jedem ein Bier trinkt, dann ist das glaube ich verständlich. Danach wäre ich ja tot, da könnte ich gleich die Tour absagen. Das ist aber ja das Schöne, auch an einem solchen Meet & Greet. Das sind ja total nette Leute. Mit den Leuten, die etwas mit Wirtz anfangen können, mit denen kann ich mich doch auch super austauschen. Wir haben immer Themen und es sind einfach nette Gespräche. Wenn das jetzt so Dimensionen hätte wie bei Justin Bieber würde ich das nicht einen Tag lang aushalten. Das wäre eher ein Grund, warum ich aufhören würde Musik zu machen. Schmeißt mir bloß keinen Teddy auf die Bühne. Also Achtung da draußen: Ein Teddy und dann ist Schluß (lacht). Nur so Fanatismus, Geschreie und Gequietsche kann man doch nicht ernst nehmen. Wir haben gestern in Hamburg einen Sensationsabend beim Meet & Greet hier in der Lounge gehabt. Der Bus musste fahren und ich habe gesagt: Okay, wer jetzt noch Fragen und Bock hat nach Köln zu fahren… wir fahren sowieso da lang. Und dann sind da noch Drei sitzengeblieben. Die haben sich dann hier Nachts um halb Drei noch einen Mietwagen geholt und sind wieder zurück nach Hamburg gefahren. Aber die haben natürlich alle Fragen beantwortet bekommen und ich meine. Wir haben schön die Minibar geschröpft bis nichts mehr da war und heute morgen war sie wie von Zauberhand wieder voll.
So ist das bei Gibson. Da fehlt es an nichts. Ich überlege übrigens gerade, ob ich dir beim Konzert in der Kulturkirche am 31. März nicht einen Teddy auf die Bühne werfen soll. Ich glaube das mache ich.
Daniel Wirtz(lacht): Ich sehe das. Es ist nämlich bestuhlt. Da werde ich dann ganz klar und deutlich die Flugbahn zurückverfolgen und wenn das dann von dir ist, dann werde ich es sein lassen. Ich ziehe einen BH drunter und den gebe ich dir dann einfach.
„Akustik Voodoo“ wurde Ende 2011 veröffentlicht, jetzt kommt das „Unplugged“-Album. Wann gibt es das nächste Rockalbum?
Daniel Wirtz: Also das Cover habe ich schon. Das Artwork steht. Ich denke mal nach der Tour werde ich direkt wieder im Studio eingesperrt. Dann muss es natürlich das kompromissloseste Rockalbum ever werden. Good Morning In The Morning sage ich da nur (lacht). Ich freue mich drauf.
Aber es ist noch kein neues Material da.
Daniel Wirtz: Hier und da ein geiles Riff gibt es schonmal. Es steht und fällt ja eigentlich mit dem Text. Um Musik mache ich mir da keine Sorgen. Das einzig Schwierige ist wieder diese Gefangenschaft des Geistes. Sich mit dem eigenen Geist auseinanderzusetzen. Aber das muss sein.
2008 gab es das Gerücht, dass du als Support für die Foo Fighters spielen würdest. Hat Dave Grohl mittlerweile mal bei dir angerufen?
Daniel Wirtz: Bisher leider immer noch nicht. Aber dafür hätte ich fast mit Bush gespielt. Leider ist mein Gitarrist fünf Meter vor dem Backstage einfach zusammengebrochen und wir mussten ihn kurz ins Krankenhaus bringen. Dann hat der Abend leider ohne uns stattgefunden. Also irgendwie habe ich nicht das Glück mit internationalen Acts die Bühne teilen zu dürfen.
Letzte Frage: Wer wird Fußball-Weltmeister? Bei der Europameisterschaft 2008 hast du auf Brasilien getippt. Die waren aber nicht dabei.
Daniel Wirtz(lacht): Finnland. Ich weiß es nicht. Man will ja die Hoffnung für die eigene Mannschaft nicht aufgeben. Aber die Gruppenphase ist natürlich auch sportlich und mit Portugal hat man direkt ein echtes Kaliber vor der Nase. Ghana kann auch mit dem Ball umgehen wenn sie wollen. Ich sag mal das ist Tagesform. Da kannst du ganz schnell mal 7:0 verlieren. Ich hoffe, dass sie ein paar mehr BVB-Spieler da reinstellen. Ich drücke natürlich Deutschland die Daumen. Gewinnen soll wie immer der Beste.
Ich ersetze BVB durch 1. FC Köln und bedanke mich vielmals für das Interview.
Wir bedanken uns ebenfalls bei Natascha „Nash“ Nopper (DefNash Entertainment) für die Vermittlung des Interviews!