Es ist ein wunderschöner Frühlingstag, dieser Montag Ende März in Köln. Als wir uns am frühen Abend auf den Weg nach Nippes machen, spürt man förmlich, wie sehr sich die Stadt bereits für den Sommer herausputzt. In den Straßencafés herrscht reges Treiben und vor den Kneipen genießen die ersten Leute ihr Feierabendkölsch bei einer Zigarette und ein bisschen „Verzäll“. Überall blickt man in gutgelaunte Gesichter und die Aussicht Wirtz in der Kulturkirche mal ganz anders zu erleben lässt auch uns vorfreudig grinsen. Wo der 38-jährige Frankfurter normalerweise intensiv auf der Rockschiene unterwegs ist, zieht er heute mal komplett den Stecker. Nach dem zweiten Teil seiner „Akustik Voodoo“-Tour zog er sich ins Studio zurück und spielte alle Songs völlig neu arrangiert mit Cello, Violine und Klavier ein. Das Ergebnis hört auf den Namen „Unplugged“ und ist Ende Februar erschienen (ein Review des Albums könnt ihr hier nachlesen).
Unter diesem Motto steht auch die aktuelle Tour, die Wirtz und sein siebenköpfiges Ensemble gleich zweimal in die Domstadt führt. Am 10. April wird es noch ein Zusatzkonzert an gleicher Stelle geben, das jedoch ebenso wie der heutige Termin schon restlos ausverkauft ist. Kein Wunder, denn die neogotische Lutherkirche in der Siebachstraße genießt völlig zu Recht und weit über Köln hinaus einen hervorragenden Ruf als Kultstätte für Konzerte, Lesungen, Comedy, Kabarett, Film oder Kunst. Zwischen Heiligenfiguren und Kölsch-Theke bildet sie auch diesmal wieder einen extrem stimmungsvollen Rahmen. Über dem Altar, der zur Bühne umfunktioniert ist, hängen weiße Stoffbahnen und zwei längliche Kästen, die – auch wenn es makaber klingt – ein wenig an Särge erinnern.
Um kurz nach 20 Uhr betreten unter lautstarkem Jubel erst der Reihe nach die Band und dann Wirtz, stilecht im schwarzen Hemd und mit weißem Schlips, die in warme Rot- und Blautöne getauchte Szenerie. Wirtz nimmt zu den zarten Klängen von „Erster Stein“ auf einem Barhocker Platz und von Anfang an hat man fast das Gefühl in einem Kammermusikabend gelandet zu sein. Die dezente Lightshow unterstützt diesen intimen Effekt noch zusätzlich. Die Stücke sind in den reduzierten Versionen manchmal kaum wiederzuerkennen, gewinnen dadurch aber nochmal enorm an emotionaler Tiefe. „Nada Brahma“, „Gebrannte Kinder“, „Ne Weile her“ und besonders mein persönlicher Mitheulsong „Scherben“ sorgen für eine Gänsehaut biblischen Ausmaßes. Wirtz‘ Stimme schwebt wie ein warmer Mantel über der Musik und während er singt ist es teilweise mucksmäuschenstill in den Bänken vor ihm. Ja, es ist sogar das erste Konzert, das ich erlebe, bei dem sich die Fans mit Zischlauten gegenseitig zur Ruhe ermahnen. Nur zwischen den Songs wird geklatscht. Oft minutenlang.
Während „Meinen Namen“ entschuldigt sich Wirtz augenzwinkernd und mit einem Blick nach oben für die Verwendung des F-Wortes, bevor er bei „Frei“ zum lautstarken Mitsingen einlädt. Die Kölner interpretieren die Aufforderung mit „Oh, wie ist das schön“-Sprechchören auf ihre Weise. „Strom der Zeit“, „Heute weiß ich“, „Der Feind in meinem Kopf“ oder „Geschichten ohne Sieger“ werden mit Standing Ovations honoriert, die Wirtz sichtlich beeindruckt entgegennimmt. Anschließend bittet er die vorwiegend weiblichen Fans, die im hinteren Teil der Kulturkirche stehen müssen, zu sich nach vorne in den Mittelgang. Gerade diese bodenständige und bescheidene Art ist es, die ihn so ungeheuer sympathisch rüberkommen lässt. Zu „Hier“, meinem zweiten Favoriten des Abends, verstärkt er sein Ensemble an der Triangel. Die Band – bestehend aus Schlagzeug, Bass, Gitarre, zwei Violinen, Cello und Klavier – hätte das nicht unbedingt nötig gehabt. Insbesondere Eric Krüger zeigt immer wieder sein exzellentes Können am Piano.
„Hol mich heim“ und „Mon Amour“ sind dann die beiden Schlusspunkte unter diesen außergewöhnlichen Abend. Produzent Matthias Hoffmann schießt vom Schlagzeug aus noch das obligatorische Facebook-Foto mit der Band im Vorder- und den begeisterten Fans im Hintergrund. Wirtz macht den Eindruck, als wolle er die Bühne gar nicht mehr verlassen, aber den Curfew und das Schlafbedürfnis der Anwohner kann auch er nicht ignorieren. Eines jedenfalls steht nach dieser knapp zweistündigen Gefühlsüberflutung der Marke Wirtz fest: „Es endet da wo es begann, wir sehn uns wieder irgendwann, zwischen Happy End und Drama, irgendwo im Nada Brahma“.