Manchmal schließen sich Kreise. Als Alice In Chains 1993 im Rahmen ihrer „Dirt“-Tour in der legendären Bonner Biskuithalle spielten, hatte ich die Ehre den nicht minder legendären Layne Staley, der 2002 an einer Überdosis Drogen starb, am Mikro zu erleben. 25 Jahre später, im Juli diesen Jahres, gab es ein Wiedersehen in der Kölner Live Music Hall. Diesmal mit William DuVall als Sänger, der wohl ähnlich wie Brian Johnson bei AC/DC ewig das Prädikat „Der Neue“ tragen muss, obwohl er Alice In Chains nun auch schon seit zwölf Jahren angehört. Das letzte Album mit Layne Staley entstand 1995 im Bad Animals Studio in Seattle und seitdem haben Alice In Chains keine Songs mehr in ihrer Heimatstadt aufgenommen. Bis zu „Rainier Fog“, dem jetzt erscheinenden sechsten Album ihrer ebenso langen wie wechselvollen Geschichte, das ebenfalls in dem inzwischen in Studio X umbenannten Bad Animals Studio entstand. Der Titel ist eine liebevoll-ironische Hommage an den Mount Rainier in Washington und das Titelstück ein Tribut an die Musikszene der regnerischen Grunge-Metropole im Nordwesten der Vereinigten Staaten.
„Rainier Fog“ ist das erste Album von Alice In Chains seit fünf Jahren. Mit den beiden Grammy-nominierten Vorgängern „Black Gives Way To Blue“ und „The Devil Put Dinosaurs Here“ haben William DuVall, Gitarrist Jerry Cantrell, Drummer Sean Kinney und Bassist Mike Inez die musikalische Messlatte verdammt hoch gelegt, allerdings ließen die bisherigen drei Singleauskopplungen „So Far Under“, „The One You Know“ (gesungen von Cantrell) und „Never Fade“ schon erahnen, dass „Rainier Fog“ in der Lage sein würde diese Marke zu reißen. Und so ist es auch. „Rainier Fog“ ist locker, luftig, leicht, gleichzeitig schwer und dröhnend, entweder abwechselnd oder alles zusammen. So beginnt „The One You Know“ als Opener stampfend wie ein einfahrender Zug, dessen weitere Fahrt dann in einem strahlend hellen Sonnenaufgang endet. Knapp eine Stunde oder zehn Songs lang darf man sich gedanklich wieder in die Zeit zurückversetzen lassen, als Flanellhemden und Chucks zum Dresscode einer ganzen Generation wurden und Bands wie Alice In Chains, Nirvana, Pearl Jam oder Soundgarden die bis dahin vorherrschenden musikalischen Konventionen in Schutt und Asche legten.
Alice In Chains schufen in dieser Zeit nicht nur mit ihren Alben „Facelift“ und „Dirt“ oder dem grossartigen Mitschnitt ihres „MTV Unplugged“-Auftritts, sondern auch mit den EPs „We Die Young“, „SAP“ und „Jar Of Flies“ absolute Meilensteine. „Rainier Fog“ schafft es an diese Zeit anzuknüpfen ohne anbiedernd oder altbacken zu klingen. Den ein klein wenig zu glattgebügelten Eindruck, den sie mit den beiden Vorgängeralben hinterlassen haben, schmeißen Alice In Chains zugunsten dreckiger Kreissägengitarren über Bord und scheren sich einen Dreck um Radiotauglichkeit und Billboard-Charts. So ist kein Song kürzer als viereinhalb Minuten, was die Chancen auf ein regelmäßiges Airplay drastisch verringert. Mal treibend wie im Titelstück oder in „So Far Under“, dann wieder hymnisch wie in „Fly“ oder episch wie in „Drone“, bei dem der frühere Queensryche-Gitarrist Chris DeGarmo den Akustikpart beisteuert. Noch so ein Held aus vergangenen Tagen. „Maybe“ hat sogar was von den Beatles oder zumindest von der Little River Band. „Never Fade“ ist dem im Mai des vergangenen Jahres verstorbenen Soundgarden-Frontmann Chris Cornell gewidmet. Und zum mehr als guten Schluss gibt es mit „All I Am“ nicht nur den mit 7 Minuten und 16 Sekunden längsten Song des Albums, sondern auch noch einen Ausflug in die Prog Rock-Ecke.
Nach eigener Aussage werden Alice In Chains „jeden Entstehungsschritt dieses Albums als wundervolle Erfahrung in Erinnerung behalten“. Dazu gehört dann nicht nur die Phase im Studio X sondern auch weitere Recordings in den Henson Studios in Los Angeles sowie im Studio von Produzent Nick Raskulinecz in Nashville. Für den Mix zeichnet übrigens Joe Barresi (Queens Of The Stone Age, Tool) verantwortlich. William DuVall fasst die Gefühlslage der Band so zusammen: „Wir sind wahnsinnig stolz auf das ganze Album!“. Und das vollkommen zu Recht! Rund um die Veröffentlichung wird es im Club „The Crocodile“ in Seattle am 23. und 24. August eine Ausstellung mit Memorabilia, Fotos und limitiertem Merchandise aus mehr als 30 Jahren Bandgeschichte geben. Alice In Chains selbst beweisen mit „Rainier Fog“ einmal mehr, dass sie noch lange nicht reif für’s Museum sind.