Vor fünf Jahren hat die Norwegerin Maria Mena ein großartiges Konzeptalbum vorgelegt: „Growing Pains“ beschäftigte sich mit ihrer Scheidung und der schwierigen Zeit danach, mit Selbstvorwürfen und einer Achterbahn der Gefühle, mit Suche nach Schuld bei sich und in der eigenen Vergangenheit. Es war ein durch und durch autobiographisches Album. Schonungslos offen und ehrlich. Zeitweise von so großem Schmerz, dass es kaum zu ertragen war. Und doch wunderschön – voller zu Herzen gehender Melancholie.
Inzwischen sind einige Jahre vergangen. Und wenn man Maria Mena glauben mag, die auch in den sozialen Medien sehr aktiv ist und keinen Hehl aus ihrer Gefühlswelt macht, ist sie noch immer voller Selbstzweifel und auf der Suche nach der großen Liebe. Der Albumtitel „They Never Leave Their Wives“ ist aussagekräftig und unverschlüsselt. Es geht genau darum: Die zweite Geige zu spielen, beispielsweise wenn man in einen verheirateten Partner verliebt ist.
Zum Titelsong sagt sie: „‘Lies (They Never Leave Their Wives)‘ ist eine Art Patchwork aus Geschichten und Schicksalen. Einige davon sind meine eigenen, andere wiederum sind Beobachtung oder inspiriert von den Dingen, die meine Freunde erleben. Ganz speziell geht es immer darum, die Nummer zwei zu sein. Und die abschließende Erkenntnis, dass die feige Entscheidung des anderen nur zu deinem Besten war, dass du einer Kugel ausgewichen bist, auch wenn du nicht ganz unbeschadet davongekommen bist.“
Während „Growing Pains“ noch die durchgängige Geschichte einer Trennung erzählt hat, ist „They Never Leave Their Wives“ eher ein Streifzug durch Emotionen und prägende Momente. Die Pianoballade „Let Him Go“ thematisiert das Loslassen des Menschen, von dem man sich entfremdet hat. „Miss Him Every Day“ zeigt die andere Seite – den Zwiespalt der Gefühle. „Broken“ ist ebenso Ausdruck von Verzweiflung wie „Not OK“: Die Trennung hat mich beinahe zerbrochen. Und nein, es geht mir nicht gut. „Conversation“ hingegen zeigt das Umfeld der Gekränkten, das helfen will aber nicht zu ihr durchdringt.
Die Produktion des Albums stützt sich ganz auf Marias wundervolle Stimme, die oft nur sphärisch oder mit vorsichtigen Instrumentalpassagen unterlegt wird. Sie schreibt und singt ihre Texte aus vollem Herzen. Das Album ist eine deutliche Fortführung von „Growing Pains“ – wie ein Sequel, das mit mehreren Jahren Abstand geschrieben wurde und neue Erkenntnisse bringt bis hin zu Moral „You Live And You Learn“ als Ergebnis der Sinnsuche.
Für mich hat dieses Album ebenso die Höchstwertung verdient wie sein Vorgänger. Es gibt allerdings zwei Punkte, die das verhindern: Zum einen ist es mit sieben Songs sehr kurz ausgefallen. Da hätte man nach fünf Jahren Wartezeit schon mehr erwartet. Und dann erscheint es nur digital. Waaas? Das nimmt ihm definitiv die verdiente Wertigkeit, auch weil man die wichtigen Texte in keinem Booklet verfolgen kann. Vielleicht denkt Maria nochmal darüber nach und veröffentlicht „Growing Pains“ gemeinsam mit den neuen Stücken als homogenes neues Werk. Dass die beiden nämlich wie Topf und Deckel zusammengehören, steht außer Frage.