Die Sommerkonzerte an der Nordmole in Mainz – da versammelt sich eine hübsche Auswahl von nationalen und internationalen Musikgrößen. Und als ich sah, dass auch Philipp Poisel sich auf die riesige Bühne wagt, lautete die Devise „Nix wie hin“. Mal zunächst was zum Ambiente: Das Konzertgelände liegt am Rhein. Das bringt ein Problem mit sich, das man schon aus Bonn kennt. Die Parkfläche ist naturgemäß knapp, da in einer Richtung der Rhein die natürliche Grenze bildet. Die Einweisung des Personals bestand darin, zu zeigen, wo man nicht hinfahren darf. Hinweis auf geeignete Parkflächen? Fehlanzeige! Also rein in die Stadt, Nebenstraße gesucht, kleiner Fußmarsch. War okay, vor allem weil das Wetter mitspielte. Was für ein herrlicher Sommertag. Die Bühne in glänzendes Licht getaucht – ein Ambiente wie geschaffen für den sanften Virtuosen.
Den Anfang machte aber die Alin Coen Band. Frontfrau Alin Coen ist spätestens seit dem „Projekt Seerosenteich“ ein Begriff, wo sie zur kongenialen Duettpartnerin von Poisel wurde. Eine großartige Stimme, die so gar nicht zu den schüchternen Ansagen passen will, die sie abliefert. Aber das macht Alin so sympathisch. Sie singt zunächst einige englische Stücke und wechselt dann ins Deutsche. Sehr ungewöhnlich. Folkpop und viel Melancholie – so lässt sich das am besten beschreiben. Und wenn es mich plötzlich stört, wie laut die Zuschauer neben mir quatschen, weil ich der Vorband lauschen will, wird mir klar wie gut mir diese Musik gefällt. Vor allem die deutschen Stücke waren sehr emotional und ergreifend. „We’re Not the Ones We Thought We Were“ heißt das neue Album, das am 28. Juni erscheint. Meine Empfehlung! Die Sängerin bot ein respektables Mini-Konzert. Eine halbe Stunde, die wie im Flug verging. Und man sollte ja Alin Coens Stimme im Lauf des Abends noch öfter hören.
Pünktlich um 20 Uhr begann Philipp Poisel. Und mir war schon etwas bange, wie seine Musik auf der Riesenbühne und vor gut Zwölftausend Menschen funktionieren wird. 2011 war er mit „Bis nach Toulouse“ unterwegs – unter anderem in der nicht ganz gefüllten Trierer Europahalle. Das war noch ein typisches Songwriter-Konzert vor studentischer und vorwiegend weiblicher Zuhörerschaft. Danach gelang Poisel der große Coup und er stellte 2012 das „Projekt Seerosenteich“ auf die Beine, das Konzerthallen und ungewöhnliche Spielstätten (wie die Luxemburger Philharmonie) füllte und mit seiner ins Detail ausgefeilten Virtuosität die Besucher begeisterte. Der Dank war das erste Nummer 1-Album seiner Karriere, das Livealbum zur Tour.
Jetzt die nächstgrößere Nummer – Open Air auf riesigem Gelände. Würde Philipp Poisel es schaffen, den Zauber und die Intimität der Projektkonzerte in diesen Rahmen zu retten? Ein erster Hinweis war das liebevoll gestaltete Bühnenbild. Ein Wald aus geometrischen Figuren, in Goldpapier eingewickelt, die den Zuschauern entgegen glänzten. Das hatte etwas Magisches, vor allem, wenn die Sonne reflektiert wurde.
Zunächst war die Rockband auf der Bühne und Philipp wurde mit tosendem Applaus empfangen. Fast ein wenig eingeschüchtert stand er da, legte aber ordentlich los und präsentierte auch Stücke, die man auf den letzten Konzerten nicht zu hören bekam. Das war schon mal ein guter Anfang. Er war bestens gelaunt, begrüßte den Sommer und animierte die Masse zum Mitfreuen.
Richtig genial wurde es aber, als die Mitstreiter vom „Projekt Seerosenteich“ die Bühne enterten. Das Streichquartett und Alin Coen sorgten wieder für eine Klangfülle, die Poisels Songs würdig ist. Der bauchdröhnende Kontrabass, die sanften Streicher, Alins Stimme als Ergänzung zu Poisels emotional-vernuschelten Vocals, Glockenspielklänge. Oh ja, das funktioniert auch auf der großen Bühne! Und Songs wie „Bis nach Toulouse“, „Zünde alle Feuer“, „Halt mich“ und „Wo fängt dein Himmel an“ sind einfach zeitlos schön. Sie gewinnen zudem durch Philipps Ansagen, die gerne etwas über die Hintergründe der Lyrics verraten.
Was aber ist mit den intimen Momenten? Mitten im Zuschauerraum gab es ein kleines Podest. Wirklich winzig. Dort tauchte Philipp zunächst allein mit Gitarre auf und gab eine herzzerreißende Version von „Froh dabei zu sein“ zum Besten. Ich finde es allemal mutig, auf der Bühne von seiner Angst vor dem Tod und dem Umgang mit der Sterblichkeit zu singen, dann noch allein in dieser Zuschauermasse. Und der Moment war voller Magie – spätestens als sich ein Chor entwickelte, der Tonreihen und schließlich ganze Textzeilen mit sang. Dass Philipp die erste Strophe versemmelte, wurde mehr als nebensächlich. Danach kam der Rest der Band mit Alin zum Podest und es wurde wahrlich eng. Das sorgte schon für Gelächter, als Philipp und Alin sich aneinander vorbei schlängeln mussten, um während der Songs die Standmikros zu wechseln, damit jeder mal in jede Richtung singt.
„Als gäb‘s kein Morgen mehr“ brachte auf der Bühne wieder laute Momente. Gerade wenn Poisel gesanglich in die Höhen geht oder ein wenig hysterische Schreie ausstößt, klingt er wie sein Entdecker Herbert Grönemeyer. Und den stimmgewaltigen Abschluss „Ich will nur“ zelebrierte er zunächst mit dem Publikum, um dann als Zugabe eine Art Big-Beat-Version mit Dancehall-Sound, dunklen Bässen und kleiner Pyroshow zu präsentieren. Das war nach Zwei Stunden und Fünfzehn Minuten ein unerwartet lauter Abschluss eines im Allgemeinen recht verträumten Konzertabends. Der Knalleffekt hat aber gepasst.
Philipp Poisel ist umstritten – ganz klar. Viele mögen seine weinerliche Art nicht, oder das nuschlige in der Stimme. Ich aber muss sagen, dass ich ihn in Mainz mal wieder absolut überzeugend und stark fand. Das Spiel mit den Emotionen, das Mitnehmen der Zuschauer in seine ganz eigene Welt. Man nimmt ihm jedes Wort ab. Und die kleinen Fehler (mal den Text vergessen, Gitarre verstimmt, falsch in die Tasten gegriffen, zu früh von der Bühne gestolpert) machen ihn so menschlich und heben ihn über jedes Superstar-Getue hinweg. Mein Fazit: Auch Männer dürfen das Poiselchen mögen. Und der sopranlastige Zuschauerchor könnte noch einige Bass-Stimmen vertragen. Es gibt in diesem Sommer noch eine Reihe von Gelegenheiten. Geht hin!