Das heutige Thees Uhlmann Konzert bildet meinen musikalischen Jahresabschluss 2019 und ist somit gewissermaßen meine ganz persönliche Musicheadquarter-Weihnachtsfeier – nur ohne die anderen Mitarbeitenden der Seite. Naja gut, der Vergleich hinkt, doch es sei mir verziehen, schließlich ist Weihnachten! Verziehen wurde uns zum Glück auch unser leichtes Zuspätkommen.
Als wir um 20.30 Uhr an der Location ankommen, läuft das Lied „Komplett im Arsch“ von Feine Sahne Fischfilet. Das passt sehr gut zu unserer Stimmung, denn wir sind etwas abgehetzt, schließlich waren wir vorher noch auf dem völlig überfüllten Bielefelder Weihnachtsmarkt. Umso besser tut uns dann die Atmosphäre, die uns der Lokschuppen bietet; alles wirkt weihnachtlich und besinnlich, Industriecharme trifft auf Backsteinwände und Fischermützenträger*innen auf Menschen mit nicht mehr ganz so vollem Haupthaar und Kinder stehen auf der Tribüne für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, so dass alle den Überblick behalten.
Wenige Sekunden nachdem wir die Halle betreten haben, geht es auch schon los – besser hätte das Timing also nicht sein können. Zunächst erfüllen blaues Licht und elektronische Klänge die Location, die Band betritt die Bühne, verhaltener Applaus. „Fünf Jahre nicht gesungen“ ist der Opener des heutigen Abends. Der Jubel wird immer begeisterter und das Publikum kommt langsam von einer Weihnachtsmarkt- in eine Weihnachtsparty-Stimmung. Weiter geht es mit „Danke für die Angst“ (einen Song, in dem es um Stephen King geht) und „Die Toten auf dem Rücksitz“, welche beide zum Tanzen einladen. Uhlmann erzählt eine Anekdote, dass ein Kind seinen Vater mal gefragt habe, ob Uhlmann Bäcker sei, schließlich habe er einen Song über Torten im Auto geschrieben. Wäre sicherlich auch interessant, was das Songwriting-Talent daraus Feines gebastelt hätte. Bereits nach dem vierten Song „Zugvögel“ hat Uhlmann jede seiner drei Platten einmal angespielt, was auf einen bunt gemischten Abend hoffen lässt. Und den liefert er uns! Weiter geht es mit „Und Jay-Z singt uns ein Lied“, welches mich noch den gesamten Heimweg als Ohrwurm begleitet.
Doch Uhlmann ist nicht nur ein toller Songwriter und Dichter, er hat auch Talent zum Geschichtenerzähler. Immer wieder leitet er von einem zum anderen Song mit Anekdoten über, die alle wahr seien, im Gegensatz zu denen von Pearl Jam, bei denen der Drummer jeden Abend Geburtstag habe. Auch die Überleitung zwischen „Das Mädchen von Kasse zwei“ und „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt“ ist wieder recht lang – und unterhaltsam, durchaus auch mit politischer Dimension. Lange lässt Uhlmann sich darüber aus, wie die „Macker“ auf HipHop-Konzerten sich verhalten, alles dreckig machen und dies dann von unterbezahlten Reinigungskräften sauber gemacht werden muss. Gut, genau so hat er es nicht gesagt, er hat sich wesentlich mehr Kraftausdrücke bedient und wirkte dadurch sehr leidenschaftlich. Es gefällt mir, dass er solche Zustände anprangert und meint, es gehöre sich nicht, Frauen vom Gerüst aus hinterher zu pfeifen – recht so! (Die Anspielung auf die Größe des Penis solcher „Macker“ hätte er sich aber verkneifen müssen, denn genau solche Angriffsstrategien begünstigen ein toxisches Männlichkeitsbild. Viele Grüße an Jack Urwin und sein Meisterwerk „Boys Don‘t Cry“ an dieser Stelle!)
Nach „Was wird aus Hannover?“ kommt der erste Tomte-Song des Abends: „Ich sang die ganze Zeit von dir“. Schon vor dem ersten Ton des Songs klatscht das Publikum im Takt, Textsicherheit scheint hier ein Standard zu sein. Das zeigt sich auch bei den weiteren Stücken wie „100.000 Songs“ und „17 Worte“. Das anschließende Cover des Toten Hosen Klassikers „Liebeslied“ leitet er mit einer Geschichte zu Neven Subotic (für dessen Verein wir am Eingang die Möglichkeit hatten zu spenden) und einem Treffen mit den Toten Hosen in Liverpool ein. Die Stimmung wird immer ausgelassener und steigert sich über „Junkies und Scientologen“ und „Katy Garyson Perry“ bis zu „Vom Delta bis zur Quelle“, was einer meiner neuen Favoriten wird. Bei „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“, dem meistgefilmten Song des Abends, kennt das Sing along kein Halten mehr.
Um 22.15 Uhr ziehen Uhlmann und Band sich mit den Worten „Vielen Dank, ihr Punks!“ zum ersten Mal von der Bühne zurück. Doch so leicht kommen sie nicht davon! Mit „Korn und Sprite“ und „Schrei den Namen meiner Mutter“ werden weitere Tomte-Song ausgepackt. Nach „Avicii“ folgt die zweite Pause, doch auch nun kehren die Musiker*innen noch einmal zurück und spielen „Römer am Ende Roms“, welches einen wunderbaren Gänsehaut-Start und ein opulentes Ende hat. „Die Nacht war kurz und ich stehe früh auf“ scheint der letzte Song des Sets zu sein und der Ausruf „Viel Spaß in der 1. Liga!“ (mit Gruß an Arminia) könnte der perfekte Abschiedsspruch sein, doch wenn man so denkt, kennt man Uhlmann nicht! Ein allerletztes Mal kommt er nochmal auf die Bühne, viele Menschen im Publikum haben schon ihre Jacken angezogen und tanzen dennoch im Gang. Der Tomte-Song „Schönheit der Chance“ rundet den Abend ab, Uhlmann reißt seine Gitarre in die Luft, stellt seine Band unter tosendem Applaus vor, lässt sich zu einem Mic Drop hinreißen und verlässt jubelnd die Bühne. Und wir, wir schwingen uns jubelnd auf die Räder und summen „Und Jay-Z singt uns ein Lied“ vor uns hin.