New Model Army sind ein Phänomen! Im Oktober des nächsten Jahres feiert das Quintett um Frontmann Justin Sullivan seinen 40. Geburtstag und nach wie vor gehören die Briten zur absoluten Speerspitze des Independent-Rock. Das zeigt sich auch am heutigen Abend bei ihrem traditionellen Weihnachtskonzert in Köln. Es ist die 20. Auflage und zum ersten Mal überhaupt ist das Palladium ausverkauft. Man darf dies gerne als eindrucksvolles Zeichen dafür werten, dass die aufrichtige Überzeugung der Band mit der Kraft der Musik zu inspirieren und Veränderungen auf persönlicher und politischer Ebene zu initiieren, in der heutigen Zeit vermutlich mehr Gewicht hat als jemals zuvor. Zudem liefern New Model Army nach wie vor erstklassige Alben ab, wie das zuletzt veröffentlichte Werk „From Here“ (hier findet ihr unser Review).
Die aktuelle Tour stand zuletzt allerdings unter keinem guten Stern. Aufgrund einer Erkrankung von Schlagzeuger Michael Dean mussten einige Konzerte verschoben werden. In Köln ist davon nichts zu spüren. Die Fans werden aber zunächst noch auf eine längere Geduldsprobe gestellt bis New Model Army endlich auf der Bühne stehen. Denn vorher bewerben sich Les Négresses Vertes und die Stiff Little Fingers noch erfolgreich darum die 4.000 Kölner in Stimmung zu bringen. Viele von ihnen haben noch einmal ihre alten New Model Army-T-Shirts und -Hoodies aus dem Kleiderschrank gekramt und es hätte mich nicht verwundert wenn vor dem Palladium der DeLorean von Doc Brown geparkt hätte. Angesichts zahlreicher Irokesenschnitte, Lederjacken, langer Bärte, Halsketten und Nietenhosen fühlt man sich fast ins Jahr 1985 zurückversetzt. Wie bei New Model Army üblich spenden wir an der Gästeliste gerne 5 Euro pro Person für den guten Zweck, diesmal für die Kiezkicker St. Pauli.
So vergeht die Zeit zwischen Leute gucken, Bier holen und Vorgruppe zuhören und es ist bereits 22 Uhr, als ein tiefes Donnergrollen das Palladium erzittern lässt und New Model Army, angeführt von Justin Sullivan, mit dem Uraltklassiker „No Rest“ in ihr gut zweistündiges Set starten. Der Sound ist vom ersten Ton an perfekt ausgesteuert und ein ums andere Mal legt sich ein wohliger vorweihnachtlicher Klangteppich über die Fans. Deren Stimmung ist weniger besinnlich als vielmehr ausgelassen, was zum einen am Alkohol liegen mag und zum anderen mit größerer Wahrscheinlichkeit am druckvollen Start der Band. Natürlich lässt es sich Justin Sullivan nicht nehmen den nun wohl endgültig anstehenden Brexit zu verteufeln („Betet für uns während ihr uns hinterher winkt“) und eine wütende Version von „51st State“ in seine aus den Fugen geratene Welt zu rotzen. Später warnt er noch vor „Politikern mit komischen blonden Haaren“ und meint damit Donald Trump und Boris Johnson.
Der Großteil der Songs am heutigen Abend ist auf „From Here“ zu finden und das Titelstück nimmt etwa in der Mitte des Konzertes erstmals etwas Dampf vom brodelnden Kessel, hätte aber vielleicht besser als Opener gepasst. Zu „Believe It“ taucht der erste und einzige Dolphin auf, womit diejenigen Fans gemeint sind, die auf den Schultern ihrer bemitleidenswerten Begleitung stehen und mit ausgebreiteten Armen im Takt der Musik „mitschwimmen“. In diesem Fall ist es zum Glück eine zierliche Frau. Danach arbeitet sich die Setliste erfreulicherweise auch weiter am New Model Army-Backkatalog ab und hat im Zugabenblock mit „Betcha“ aus ihrem allerersten Studioalbum „Vengeance“ von 1984 sogar noch ein ganz besonderes Highlight zu bieten. Zwischendurch sorgt Justin Sullivan mit einer akustischen Version von „Over The Wire“ für den ultimativen Gänsehautmoment und als die Band mit meinem persönlichen Favoriten „Fate“ und einer Vollgasversion von „Here Comes The War“ das reguläre Set beschließt ist die Stimmung im Palladium bereits lange auf dem Siedepunkt angekommen. Es wird auch während der folgenden kurzen Pause weiter getanzt und gesungen.
Die Band ist sich des besonderen Anlasses offensichtlich ebenfalls bewusst und beschließt einfach nicht aufzuhören. So kommen New Model Army insgesamt noch dreimal für Zugaben zurück auf die Bühne und lassen die Nacht mit „Ballad Of Bodmin Pill“, „125 Mph“, „Green And Grey“, dem bereits erwähnten „Betcha“ und „I Love The World“ als hoffnungsvoller Abschiedsbotschaft weitaus länger werden als gewöhnlich auf dieser Tour. Zum Dank ernten sie frenetischen Jubel und das stille Versprechen im nächsten Jahr zur 21. Ausgabe des New Model Army-Weihnachtskonzertes wiederzukommen. Dann dürfte auch eine große Geburtstagssause angesagt sein. Es ist bereits nach Mitternacht, als wir wieder hinaus in die kalte Kölner Luft treten und sich auf dem Weg zur Bahn plötzlich Menschen mit Nikolausmützen und Pappnasen unter uns mischen. Im benachbarten E-Werk ist gerade die „Stunksitzung“ zu Ende gegangen. Irgendwie passt das zu diesem bunten, fröhlichen und etwas anarchistischen Abend. Merry Christmas everybody!