Marius Müller-Westernhagen gehörte zu den großen Helden meiner Jugend. Keine Party ohne „Taximann“ und „Lass uns leben“. Später kam noch „Freiheit“ dazu. Und die Songs von „Halleluja“, dem ersten von sechs Nummer-1-Alben in Folge, gehören seit Beginn der 90er Jahre zum Must-have-Repertoire jeder deutschsprachigen Coverband. Es war eine Zeit, in der man sich musikalisch entscheiden musste. U2 oder die Simple Minds? Natürlich U2. Ärzte oder Hosen? Ganz klar die Ärzte. Westernhagen oder Grönemeyer? Aber auf jeden Fall der junge Mann aus Düsseldorf, der seine Songs so raus haute, dass man sie mit empfinden konnte.
Am 6. Dezember wird Marius 74 Jahre alt. Auch das ein Gedanke, an den man sich erst einmal gewöhnen muss. Vermutlich werden wir nicht mehr viele neue Hits von ihm hören, aber wenn etwas kommt – wie kürzlich „Das eine Leben“, HIER unsre Review – dann ist es wirklich großartig. Das neue Album handelt von Liebe und Vergänglichkeit, von Angst und Überforderung, von Wut und Verzweiflung. Es verhandelt Politisches wie Privates, Beiläufiges wie Zwingendes. Elegant schlägt der Singer/Songwriter dabei immer wieder den Bogen vom Persönlichen zum Gesellschaftlichen. So vielschichtig, wie Marius‘ Musik, ist auch seine Persönlichkeit. Und dem trägt Autor Friedrich Dönhoff in der vorliegenden Biografie Rechnung. Um es vorweg zu nehmen: Das Porträt des Schauspielers, Musikers und Menschen Westernhagen ist absolut gelungen.
Der Hamburger Autor Friedrich Dönhoff hat Geschichte und Politik studiert. Er schreibt Drehbücher, Krimis und ist vor allem bekannt für seine biographischen Werke. Seine Großtante war Marion Gräfin Dönhoff und auch er darf den Grafen im Namen tragen, wenn er denn will. So trägt das Werk über Marius natürlich den Untertitel „Ein Portrait“ – im Gegensatz zum schnöden neudeutschen „Porträt“. Aber wenn man ehrlich ist, wird Dönhoff dieser Kunstform auch absolut gerecht. Er nähert sich von vielen Seiten der Person des Künstlers und verwebt diese zu einem hervorragend lesbaren Text.
Die Biografie spielt sich auf vielen Ebenen ab. Es gibt immer wieder Exkurse zum Zeitgeschehen, um die Chronologie besser einordnen zu können. Dönhoff gibt Einblicke in seine persönlichen Begegnungen mit Marius, lässt diesen in der Plattensammlung stöbern, beschreibt anschaulich die Umgebung der Wohnung und widmet sich als Erzähler den Erinnerungen, die im Gespräch mit Marius ans Tageslicht kommen oder die sich aus anderen Quellen erschließen. Noch nie hatte ich beim Lesen einer Biografie das Gefühl, dem porträtierten Menschen so nahe zu kommen. Das ist schon erstaunlich.
Zu den Einblicken in Westernhagens Gedankenwelt und Seelenleben gibt es auch viel Wissenswertes zu erfahren. Wir erleben die Beziehung zum Vater Hans Müller-Westernhagen und die Auswirkungen seines frühen Todes. Wir begleiten Marius bei den ersten Schritten seiner Karriere. Wer wusste schon, dass er ursprünglich Eishockey gespielt hat und dass man beim ersten WDR-Hörspiel um „Wickie und die starken Männer“ den jungen Marius in der Titelrolle hört?
Später kam dann die musikalische Karriere und der schmächtige Kerl aus „Theo gegen den Rest der Welt“ war plötzlich der erste deutschsprachige Künstler (noch vor seinem Freund Udo Lindenberg), der sich an die großen Stadien der Republik heran traute und diese lässig füllen konnte. Mir persönlich hat die Zeit Ende der 90er weh getan, als Westernhagen das Label „Armani-Rocker“ verpasst bekam. Eigentlich war er das nie wirklich, aber er hatte die falschen Berater um sich. Das ist ihm vermutlich längst selbst klar. Marius Müller-Westernhagen ist immer der Mann von der Straße geblieben. Der Junge, der eigentlich recht schüchtern daher kam und der sich wunderte, warum sein Auftreten so viele Menschen begeistern konnte.
Friedrich Dönhoff ist es gelungen, seinen Leser*innen den Menschen Marius Müller-Westernhagen in all seinen Facetten zu zeigen. Das Buch im Diogenes Verlag kommt in schöner Aufmachung mit Schutzumschlag und Lesebändchen, aber ohne die sonst übliche Hochglanz-Fotogalerie. Das ist auch gar nicht nötig, denn ehrlich gesagt hat doch jeder ein Bild vor Augen, wie Marius in den 70ern, den 80ern, den 90ern ausgesehen hat. Stattdessen konzentriert man sich ganz auf den Text: 250 faszinierende Seiten über eine faszinierende Persönlichkeit.