Am gleichen Tag zwei neue Alben von JULI und von Wincent Weiss – das ist doch mal eine gemeinsame Review wert. Zumal uns JULI ganze neun Jahre haben warten lassen und Wincent in dieser Wartezeit erst seine Karriere begonnen und die ersten drei Alben veröffentlicht hat.
Als JULI in Gießen als Band starteten, war Wincent drei Jahre alt, als Sängerin Eva Briegel dazu stieß und man den Hessischen Rockpreis gewann, war er sieben. Und der elfjährige Wincent hat vermutlich „Die perfekte Welle“ im Radio gehört, als mit dem Album „Es ist Juli“ die Karriere von JULI durchstartete.
Und seien wir mal ehrlich: Im besten Sinne haben JULI einer ganzen Riege von neuen Songpoet*innen mit Stücken wie „Tränenschwer“ und „November“ den Weg geebnet. Endlich durfte wieder Melancholie und Schwermut in die CD-Player und Radios Einzug halten. Und deutschsprachige Sängerinnen standen auf den großen Bühnen. Neben Eva waren ja auch Stefanie Kloß mit SILBERMOND und Judith Holofernes mit WIR SIND HELDEN am Start. Das hat im Gegenzug dazu geführt, dass heute Sängerinnen wie Lea, Madeline Juno und Wilhelmine die Szene beherrschen – auch wenn es immer noch zu wenig weibliche Stimmen im Geschäft sind.
Jetzt also das fünfte Album „Der Sommer ist vorbei“. Elf neue Stücke, die verdammt viel Nostalgie atmen. Ist ja auch kein Wunder, wenn man auf erfolgreiche Jahrzehnte zurück blicken kann. „Wie schnell die Zeit vergeht und nur ein Echo von uns bleibt“. Es geht um verklärte Erinnerungen, die „Fetten wilden Jahre“, Trennungsschmerz und Dankbarkeit für schöne Stunden.
Von elektronischen Experimenten hat man sich zum Glück wieder gelöst. Stattdessen gibt es eine opulente Breitwand-Produktion mit einer melancholischen Indie-Pop-Intimität, symphonische Streicher, Arena-Rock und Weltschmerz. Selbst nachzuhören auf dem treibenden Ohrwurm „Irgendwann“ oder dem hymnischen „Traurige Lieder“, mit dem JULI den wohl bittersüßesten Festival-Singalong des Jahres am Start haben. „Als erklärte Grunge-Kids der ’90er hat man manchmal den Eindruck, dass im Mainstream-Radio hauptsächlich happy Uptempo-Songs gespielt werden“, sagt Gründungsmitglied und Gitarrist Simon Triebel völlig unironisch. „Der Song ist eine Verbeugung vor der Melancholie und ein kleiner Gruß an alle Menschen, die diesem Gefühl ebenfalls nicht ganz abgeneigt sind.“
Und JULI sollten nicht so pessimistisch sein. Der Sommer ist vielleicht zum beschaulichen Spätsommer geworden, aber vorbei ist er noch lange nicht. Mit organischer Musik, tiefgründigen Lyrics und verdammt schönen Arrangements beherrschen JULI immer noch die Szene.
Und auf der anderen Seite ist da der dreißigjährige Wincent. Alle Alben bisher mit „irgendwie, irgendwo, irgendwann“ im Titel – so auch das neue: „Irgendwo ankommen“. Das erinnert an Max Giesinger, der Wincent zu Beginn stark protegiert hat und dessen erste Albumtitel immer eine räumliche Bewegung in sich trugen während es bei Wincent eher eine zeitliche ist.
Stilistisch bleibt Wincent weiterhin sehr poetisch und nachdenklich. Da sind Lyrics oft eine persönliche Standortbestimmung. Manchmal zitiert er sich selbst, denkt über Vergangenheit und Zukunft nach. Mit smarten Vocals singt Wincent den ruhigen Opener und Titelsong, doch bei „JA/NEIN“ darf es dann schon absolut rockig werden. Wie auf Wincents Konzerten, die inzwischen jede Arena füllen können, gibt es eine Mischung aus Feuerzeug-Songs und hymnischen Abreißern.
„Wunder gesehen“ passt perfekt zur abendlichen Lagerfeuer-Party. Aber Wincent spart auch schwierige Themen nicht aus, wenn er in „Alleine bin“ seine Depressionen thematisiert. Ein Song wie „Spring“ geht dann in eine andere, positive Richtung und beschreibt die Überwindung von Ängsten.
In dreißig Minuten geht es Schlag auf Schlag – alles im Rahmen von zweieinhalb Minuten. Viele Songs sind rhythmisch und tanzbar, was vielleicht den größten Unterschied zu JULI ausmacht. Aber ich will jetzt gar nicht sagen, welche Ausrichtung mir besser gefällt. Beide Deutschpop-Alben stehen für sich und werden ihre Wirkung vor allem live entfalten. Zumal beide Seiten einige Radiohits zu bieten haben.