Passender könnten Coverfoto und Titel des neuen Passenger Albums nicht sein. Er läuft und läuft und läuft. Vor einem Jahr sah ich ihn auf einem wundervollen, atmosphärischen Open Air in Luxemburg. Und er jagte den Zuhörern einen gehörigen Schrecken ein: jetzt sei erst einmal eine längere Pause angesagt… Eigentlich allzu verständlich, ist Mike David Rosenberg aus dem britischen Brighton doch seit Jahrzehnten auf fortwährender Tour. Aber – ach ja – bevor er pausierte, sollte noch ein neues Album erscheinen: „The Boy Who Cried Wolf“. Wie immer voller eingängiger und emotionaler Akustik-Balladen. Dann aber erst einmal Schicht. Oh – Moment – anscheinend hat die Muse den Songwriter doch zu früh wieder geküsst. Schon ein Jahr später erscheint das neue Album „Runaway“. Es ist das zehnte Studioalbum in elf Jahren. Dass der Gute seit Mai wieder fortwährend auf Tour ist, muss gar nicht extra erwähnt werden. Der 34jährige ist einfach ein Phänomen.
Jetzt könnte man sagen: Die Alben klingen doch alle irgendwie gleich. Werden „Let Her Go“ und „Holes“ also immer wieder kopiert? Dem will ich entschieden widersprechen. Wenn es einen einzigen Song gibt, weswegen man sich „Runaway“ zulegen muss, dann ist es definitiv „To Be Free“. Er erzählt die Geschichte seiner Familie väterlicherseits. Der Großvater Ziggy und die Großmutter Molly waren polnische Juden, die in Deutschland lebten. Sie gelangten während des NS-Regimes in ein Flüchtlingscamp nach Frankreich und setzten schließlich nach Amerika über. Ein Leben wie eine Feder im Wind – im Video hervorragend dargestellt von einer leichtfüßigen Tänzerin. Wen dieser piano-begleitete Song nicht berührt, der hat ein Herz aus Stein.
Während die bisherigen Alben eher Assoziationen zu Großbritannien und Australien erzeugten, klingt „Runaway“ stellenweise sehr amerikanisch. Vermutlich, weil Passenger sich auf Spurensuche bezüglich seiner Familie in die USA begab. Auch alle bisherigen Videos zum neuen Album sind dort entstanden. „Survivors“ handelt davon, wie man in den Irrungen und Wirrungen der heutigen Zeit überleben kann. Das Video dazu wurde am Times Square in New York gedreht. Und während die letzte Alben eher introvertiert angelegt waren, klingt das neue Werk wieder so episch und hymnisch, wie wir es von Passengers großen Singlehits gewohnt sind. Das wirkt keineswegs anbiedernd, sondern es scheint bedingt durch die nordamerikanische Ästhetik. Wie „Heart To Love“, dessen Video in der Wüste nahe Las Vegas gedreht wurde.
Für mich ist „Runaway“ das perfekte Passenger-Album: verträumt, warmherzig und wunderschön. An Mike Rosenbergs emotionaler Stimme kann ich mich ohnehin nicht satt hören. Wem das Album mit zehn Songs zu kurz ist, der wähle die Deluxe Edition mit einer zweiten CD voller aktueller Liveaufnahmen.