Zur Freude aller Vinylliebhaber startete im August 2021 die umfangreiche Wiederveröffentlichung des gesamten Studioalbum-Backkatalogs der US-Progmetaller SAVATAGE in chronologischer Reihenfolge auf hochwertigen 12″-LPs via earMUSIC. Nach neun ReReleases wird nun langsam das Finale eingeläutet. Und das hat es nochmal in sich.
„Dead Winter Dead“ war in meinen Augen 1995 absolut unterschätzt, erreichte es doch mit Platz 80 in den deutschen Charts die schlechteste Platzierung in den Charts. Schade, denn das Konzeptwerk um den Bosnienkrieg ist absolut gelungen und stark von den damals aktuellen Ereignissen geprägt. Nach der starken „Ouverture“ fragt sich der Wasserspeier der Kathedrale von „Sarajevo“ im gleichnamigen Song, was Lachen und was Tränen bedeuten sollen. Europa war im Umbruch. Deutschland wiedervereint, aber im Balkan brodelten Zwietracht und Hass („I Am“). Die Protagonist*innen Serdjan und Katrina stehen sich auf verfeindeten Seiten im Krieg gegenüber, doch zwischen ihnen steht ein Cellospieler, der Werke von Mozart und Beethoven interpretiert. Als an Weihnachten sein Spiel verstummt, machen sich beide auf den Weg zu ihm und die Todfeinde werden im Song „Not What You See“ zusammengeführt.
Mir gefällt die berührende Geschichte auch nach 27 Jahren noch ausgesprochen gut – an Aktualität hat sie ohnehin nichts eingebüßt, auch wenn die Kriegsparteien in Europa jetzt andere sind.
Nach dem 1991er „Streets“ ist auch „Dead Winter Dance“ eine klassische Rockoper mit viel Bombast und Pathos. Es bietet weniger Powermetal und dafür mehr melodischen Hardrock. Mit „Christmas Eve“ wurde zudem der Grundstein für das Nachfolgeprojekt Trans-Siberian Orchestra gelegt, das vor allem in den USA enorm erfolgreich war.
„Dead Winter Dead“ markierte für SAVATAGE eine Art Reboot als Band, so trafen die Rückkehr von Chris Caffery und dessen beginnende Gitarrenpartnerschaft mit dem klassisch geprägten Neuzugang Al Pitrelli hier auf eine von Paul O’Neill und Jon Oliva auf Tasteninstrumenten komponierte Rockoper, die bereits vom Rhythmus-Team aus Jeff Plate und Johnny Lee Middleton bearbeitet worden war.
„The Wake of Magellan“ erschien als weiteres Konzeptalbum im Jahr 1997 – man war auf den Geschmack gekommen. Allerdings geht es nicht um eine zusammenhängende Geschichte, sondern um Fantasy-hafte Versatzstücke, die sich in unterschiedlichen Bildern mit Werden und Vergehen, mit Leben und Tod beschäftigen. Am Ende kumuliert das Geschehen darin, jemand anderen zu retten, auch wenn das eigene Sein dadurch gefährdet ist. Ein sehr philosophisches Album mit vielen inhaltlichen Komponenten.
Musikalisch gibt es auch hier wieder feinsten Bombast-Metal und ganz viel Pathos. Aber das gehört bei solchen Themen gewissermaßen hinzu. Einmal mehr auf die bildstarke Lyrik und Poesie Paul O’Neills bauend, wirkten alle Musiker bereits seit der frühen Entstehungsphase in Jon Olivas Garage an den Kompositionen der Rockoper mit. So gelang es der Band, epischen Metal mit der Dynamik eines klassischen Werks zu verknüpfen und sogar auf erfrischende Art kleine Verneigungen vor den unsterblichen QUEEN zuzulassen. Jon Oliva beschreibt die zurückgewonnene Bandchemie im Rückblick so: “‘THE WAKE OF MAGELLAN war unser drittes Konzeptalbum und das zweite im neuen Line-up. Es zu erschaffen, war für uns alle ein Vergnügen”.
Die Vinylausgabe als exquisite 33rpm Doppel-LP auf 180g-Vinyl ist mal wieder ein großes Geschenk für alle Fans. Was hat man es doch vermisst, das Artwork im Großformat zu sehen und nicht nur im CD Booklet erahnen zu können.
Die wunderbare Reise in der SAVATAGE-Zeitmaschine wird noch vor Anbruch der Weihnachtszeit mit „Poets & Madmen“ ihren Abschluss finden. So verabschieden wir 2022 mit all seinen Höhen und Tiefen als das Jahr, in dem Vinyl-Liebhaber eine glanzvolle Sammlung komplettieren konnten.