In der Liste „The 500 Greatest Albums of All Time „, die das Rolling Stone Magazin im Jahr 2003 veröffentlichte, belegt „Revolver“ der Beatles Platz Nummer drei und folgt damit dem Spitzenreiter „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und dem Zweitplatzierten „Pet Sounds“ der Beach Boys. Tatsächlich war in den Jahren 1966 und 1967 ein großer Konkurrenzkampf zwischen beiden Ausnahmebands mit ihren innovativen Sounds entbrannt. Und es ist bezeichnend, dass hier zwei wegweisende Beatles-Alben das emotionale Werk der Beach Boys quasi einrahmen.
Was alle so besonders macht, ist das experimentelle Vorgehen mit neuer Technik und extravaganten Sounds, das mit „Rubber Soul“ der Beatles kurz vorher begonnen hatte. Während die Beach Boys klappernde Löffel, Hundegebell, Dosen, Plastikflaschen, Klingeln und Hupen in ihren Sound integrierten, setzten die Beatles auf rückwärts laufende Tonbänder und ein Aufnahmeverfahren mit künstlicher Doppelspur. Auch fast 60 Jahre später gelingt es dem unbedarften Hörer kaum, diese psychedelischen Kniffe zu durchschauen. Stattdessen lehnt man sich besser zurück und genießt ein durchweg gelungenes Album. Zwar stehen die großen Erfolge „Eleanor Rigby“ und „Yellow Submarine“ in der öffentlichen Wahrnehmung klar im Fokus, doch es tut einfach gut, das Werk mal wieder am Stück zu hören. Finger weg von den Best-of-Compilations!
Das Gesamtkunstwerk „Revolver“ beginnt schon mit dem Cover des deutschen Künstlers Klaus Voormann, den die Beatles in Hamburg kennen gelernt haben. Die Mischung aus Strichzeichnung und Fotocollage erhielt 1967 einen Grammy für das beste Plattencover. Chapeau! Statt lebendiger Farben entschied er sich bewusst für Schwarz-weiß und symbolisierte damit die radikale Veränderung im Sound. Bis heute genial und bestenfalls im LP-Format zu bewundern.
Obwohl von Album zu Album wieder einmal nur knapp acht Monate vergangen waren (an der Schlagzahl könnten sich manche Bands heutzutage ein Beispiel nehmen) hatte man sich im Studio viel Zeit gelassen, um den neuen Klang auszuarbeiten und die Texte mit Inhalt zu füllen. Das politische „Taxman“ beschäftigt sich mit der britischen Finanzpolitik. „Eleanor Rigby“ wurde mit acht Streichern eingespielt. „I’m Only Sleeping“ enthält ein rückwärts abgespieltes Gitarrensolo. „Love You To“ glänzt mit indischen Musikinstrumenten. „Yellow Submarine“ nimmt die spätere Zeichentrickgeschichte um das märchenhafte U-Boot vorweg. „She Said She Said“ handelt von LSD-Erfahrungen. „For No One“ enthält ein prägnantes Horn-Solo. Der real existierende „Doctor Robert“ versorgt Prominente mit Drogen. „Got To Get You Into My Life“ lässt Bläser einen Motown-Sound erzeugen. „Tomorrow Never Knows“ schließt das Album mit revolutionären Toneffekten ab. Fast zu jedem der 14 Stücke lässt sich eine Geschichte erzählen.
Am 28. Oktober 2022 erschienen bei Apple Corps Ltd./Capitol/UMe gleich drei verschiedene Special Editions von „Revolver“ – allesamt neu abgemischt, massiv erweitert und aufwendig gestaltet. Alle Stücke des Originals wurden vom Produzenten Giles Martin und dem Tontechniker Sam Okell neu in Stereo- und Dolby Atmos-Qualität abgemischt.
Essentiell sind natürlich die Super Deluxe Konfigurationen mit 5 CDs oder 4 LPs. Fans mit dem entsprechenden Geldbeutel werden hier vermutlich schnellstens zugreifen, auch weil mit einem 100seitigen Buch neben den unzähligen Versionen, Mixen und Probeaufnahmen der Songs ein entsprechender Mehrwert gegeben ist.
Mir liegt zur Review die 2CD Deluxe Variante vor, die im schön aufgemachten Digipack neben dem Album-Remaster eine Bonus-CD mit 15 ausgewählten Spezialtracks enthält, quasi die Highlights aus den Aufnahmesessions.
Es beginnt mit der Single „Paperback Writer“ und deren B-Seite „Rain“, die zwar während den Revolver-Sessions entstanden sind aber nur als eigenständige Single erschienen ohne jemals auf einem offiziellen Album zu landen. Man kennt sie von diversen Compilations, aber nicht in diesem neuen Stereo Mix. Weiter geht es mit unterschiedlichen Takes der bekannten Revolver-Stücke, welche die Entstehung des Albums dokumentieren. Sei es, weil Soundeffekte noch nicht eingespielt sind, die Backing Tracks im Vordergrund stehen oder in die Aufnahme rein gesprochen wird.
Abgerundet wird der 2CD-Release durch ein 40seitiges, gebundenes Booklet, das man schon als kleines Büchlein bezeichnen muss und das viele Fotos sowie einen informativen Text von Kevin Howlett enthält.