„New Adventures in Hi-Fi“: R.E.M. vor 25 Jahren erstmals #1 in Deutschland
1996/97 war in manchen Punkten ein Schicksalsjahr für die Alternative Rockband aus Georgia. R.E.M. veröffentlichten damals nicht nur ihr zehntes Album – es war auch das letzte in kompletter Bandbesetzung. Schlagzeuger Bill Berry war dem Tourstress nicht mehr gewachsen und stieg Ende 1997 aus dem Quartett aus. Vielleicht (aus seiner Sicht) längst überfällig, da er bereits zwei Jahre zuvor mit einer Hirnblutung zu kämpfen hatte.
Nach „New Adventures in Hi-Fi“ stand die Band knapp vor dem Aus. Bis man sich entschied, als Trio weiter zu machen. Gute Entscheidung, auch wenn man den kommerziellen Zenit bereits überschritten hatte. Seit dem weltweiten Hiterfolg „Losing My Religion“ hatten die ehemals gern mit dem Label „College Rock“ versehenen Musiker Spitzenplätze in den amerikanischen, britischen und europäischen Charts für sich gepachtet, doch im Lauf der 90er Jahre gingen die Verkaufszahlen von gut 18 Mio. auf 2,5 Mio. zurück. Vielleicht weil man nach den Hitschmieden „Out Of Time“ und „Automatic For The People“ das Gespür für eingängige Radiohits verloren hatte und „Monster“ durchaus eine Rückkehr zu den rockigen Wurzeln war.
Trotzdem war „New Adventures in Hi-Fi“ das erste Nummer-1-Album in Deutschland. Der Bandname hatte Gewicht. Und es ist mit 65 Minuten das längste Studioalbum im Backkatalog. Grund war die Entstehungsweise, da man während der „Monster“-Welttournee viel Zeit hatte, um gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Die Soundchecks wurden zu Jam-Sessions und die Mitschnitte derselben ergaben viel Material zur späteren Verwendung. Trotzdem ist daraus vor 25 Jahren ein durchaus homogenes Album entstanden, das wie eine Mischung aus „Automatic For The People“ und „Monster“ klang. R.E.M. hatten den Weg gefunden, ihre beiden Seiten miteinander zu verknüpfen.
Lyrisch geht es ums Unterwegssein, und daraus resultierend um Veränderungen und Verlust. Kein Wunder, wenn einem die Texte im Bus oder Flugzeug einfallen. „How The West Was Won And Where It Got Us“ ist ein typischer Piano-Einstieg ins Album, der zudem politische Haltung vermittelt. „The Wake-up Bomb“ zeigt eine energisch rockende Seite und „New Test Leper“ funktionierte als eingängige Gitarrenballade.
Das erzählende „E-Bow The Letter“ und das hymnische „Bittersweet“ wurden als Singles ausgewählt. Eindrucksvoll, aber nicht gerade nachhaltig. Da hat das pianolastige „Elecrolite“ schon mehr Ohrwurm-Qualitäten. Spannend erklingen auf jeden Fall das 7minütige „Leave“ mit seinen elektronischen Elementen und das Instrumentalstück „Zither“, das eine recht verträumte Stimmung vermittelt.
Die gebotene Vielfalt und der Facettenreichtum sind einzigartig im Katalog von R.E.M. und es ist kein Wunder, dass Michael Stipe es bisweilen immer noch als sein Lieblingswerk bezeichnet.
Zum 25jährigen Jubiläum sind die remasterten Neuauflagen des Meilensteins mit reichlich Bonusmaterial ausgestattet. Die 2CD/1Blu-ray Deluxe Edition beinhaltet neben dem remasterten Album gleich 13 B-Seiten und weitere seltene Songs sowie einen bislang unveröffentlichten Film der 64 Minuten lang ist und ursprünglich nur zu Promo-Zwecken in fünf Metropolen auf Häuserwänden projiziert wurde.
Die erweiterte (Expanded) Edition, erhältlich als 2CD und digital, vereint das Originalalbum (remastered) mit B-Seiten und Raritäten. Dem 2CD-Set liegt außerdem ein exklusives Poster bei (ca. 60x60cm groß) sowie vier Sammelpostkarten und ein Booklet mit den neuen Liner Notes und vielen Archivfotos. Dazu wird das neu gemasterte Album auch als 2LP-Set in den Handel kommen, erhältlich auf 180g-Vinyl.
Mir liegt zur Review die 2CD-Version vor. Das ganz in schwarz-weiß gehaltene Artwork macht sich gut in der schicken Box, die vor allem deshalb so groß ausfällt, weil das auf CD-Format zusammen gefaltete Poster soviel Raum einnimmt. Hinzu kommen vier Bildkarten und ein Booklet mit umfangreichen Liner Notes von Mark Blackwell.
Die Bonus-CD startet mit dem Instrumental „Tricycle“. Es gibt einige Liveaufnahmen von der 95er Tour, wo Songs wie „The Wake-up Bomb“ schon vorab gespielt wurden. „Departure“ stammt vom Soundcheck in Rom und „New Test Leper“ findet sich in einer sehr schönen Akustikversion. Spannend erklingt auf jeden Fall die Coverversion von „Love Is All Around“. Die alternative Version von „Leave“, die das Album beschließt, hat einen recht mystischen Touch und gefällt mir besser als die Originalversion.
Ohne Bill Berry hatten R.E.M. ein Stück ihrer Seele verloren. Umso besser, dass dieses letzte Album unter seiner Mitwirkung nach 25 Jahren eine solche Würdigung erfährt. Lohnt sich!