Klarheit vor Harmonie – KETTCAR im Brunnenhof Trier

Es war ein recht nostalgischer Abend im Trierer Brunnenhof, direkt neben der altehrwürdigen Porta Nigra. KETTCAR waren endlich mal wieder in Trier und schwelgten (wie vermutlich viele Fans) in Erinnerungen ans Exhaus. Das Jugend- und Kulturzentrum wurde 2019 geschlossen und harrt seitdem vergeblich der längst fälligen Sanierung. Ob wirklich was draus wird? Man darf seine Zweifel haben, wenn man sich die marode Finanzsituation der ältesten Stadt Deutschlands anschaut.

Mit Blick aufs Publikum am 28. August waren da viele Menschen anwesend, die in den Jahrzehnten zuvor regelmäßig das Exhaus bevölkert und sicherlich ihre ganz eigene Geschichte mit Bands wie KETTCAR mitgebracht haben. Und es hatte viel Wahres, wenn Marcus Wiebusch rückblickend sagte, dass die Auftritte im Exhaus – beispielsweise ihr drittes Konzert ever als Support von TOMTE – Meilensteine in der Karriere der Band gewesen sind. Das ging den Anwesenden natürlich runter wie Öl und schaffte ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Hamburg und Trier.

Marcus und Reimer waren in bester Erzähllaune und kabbelten sich von Beginn an mit ihren Ansagen wie ein altes Ehepaar. Start war bereits um 20 Uhr ohne Vorgruppe, das die Location in der Altstadt ein Ende für 22 Uhr vorschrieb. Diese zwei Stunden wurden aber perfekt genutzt. Für Musik – aber auch, um über den Mut der Stadt zu staunen, im Wohnhaus von Karl Marx einen 1-Euro-Shop zuzulassen. Da der Brunnenhof auch in Rufweite der Karl-Marx-Statue liegt, wird der alte Herr sicher ein wenig über diese Bemerkung geschmunzelt haben.

Wiebusch erzählte gern von seiner Mama und ihrem vermeintlichen Einfluss auf die Band. Ihr wart lange nicht in Trier? Man hat euch nicht gefragt? Dann wart ihr vermutlich nicht gut genug. „Klarheit vor Harmonie“ benannte Marcus das Familienmotto. Und als es um den Song „München“ ging, wurde nochmal die Mutter herangezogen. Sollen wir so politisch werden? Ja, seid der Sand im Getriebe der Welt!

Ich liebe die fantastischen Ansagen. Mal voll skurriler Geschichten, wenn Marcus vom Proberaum unterm Swingerclub erzählt und wie er sich manchmal vorgestellt hat, dort „Balu“ auf der Minibühne zu singen, oder melancholisch, wenn es zu „Landungsbrücken raus“ immer wieder heißt: „In Städten mit Häfen haben die Menschen noch Hoffnung“. Ja, alte Hansestadt – bewahre dir diese Hoffnung.

Was die Setlist angeht, will ich gerne auf meinen Bericht zum Konzert in Saarbrücken hinweisen. Das ist gerade mal vier Monate her und auch damals stand das aktuelle Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ im Mittelpunkt. Lest HIER die komplette Review.

Kaum eine Band schafft es, über Jahrzehnte textlich so scharf und tiefgründig zu bleiben wie KETTCAR. Oft kommen mir deren Album wie eine Sammlung von Sinnsprüchen vor, ohne dabei irgendwie platt zu wirken. Darum hier jetzt mal eine etwas andere Setlist zum Konzert am 28.8.2024 im Brunnenhof Trier mit mir ganz subjektiv wichtigen Textzeilen wiedergeben:

Es gibt keine coole Lösung, wenn man selber das Problem ist (Auch für mich 6. Stunde)
Nicht schlafen bevor wir hier heute Nacht das Meer sehen (Benzin und Kartoffelchips)
Guten Morgen, Liebe meines Lebens (Rettung)
Und da sah ich das Heer der leeren Flaschen auf dem Balkon verteilt (Balkon gegenüber)
Nein, Werk und Autor bleiben jetzt mal schön beisammen (Kanye in Bayreuth)
Du gehst tränenreich in eine höhere Liga (48 Stunden)
Mein Herz ist ein totgeschlagenes Robbenbaby (München)
Er nahm seinen alten Ford Granada und ward nie mehr gesehen (Sommer ’89)
Frieden ist wenn alle gleich sind (Balu)
Du weißt nicht wie das ist, wenn man immer eine Maske trägt (Der Tag wird kommen)
Zeig mir einen dem das egal ist und ich zeig euch einen Lügner (Money Left to Burn)
Zu erkennen, dass man glücklich ist, ist Kunst (Anders als gedacht)
Lieber peinlich als authentisch (Kein Außen mehr)
Wie aus romantischen Komödien entsprungen (Ankunftshalle)
In deinem ausgesuchten Leben, vollgestopft mit Privilegien (Ein Brief meines 20-jährigen Ichs)
Es ist auch nur die Angst, die bellt, wenn ein Königreich zerfällt (Im Taxi weinen)
Ein letztes mal winken und raus (Landungsbrücken raus)
Und nicht alle in Hamburg woll’n zu König der Löwen (Einkaufen in Zeiten des Krieges)
So lang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende (Ich danke der Academy)
Nur weil man sich so dran gewöhnt hat, ist es nicht normal (Deiche)
Und am besten auf dich reimt sich immer noch mich (Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt)