Hinterm Horizont geht’s weiter
Im Mai ist Roland Kaiser 70 Jahre alt geworden – der Grandseigneur des deutschen Schlagers. Und man kann ihn nur dafür bewundern, was er tut. Nach schwerer Krankheit ist er seit langem wieder auf Erfolgskurs, füllt die größten Hallen und bietet eine Show auf, die alles andere als eine typische Schlagerparty ist. Während die einschlägigen Kolleg*innen gleicher Altersgruppe sich gemütlich zurücklehnen und in alten Erfolgen sonnen, erfindet sich Roland immer wieder neu. So gibt es zum runden Geburtstag auch nicht etwa ein Best-of-Album mit ollen Kamellen, sondern ein Studiowerk mit neuem Material, das dann auch noch den optimistischen und nach vorn weisenden Titel „Perspektiven“ trägt. Allein dafür muss man ihn lieben!
Klar gibt es Schlager. Keine Frage. Wäre ja auch seltsam, wenn er plötzlich mit Rocksongs oder einem Bigband-Album um die Ecke kommt. Doch Roland Kaiser versucht immer wieder erfolgreich, am Puls der Zeit zu bleiben. Vor Jahren hat ihm Maite Kelly dabei geholfen – und auch diesmal ist wieder eine ganze Reihe ambitionierter Songwriter*innen mit dabei, ich nenne mal Peter Plate und Ulf Sommer, Nino de Angelo, Sebastian Wurth, Jonathan Zelter, Matthias Hass, Christina Schwaß, Sascha Kempin und – last bat not least – Gregor Meyle. Mit deren Input entstand ein stilistisch variables Album, das von Kaisers sonorer Stimme zusammengehalten und zu einer homogenen Einheit geformt wird.
Mit „Perspektiven“ wirft Roland Kaiser mal wieder einen Blick auf das gesamte Spektrum menschlicher Emotionen: Angefangen bei ungezügelter Leidenschaft auf den Stücken „Wir spielten immer ohne Regeln“, „Weil du es kannst“ oder „Freunde bleiben“, über Verlust und Trauer („Brich mir das Herz“, „Eins musst du mir lassen“), bis hin zu delikaten Dreiecksbeziehungen wie dem erotisch knisternden „Du, deine Freundin und ich“, wobei der Sänger zu funky-tanzbaren Disco-Sounds von einer imaginären Ménage-à-trois erzählt. „Als mir die Autoren Christina Schwaß und Matthias Hass diesen Song vorschlugen, hat er mich sofort gereizt, weil er so faszinierend und so frech ist“, so Roland Kaiser über die Entstehungsgeschichte des musikalischen Gedankenspiels.
Es zeugt von eleganter Lässigkeit, wenn Roland Kaiser den durch Julio Iglesias und Willie Nelson berühmt gewordenen Welthit „To All The Girls I’ve Loved Before“ entstaubt und gemeinsam mit Giovanni Zarrella in einen zeitgemäßen Bonustrack verwandelt. Das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Musikergenerationen, die den Klassiker auf moderne Weise mit einer völlig neuen Instrumentierung interpretieren. „Giovanni kam zu einem meiner Konzerte, auf dem ich diesen Evergreen in einer etwas anderen Fassung gespielt habe. Er war sofort begeistert und fragte mich wenig später auf der ‚Ein Herz für Kinder‘-Gala, ob ich mir ein Duett mit ihm vorstellen könnte.“
Eine wichtige Botschaft transportiert Roland Kaiser mit dem Song „Zuversicht“: In einer unsicheren, von gesellschaftlicher Spaltung und Entfremdung, Zukunftsängsten und diversen anderen Problemen geprägten Zeit möchte der Sänger ein deutliches Zeichen setzen, was das zwischenmenschliche Miteinander betrifft. „Gerade in diesen Tagen ist nichts wichtiger, als Zuversicht zu verbreiten“, so Roland Kaiser weiter.
Tröstende Worte finden sich auch auf dem von Nino de Angelo komponierten Ohrwurm „Es ist alles ok“, der dann doch ein nostalgischer Rückblick ist und anhand von Songzitaten mancher Klassiker viele Referenzen aus der musikalischen Biografie des Sängers enthält. „Das Leben folgt keinem linearen Pfad, der immer nur geradeaus geht. Es gibt Abzweigungen, Fehltritte, Hindernisse und Einbahnstraßen. Manchmal stolpert man oder fällt sogar hin. Doch am Ende ist alles okay, das kann ich rückblickend zumindest für mich behaupten. Nino hat es geschafft, aus vielen meiner Songtitel und Textzitate eine ganz neue, zusammenhängende Geschichte zu erzählen“, lobt Roland den Songwriter.
Abgerundet wird „Perspektiven“ durch den wohl persönlichsten Song des Albums: Die berührende Ballade „Bis zum letzten Atemzug“ wurde Roland Kaiser von Songwriter und Musiker Gregor Meyle auf den Leib geschrieben. „Er hat mir dieses wunderbare Lied zum 70. Geburtstag geschenkt. Ich finde, Gregor ist es gelungen, mein Leben in sehr schöne, kluge Worte mit einer phantastischen Melodie zu fassen, die Michael Ilbert ebenso atemberaubend abgemischt hat. Auch, wenn dieses Stück retrospektive Züge trägt, habe ich noch nicht vor, in absehbarer Zeit mit meiner Arbeit aufzuhören. Es gibt nur eine einzige Sache in meinem Leben, die ich wirklich bereue: Die Tatsache, geraucht zu haben. Ansonsten lebe ich weiter mit dem Gesamtwerk Roland Kaiser – das ist so, wie es ist.“
Diese Worte kann man doch mal auf sich wirken lassen und sich zugleich noch auf viele Jahre anspruchsvoller Schlagermusik von Roland Kaiser freuen. Und das meine ich absolut ernst! Während viele selbsternannte Schlagersternchen oder die alternden Mallorca-Freunde halbgare Songs mit einem Schlagerbeat versehen und einen auf Party machen, inspiriert Roland seine Schreiberlinge zu filigranen und tiefgründigen Stücken, die zwar ein Massenpublikum ansprechen sollen (logisch), aber trotzdem eine respektvolle und perspektivische Botschaft vermitteln. So geht’s!