Zwei Monate ohne Livekonzerte… Langsam aber sicher meldet sich die Sucht bei den Konzertjunkies. Am Anfang konnte man sich ja noch mit den „Trostpflästerchen“ abfinden. Streamkonzerte auf Facebook und YouTube, täglich ein neuer Song von Gary Barlow im Duett mit einem bekannten Kollegen, gar abendfüllende Trio-Konzerte von Konstantin Wecker. Selbst Größen wie Andrew Lloyd Webber und Genesis streamen plötzlich kostenlos komplette Konzertfilme. Das reicht für ein paar Tage Livestimmung im heimischen Wohnzimmer. Aber es muss doch mehr geben.
Können Autokino-Konzerte eine Alternative sein für die Zeit der Krise? Ich war skeptisch, doch dann sah ich auf ARTE concert das Düsseldorfer Konzert von SIDO. Tatsächlich hat er es geschafft, die Zuschauer bei Stimmung zu halten und ein Feedback aus Hupen, Blinken und Autolichtern zu erhalten. Kann also funktionieren. Und tatsächlich sprießen allerorten die Autokinos aus der Erde. In meiner ländlichen Region gleich fünf im Radius von 80 Kilometern. Ganz traditionell mit modernem und klassischem Kinofilm-Programm, aber eben auch mit Livekonzerten regionaler und überregionaler Künstler.
Die Bestimmungen sind noch unterschiedlich. An manchen Orten darf gehupt werden, an anderen nicht (vermutlich davon abhängig, wie weit das Gelände vom Wohngebiet entfernt liegt). Hier darf das Fenster halb geöffnet werden – da muss es geschlossen bleiben. Hier ist der Toilettengang erlaubt – da gibt es nicht einmal eine Toilette. Auch andere Probleme tun sich auf: Der Ecomodus beim Auto schaltet nach 30 Minuten die Batterie ab. Eigentlich müsste man jetzt den Motor laufen lassen, doch oft ist das nicht erlaubt. Hmmm. Kleiner Tipp: batteriebetriebenes Kofferradio mitnehmen. Der Sound ist zwar nicht so opulent, aber ausreichend.
Denn – tadaaa – ich war gestern auf meinem ersten Autokino-Konzert. Ja – das erste Mal überhaupt in einem Autokino. Die Saarpfalz-Gemeinde Blieskastel hat ihr Bauernfestgelände mit Bühne und Leinwand ausgestattet. Und zu Gast war der ehemalige Bro’Sis Popstar und jetzige Schlagersänger Giovanni Zarrella. Es wurde Zeit! Noch sind keine echten Konzerterlebnisse möglich. Die Einschränkungen lassen das nicht zu. Aber die Streaming-Trostpflaster ist man auch langsam leid. Das Autokino kann ein Nikotinpflaster gegen die Konzertsucht sein. Ob es funktioniert?
Die Anreise und das Aufstellen der PKW waren absolut unproblematisch. Viele Ordner, gesittetes Miteinander, guter Blick zur Bühne. SUV und Kastenwagen müssen nach hinten. So hat jeder gute Sicht.
Pünktlich um 20 Uhr kam Sonnenschein Giovanni Zarrella auf die Bühne. Er amüsierte sich erst einmal darüber, dass viele Menschen tatsächlich gedacht hatten, er wäre gar nicht persönlich vor Ort sondern der Auftritt würde aus der Ferne gefilmt. Das war aber nicht der Fall. Er war leibhaftig da. Wie gerade von Florian Silbereisens Schlagerfest XXL hier auf die kleine Dorfbühne gefallen.
Das Programm bestand vor allem aus seinem „La vita è bella“. Denn wie sein einstiger Kollege Ross Anthony hat auch Giovanni musikalisch die Seite gewechselt. Auf seinem aktuellen Album gibt es bekannte Schlagerhits in italienischer Sprache. Diese präsentierte er live am Mikro, während die Musik vom Band kam. Das Geschehen wurde auf eine große LCD Leinwand übertragen, damit man auch bis in die letzten Autoreihen des gut gefüllten Geländes alles mitbekam.
Klar. Es ist seltsam, im Auto seine eigene Party zu feiern. Frau und Tochter waren mit dabei, so konnten wir es uns gemütlich machen. Mitsingen wurde von den Autoinsassen rechts und links wohlwollend bedacht, doch die echten Beifallsbekundungen gab es nur per Hupe. Da Muttertag war, forderte Zarrella als erstes ein Hupkonzert für alle Mamas. Das Feedback in Form rhythmischen Lärms freute ihn sichtlich.
Auch für den Sänger muss es komisch sein, vor einem großen Parkplatz aufzutreten. Doch er machte das Beste draus: Für die Interaktion des Publikums gab es immer neue Ideen. Winken mit Schals, Leuchtstäben, Plakaten und Regenschirmen durch das halb geöffnete Fenster. Mithupen ganzer Textzeilen und Refrains. Eine akkubetriebene Mini-Discokugel auf dem Autodach. Blinker, Lichthupe, Warnblinker.
Auch Giovanni war sichtlich angetan und zeigte sich ganz als sympathischer und witziger Moderator. Zwischen den Songs ging er auf Tuchfühlung, soweit die Sicherheitsbestimmungen das zuließen. Er hatte eine große Pizza auf der Bühne – und wie Guildo Horn seine Nussecken verteilte er Pizzastücke an die ersten Reihen. Natürlich nicht von Hand zu Hand, sondern man konnte mit gebührend Abstand etwas aus der Schachtel nehmen. Dann entschied er, dass keiner ohne Autogramm nach Hause gehen soll. Da die persönliche Autogrammstunde natürlich ausfallen musste, schrieb er kurzerhand (während eines Songs!) genügend Autogramme und verteilte diese im Anschluss an die Autos. Publikumsnähe trotz Abstand. Es funktionierte.
Die Schlager von Münchner Freiheit, Wolfgang Petry, Peter Maffay und Helene Fischer gewinnen deutlich, wenn man sie in italienischer Sprache interpretiert. In meinen Augen ist es eine coole und für einen Deutsch-Italiener sehr authentische Idee, so zu verfahren. DJ Ötzis „Ein Stern“ gehört zu den schwächeren Songs. Der Rest ist absolut akzeptabel. Außerdem baute Zarrella einige Italo-Klassiker ins 90minütige Programm ein und endete mit dem deutschen „Wundervoll“, das er im Jahr 2008 für seinen Sohn geschrieben hatte.
Giovanni hat mich als Sänger und Entertainer absolut überrascht. Er ist grundsympathisch und es gelang ihm, das Publikum in dieser surrealen Situation mitzureißen. Seinem Italo-Schlager-Album sollte man durchaus ein Ohr gönnen.
Ein begeistertes Publikum verabschiedete den Sänger mit einem Hupkonzert, während er als Zugabe seine Version von „Ohne dich“ zum zweiten Mal zum Besten gab – diesmal durch die Autoreihen wandernd. Um 21.30 Uhr war Schluss und die Abfahrt vom Gelände gestaltete sich etwas chaotisch, da hier keine Ordner eingriffen sondern jeder wild Richtung Ausfahrt fuhr. Das wäre das Einzige, an dem man noch arbeiten müsste. Und ich werde versuchen herauszufinden, wie man den vermaledeiten Ecomodus beim Peugeot ausschalten kann. Zum Glück hatte ich ja den kleinen Ghettoblaster dabei.
Ein Fazit? Gar nicht so schwierig. Irgendwie machen alle Beteiligten das Beste aus der Situation. Ja – man kann interagieren, obwohl es etwas kompliziert ist. Die Stimmung muss man sich selbst machen. Wer schon mit einem Murren zu solchen Konzerten fährt, wird das vermutlich nicht schaffen. Es war auf jeden Fall gut, nach zwei Monaten Abstinenz mal wieder ein echtes Konzerterlebnis zu haben. Diese Alternative wird also vermutlich funktionieren, so lange die Normalität nicht zurückkehrt. Ich liste mal ein paar Konzertbeispiele aus den Regionen Trier und Saarland auf. Gebt dem Konzept eine Chance:
21.5.2020 – Völkerball – Autokino Blieskastel
23.5.2020 – Les Brünettes – Drive & live Merzig
27.5.2020 – Hazel Brugger – Carpitol Trier
29.5.2020 – 257ers – Carpitol Trier
31.5.2020 – Heinz Rudolf Kunze – Autokino Blieskastel
7.6.2020 – Eure Mütter – Carpitol Trier
20.6.2020 – Vasiliki Roussi – Drive & live Merzig