Ein neuer Veranstaltungsort in Saarbrücken. Spannend! Hier hat sich nämlich ein Künstlerkollektiv namens „Sektor Heimat e.V.“ niedergelassen, um den Osthafen als Kulturzentrum neu zu beleben. Und wer passt besser als Gast in die freie Kulturszene als Jupiter Jones? Die Band um Nici Müller und Sven Eigner ist momentan als Trio unterwegs. Man hat sich für eine unplugged-Tour entschieden und nahm als Dritte im Bunde die neue Keyboarderin Nina Müller mit. Wie Nici direkt klarstellt: weder verwandt, noch verschwägert.
Sektor Heimat funktioniert momentan vor allem als Techno-Club. Das lässt sich zumindest aus der Deko schließen. Aber es ist auch ein gemütlicher Konzertraum für knapp 300 Zuschauer. Natürlich ausverkauft – und trotzdem genügend Parkplätze im Umfeld zu finden. Jupiter Jones hatte es sich auf der Bühne gemütlich gemacht und mit Stehlampen und schummrigem Licht quasi ein Wohnzimmer aufgebaut.
Den Anfang machte Keyboarderin Nina unter ihrem Künstlernamen WIM. Eine halbe Stunde lang präsentierte sie allein an den Tasten einfühlsamen und ruhigen Deutschpop. Melancholische Melodien am Klavier, mitunter mit elektronischen Klängen ein wenig aufgepeppt. So präsentierte WIM die Songs ihres Debütalbums „Boxer“. Der Titelsong handelt von den schwierigen Zeiten im Moment, vor allem wenn man doch lieber schmusen will statt mit erhobenen Fäusten durchs Leben zu gehen. Nach vielen eingängigen Songs gab es kräftigen Applaus und Nina konnte im Prinzip gleich auf der Bühne bleiben.
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Jupiter Jones starteten nämlich nach kurzer Pause um 20.45 Uhr mit einem Intro, das die Stimmung des Abends gut wiedergab: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und „Das Jahr in dem ich schlief“ gehört schon zu den großen Songs der Band. Tiefgründig und voll Melancholie. So ging es dann auch weiter. „Überall waren Schatten“ sowie „Und dann warten“ haben Texte mit philosophischer Gangart. Manchmal kryptisch – und Nici gibt selbst zu, dass er nicht mehr unbedingt weiß, was er sich damals beim Schreiben gedacht hat.
„Atmen“ ist seiner Tochter gewidmet, doch an diesem Abend bekam die 10jährige Zuschauerin Emily ihre Bühne, die die Karte zum Konzert zum Geburtstag bekam und ihr erstes Konzert besuchte. Schöne Momente, in denen auch die Band sichtlich gerührt war. Nina war eine echte Bereicherung fürs Bandgefüge, da sie neben den Keys auch stimmlich mit dabei war und den Sänger im Duett begleitete. Sehr harmonisch klang das – und Nico konnte sich bei „Nordpol/Südpol“ nicht verkneifen, an den denkwürdigen MTV-Auftritt mit Jana Palaske zu erinnern, als diese den Song zum Desaster werden ließ. Davon konnte in Saarbrücken keine Rede sein.
Nach „Rennen und stolpern“ gefolgt von „Mein viel und dein vielleicht“ gab es mit „Immerfürimmer“ den ersten wirklich schnellen Song des Abends. Passte auch, aber die Stimmung ging einfach Richtung Melancholie. So wurden für „Still“ wieder die Handys gezückt, wobei Nici aber darum bat, ihn nicht zu filmen sondern jemanden anzurufen und per Videocall am Song teilhaben zu lassen. So könne man die Zuschauerzahl verdoppeln. Und viele folgten der schönen Idee, wie man anhand der erstaunten Bildschirmgesichter erkennen konnte.
Nach dem stillen, fast gehauchten „Der Nagel“ und „Versickern versanden“ gab es Unruhe in den hinteren Reihen. Jemand war zusammengeklappt. Nici zeigte sofort seine Empathie und Besorgnis, unterbrach das Konzert, ließ die Lichter einschalten, damit der medizinische Notfall in Ruhe behandelt werden konnte. Dafür gab es dicken Applaus, denn in unserer egoistischen Wegschau-Gesellschaft ist das keineswegs mehr selbstverständlich. „Oh hätt ich dich verloren“ war dann irgendwie auch passend.
Natürlich kein JJ-Konzert ohne verbalen Kamp gegen AFD, Nazis und Faschismus. Klar hat man auf einem solchen Event alle Anwesenden auf seiner Seite. Trotzdem ist es wichtig, die Hymne zu skandieren: „Kopf hoch und Arsch in den Sattel“. Das einzige, was hilft. Als letzten Titel gab es die etwas launische Hommage an diese seltsame Stadt „Berlin“, in der sich der Eifeler Junge nie so richtig wohl fühlt, aber er lebt ja zum Glück in Münster.
Nach 90 Minuten gab es die einzige Zugabe: „Auf das Leben“ ist der gern zum Schluss gespielte, optimistische Aufruf, sich nicht unterkriegen zu lassen. Es war der erste Song von Jupiter Jones – und bleibt bis heute ihr Motto. Nach dem wundervollen Konzertabend entließ der Sektor Heimat uns in die kalte Luft des Kulturhafens Ost. Ein grandioser Gig mal wieder. Jupiter Jones? Immer gerne!
Setlist – Jupiter Jones am 14.1.2024 in Saarbrücken
Leider mussten die beliebten Konzertreihen in der Region Trier in diesem Jahr ausfallen: Porta hoch drei, die Amphitheater Open Airs, die großen Konzerte am Strandbad Losheim am See… leider Fehlanzeige aufgrund der Pandemie. Eine Situation, die potentielle Zuschauer natürlich bedauern, die aber für Veranstalter und alles, was damit zusammenhängt, existenzbedrohend ist. Wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass es kaum große Events in diesem Jahr geben wird. Umso schöner ist es, wenn dann kleine Locations mit Leben gefüllt werden. Der Brunnenhof direkt neben der Porta Nigra in Trier ist eine solche Location. Die Akustik in diesem Innenhof ist phänomenal – das hat das Trierer Theater schon unter Beweis gestellt, als es den Brunnenhof als Ausweichstätte nutzte. Und auch Popp Concerts, die großen Veranstalter aus Trier, nutzen dieses altehrwürdigen Gemäuer jetzt für Konzerte, die Liebhaber gepflegten Indierocks begeistern.
Den Anfang machte am 21. August die Kölner Indiepop-Band Fortuna Ehrenfeld. Frontmann Martin Bechler kam stilecht barfuß im karierten Pyjama und hatte seine Kollegen Jenny Thiele (Keyboard) und Jannis Knüpfer (Schlagzeug) mitgebracht. Personal genug um eine ordentliche Soundkulisse aufzubauen. Und ihnen war die Freude anzusehen, eines der wenigen Konzerte in Corona-Zeiten geben zu können. „Pretty music, pretty people, pretty times“ war dann auch der perfekte Opener, um mit leisen Tönen das Setting zu beschreiben und einen fantastischen Konzertabend zu eröffnen.
Es war ein melancholischer Start mit sphärischen elektronischen Melodien und zweistimmigem Gesang von Martin und Jenny. Wunderschön. Bechler sagte selbst, man wolle erst einmal gemütlich in den Abend rutschen. Doch schon bald ging es in die Vollen und Fortuna Ehrenfeld zeigten, dass sie doch eigentlich da sind, um die altehrwürdige Porta Nigra zu rocken.
Die Musik ist genauso skurril wie das Auftreten des Frontmanns und die verklausulierten Texte. Da finden sich Elemente von New Wave, Punk und nostalgischen NDW-Zeiten. Drei Studioalben hat die Band in den vier Jahren ihres Bestehens bereits veröffentlicht – und die Fangemeinde wächst stetig. Es ist auch stark, was geboten wird: assoziative Texte, Wortspielereien, bildgewaltige Vergleiche. Dabei singt Bechler meist genauso lakonisch, wie er seine Ansagen ins Publikum feuert. Und doch reißt er die Menschen mit und entführt sie in seine eigene Gefühlswelt. Da durfte es schon mal zu „Manamana“ in den Reggae gehen. Oder man entfachte mit elektronischen Mitteln ein wahres Disco Inferno, dass die Porta im Hintergrund wackelte.
Die Zuschauerschar war stark durchmischt und weit entfernt vom „Alternative“ Publikum, das man vielleicht erwartet hätte. Doch er kriegte sie alle – und nach zwei Stunden gab es im Zugabenblock gleich zweimal Standing Ovations. Martin bedankte sich beim Trierer Publikum im Allgemeinen und der nahen Apotheke im Besonderen, die ihn nach einem Wespenstich mit heilender Salbe versorgt hatte.
Zum Schluss wurde es magisch: Bechler ließ alle Lichter ausschalten und die Band stand im Dunkeln auf der Bühne. Es gab den Song „Zwei Himmel“, als Aufforderung zum „Kümmern links und rechts“. Die Trierer hörten andächtig zu und auch nach dem letzten Ton hielt die Stille an. Das ist es, was Livemusik ausmacht und den Funken entzündet, der zwischen Künstlern und ihrem Publikum entsteht. Ein wundervoller Moment.
Dass du am Ende nicht vergisst, Dass jeder Stern zwei Himmel ist. Und einer davon führt dich sicher nach Haus. Dass du am Ende nicht vergisst, Dass alles das ist, was es ist. Wir kommen da schon irgendwie heil wieder raus.
Am nächsten Abend, 22. August, übernahm Lokalmatador Nicholas Müller mit seinem Programm „Zum Sterben Zuviel – Ein Abend mit dem Tod & Nicholas Müller“. Ein klares Heimspiel, denn immerhin stammt der Sänger und Autor aus Daleiden in der Eifel, auch wenn er inzwischen im Münsterland lebt.
Der ehemalige Sänger von Jupiter Jones und später der Band von Brücken ist zudem Autor des Spiegel-Bestsellers „Ich bin mal eben wieder tot“ (2017), in dem er seine Angststörung verarbeitet. Sein aktuelles Programm ist eine Art Revue oder auch Konzeptkonzert, in dem das Multitalent das tut, was er wirklich gut kann: Musik machen mit Freunden, Gedanken teilen, mit Humor, zu einem unterschätzten, aber großen Thema.
Ein vom Band eingespieltes „Kumm, großer schwoazer Vogel“ des großartigen Liedermachers Ludwig Hirsch läutete den Abend ein. Wie eine Beschwörung von Tod und Trauer – aber auf freundschaftliche Art. Das war der rote Faden, der sich durch den ganzen Abend zog.
Nicholas hatte sich einiges einfallen lassen, um dem Thema Raum zu geben. Er sang Lieblingssongs anderer Künstler, die sich dem schwierigen Thema auf ihre ganz eigene Art widmeten, und natürlich selbst geschriebene Stücke von Jupiter Jones und Von Brücken. Dabei wurde klar, dass die Thematik ihn schon seine ganze Karriere lang begleitet – nicht erst seit dem Tod der Mutter, den er in seinem bekanntesten Song „Still“ verarbeitet.
Musikalisch gab es oft Nicholas pur – allein an der Gitarre. Doch er hatte auch eine formidable Liveband mitgebracht, das „Neon Orchester“, das eine fantastische Soundkulisse aufbauen und seine Rocksongs bis in die Trierer Fußgängerzone verbreiten konnte, was die Schar der Schaulustigen hinter den geschlossenen Toren des Brunnenhofs immer wieder bewies.
Es gab wundervolle alte Songs, beispielsweise von Juliane Werding: „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Da sang der komplette Brunnenhof mit. Oder Death Cab for Cutie mit „I Follow You into the Dark“. Das hatte nicht jeder auf dem Schirm und es erzeugte eine nachdenkliche Stimmung. Von Dave Matthews wurde ein energisches „Grave Digger“ zum Besten gegeben, Galexico waren mit „Dead man’s will“ vertreten und Frank Turners „Long Live the Queen“ erzeugte eine sehr berührende Stimmung.
You’ll live to dance another day
It’s just now you’ll have to dance for the two of us So stop looking so damn depressed And sing with all your heart that the Queen is dead
Ganz groß wurde es aber mit den Stücken aus Nicholas‘ Feder, zu denen er eine Geschichte erzählen konnte. Überhaupt war es schön, ihn wieder mit Songs von Jupiter Jones zu hören, was er zu den Zeiten des Projekts Von Brücken vermieden hatte. So gab es den Klassiker „Jupp“ („Jupp nimmt seine Schatten mit auf dem Weg zum letzten Schritt“) und natürlich „Still“, das Nicholas allein an der Gitarre vortrug und bei dem manch einer einige Tränchen verdrücken musste.
Aus dem Von Brücken Repertoire bot Nicholas „Immerhin (für die Trauer)“ und das mystische Stück „Die Parade“, das tröstliche Worte für den eigenen Tod findet:
Und werd‘ ich zu alt, um noch jung zu sein Dann bin ich zufrieden Da unten wird’s schon nicht so dunkel, nein Da unten ist Süden Und die Parade hält nicht an Ich hab genug dafür getan
Überhaupt waren die Annäherungen an das Ende (Spoiler: „Wir alle werden sterben“) keineswegs von Trauer und Angst gezeichnet. Mit seinem Charisma und der humorvollen Art fand Nicholas ein ums andere Mal die richtigen Worte. Er las nicht aus seinem Bestseller vor, sondern seine Idee ist es, für jeden Abend einen neuen Text zu verfassen. Vielleicht wird ja irgendwann ein thematischer Sammelband daraus. Im Brunnenhof ging es unter anderem um „letzte Worte“. Da durfte auch das Zitat von Oscar Wilde nicht fehlen, das Jupiter Jones im Jahr 2007 den wohl ungewöhnlichsten Albumtitel einer deutschsprachigen Band beschert hatte: „Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich“.
Neben dieser Lesung gehört zum Konzept auch eine Talkrunde, für die sich Nicholas bei jeder Show neue Gäste einlädt. Heute war zum einen Jan Kretzer zu Gast, mit dem er vor vielen Jahren das Duo Heisterkamp gebildet und ein Album namens „Schweren Herzens Popmusik“ auf den Markt gebracht hat. Zum anderen Dr. Jochen Veit, Nicholas‘ Arzt aus dem Münsterland. In Form einer illustren Talkshow sprachen die drei über den Tod, die Angst davor und den eigenen Umgang damit. Die Zuschauer erfuhren nichts weltbewegend Neues, aber es war ein Beispiel dafür, wie das Reden über den Tod (was häufig immer noch ein Tabuthema ist) die Menschen aufwühlt. Ein Ziel von Nicholas war es sicher auch, dieses Tabu aufzubrechen – und das gelang ihm an diesem Abend mit unterschiedlichen Mitteln.
Um die Sache rund zu machen, gab es zwei Solosongs von Jan Kretzer, während denen der vielbeschäftige Nicholas einmal durchatmen konnte, und danach von beiden zusammen den Heisterkamp Titel „Kein trauriges Lied“.
Nicholas Müller hatte alles gegeben an diesem Abend. Es war umwerfend, wie er diesen Konzeptabend zum vielleicht schwierigsten Thema der Welt konzipiert hat. Alles wirkte durchdacht und strukturiert. Und das Publikum hing an seinen Lippen – egal ob er sang oder erzählte. Nach zwei Stunden gab es eine einzige Zugabe. Er entließ uns mit dem Jupiter Jones Song „Auf das Leben“ in die Nacht. Es war der erste Song, den er mit der Band geschrieben hatte. Der Text war damals schon prophetisch für die Karriere dieses einzigartigen Musikers und an einem Abend wie diesem war er wichtiger denn je:
Und trotzdem bleibt es immer gleich, Ich schlage auf und stell mir vor, Was wäre wenn’s noch schlimmer wird, Den immer gleichen Satz I’m Ohr: Dass Atmen sich wohl trotzdem lohnt, Das Schicksal niemals wen verschont, Die Straße ist nicht immer eben Und grad‘ deswegen: Auf das Leben!
Am 11. September wird übrigens Multiinstrumentalist Tristan Brusch die Open Air Reihe von Popp Concerts beenden und seine aktuelle EP „Operationen am faulen Zahn der Zeit“ vorstellen. Tickets gibt es exklusiv bei www.ticket-regional.de
Sind wir doch mal ehrlich: Ängste und Sorgen haben wir alle. Die einen mehr und die anderen halt weniger. „Angststörungen und Panikattacken, das ist nichts für dich. Selbst schuld, wenn man sich so verrückt machen lässt. Du als „logisch denkender“ Mensch, du bekommst so was nicht“, dachte ich.
Bis mich eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit eine heftige Panikattacke aus dem Nichts überkam. Ich fühlte mich, als würde mir etwas den Brustkorb zuschnüren, ich schwitzte, hatte tausend Ameisen in den Adern und hatte das Gefühl mein Herz würde jeden Moment explodieren. Was war das? Woher kommt das? Reiß dich zusammen! Tausend Gedanken schießen einem durch den Kopf. Der Moment zieht sich in die Unendlichkeit und man hat einfach nur Angst. Doch man funktioniert. Man merkt zwar, dass man irgendwie „kaputt“ ist, aber man funktioniert trotzdem. Bloß nichts anmerken lassen. Einfach weiter machen…
„Die Panik stinkt wie ein nasser Hund (….) und dann beißt sie zu, die Töle, mitten in den Hals!“ Eine Beschreibung, die Nicholas Müller nicht passender hätte treffen können. In seinem Buch „Ich bin dann eben mal wieder tot“ beschreibt er seine Erfahrungen mit der Angst, und wie er gelernt hat, mit ihr umzugehen.
Als es dunkel wird und Nicholas mit den ersten Klängen seiner Gitarre die Lesung eröffnet, wird es ganz still im ausverkauften Kasion am Kornmarkt in Trier. Das Lied ist nachdenklich und ist eine perfekte Einleitung zur Thematik. „10 Millionen Menschen leben mit der Angst als Krankheit. Es wird viel zu selten darüber gesprochen.“, sagt Nicholas. Wie recht er hat, denke ich. Als er vorwarnt, dass der Inhalt des heutigen Abends recht “deftig” wird, sowohl von der Wortwahl – er kommt aus der Eifel, da ist das eben so – als auch von der Thematik, muss ich erst mal schlucken.
Was folgte, war definitiv „deftig“. Wie kommt es zu so einer Angststörung? Der Musiker berichtete vom Anfang: seinem Leben in Daleiden in der Eifel, “dem Niemandsland”, das aber auch ganz sicher schöne Ecken hat – und von seiner Kindheit dort. Er hörte Grunge, erfuhr den ersten Herzschmerz, begann irgendwann eine Ausbildung zum Erzieher. Ein ganz normales Aufwachsen halt, bis die Nachricht über die Krebserkrankung seiner Mutter und kurzer Zeit später seiner Großmutter ihm die Füße wegzieht. Hier beginnt sein Leidensweg – „Die Sache“, wie er es bezeichnet. Der Kampf zwischen Hoffnung und Gewissheit und das entlanghangeln von Tag zu Tag. „Bitte nicht heute“ wurde zu seinem Mantra in dieser Zeit. Obwohl Nicholas es mit seiner direkten Art zwischendurch schafft, das Publikum zum Lachen zu bringen merkt man, dass es ihm schwerfällt, darüber zu sprechen. Und auch ich muss ein paar Mal heftig mit mir kämpfen, da ich mich an ähnliche Szenen aus meinem Leben erinnert fühle und genau weiß, wie sich sowas anfühlt.
Seine erste heftige Panikattacke erlitt Nicholas bei der Beerdigung seiner Mutter. „Sie haben mich ins Krankenhaus gebracht und durchgecheckt. Nach endlosen Untersuchungen kam die Diagnose: generalisierte Angststörung mit starken Panikattacken, Hypochondrie und depressive Episoden“. Zehn Jahre lebte er mit starken Ängsten und Panikattacken, bis gar nichts mehr ging und er anfing gegen seine Angst zu kämpfen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Menschen, die nicht unter Angststörungen leiden, nur schwer verstehen können, was in dem Moment einer solchen Attacke in einem vorgeht. Ich kann nur sagen, dass Nicholas es geschafft hat, das Gefühl Angst bzw. Panik sehr gut in Worte zu fassen. Diesen Kampf zwischen „Du musst weitermachen“ und „Du stirbst jetzt“ zu beschreiben, den Sturm von körperlichen Reaktionen und Gedanken zu erfassen. Mehr als einmal saß ich dort mit einem Kloß im Hals. Endlich mal jemand der es für andere verständlich macht. Mit seinem sympathischen Ton und seiner direkten, unverblümten Art erreichte er schnell das Publikum, fasziniert die Besucher und bring ein so schweres Thema auf den Punkt.
Unterstützt wurde er dabei von seiner Familie, die an diesem Abend im Publikum saß, und seinem Bandkollegen Tobias Schmitz, der es sich nicht nehmen ließ, Nicholas bei der Lesung musikalisch zu unterstützen.
„Ich habe das Buch nicht geschrieben um Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.“, sagt Nicholas. „Ich möchte den Betroffenen Mut machen: Ihr seid nicht alleine.“
Als ich unter meinen Panikattacken litt, wusste ich nicht, wo ich mich hinwenden kann. Zumal man seine Ängste ja nicht gerne vor Anderen eingesteht. Deshalb weiß ich: Angst braucht Öffentlichkeitsarbeit und so möchte ich den von Nicholas erwähnten Verein noch anhängen, der Selbsthilfegruppen für Angstpatienten organisiert: https://www.angstselbsthilfe.de/
Nicholas Müller ist ein wundervoller, oft sehr redseliger Mensch. So verwundert es nicht, dass er seine Autobiographie „Ich bin mal eben wieder tot: Wie ich lernte, mit der Angst zu leben“ höchstselbst eingelesen hat. 7 CDs, jede im eigenen Pappschuber und gesammelt in einer schönen Hochglanzbox. Die Geschichte aus seinem Mund zu hören, ist ein Genuss. Emotionale Achterbahnfahrt inklusive.
Nicholas Müller war Sänger der Band Jupiter Jones. Sein Song „Still“ ist in die deutsche Musikgeschichte eingegangen. Dann aber – auf dem Höhepunkt der Karriere – musste er im Jahr 2014 aufgrund einer Angststörung bei der Band aussteigen und sich eine längere Genesungsphase gönnen. Inzwischen ist er wieder musikalisch aktiv, allerdings im kleineren Rahmen mit der Band Von Brücken.
Die Angststörung ist eine der psychischen Krankheiten, die oft noch belächelt wird. Die man mit „stell dich nicht so an“ und „reiß dich zusammen“ abtut, was auch mit der Depression oft geschieht. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass eine solche Erkrankung nicht steuerbar ist. Dass man ärztliche und therapeutische Hilfe braucht. Dass sie einen bis zur Bewegungslosigkeit lähmen kann.
Nicholas ist von Beginn an sehr offensiv mit seiner Geschichte und dem Krankheitsbild umgegangen. Schon zur Jahreswende 2015/16 gab er in Talkshows und Interviews sehr persönliche Einblicke in die Thematik und war gerne bereit, in sein Innerstes blicken zu lassen. Auch im Gespräch mit MHQ, das ihr HIER nachlesen könnt.
Die autobiographische Erzählung springt manchmal in der Chronologie, hat aber einen roten Faden, was die ersten Anzeichen der Erkrankung, den Verlauf und die Auswirkungen angeht. Nicholas erzählt von der engen Verbundenheit zu seiner Familie, von der Zeit, in der er einige im nahe stehende Menschen, darunter die Mutter, verlor und was das in ihm auslöste. In einem Moment lustige Anekdoten aus dem Dorfleben, dann wieder tiefe Verzweiflung. Und das Credo, dass es irgendwie weitergehen muss. Schließlich hängt ein Rattenschwanz an Abhängigkeiten hinter der Band Jupiter Jones und man kann nicht alle im Stich lassen.
Es gelingt Nicholas gut, diese emotionale Reise im inneren Monolog zu beschreiben. Die Annäherung an die Angst als solche bleibt dabei absolut subjektiv. Logisch – es soll ja auch kein psychiatrisches Sachbuch sein. Stattdessen kann der geneigte Leser nachvollziehen, was im Kopf des Protagonisten vorging und vorgeht. Er versucht eine wirklichkeitsnahe Beschreibung der Vorgänge und das gelingt ihm auch in den meisten Fällen. Wo Dinge unerklärbar bleiben, wird das auch ehrlich ausgesprochen.
Nicholas kann seinen Lesern Mut machen. Auch dann, wenn sie selbst in einer scheinbar ausweglosen Situation stecken. Er zeigt auf, wie er mit der Angst umgegangen ist, wie Menschen in seinem Umfeld ihn gestärkt und ihm geholfen haben. Und mit der Rückkehr zur Musik und der neuen Band Von Brücken hat die Geschichte auch ein Happy End.
Das Buch ist bestens geeignet für Fans guter Musik, für alle, die mehr über Jupiter Jones, Von Brücken und die Person Nicholas Müller wissen wollen. Aber auch für alle, die Angst als psychische Erkrankung verstehen wollen, selbst darunter leiden oder jemanden kennen, der eine Angststörung oder Depressionen hat. Das mir vorliegende Hörbuch ist spannend anzuhören und gibt häufig eine Gänsehaut mit. Großartig!
Von Brücken ist die neue Band des ehemaligen Jupiter Jones Frontmanns Nicholas Müller. Dieser musste 2014 aufgrund einer Angststörung bei Jupiter Jones aussteigen und sich eine längere Genesungsphase gönnen. Zum Glück währte die Bühnenabstinenz nicht lange. Gemeinsam mit dem langjährigen Mitstreiter Tobias Schmitz konnte Nicholas schon 2015 ein neues Projekt ins Leben rufen: Von Brücken. Das erste Album erschien am 30. Oktober und wurde vom Kollegen Thomas Kröll reviewt. Hier findet ihr unsere Review zum Album „Weit weg von fertig“. Gut einen Monat später trat die Band in großer Besetzung in der Kölner Kulturkirche auf. Ein Konzert, das vom WDR Rockpalast übertragen wurde – also ein Ritterschlag ganz besonderer Art für eine neu gegründete Band. Hier findet ihr unseren Konzertbericht „Wenn Musik die Seele berührt“.
Jetzt sind Von Brücken auf großer Deutschland-Tour und machten vergangenen Dienstag auch Station in der Garage Saarbrücken. Nicholas Müller und Tobias Schmitz nahmen sich 40 gemütliche Minuten Zeit für unseren Redakteur Andreas Weist. Wir konnten sie also mit allen Fragen löchern, die uns auf dem Herzen lagen. In entspannter Atmosphäre gab es zwei Stunden vor Konzertbeginn den berühmten Rundumschlag und die beiden sympathischen Künstler standen uns Rede und Antwort. Die erste Frage nach dem Bandnamen haben die beiden anscheinend schon so oft gehört, dass es ein Schnick-Schnack-Schnuck gab, wer denn jetzt antworten darf oder muss. Sei’s drum – wir wollen die Antwort trotzdem wissen.
Wie kamt ihr auf den Bandnamen Von Brücken und was bedeutet er für euch?
Tobias: Die Bandnamenfindung war ein ziemlich langer Prozess. Die Platte war schon fertig, es gab einen Albumtitel, aber keinen Bandnamen. Nach einigen Fehlversuchen wie „Müller & Schmitz“ haben wir uns erst einmal entschieden ein Bild zu suchen für das, was wir tun. Das ist „Brücken“, weil Brücken bauen eine schöne Sache ist. Es verbindet Dinge miteinander, Menschen, unsere Musik – eine Verbindung aus verschiedensten Sachen. Das alleine als Bandname war uns nicht griffig genug, dann hat Nicholas noch „Von Brücken“ daraus gemacht. Das gefiel uns direkt sehr gut. Es gibt so viele Bands mit „The“, wir fangen jetzt die „Von“-Bands an. Hat so was Adliges.
Ihr wart zu Beginn ein Projekt aus zwei Leuten – Nicholas Müller und Tobias Schmitz. Nun steht ihr zu acht auf der Bühne. Seht ihr euch als Einheit?
Nicholas: Total. Tatsächlich ist es so, dass wir mit den Leuten, die auf der Bühne stehen, die Platte aufgenommen haben. Also auch wenn Tobi der Songwriter ist und wir beiden die Entscheider sind, haben alle unheimlich viel Einfluss gehabt. Wir sehen uns als Kollektiv. Alle bis auf Roda und Carsten sind reine Berufsmusiker und in vielen vielen Projekten aktiv. Man merkt aber auch, wie viel Liebe sie in Von Brücken investieren und dementsprechend gibt es ein totales Bandgefühl. Wir beide sind die GbR, um es in der Wirtschaftsform auszudrücken. Wir entscheiden, aber jeder darf, soll und muss seinen Senf dazu geben. Sonst klingt das nicht so, wie es jetzt klingt.
Du bist bei Jupiter Jones wegen einer Angststörung ausgestiegen. Was hat dich dazu bewegt, Von Brücken zu gründen? War das Bedürfnis, Musik zu machen, letztendlich doch größer als die Angst, auf der Bühne zu stehen?
Nicholas: Das Bedürfnis, Musik zu machen, war immer riesig. Das Problem ist, wenn die Angst anfängt, dir im Weg zu stehen. Und das war halt bei Jupiter Jones der Fall. Ich habe während der Jupiter Jones Zeit zwei Aufenthalte in einer ganz tollen Klinik verbracht. Das waren insgesamt zehn Wochen und nach jedem Aufenthalt ging es mir besser. Ich bin dann auch immer gleich wieder auf die Bühne gegangen. Aber nach dem finalen Zusammenbruch war klar, dass ich mir Zeit nehmen muss, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Musik war nie das Problem – und auch Jupiter Jones war nie wirklich das Problem. Es war einfach der Mangel an Zeit. Und deshalb sagte ich: Von hier an auf unbestimmte Zeit Pause. Irgendwas muss ich mir einfallen lassen. Wir werden sehen, ob es wieder Musik ist. Dann hat sich schon relativ bald heraus gestellt, dass es Musik sein soll. Aber bis es los ging, ist tatsächlich ein Jahr vergangen. Zurück zu Jupiter Jones war aber keine Option.
Wie hat die Band auf deinen Ausstieg reagiert?
Nicholas: Ich brauchte Zeit. Ich kann nicht zu drei vier anderen Leuten sagen: Beschäftigt euch derweil still. Sucht euch ein anderes Hobby. Ich bin auf unbestimmte Zeit weg und dann machen wir weiter. Vor allen Dingen hat es manchmal einen seelenreinigenden Effekt, wenn man einen Schlussstrich zieht. Wir waren alle durch. Und das lag an der Tatsache meiner Erkrankung, weil ich nicht so konnte wie ich wollte. Und deshalb konnten auch alle anderen nicht so, wie sie wollten. Da reibt man sich so aneinander auf, dass es gar nicht schlecht ist, einen Strich drunter zu ziehen. Ihr macht weiter, ich schaue mal, was passiert. Und dann ist Von Brücken passiert.
Von Brücken ist eine neue Band. Auf den ersten Blick wissen die Leute vielleicht nicht, wer da singt. Macht das nervös?
Nicholas: Eigentlich nicht. Vielmehr ist es so, dass viele Leute auf der Facebook-Seite schreiben: Ach wie schön, da bist du ja wieder. Und das Album ist schon seit vier Monaten raus. Wir haben unsere dritte Single heraus gebracht. Es wurde lange im Voraus angekündigt, aber viele kommen jetzt erst auf den Trichter und haben es erst gecheckt, als es im Radio lief. Wir erheben ja keine Umfragen: Wer ist denn hier auch Jupiter Jones Fan? Ist aber am Ende auch völlig schnurz, solange wir als Von Brücken wahr genommen werden und nicht als die neue Band vom alten Jupiter Jones Frontmann. Für immer und ewig. Natürlich hat es uns gut getan und wir haben Aufmerksamkeit dadurch gewonnen. Fakt ist aber, dass Tobi und ich Musik machen und deswegen soll der Fokus gar nicht so sehr auf mir liegen. Das ist eine völlig gleichberechtigte Angelegenheit.
Geht ihr bewusst in eine ganz andere musikalische Richtung?
Nicholas: Das ist immer so eine Sache mit den Vergleichen. Kürzlich habe ich etwas gelesen, da hat jemand BAP mit Stoppok verglichen. Das ist völliger Unsinn. Und den Vergleich macht man nur, weil beide deutschsprachig singen. So etwas passiert immer nur dann, wenn man deutschsprachige Musik macht. Ich bin immer mit Marcus Wiebusch von Kettcar verglichen worden, den ich sehr verehre. Aber ich schreibe weder Texte wie er, noch singe ich wie er. Wir haben total unterschiedliche Stile, aber wir machen beide deutschsprachig, also werden wir miteinander verglichen.
Viele haben ohnehin eine falsche Vorstellung von Jupiter Jones, da sie nur „Still“ kennen.
Nicholas: Das hat man oft auf den Jupiter Jones Konzerten gemerkt. Viele haben seltsam geschaut, weil es plötzlich gescheppert hat. Dabei ist ja auch „Still“ kein wirklich poppiger Song.
Tobias: Es hat auch noch keiner auf den Konzerten nach „Still“ gerufen oder später geschrieben: Ach, hättet ihr das noch gespielt. Eigentlich verwunderlich. Ich habe vorher damit gerechnet, dass zumindest irgendwer damit um die Ecke kommt.
Als ich euer Rockpalast Konzert im TV gesehen habe, musste ich an Gregor Meyle denken. Einmal, weil ihr als Bühnenkollektiv in eine ähnliche Richtung geht. Aber musikalisch geht er den umgekehrten Weg: Spielt jetzt plötzlich vor Tausenden Leuten und versucht doch, das heimelige Wesen seiner Clubkonzerte beizubehalten. Könnt ihr das nachempfinden?
Nicholas: Also das Bedürfnis auf jeden Fall, seine Komfortzone mit auf die Bühne zu nehmen. Gregor macht ja schon seit anno tubac Musik. Vielleicht ist es einfach eine Gewohnheitsfrage. Auch bei uns wird es beides geben. Die Garage ist als Club schon sehr gut besucht. Da beschweren wir uns gar nicht. Aber es kommen im Sommer auch einige große Festivals.
Tobias: Bei der vorhandenen Bühnengröße mit acht Musikern um die Ecke zu kommen. ist ja schon groß gedacht. Bei Konzerten spielt es eine große Rolle, dass man versucht, Distanz zu den Leuten abzubauen. In den Texten ist so viel Tiefgründies vorhanden, dass man nicht noch während der Ansagen einen auf Philosoph machen muss.
Nicholas: Man muss den Menschen auch nicht immer die Welt erklären. Die sich drum scheren, die suchen schon selber nach einer Antwort. Das hat jetzt nichts mit Gregor zu tun. Er ist ein sehr geschätzter Kollege. Ich finde uns musikalisch aber ähnlicher mit Arcade Fire oder Elbow. Vermutlich ist das eine sehr subjektive Wahrnehmung, weil das die Dinge sind, an denen wir uns entlang hangeln.
Tobias: Was wir gemeinsam haben: Gregor hat Topmusiker auf der Bühne, von denen ich auch einige kenne. Wir versuchen beide, mit einer guten Band live zu überzeugen.
Fallen dir die Konzerte jetzt leichter mit dem neuen Konzept, wieder in kleineren Clubs? Und ohne den Druck einer erfolgreichen Single im Rücken?
Nicholas: Ach das war ja eigentlich gar kein Druck. Als es so kam, war es eher ein Segen. Wir hatten schon lange Musik gemacht und waren eigentlich an dem Punkt, an dem wir sagen muss: Entweder jetzt klappt’s oder wir müssen die ganze Sache kleiner fahren. Vielleicht sogar ganz sein lassen. Deshalb nehme ich „Still“ als unheimlichen Segen wahr. Was jetzt an Druck weg ist, habe ich mir selbst erarbeitet. Ich mache mir nicht mehr so viel Druck, dieser Frontmann zu sein. Ich gehe auf die Bühne und mache das, von dem ich weiß, dass ich’s kann. Singen – und ab und zu eine Ansage machen. Was darüber hinaus geht, lasse ich einfach weg. Ich habe aufgehört, zu Animieren. Dafür bin ich nicht der Typ. Sven, der neue Frontmann von Jupiter Jones, macht das super. Er ist aber auch eine Rampensau. Er ist dafür geboren.
Hast du schon eine Show mit ihm gesehen?
Nicholas: Nein, es kam einfach noch nicht dazu. Daher weiß ich auch nicht, ob er zwischendrin Geschichten erzählt. Das ist eher meine Art. Ich bin nicht der Typ für die große Geste. Ich singe, unterhalte mich mit den Leuten, mache Quatsch mit der Band und dann wieder Musik. Mein Körper ist nicht gebaut zum Tanzen. Du kannst auch nicht einen Bagger über eine Reihe Luftballons fahren lassen, ohne dass einer platzt. Der dicke Junge versucht zu tanzen und plötzlich sind die Fotografen im Graben ohnmächtig.
Hat sich das Publikum verändert?
Tobias: Zumindest im Vergleich dazu, wie es zuletzt bei Jupiter Jones war. Überwiegend kommen jetzt ältere Leute. Also es sind keine Teenager mehr dabei. Und es ist bisher ein sehr wohlwollendes Publikum. Wir haben ja erst zehn Konzerte gespielt. Die wissen, dass man auch mal zuhören kann und ein Konzert sich nicht dadurch auszeichnet, wie oft man die Hände in der Luft hat.
Nicholas: Es hat sich eine Kultur entwickelt, bei der die Menschen total überanimiert werden. Es gibt Bands, da bin ich echt überfordert, wenn ich mir das anschaue. Ich bin der festen Überzeugung, dass man das nicht tun muss. Wir haben nicht eine Stelle im Set, wo jemand ruft: Jetzt müssen alle mal klatschen. Es reicht die kleinste Bewegung, um die Leute zum Klatschen zu bringen. So konditioniert sind manche Konzertgänger. Es gibt da einen Song mit einem Klatschpart. Da mache ich eine kleine Bewegung mit dem Daumen auf der Gitarre und die Leute machen alle mit. Das Zuhören ist etwas verloren gegangen. Bei uns wird aber wenig getanzt und viel zugehört. Es ist unheimlich still zwischen den Songs – und das finde ich total geil.
Tobias: Wir sind alle so Fans von uns gegenseitig. Du genießt das Konzert und denkst: Ist schon echt geil. *lacht*
Was dürfen wir vom Konzert erwarten? Nur eigene Songs? Cover?
Tobias: Also grundsätzlich sind wir eine Band, die eigene Songs spielt. Aber auch ein paar Coverversionen. Wir wollen der Welt vorspielen, was wir toll finden und wo unsere Gedankenwelt so her kommt. Aber das wird in Zukunft nicht erweitert werden. Im Gegenteil. Im Moment ist das der Tatsache geschuldet, dass wir erst ein Album haben.
Und die Idee, mal einen Song von Jupiter Jones zu spielen, habt ihr nicht?
Nicholas: Es gibt ja Jupiter Jones noch. Wir müssen keinen Tribute machen für eine Band, die es noch gibt. Wer Jupiter Jones Songs hören will, der soll zu einem Jupiter Jones Konzert gehen. Wer Von Brücken Songs hören will, der kommt zu uns. Ich habe meine Songs in Frieden abgegeben und dem Sven in gute Hände gegeben. Das soll jetzt nicht negativ klingen, aber wir haben es auch gar nicht nötig. Wir haben selber genug gute Musik. Wir werden heute Abend mit 2,5 Stunden von der Bühne gehen. Wir haben ja auch Pläne für die Zukunft und wollen in zehn Jahren noch Musik machen. Wenn wir jetzt schon anfangen, Cover meiner alten Band zu spielen, dann wäre das ein Zugeständnis: Irgendwie sind wir nicht so ganz da.
Tobias: Man muss mit Anfang 30 noch kein Erbe verwalten. Das braucht kein Mensch. Wir können ganz lange noch neue Sachen schreiben.
Dass der erste richtige Auftritt einer Band vom Rockpalast übertragen wird, ist auch nicht alltäglich. Wie kam es dazu?
Tobias: Wir haben einen sehr guten Manager. Das erste Konzert beim Rockpalast. Da haben wir uns weit aus dem Fenster gelehnt. Aber wir waren uns alle einig. Wenn wir Angst gehabt hätten, dass es völlig in die Hose geht, hätten wir es nicht gemacht.
Nicholas: Peter Sommer und sein Team vom Rockpalast. Die haben natürlich auch zu kämpfen. Aber eigentlich machen die nur, worauf sie auch wirklich Bock haben. Und so war es schon ein ziemlicher Ritterschlag. Mit Ü-Wagen, so vielen Kameras. Mir ist schon dezent schlecht geworden. Man hätte es nur noch durch eine Liveübertragung toppen können. Dann wäre ich wohl schreiend weg gelaufen. Aber es war wunderschön. Eine sehr große Ehre.
Tobias: In Wien ist es nicht so gut gelaufen. Wir haben zu wenig Karten verkauft und müssten jetzt eigentlich absagen. Aber wir fahren trotzdem hin. Ausnahmsweise nur zu zweit. Und geben ein Konzert in Duo-Besetzung. Das soll aber nicht die Regel werden. Es hat rein finanzielle Gründe.
Nicholas: Es ist eine Frage des Respekts. Die Leute haben Karten gekauft und wollen uns sehen. Also fahren wir hin. Aber wir sagen: Gebt eure Karten zurück. Das Konzert ist kostenlos. Bringt eure Freunde mit und lasst uns einen schönen Abend verbringen. Und dann war es überraschend, dass du echt gelobt wirst, weil du die Wahrheit sprichst. Wir hätten ja auch sagen können, der Keyboarder hat sich ein Bein gebrochen oder so was.
Tobias: Für uns ist es das Normalste der Welt, die Wahrheit zu sagen. Solche Reaktionen zeigen aber auch, dass die Leute das Gefühl haben, oft genug beschissen zu werden.
Ich habe dein Buch „Kühe schubsen“ gelesen, Nicholas. Vermisst du die Eifel?
Nicholas: Die Eifel als solche vermisse ich nicht. Aber ich hatte eine tolle Jugend. Meine Familie väterlicherseits wohnt noch dort. Tobi wohnt dort. Ich habe viele Freunde in der Eifel. Alle Sachen, die man zum ersten Mal macht, habe ich in der Eifel gemacht. Ich verbinde da unheimlich viel mit. Ich möchte nicht mehr dort leben, aber das ist eine total subjektive Entscheidung. Mir mangelt es an Sachen, die ich gerne hätte, aber in der Eifel nicht finde. Das ist keine menschliche Frage, sondern eine Ressourcenfrage. Es könnte viel mehr Kultur dort laufen. Da gibt es so unendlich viel Platz, Zeit und Talent. Die Leute hängen am Wochenende auf den immer gleichen Veranstaltungen rum. Wer etwas macht, macht das mit Inbrunst, Herz und Liebe, aber mit einer ganz kleinen Basis. Alles, was ambitioniert ist, ist nach zwei Jahren wieder weg. Das finde ich schade.
Wie ist das eigentlich für dich, Tobias? Du standest so lange als Mann im Hintergrund. Jetzt spielst du deine eigenen Songs und bist tragendes Element der Band. Wie fühlst du dich jetzt, wo die Leute kommen, um deine Musik zu hören?
Tobias: Das ist genau das, wo ich schon lange hin wollte. Mir fehlte, bei allem was ich gemacht habe, das musikalische Zuhause. Das ist jetzt mein Ding. Erfolg hin oder her. Es ist schön, etwas zu haben, das meine Handschrift trägt. Und es ist schön, die Reaktionen darauf zu bekommen.
Vielen Dank, dass ihr euch so viel Zeit genommen habt. Wir freuen uns sehr auf das Konzert.
Ein herzliches Dankeschön geht an Melina von Sparta Booking und an den Tourmanager Böde. Alle Fotos stammen von Simon Engelbert.