Am Donnerstag gab es in der Kölner Live Music Hall eines der wenigen Deutschlandkonzerte von Passenger, natürlich ausverkauft. Im Vorfeld durfte unser Redakteur Andreas Weist den sympathischen Künstler zu einem Interview treffen, das in den mit hübscher Nostalgie-Tapete ausgestatteten Backstageräumen der Halle stattfand.
Hallo. Ich bin Andreas von MusicHeadQuarter, einem Onlinemagazin mit Sitz hier in Köln. Dein wirklicher Name ist Mike Rosenberg. Darf ich dich Mike nennen oder willst du Passenger genannt werden?
Mike: Mike ist absolut okay.
Das letzte Konzert, das ich von dir gesehen habe, war 2017. Ein Open Air in Luxemburg. Damals hast du von einer längeren Pause gesprochen. Jetzt – ein Jahr später – gibt es zwei neue Alben und eine große Welttournee. Bist du schlecht darin, Urlaub zu machen?
Mike: Ja, das ist echt schwer. Ich arbeite schon so lange auf diese Weise und es ist echt schwierig, damit aufzuhören. Ich war neun oder zehn Monate nicht auf Tour. Für mich ist das schon eine sehr lange Pause. Für andere ist das ganz normal, aber für mich nicht. Es liegt daran, dass ich so viele neue Sachen schreibe und diese dann mit jedem teilen will. Es ist ein Kreis, den ich nur schwer durchbrechen kann.
Oft hast du ja ein Album mit großer Promotion, wie das aktuelle „Runaway“ Album, dazwischen aber öfter mal kleinere Releases wie „The Boy Who Cried Wolf“. Steckt da ein System dahinter?
Mike: Ja. Das liegt daran, dass ich oft zwei Arten von Songs schreibe: Das poppige, radiofreundliche Material, zum Beispiel „Hell Or High Water“ und „Survivor“ – solche Art von Songs. Dann gibt es aber auch diese Seite von kleinen Folksongs, die nicht so für die breite Masse sind. Ich mag es, große Alben zu schreiben wie „Runaway“ und „Young As The Morning Old As The Sea“. Wir können mit den großen Labels arbeiten eine große Kampagne machen mit Radio und allem Drum und Dran. Und dann gibt es eine Zeit für die kleinen Songs. „The Boy Who Cried Wolf“ ist voller Songs, die ich wirklich liebe, die aber nicht auf die großen Alben passten. Es ist Platz für beide Arten von Songs, ich muss einfach nur entscheiden, welche ich auf welche Art von Album bringe.
Das neue Album heißt „Runaway“. Läufst du vor etwas weg?
Mike: Oh ja – das habe ich viele Jahre lang getan. Gerade der Song „Runaway“ spricht davon, dass ich aufhören muss zu laufen. Ich habe eine Freundin, zwei Katzen, ein schönes Haus. Zum ersten Mal vermisse ich mein Zuhause, wenn ich auf Tour bin und durch die Welt reise. Vorher habe ich das eine lange Zeit nicht vermisst. Es war einfach nichts da, was ich vermissen musste. Es ist also das genaue Gegenteil: Das Album handelt davon, dass man ruhiger wird und dass schätzt, was man hat.
Das Cover zeigt dich auch eher in einer Position, die suchend wirkt. Nicht als ob du wegläufst. Hast du neue Ziele im Blick? Oder bist du glücklich mit deiner Karriere?
Mike: Ich bin sehr glücklich. Ich hätte nie gedacht, dass ich eine solche Karriere haben werde. Ich war Straßenmusiker und habe jede Nacht für ein paar Leute in einem Pub gespielt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal so große Konzerte geben werde. Das ist einfach wundervoll. Das schlimmste was man tun kann, ist sich selbst unter Druck zu setzen. Egal ob es um die Musik oder das Leben im Allgemeinen geht. Wenn du dich unter Druck setzt, wird es hundertmal härter. Du musst es fließen lassen und was passiert, passiert. Das ist die Antwort. Meine Karriere – das sind zehn Albums, „Let Her Go“, all die wundervollen Konzerte. Ich muss mir nichts mehr beweisen. Aber ich bin immer noch hungrig, will immer noch Alben schreiben. Aber vor „Let Her Go“ gab es einen Teil in mir, der alles voran treiben wollte. So fühle ich mich heute nicht mehr. Ich bin viel entspannter geworden.
Manchmal spielst du Konzerte mit großer Band, dann wieder ganz allein mit Gitarre. Was können wir heute in Köln erwarten?
Mike: Solo! Eigentlich ist das mit der Band gar nicht Passenger. Ich bin Passenger. Die meiste Zeit in den letzten zehn Jahren war ich allein auf der Bühne. Natürlich macht es Spaß, mit der Band durch die Welt zu touren. Ich liebe die Jungs. Das gilt auch für die Alben. Da gibt es groß produzierte Alben mit vielen Instrumenten – und dann wieder den reduzierten Stoff, den ich allein interpretiere.
Wie kommt es, dass so viele deiner Songs traurig und melancholisch klingen?
Mike: Ich weiß es auch nicht. Okay – ich mache viele Scherze darüber, wie depressiv meine Musik manchmal ist. Aber in Wirklichkeit ist es gar nicht so. Sie ist nicht depressiv. Du hast Recht, da ist eine gewisse Traurigkeit in den Songs oder eine Melancholie. Aber da sind auch Hoffnung und eine positive Einstellung. Als Songwriter will man alle Seiten des Lebens darstellen. Jede Emotion, jedes Gefühl. Es ist nicht nur traurig und melancholisch. Auch lustig, wütend, frustrierend – all das. Ich denke, mehr und mehr drücke ich all das aus.
Ich liebe den neuen Song „To Be Free“. Er erzählt die Geschichte deines Vaters und seiner Familie. Deine Großeltern waren Juden und mussten während des zweiten Weltkriegs aus Deutschland fliehen. Was fühlst du, wenn du diesen Song in Deutschland spielst?
Mike: Ich habe nur Liebe für Deutschland. Deutschland heißt mich immer so herzlich willkommen und ist so wunderbar zu mir. Mir ist bewusst, dass diese Geschehnisse vor sehr langer Zeit waren. Wir müssen alle vorsichtig sein bei dem, was im Moment passiert, und sichergehen, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Es gibt viele erschreckende Anzeichen. Nicht nur in Deutschland sondern auch in den USA, in Großbritannien, überall – diese Form von politischen Turbulenzen. Ich denke, es hat ganz sicher nichts mit Deutschland zu tun sondern ist mehr die Geschichte der Menschheit.
Im Text von „To Be Free” erzählst du vom Reisen rund um die Welt wie eine Feder auf der Meeresbrise. Gibt es einen Ort, den du Heimat nennst? Vielleicht Brighton, wo du herkommst?
Mike: Auf jeden Fall fühle ich mich als Engländer. Mein Vater ist Amerikaner, meine Mutter stammt aus Großbritannien. Ich bin viel herum gekommen, aber ich sehe mich ganz klar als Engländer. Und Brighton ist der Ort, in dem ich immer noch lebe. Also das ist mein Zuhause.
Ist der Brexit ein Problem für dich als Künstler?
Mike: Es ist vor allem ein persönliches Problem für mich. Ich hasse den Brexit und alles, wofür er steht. Ich muss gar nicht erwähnen, wie schrecklich das für unsere Wirtschaft ist. Aber davon abgesehen ist diese Entscheidung so negativ und engstirnig. Genau das Gegenteil von dem, wie die Menschen sein sollten. Es ist ein Chaos. Ich habe mir noch nie so viele Sorgen um Großbritannien gemacht und darum, wo dies hin führt. Man muss schauen, ob das so durchgeht. Ich hoffe immer noch, dass es einen Ausweg gibt, um den Brexit zu verhindern.
Auf dem neuen Album sind sehr viele amerikanisch klingende Songs wie zum Beispiel „Ghost Town“, der von verlorenen Orten in Detroit erzählt. In der Vergangenheit klangst du für viele Fans eher britisch oder australisch. Jetzt amerikanisch. Was ist die Idee dahinter?
Mike: Als ich mich hingesetzt habe, um all diese Songs aufzunehmen, fiel mir auf, dass da ein amerikanisches Thema ist, das die Stücke verbindet. „Ghost Town“ auf jeden Fall. Und „To Be Free“ über meine amerikanische Familie. „Eagle Bear Buffalo“ handelt vom Yellow Stone Nationalpark. Nur drei oder vier Songs sprechen wirklich klar über Amerika, aber alles zusammen fühlte sich sehr amerikanisch an. Die Westküste, Adler, der American Way. Ich wollte das ausbauen. Ich bin Halbamerikaner, ich war schon oft dort, ich höre amerikanische Musik. Ich merkte einfach, dass das ein wichtiges Thema ist, um es auf ein Album zu bringen. Es gibt meinem Schaffen eine neue Wendung. Nach zehn Alben muss man aufpassen, sich nicht ständig zu wiederholen. Es war eine gute Erfahrung für mich, in diesen Americana Stil zu schlittern.
Ich mag die Videos sehr. Du hast dir sehr viele Mühe gegeben, alle Songs in Bilder zu fassen. Das war vermutlich viel Arbeit?
Mike: Vielen Dank. Ja, das war mir sehr wichtig und hat viel Zeit gekostet. Wenn du Musik und die Videos zusammen hast, zeigt das eine große Wirkung. Als ich mich entschied, dieses amerikanische Album zu machen, kam auch schnell die Idee, durch Amerika zu reisen und die Videos aufzunehmen. Es hat vor allem viel Spaß gemacht. Ich war mit drei meiner besten Freunde unterwegs. Das war eine gute Zeit aber wir hatten auch sehr viel Arbeit. Es waren aufregende Monate.
Und eine Pause gab es so auch nicht.
Mike: Genau. Keine Pause. *lacht*
Der Song „Survivor“ erzählt vom Überleben in einer sehr konfusen Welt. Bist du eher optimistisch oder pessimistisch, was das angeht?
Mike: Da fühle ich mich jeden Tag anders. Manchmal glaube ich an unsere Menschlichkeit und die Fähigkeit, mit den Veränderungen umzugehen. An anderen Tagen verzweifle ich an der Selbstverliebtheit in unserer modernen Kultur und ich sehe keinen Weg zurück. Ich fühle mich jeden Tag anders. Aber was Deutschland angeht: Ich glaube an die Menschen. Es gibt soviel Gutes und Liebe in den Menschen. Ich denke, dass sich das durchsetzen wird.
Ein anderer Song heißt „Why Can’t I Change”. Gibt es etwas, dass du gerne ändern würdest?
Mike: Auf jeden Fall. Viele Dinge. Ich glaube, wir machen immer wieder die gleichen Fehler. Es ist ein einfacher Song, der die Frustration mit sich selbst ausdrückt. Warum kann ich das nicht anders machen? Warum lerne ich nicht aus meinen Fehler? Ein sehr einfacher Song.
Die Zuschauer reagieren sehr enthusiastisch, wenn du deine Hits spielst, vor allem „Let Her Go” aber auch „Holes”. Magst du es, diese Songs jeden Abend zu spielen? Oder ist es eine Belastung aufgrund der Erwartungen des Publikums?
Mike: Ich liebe es. Wirklich! Ich weiß, dass manche Künstler genervt sind, wenn sie immer wieder ihre Hitsingle spielen müssen. Egal, wo ich bin in der ganzen Welt: Wenn ich die erste Zeile von „Let Her Go“ spiele, rasten alle aus. Ich finde es sehr schwierig, genervt davon zu sein. Es ist einfach ein wunderbares Gefühl. Ich hatte großes Glück. Viele Künstler schreiben sehr gute Songs, aber kaum jemand hört sie. Aus welchem Grund auch immer: „Let Her Go“ war der richtige Song zur richtigen Zeit und hat mein Leben verändert. Ich werde niemals aufhören, dankbar für diesen Song zu sein.
Eine letzte Frage: Manchmal spielst du Coverversionen wie zum Beispiel „Sound Of Silence“. Inzwischen hast du aber zehn Alben mit eigenen Songs. Warum spielst du nicht nur eigene Sachen?
Mike: Ich denke, das nimmt die Menschen mit. Wenn ich auf der Straße ein Cover spiele, denken die Leute: Oh, ich kenne diesen Song. Sie bleiben stehen und hören zu. Danach spiele ich dann einen meiner eigenen Songs und sie mögen ihn vielleicht – kaufen vielleicht eine CD. Diese Einstellung habe ich auch bei meinen Konzerten. Sie sind nicht nur voll mit Passenger-Fans, die jede Single kennen und jedes Album gekauft haben. Manche sind zum ersten Mal bei einem meiner Konzerte, vielleicht von der Freundin mitgeschleppt. Ein Coversong kann dazu führen, dass man jeden mitnimmt.
Und in deiner Anfangszeit? Hast du auch Konzerte mit ausschließlich Coversongs auf der Straße gespielt?
Mike: Es war immer eine Mischung aus beidem. Ich habe viel daraus gelernt. Eine Kombination aus beidem ist einfach eine gute Sache. Es gibt so viele wundervolle Songs, die nicht von mir stammen. Ich liebe es, wenn Künstler Coversongs spielen. Ich liebe es auch, wenn meine Songs gecovert werden. Es ist schon schmeichelhaft, wenn sich jemand hinsetzt und hart daran arbeitet, meinen Song spielen zu können. Du kannst alles mit allen teilen – und manchmal gibt es auch Leute, denen das nicht gefällt. Ich erinnere mich, dass wir mal einen Titel von Prince gecovert haben. Seine loyalen Fans haben sehr darüber geschimpft. Dabei ist es so schön, zu teilen. In den 60er Jahren hat jeder für jeden Songs geschrieben und man hat die Songs der anderen gespielt. Das war eine tolle Zeit.
Vielen Dank, das war’s schon. Hat mich sehr gefreut, dass du dir soviel Zeit für mich genommen hast.
Ein weiterer Dank geht an Annett Bonkowski von verstärker medienmarketing für die Vermittlung des Interviews und an Tourmanager Thomas Stein für die nette Betreuung vor Ort.