Und noch ein Debütalbum eines Künstlers, den ich erstmals beim Reeperbahn Festival gesehen habe. Manuel Bittorf stammt aus Thüringen und nennt sich als Künstler BETTEROV. Er spielt Klavier, Gitarre und Violine. Zwei Jahre lang war er für die musikalische Produktion am Theater Eisenach verantwortlich, bevor er an der Popakademie Baden-Württemberg studierte. Das erklärt vermutlich seine gute Vernetztheit in der Szene, denn beim Konzert 2022 im Hamburger Michel gaben sich die Gaststars die Klinke in die Hand. BETTEROV ist übrigens nicht nur eine Anlehnung an Manuels Nachnamen, sondern auch eine Figur der dänischen „Olsen-Bande“.
Die Musik seiner ersten EP „Viertel vor irgendwas“ ist fest im Indierock verwurzelt. Und diesen Weg schreitet er auch mit dem Longplayer „Olympia“ fort. Dieser ist wie ein Konzeptalbum aufgebaut, beginnend mit einer „Eröffnungsfeier“ und endend mit der „Siegerehrung“. Das Intro liefert starke hymnische Gitarren und stimmt perfekt auf das Album ein. Das Outro hingegen wirkt wie ein Abspann nach einem guten Film. Und darin eingebettet sind elf Anekdoten aus Betterovs Leben. So mag man zumindest glauben.
Betterovs Musik ist eine Auseinandersetzung mit sich selbst, bei der er eine ganze Sammlung von Gegenentwürfen zeichnet. Songs vom Sich-Auflehnen. Songs vom Kampf. Vom Durchbrechen der inneren Barrikaden. Und vom Aufbau, bei dem er sich all den Ängsten und Selbstzweifeln entgegenstellt, um negative Emotionen in positive Energie zu transformieren. Das erklärt vielleicht, warum seine Vocals immer ein Stück Hysterie mit sich tragen und man das Gefühl hat, als würde er lieber schreien als singen.
Lakonisch erzählt der Einstieg „Böller aus Polen“ von Betterovs Kindheit – und man kann sich einfühlen in eine Stimmung zwischen Euphorie und Verzweiflung. Wer schon einmal an echter Schlaflosigkeit gelitten hat, kann den Text von „Schlaf gut“ sicher nachvollziehen: „Kein Gedanke nach Mitternacht wurde je zuende gedacht.“
„Olympia“ entstand während der Pandemie und beschreibt schwierige Zeiten. Umgeben von Nebel und Gefühlen, die in Wirklichkeit Symptome sind, in einer Welt, die man nicht mehr versteht. Eine Abwärtsspirale, die Betterov bezeichnend auf dem Titeltrack eingefangen hat, wenn die ewige Wiederholung von YouTube-Videos den Alltag bestimmt. So erscheint das Kaufhaus „Dussmann“ als Sinnbild für die Relevanz oder den Niedergang der Kultur: „Gott hat für das alles nur 7 Tage gebraucht und ich finde, genau so sieht’s hier auch aus“.
Betterov neigt zu rhythmischen Wiederholungen, wenn ihm die Worte fehlen. „Die Leute und ich“ sowie „Bring mich nach Hause“ zeugen davon. Das alles wird verpackt mit hymnischen Gitarren und fetten Arrangements. Wenn auch Manuels Gesang manchmal etwas nervig wirken kann, so haut er doch jederzeit gefühlvolle und intelligente Lyrics raus. Seine Texte sind oft pure Poesie. Der provokante Titel „Berlin ist keine Stadt“ führt zu den Erinnerungen an eine beendete Beziehung und „Bis zum Ende“ schlägt den Bogen des Lebens vom Ultraschallbild bis hin zu den letzten Atemzügen im Krankenhaus.
Die Bilder sind so gewaltig wie die Musik. Und wer sich erst an Betterovs eindringliche Interpretation gewöhnt hat, wird das Album wieder und wieder hören – und dabei immer wieder Neues entdecken. Allemal ein starkes Debüt!