„Gute Laune ungerecht verteilt“, so lautet der Titel des neuen Kettcar-Albums. Am Donnerstag aber war von Ungerechtigkeit kaum etwas zu bemerken, sind doch die Fans einfach glücklich, dass die Hamburger Band nach langer Pause endlich wieder ein Album auf dem Markt hat (das sogar Platz 1 der deutschen Charts enterte) und sich zurzeit auf ausgiebiger Tour befindet. So war die Garage in Saarbrücken schon seit Monaten ausverkauft und es tummelte sich allerlei Publikum im großen Rund, das auch ältere Semester mit einschloss. Kettcar waren von Beginn an – seit 2001 – eine Band für alle Generationen.
Bevor aber Marcus Wiebusch & Co. loslegten, waren Kochkraft durch KMA als Support gefragt. Der Bandname ist schwer zu merken aber leicht zu googeln. Die Band um Sängerin Lana Giese stammt aus dem Großraum Köln und feiert sich mit interessanten Wortschöpfungen. So sehen sie sich als Vertreter*innen der „Neuen Deutschen Kelle“, einer Neuinterpretation von NDW. In diesem Sinne gibt es Punk mit Sprechgesang, schnell, laut und elektronisch.
Das neuste Album „Alle Kinder sind tot“ erschien bereits vor fast zwei Jahren. Die aktuelle Single „Mein Hund heißt wie Du!“ wurde gemeinsam mit Team Scheisse aufgenommen und beim Kettcar-Label Grand Hotel van Cleef veröffentlicht. So kamen die dynamische Frontfrau und ihr agiles Team vermutlich zu der Rolle als Support, die sie in 40 Minuten Konzertlänge glänzend ausfüllten. Viele werden Kochkraft durch KMA vermutlich an die laute Rockband erinnert haben, die Kettcar noch vor 23 Jahren waren.
Pünktlich um 21 Uhr waren die Hamburger am Start. Aus der lauten Rockband ist eine nachdenkliche Truppe geworden, die mit ihrem Politpunk immer noch wichtige Geschichten erzählt, den Fokus aber mehr aufs Erzählen als aufs eingängige Abfeiern legt. Es war der offizielle Tourstart nach Clubkonzerten auf Helgoland und im Kölner Luxor. Und die Garage war der perfekte Ort dafür, konnten Marcus und Reimer doch von unzähligen Gigs in der Region schwelgen, beginnend mit dem kultigen Start 2003 im P-Werk Blieskastel.
„Auch für mich die 6. Stunde“ eröffnete den Set. Es geht darin um aktuelle Ereignisse und den damit einhergehenden Zynismus: „Sandstrand, Junge tot, Netflix, Abendbrot“. Besser kann man nicht erklären, warum unsere Welt kaputt ist. Dann „Benzin und Kartoffelchips“ vom Album „Ich vs. Wir“, das bald schon erschreckende sieben Jahre alt wird. Wiebusch lud zu einer kleinen Zeitreise ein von „Money Left To Burn“ (2001) über „Balkon gegenüber“ (2002) und „48 Stunden“ (2005), was der bislang höchste Charteinstieg der Band war. Grund genug, auch den Radiosender SR2 zu loben, der das Saarbrücker Konzert mitgeschnitten hat und es demnächst in verkürzter Form senden wird.
Weiter ging es politisch mit „Sommer 89“ und dem grandiosen „München“, das nach Meinung von Reimer Bustorff auch den Titel „Saarbrücken-Dudweiler“ tragen könnte, geht es doch um einen Menschen, der in Deutschland geboren ist aber für immer Ausländer bleiben wird. Die Setlist war insgesamt ausgewogen und – meiner Meinung nach – absolut großartig. So gab es die Ballade „Balu“, allein mit Gitarre und Piano begleitet, und „Doug & Florence“ gegen die liberale Zumutungspolitik.
Ob Musik etwas bewirken kann, wird Marcus oft gefragt – und kann es nicht mehr hören. Er sagt seine Meinung und schreit sie bisweilen laut heraus. So kann er Momente genießen wie die Performance seines formidablen Solosongs „Der Tag wird kommen“ über einen homosexuellen Fußballstar. Auch dieser fand seinen Platz im Set und verursachte mir und vielen anderen Gänsehaut – wie immer, wenn man das dazu gehörige Video sieht, das auch hier im Hintergrund ablief. Klar befindet man sich in einer Meinungsblase, aber das daraus entstehende Zusammengehörigkeitsgefühl kann jeden stärken.
Eine Premiere feierte der Song „Blaue Lagune, 21.45 Uhr“ den es bisher noch nirgends live gab. Als letztes im regulären Set folgte um 22.30 Uhr das umjubelte „Landungsbrücken raus“. Der Zugabenblock dehnte dann das Konzerte auf lockere zwei Stunden aus. Mein Highlight? Wie immer „Trostbrücke Süd“. Ein atmosphärischer Song über die Verlorenen im Frühbus, der in einem skurillen Moment an der Endstation gipfelt, wenn alle verbliebenen Fahrgäste auf ihre Sitze steigen und dem Busfahrer skandieren: „Wenn du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser“. Wie geil ist das denn? Und wie perfekt wirkt dieser Song in später Konzertkulisse? „Auf den billigen Plätzen“, „Ich danke der Academy“ und „Deiche“ beendeten das grandiose Comeback-Konzert.
Wer Kettcar in der Region Trier nochmal live sehen will, hat dazu am 28. August Gelegenheit, wenn die Band den Brunnenhof neben der Porta Nigra mit guter Musik erfüllen wird. Die kompletten restlichen Tourdaten 2024 findet ihr ganz unten in diesem Text.
Setlist KETTCAR, Garage Saarbrücken, 11. April 2024
- Auch für mich 6. Stunde
- Benzin und Kartoffelchips
- Money Left to Burn
- Balkon gegenüber
- 48 Stunden
- Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
- München
- Rettung
- Notiz an mich selbst
- Balu
- Ein Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter)
- Der Tag wird kommen
- Doug & Florence
- Den Revolver entsichern
- Im Taxi weinen
- Blaue Lagune, 21:45 Uhr
- Kein Außen mehr
- Landungsbrücken raus
Zugaben
- Trostbrücke Süd
- Auf den billigen Plätzen
- Ich danke der Academy
- Deiche
Tourdaten 2024
14.04. Bremen, Pier 2
16.04. Hannover, Capitol
17.04. Leipzig, Haus Auensee
18.04. München, Tonhalle
19.04. Köln, Palladium
20.04. Berlin, Columbiahalle
21.04. AT – Wien, Arena (ausverkauft)
23.04. Erlangen, E-Werk (ausverkauft)
24.04. Stuttgart, Im Wizemann
25.04. Bielefeld, Lokschuppen
26.04. Dresden, Alter Schlachthof
27.04. Hamburg, Sporthalle
Festivals / Open Airs 2024
22.06. Duisburg, Traumzeit Festival
13.07. Georgsmarienhütte, Waldbühne Kloster Oesede
18.07. Marburg, Marburger Sommernächte
25.07. AT – Wien, Arena
26.07. Augsburg, Sommer am Kiez
27.07. Karlsruhe, Zeltival
28.07. CH – Thun, Am Schluss Festival
29.07. AT – Graz, Kasematten
31.07. Freiburg, ZMF
01.08. Friedrichshafen, Kulturufer
02.08. Würzburg, Hafensommer
03.08. Reutlingen, HafenSounds Festival
04.08. Mainz, KUZ
10.08. Braunschweig, Applaus Garten
11.08. Lüneburg, Kultursommer
12.08. Bayreuth, Seebühne
14.08. Jena, Kulturarena
15.08. Bad Zwischenahn, Park der Gärten
16.08. Würselen, Burg Wilhelmstein
17.08. Taarstedt, Angeliter Open Air
28.08. Trier, Brunnenhof (neu)
29.08. CH – Aarau, Kiff (neu)
30.08. CH – St. Gallen, Grabenpark – 40 Jahre Grabenhalle
01.09. Schwerin, Schloss