Das man das noch erleben durfte! Zwei 100minütige formidable Progressive Rock-Konzerte in der renommierten Trierer Tuchfabrik. Dort, wo sich sonst Kleinkunst, Musical, Theater, Kabarett und „Just Sing“ die Klinke in die Hand geben. Zugegeben – es fanden und finden auch starke Rockkonzerte dort statt. Doch haben diese eher Seltenheitswert und widmen sich meist regionalen Gruppierungen wie das „Tefftival“ zur Weihnachtszeit.
Jetzt also zwei Progbands, die in der Artrock-Szene einen sehr hohen Bekanntheitsgrad haben. t aus Hannover und Crystal Palace aus Berlin. Schuld daran hat definitiv t alias Thomas Thielen, der aus der Eifel stammt, in Trier studiert hat, inzwischen aber im halbwegs hohen Norden lebt. Es war ihm ein Anliegen, seinen Tourabschluss in Trier zu feiern (lest HIER unser Interview vom März 2019). Und so trat er in Kontakt zur Tufa Trier und stieß dort als aus der Region stammender Künstler auf offene Ohren.
Eigentlich müsste man sagen, das Experiment sei missglückt. Nur 80 Zuschauer verloren sich im großen Saal der städtischen Einrichtung – und während des Gigs von Crystal Palace dezimierte sich die Menge noch um diejenigen, die entweder nur wegen der lokalen Bekanntheit von t gekommen waren oder denen die zweite volle Konzertlänge einfach zu lang war. Außerdem war es ziemlich kalt in der Tufa – irgendwo muss die Stadt ja sparen.
t hatte gut Werbung gemacht, ein Interview beim Volksfreund (der hiesigen Tageszeitung) gegeben, alte Studienfreunde alarmiert und überhaupt ist er vor allem in Marillion-Kreisen hoch angesehen, von deren Fanclub sich ebenfalls eine Reihe Mitglieder einfand. Außerdem fuhr er groß auf – mit Merchandise beider Bands, mit einem eigens zum Konzert etikettierten Likör. Es wurde ein rauschendes musikalisches Fest mit zwei fantastisch aufgelegten Bands, die ihr Bestes gaben. Das „missglückt“ von oben will ich damit auch direkt revidieren: Es bezieht sich ausschließlich auf die Zuschauerzahl. Jeder, der nicht da war und einigermaßen auf handgemachte Musik steht, sollte sich in den Allerwertesten beißen. Der Sound war überwältigend und man konnte Instrumentalisten und Sänger bei der Arbeit beobachten und hören, die ihr Handwerk wirklich verstehen und zur Elite in Deutschland zählen.
t begann seinen Set fast pünktlich um 20.10 Uhr mit (will soll es anders sein) einem Longtrack: „The Aftermath Of Silence“ vom 2013er Album „Psychoanorexia“ inklusive sphärischer Geräusch- und Soundkulisse aus dem Keyboard und den Samplern von Sounddesigner Dominik Hüttermann, der ebenso wie Thielen in Trier studiert hat und schon damals mit ihm auf einer musikalischen Wellenlänge war. Wie t betonte: „Viel von dem, was ihr hier hört, ist in einer kleinen Studentenbude im Trimmelter Hof entstanden. Keine Ahnung, wie wir den Sound damals so gut hinbekommen haben.“ Vermutlich eine Verkettung glücklicher Umstände.
Weiter ging es mit „Shades Of Silver“ von „Fragmentropy“. Klar machte sich Thomas einen Spaß daraus, auf seinen unaussprechlichen Albumtiteln rumzureiten: „Fragt einfach nach dem Album mit F“. Das aktuelle Album „Solipsystemology“ (HIER unsre Review) wurde übrigens gar nicht im Set berücksichtigt. Das hat aber keinesfalls mit einer vielleicht fehlenden Qualität zu tun – höchstens mit dem ausgetüfftelten Sounddesign. Und natürlich mit der Tatsache, dass t das Trierer Konzert bewusst aus den Songs zusammengeschustert hat, die einen Bezug zu Deutschlands ältester Stadt und seiner Studentenzeit dort haben.
Es folgte „Irrelevant Lovesong“, einer der bekanntesten Songs der deutschen ArtRock-Szene, der gerne mal als „perfekter Popsong“ bezeichnet wird, wobei die drei lauten Gitarren doch eher in den Rockbereich weisen. Thielen hat sich für die Tour eine beeindruckende Band zusammengestellt. Mit Dominik Hüttermann, Produzent und Virtuose am Klavier, verbindet ihn eine jahrzehntelange Freundschaft. An der Gitarre sagte Jan Steiger, Gitarrist der besten deutschen Pink-Floyd-Tribute-Band, ebenso begeistert zu wie Yenz Strutz, eigentlich Frontman der Progrock-Veteranen „Crystal Palace“, für den Bass. Thomas Nußbaum, bekannt aus 101 Projekten für seinen ureigenen Drumstil, besorgt das Rhythmusfundament besorgen.
Nur mit einer solch elitären Band kann man Songs wie „Curtain Call“ interpretieren – ein Stück, das beschreibt, wie t als verliebter Student seiner Freundin nachtrauert, mit der er nur zwei Wochen zusammen war, bevor sie beruflich nach Vietnam gehen musste. Man konnte sich bildlich vorstellen, wie er verzweifelt hadernd durch die Saarstraße spazierte, die Luftlinie nur 200 Meter von der Tufa entfernt verläuft. Zur Auflockerung nach dieser Tristesse gab es den The Cure-Klassiker „A Forest“ in einer phänomenalen Wave-Version, die einige Anwesende zum spontanen Freudentanz veranlasste.
Es folgten „About Us“ und „Forget Me Now“. Dann verabschiedete sich die Band erstmals von der Bühne, kehrte aber zur Freude aller Anwesende Marillion-Fans mit dem Coversong „Neverland“ zurück – einem Longtrack der britischen Band, der deutlich machte, warum Thielens Stimme so oft mit Steve Hogarth verglichen wird: Er meisterte die Höhen ebenso gekonnt und ließ sich im Anschluss gehörig feiern, bevor das Konzert nach „She Said“ (dem ersten Titel, den er jemals aufgenommen hatte) nach über 100 Konzertminuten zu Ende ging.
Jetzt hätte man zufrieden nach Haus gehen können, was manche leider auch taten, aber sie haben etwas verpasst! 20 Minuten Umbau waren nötig, in denen man sich mit t und seiner Band unterhalten konnte und reichlich Merchandise über die Theke ging. Dann waren Crystal Palace angesagt. Die Berliner arbeiten wie t hart am neuen Album. Sie haben sich in 25 Jahren ihres Bestehens den Ruf einer Live-Urgewalt erspielt.
„Trulla“, Maskottchen des Marillion-Fanclubs „The Web Germany“
Leadsänger Yenz stand zunächst allein auf der Bühne. Auch eine Leistung, nachdem er sich gerade zwei Stunden genial durch den t-Set gekämpft und ihn dabei stimmlich stark unterstützt hatte. Davon ließ sich der Ost-Berliner aber nichts anmerken. Seine Stimme kam ebenso gewaltig und glasklar aus den Boxen wie der Hammersound, den die Produktion in der Tufa zu bieten hatte.
Es gab zunächst drei Titel vom aktuellen Album „Scattered Shards“. Was für eine musikalische Urgewalt! Ich muss gestehen, dass ich die Musik von Crystal Palace bisher nicht auf dem Schirm hatte. Das wird sich aber definitiv ändern! Yenz sang sich gekonnt durch die philosophischen Textpassagen und bezog sich beispielsweise bei der Ansage zu „The Logic Of Fear“ auf den in Trier geborenen Karl Marx. Das sind Statements, die ein Konzert erst so richtig rund machen und zur Vollendung führen.
Und er schlug damit den Bogen zum 2013er Werk „The System Of Events“, das gleich mit drei Titeln bedacht wurde und das auf mich noch eine Spur stärker wirkte als das aktuelle Album. Es geht um die Gräueltaten, die Menschen begehen, und Strutz erwähnte den Kampusch-Fall und die Klimakatastrophen in einem Atemzug. Es ist kein echtes Konzeptalbum, aber folgt einer thematischen Linie.
Musikalisch war das Konzert eine echte Offenbarung. Yenz ist als Sänger noch ein Stück versierter und erfahrener als t. Das konnte man deutlich spüren. Und die Instrumentalisten von Crystal Palace waren mit filigranen Soli und handwerklich perfekter Arbeit eine Wucht. Dass man ein solches Konzert hier erleben durfte… die Band hat es verdient, endlich vom Geheimtipp zu renommierten Rockern in Deutschland zu werden. In Holland werden sie ja ohnehin schon viel stärker abgefeiert als in heimischen Gefilden.
Der Set endete mit dem elegischen „Sky Without Stars“ und dem Longtrack „Beautiful Nightmares“ (ebenfalls vom System-Album) als Zugabe. Dann kam kurz vor Mitternacht nochmal die t-Band auf die Bühne und es gab einen genialen gemeinsamen Abschluss mit „Heroes“ von David Bowie. Ein wundervoller Konzertabend nahm sein Ende und viele, die eine durchaus weite Anreise von 180 oder mehr Kilometern hatten, bereuten dies vermutlich nicht. Da waren zwei Acts der Extraklasse im beschaulichen Trier – und es hat unendlich Spaß gemacht. Für t war es etwas sichtlich Besonderes, in der alten Heimat zu spielen. Hoffentlich gibt es eine Wiederholung!