Asaf Avidan stammt aus Jerusalem und feierte kurz nach Beginn der Corona-Krise seinen vierzigsten Geburtstag. Gleich zwei Gründe, über die eigene Karriere und die erreichte Stufe im Musikgeschäft nachzudenken. Klar, mit dem Wankelmut-Remix seiner Single „The Reckoning“ war er vor acht Jahren in aller Munde. Aber reicht es aus, für jetzt und immerda der One-Day-Guy zu sein, der einmal dieses One-Hit-Wonder in den Charts hatte? Sicher nicht. Vor allem, weil der israelische Folkrocker seit Jahrzehnten sehr ungewöhnliche Musik macht, die gar nicht viel mit diesem Sphärenhit zu tun hat.
Zeit also, um zu sich selbst zu finden. Ob Asaf deshalb den Begriff „Anagnorisis“ für sein neues Album gewählt hat? Er bezeichnet die plötzliche Offenbarung eines Charakters. Genau diesen Moment beschreibt der literarische Begriff, den der griechische Philosoph Aristoteles prägte. Der Moment, in dem das wahre Gesicht eines Menschen sich zeigt und die Geschichte eine unvorhersehbare Wendung nimmt.
Wendungen gab es einige. Asaf nahm sich eine Auszeit in Italien und kümmerte sich zunächst um Olivenhaine, bis er dann seinen Freund Tamir Muskat traf, um in Israel an neuen Songs zu schreiben. Die Pandemie machte allerdings alle Pläne im Aufnahmeprozess zunichte. Es galt, aus der Not eine Tugend zu machen. Stationiert in zwei Ländern nahm der Künstler seine Stücke in Italien auf und schickte sie zur Weiterverarbeitung an Tamir nach Israel. Ohnehin war vorgesehen, dass der Multi-Instrumentalist nicht nur den Sologesang, sondern auch alle Backing Vocals und sogar die chorischen Passagen komplett selbst einsang. Zudem stammen alle Gitarren und Tasteninstrumente von Asaf, während Tamir das Schlagwerk und die sphärischen Programmierungen beitrug.
Es ist ein absolut ungewöhnliches Album – und das liegt nicht nur an Avidans hoher Stimme, der mit seinem androgynen Falsett wie eine Frau vom Format einer Janis Joplin klingt und immer ungeheure Leidenschaft in seine Songs legt. Dieses Markenzeichen ist auch nach Jahren noch umwerfend. Eine durchgängige Musikrichtung ist gar nicht auszumachen. Klassik in den Pianoläufen, Gospel-Chöre, eine soulige Ausrichtung in den meisten Songs, viele rhythmische Finessen. Langweilig wird es definitiv nicht.
In „900 Days“ verarbeitet Avidan das Ende einer Beziehung und „Lost Horse“ behandelt den Abschied von einem geliebten Pferd, das von Wölfen zu Tode gehetzt wurde. Pure Melancholie beherrscht er aus tiefstem Herzen. Und dann ist da noch „Rock of Lazarus“, der eben dieses Herz besingt. Drei verschiedene Stimmen verkörpern das Herz, das immer wieder von den Toten aufersteht.
Schwermut und stilistische Vielfalt stehen im Mittelpunkt dieses ganz besonderen Albums. Es ist so facettenreich wie die menschliche Existenz.
Tourdaten Deutschland 2021:
- 28.01.2021 Hamburg, Fabrik
- 30.01.2021 Köln, Die Kantine
- 01.02.2021 Frankfurt, Batschkapp
- 02.02.2021 Bochum, Zeche Bochum
- 03.02.2021 Stuttgart, Im Wizemann
- 04.02.2021 München, Technikum
- 12.02.2021 Leipzig, Werk 2
- 13.02.2021 Berlin, Huxley`s Neue Welt