Das war mal wieder ein spannendes Wochenende im Losheimer Strandbad. Zwei deutsche Bands, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Am Freitag waren es die Deutschpopper PUR aus dem beschaulichen Bietigheim-Bissingen, die uns in ihr romantisches Abenteuerland entführten. Am Samstag bereiteten DIE ÄRZTE auf ihrem ureigenen ÄRZTIVAL eine „Nacht der Dämonen“ voll Punk und Rock. Weitere Vergleiche gefällig? Das Strandbad in Losheim war in beiden Fällen proppevoll gefüllt. Bei PUR mit ca. 12.000 begeisterten Fans, beim ÄRZTIVAL waren es gefühlte 15.000, was aber (in meiner Schätzung) auch daran liegen kann, dass ich samstags erst mitten ins laufende Geschehen einstieg. In beiden Fällen bestes Festivalwetter ohne Regen, wenn die dämonische Samstagnacht auch logischerweise einen düsteren Himmel vorsah.
Was noch? PUR in Gestalt von Hartmut Engler verloren kanzler-like kein Wort über ihre „Herausforderer“, während Bela, Farin und Rod ständig das Konzert des Vorabends thematisierten und es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Dämonen, die Hartmut Engler und die Band aus Bietigheim-Bissingen an den See gebracht hatten, auszutreiben. Sie gingen sogar so weit, zu behaupten, dass Menschen, die Parteien am rechten Rand wählen, ganz sicher nicht auf ein Ärzte-Konzert gehen. „Wenn schon, dann waren sie gestern Abend da.“ Eindeutig ein Schlag unter die Gürtellinie. Bei beiden Bands stand das jeweils aktuelle Album Im Mittelpunkt des Sets. PUR boten ein harmonisches Wohlfühlkonzert für alle Generationen mit einem relativ schweigsamen Frontmann, die ÄRZTE hingegen laberten zwischen den Songs, was das Zeug hielt, und erfreuten sich an blanken Brüsten, crowdsurfenden Zuschauern sowie sogar minimalen Ansätzen von Circle Pit und Wall Of Death. Beide Bands begannen um 20.30 Uhr und verließen um 22.15 Uhr erstmals die Bühne. Bei Hartmut und Co. ging es danach nochmal dreißig Minuten in die Zielgerade, die ÄRZTE dehnten den Zugabenblock gar auf eine volle Stunde aus.
Und jetzt genug der Vergleiche. Die Tage im Einzelnen: Freitags gab es zwei deutschsprachige Vorbands. Denn Anfang machten F.R.E.I., eine Truppe aus fünf jungen Männern, die alle schon heftig viel Erfahrung im Geschäft haben. Internationale Tourneen und Festivals von Lateinamerika und USA über Europa bis in den Fernen Osten, dazu mehr als zehn Millionen verkaufte Tonträger, auf denen einer oder mehrere der F.R.E.I.-Mannen zu hören sind. Zu den Stationen der Bandmitglieder zählen illustre Namen wie Sarah Connor, James Blunt, Doro, LaFee, Mousse T, Krypteria, Terenzi, Mike Posner, Caliban, Letzte Instanz, Nino De Angelo oder Kreator. Dort waren sie als Session-Musiker unterwegs. Jetzt endlich die eigene Band: elegant-gefühlvoller Pop und melodiegeladene Songs im modernen Gewand. Das klingt in etwa so, als würden OneRepublic plötzlich auf Deutsch singen. Ins Vorprogramm von PUR passten sie zumindest sehr gut.
Es folgte die Cherry Gehring Band. Seit 2001 unterstützt Cherry Hartmut Engler mit seinem Background-Gesang und fungiert als zweiter Keyboarder von PUR. Mit seiner eigenen Band bot er Rock- und Popsongs in seiner Muttersprache Schwäbisch. Es wurde ein energiegeladener Auftritt, der die Zuschauer am schönen Spätsommer-Nachmittag eher mitriss als das vorherige Quintett. Die aktuelle CD trägt den Titel „Machs laut, ’s isch Stereo“ und dürfte gerade für hartgesottene Fans ein nettes Gimmick im PUR-Backkatalog sein.
Hartmut Engler und seine Mitstreiter enterten schließlich ohne viel Brimborium die Bühne. Die Show war nicht zu bombastisch gehalten. Keine „Mittendrin“-Bühne, keine Auflauf von „Friends“, stattdessen die reine Lehre von PUR. Angestrahlt von großen Scheinwerfern gaben sie vom Start weg alles und begeisterten fast zweieinhalb Stunden musikalisch mit einer bunten Mischung aus lauten und leisen Tönen.
Auch wenn PUR älter geworden sind, wenn Hartmut nicht mehr so agil über die Bühne springt, sondern bisweilen recht nachdenklich wirkt, war es ein mitreißendes Konzert. In der Setlist hörten wir viele Stücke der letzten Alben, vor allem von der aktuellen CD „Schein und Sein“. Die Klassiker wurden häufig in Medleys verbraten. Das ist bei der Vielzahl von Fan-Lieblingssongs wohl kaum mehr anders machbar. Und zum Glück waren es nicht die Einzeiler aus dem Party-Hitmix, die wir zu hören bekamen, sondern durchaus lange Songpassagen – von „Wenn Sie diesen Tango hört“, „Seiltänzertraum“, „Brüder“, „Indianer“ und „Funkelperlenaugen“. Dazu gesellen sich Evergreens als komplette Songs: „Drachen sollen fliegen“, „Hab mich wieder mal an dir betrunken“, „Lena“ und „Abenteuerland“. Meine Highlights waren der erste große Hit „Freunde“ ganz zu Beginn der Setlist und das berührende „Kein Krieg“, das aus aktuellem Anlass vielen Zuschauern sehr nahe ging. PUR entließen ein seliges Publikum in die laue Sommernacht – mal wieder.
Samstags konnte ich leider erst pünktlich zum Auftritt der ÄRZTE anreisen. Ich hatte also das große Ärztival mit Der Fall Böse, The Damned und NOFX verpasst. Schade, aber leider nicht zu ändern. Zumindest konnte man einige Protagonisten des Vorprogramms auch während des ÄRZTE-Gigs auf der Bühne bewundern.
Mit dreißig Jahren Bandgeschichte und zwölf Studioalben kann man es nicht allen recht machen. Manche ältere Fans maulten hörbar wegen der fehlenden „Hits von früher“, dabei begannen Bela, Farin und Rod schon recht früh, diese einzustreuen. „2000 Mädchen“ beispielsweise, sogar „Madonnas Dickdarm“ als Hommage an die anwesenden Saarbrücker und „Westerland“ sowie der „Schrei nach Liebe“ noch vor dem Zugabenblock. Dazu gesellten sich moderne Klassiker wie „Lasse redn“, „Ist das noch Punkrock“, „Waldspaziergang mit Folgen“ (inklusive T-Shirt-schwingender Zuschauermasse) und „Unrockbar“. Demnach war für jeden was dabei. Nur die Rufe nach „Geschwisterliebe“ und „Elke“ blieben mal wieder ungehört.
Bestens aufgelegt boten die ÄRZTE in ihren Ansagen die gewohnt launige Drei-Mann-Show, verarschten sich und das Publikum, die Band des Vorabends, zogen über Politiker im Allgemeinen und Nazis im Besonderen her, amüsierten sich aufgrund der willigen Mädels im Publikum, die doch locker ihre Töchter sein könnten.
Während viele Bands im Zugabenblock stark nachlassen, ging es bei den ÄRZTEN in der letzten Stunde erst richtig los. Jede der drei Zugaben hatte ihre Highlights. Der Start mit „Der Graf“ und „Rebell“ war noch zäh, dann aber gab es „Junge“ und das tanzbare „Radio brennt“. Weiter ging es mit „Himmelblau“, dem lang erwarteten „Sweet, Sweet Gwendoline“ (schließlich hing eine riesige Gwendoline-Puppe links von der Bühne) und einem uralten Klassiker aus dem Jahr 1983: „Sommer, Palmen, Sonnenschein“. Die dritte Zugabe schließlich begann mit dem aktuellen Highlight „TCR“, leitete über zum erlösenden „Zu spät“ und dem überaus passenden „Ist das alles“, bevor mit „Dauerwelle vs. Minipli“ ein glänzender Konzertabend sein Ende nahm.
Es war das letzte ÄRZTIVAL der Saison und ein sehr gelungenes. Fans der Band dürfen sich auf die kommende Live-DVD freuen, die in der Frankfurter Festhalle und auf der Berliner Waldbühne mitgeschnitten wurde. Erscheinungstag ist der 13. September 2013 und hier gibt es einen kleinen Vorgeschmack:
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