Auch das Gelände am E-Werk Saarbrücken wurde am vergangenen Wochenende wieder zur Open-Air-Location. Die ersten drei Konzerte brachten Rap und HipHop für unterschiedliche Generationen nach „Saarbrooklyn“. Am 12.7. gab es die ausverkaufte Show des Berliners SIDO, am 13.7. lieferte FINCH (früher: Finch Asozial) seinen derben Deutschrap – und für den Sonntag, 14.7. waren gar die Altmeister aus Los Angeles am Start: CYPRESS HILL gaben sich die Ehre.
Bereits seit 1988 liefern die Rapper mit lateinamerikanischen Wurzeln ihre bunte Crossover-Mischung voller HipHop und Reggae. Zu Ehren der altgedienten Helden war eine illustre Schar an Fans aller Generationen angereist. Da feierten Endfünfziger gemeinsam mit Mittzwanzigern und es wurde eine große Sause.
Den Anfang machte um 20.25 Uhr der DJ mit einem kurzen Set, das in das „Star Wars Theme“ und schließlich in Metallicas „Enter Sandman“ überging. Zur Freude aller Fans wurde „Dr. Greenthumb“ als Gummifigur aufgepumpt und nahm fortan die Bühnenmitte ein. Der Totenkopf mit Cannabis-Frisur passte perfekt zur Musik und den Texten. Zudem konnte man auf dem Gelände durchaus einen süßlichen Rauch wahrnehmen. Kein Problem, wo der Konsum solcher Rauschmittel jetzt legal ist.
Muskalisch gab es die gewohnte Mischung aus elektronischen Samples mit gekonnten Oldschool-Rap-Passagen. Die hohe Stimme von B-Real und der aggressive Part von Sen Dog ergänzten sich perfekt. Das Publikum feierte den psychedelischen Sound und die funky Parts, die zum Tanzen animierten. Es gab gekonnten Reggae bei „Tequila Sunrise“ aber auch Kracher wie „Hits From The Bong“.
Die Stimmung wurde im Lauf des 90minütigen Sets immer ausgelassener und man ließ sich vermehrt zu „Cypress Hill“-Sprechchören und Jubelstürmen hinreißen. Das Quartett hat es auch in seinen Fünzigern immer noch drauf, die Massen zu begeistern und lieferte eine gnadenlose HipHop-Show alter Schule. Es war ein energetischer und sehr intensiver Gig.
Auch nächste Woche wird das E-Werk nochmal zur Kulisse einer Open-Air-Show. Das Konzert von Jason Derulo musste leider auf 2025 verschoben werden, aber am 20.7. ist Mark Forster am Start. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Konzerte dort zu besuchen. Ein cooles Gelände außerhalb der Stadt mit reichlich Parkmöglichkeiten. Ein guter Sound, der durch die umliegenden Gebäude begünstigt wird. Was will man mehr für einen gelungenen Konzertabend?
Eine Reihe von fünf Open-Air-Veranstaltungen belebte im Juli das Gelände hinter dem E-Werk Saarbrücken. Im Prinzip ein idealer Veranstaltungsort, geschützt zwischen diversen Hallen und einer höher gelegenen Straße sowie umgeben von allerlei Parkmöglichkeiten. Dass der Schotterplatz sich am Samstagabend in ein Pfützenparadies verwandelte, ist dem gewittrigen Dauerregen des Abends geschuldet. Schade, aber wenn dieses Wacken-Wetter nicht zum Metalabend passte, zu wem dann sonst?
In der Vorwoche gaben sich Johannes Oerding und die Fanta 4 ein Stelldichein, am Freitag waren Scooter zu Gast. Über eine mangelnde Bandbreite an beteiligten Künstlern braucht man sich nicht zu beklagen. Höchstens über die bis dahin vorherrschende Männerdominanz. Aber dem konnte man am Wochenende Abhilfe schaffen, beginnend mit der Hardrock- und Metalbraut DORO, die am Samstag das Publikum begeisterte.
Zwar setzte pünktlich zu Doros Erscheinen auf der Bühne der erste Platzregen ein, ansonsten aber war ihr Auftritt perfekt. Und das nicht nur für Nostalgiker. Visuell prangte sie als leichtbekleidete Schönheit im Bühnenhintergrund. Das ist vielleicht aufgrund ihres nahenden Rentenalters etwas übertrieben, aber auch im gesetzteren Alter ist Doro sowohl optisch als auch stimmlich immer noch das Sinnbild der deutschen Metalqueen. Diesen Titel hat sie sich über Jahrzehnte hart erarbeitet und kann ihn bis heute erfolgreich verteidigen.
Es gab viele Stücke aus der Warlock-Ära, beispielsweise „I Rule The Ruins“, „Earthshaker Rock“ und „Burning The Witches“. Aufgrund dieser Songauswahl und der Power in der Performance wurde Doro von Beginn an abgefeiert. „Blood, Sweat and Rock ’n’ Roll“ hieß die Devise. Besondere Stimmung kam auf, als die deutschsprachigen Klassiker „Für immer“ und „All We Are“ erklangen. Da kam auch endlich die Sonne wieder raus und mit Regenbogen über der Bühne wurde der Mitsingpart zum generationenübergreifenden Gemeinschaftserlebnis. Kein Wunder, dass nach dem Priest-Cover „Breaking The Law“ auch noch die zusammenschweißende Hymne „All For Metal“ geschmettert wurde. Alles in allem ein Metalkonzert alten Kalibers. Hymnisch und durchdringend bis zum Schluss.
Man hätte meinen können, dass Saltatio Mortis es danach schwer haben würde, fiel ihr Mittelalter-Rock doch etwas aus der Reihe, was diesen Metalabend anging. Doch die Band um Jörg Roth (Alea der Bescheidene) stammt aus Karlsruhe und hatte somit in Saarbrücken fast schon ein Heimspiel. Gute Idee, sie direkt vor die Lokalmatadoren von Powerwolf zu platzieren. Es gab ein martialisches Intro im Scooter-Style und mit „Alive Now“ startete die Show im Metalsound, ergänzt um Leier und Dudelsack. Mit dieser Kombi konnten Saltatio Mortis perfekt glänzen.
Musikalisch gab es immer auch akustische Elemente, so dass der Folk nicht zu kurz kam. Die Balance zwischen Rock und Metal war stets gegeben. Man sang über „Loki“ und fragte „Wo sind die Clowns?“. Dazu durfte das Publikum mit den Protagonisten „Ich schwöre, ich bin ein Taugenichts“ skandieren. Die Setlist war mehr als grandios und ein Traditional wie „Drunken Sailer“ setzte das i-Tüpfelchen drauf. So bringt man eine Arena zum Mitgrölen.
Der Frontmann sprang zum Stagediving ins Publikum und ganz metalcore-like erzeugte man zum Electric Callboy-Cover „Hypa Hypa“ einen respektablen Circle Pit. Bei „Für immer jung“ ließ man einen Großteil der Zuschauer ihre Liebsten auf den Schultern tragen und zum Abschluss gab’s den „Spielmannsschwur“. Am Ende wurde die Band von einem lautstarken Chor standesgemäß abgefeiert. Fazit: alles richtig gemacht!
Aber natürlich sollte Powerwolf den Höhepunkt des Abends bilden. Nicht nur was den Härtegrad angeht – als Lokalmatadoren mussten sie auch zeigen, wer hier das Heimrecht hat. Gekonnt zelebrierte das Quintett seine Messe des Metal. Vor kurzem habe ich Ghost in der Rockhal gesehen und Parallelen sind hier nicht von der Hand zu weisen. Ist ja auch kein Problem, wenn die Qualität stimmt.
Ein gregorianisches Intro und Mönche mit Fackeln eröffneten das Szenario. Von „Faster Than The Flame“ bis „Werewolves Of Armenia“ ging es dann durch die Bandgeschichte. Lateinische Textzeilen durchmischten die Songs, es gab eine gewaltige Pyroshow und die Maskierung der Mitstreiter um Attila Dorn tat ihr Übriges dazu. Den Segen gab es aber nicht nur von der Bühne, sondern leider auch in Form nicht enden wollender Regengüsse vom Himmel. Die Zuschauer*innen ließen sich aber davon nicht entmutigen, sondern feierten um so ausgelassener mit. Die „Army Of The Night“ und die wilden Wölfe ließen in ihrer Performance nicht nach, schließlich war man – wie passend – „Sainted By The Storm“. Ein grandioser Abschluss für den Samstag.
Sonntags sollte es dann um Klassen ruhiger zugehen. Zum weiblich getragenen Line-Up hatten sich vor allem Frauen mit ihren mitgeschleppten Männern und massenweise Kinder eingefunden. Im Lauf des Abends wurden Hunderte Kids auf den Schulter getragen, um vielleicht das erste Konzert ihres Lebens zu erleben. Der Glanz in den Augen berührte auch die anderen Anwesenden.
Bevor aber Lea ihren Part ablieferte, war als Support Lina Maly am Zug. Mit ihren gerade mal 26 Jahren ist die Liedermacherin aus Elmshorn schon eine feste Größe in der Szene intelligenter deutschsprachiger Popmusik. Ihren halbstündigen Set spielte sie mit reduzierter Band, vergaß aber nicht, Werbung für den 28.10.2023 zu machen, wo sie dann in einem Headliner-Konzert mit kompletter Band im nahen Saarburg zu Gast sein wird. Linas melancholische Songs passten stilistisch perfekt zur Musik von Lea und waren somit die perfekte Einstimmung.
Dann aber – um 20.30 Uhr – kam der große Moment. Die Bühne war zunächst noch hinter einem Vorhang versteckt und LEA startete allein im Vordergrund mit dem passenden „Sommer“. Schon der zweite Song war „Treppenhaus“ und zum fallenden Vorhang sangen Kinderstimmen tausendfach begeistert den Refrain mit. So läuft ein grandioser Auftakt zu einer fantastischen Show.
Ich will nicht verhehlen, dass Lea in meinen Augen die perfekte Singer/Songwriterin aus deutschen Landen ist und meiner Meinung nach mit „Bülowstrasse“ ganz aktuell das beste und gefühlvollste Deutschpop-Album seit Andreas Bourani („Hey“) abgeliefert hat. Sie legt eine unglaubliche Fülle an Emotionen in ihre Lyrics und ihre Stimme. Manchen mag das gar zu viel werden, doch ich persönlich – und damit bin ich nicht allein – kann mich an ihren authentischen Songs einfach nicht satt hören. Zudem hat sie es gewagt, in einer Zeit, da Musik meist nur noch in Einzelsongs per Stream gehört wird, ein Konzeptalbum über Jugendliche in Berlin abzuliefern. Es macht immer wieder Spaß, dieses Album am Stück zu hören, doch Songs wie „Pass auf mich auf“ funktionieren auch als für sich stehende Songs.
Gemeinsam mit Lina Maly hat Lea für dieses Album auch den Song „Nieselregen“ geschrieben, den beide nun zusammen performten. „Drei Uhr Nachts“ brachte auch ohne Mark Forster die Zuschauer*innen komplett zum Ausrasten. Ein Stück mit enorm viel Groove. Nach „Küsse wie Gift“ gab es ein Drum-Duell auf der Bühne, das Lea nutzt, um durch die Zuschauer einen Platz neben dem FOH zu erreichen, wo sie ganz auf Tuchfühlung gehen konnte. Hier erzählte sie vom ersten Gig in Saarbrücken, wo 2016 ganze vier Menschen erschienen sind.
Nach dem großen Bandsound von der Bühne, zelebrierte Lea nun viele melancholische Stücke zu sanften Pianoklängen oder akustischer Gitarre. Mit viel Emotion gab es „Sommersprossen“ vom aktuellen Album. „Mutprobe“ wurde gleich zweimal geboten, zunächst im Duett mit Zuschauerin Lena, die sich diesen Song aus dem Publikum gewünscht hatte, und dann nochmal komplett mit Band. Als weitere neue Songs gab es „Fuchs“ in einer wunderschönen Pianoversion und auch „Aperol im Glas“ funktionierte zunächst als Ballade, bevor es mit rockigem Beat auf der Bühne in die zweite Hälfte ging.
„In Flammen“ wurde zur elektronischen und fast schon psychedelischen Performance. So zeigte Lea, dass es nicht immer melancholische Balladen sein müssen. „Beifahrersitz“ wurde ganz akustisch zur Gitarre vorgetragen, es gab ein Medley aus Hits wie“Leiser“ und „Zu dir“. „Schwarz“ nahm das Publikum mit eindringlichen Worten mit, dann erklang „110“ und zum Abschluss des regulären Sets die Hymne „Okay“ mit der wichtigen Botschaft an die junge Generation, dass jeder so okay ist, wie er ist. In einer Influencer-Glitzerwelt besonders wichtig.
Die Gitarrenballade „Wenn du mich lässt“ und das kuriose „Liebeslied“, das es bisher noch auf kein Lea-Album geschafft hat aber live immer gern gespielt wird, beendeten nach 110 Minuten ein wundervolles Konzert. Lea hat mal wieder bewiesen, warum sie an der Spitze deutschsprachiger Songwriterinnen steht. Ihre Texte strotzen vor Melancholie und Poesie und für ihre Fans ist das genau richtig. Die Kids bewundern Lea wie eine große Schwester – und auch das erwachsene Publikum nimmt sie an einem solchen Abend mit auf die emotionale Reise. Der Abschluss der „Open Airs am E-Werk“ an diesem lauen Sommerabend war einfach perfekt. Bleibt zu hoffen, dass es 2024 ebenso genial weitergeht.
Setlist – LEA, 16.7.2023, Open Air am E-Werk Saarbrücken
Sommer
Treppenhaus
Pass auf mich auf
Pessimist
Drei Uhr Nachts
Eigentlich
Küsse wie Gift
Elefant
Mutprobe (Refrain)
Sommersprossen
Mutprobe
Fuchs
Aperol im Glas
7 Stunden
In Flammen
Beifahrersitz
Immer wenn wir uns sehn
Leiser / Zu dir / Wohin willst du (Medley)
Schwarz
110
Okay
Am 1. Februar 2023 durften wir Max Giesinger über Zoom einige Fragen stellen. Wir trafen auf einen gut gelaunten und sympathischen Sänger mitten in den Vorbereitungen zu seiner anstehenden Hallentournee. Das Interview führte Andreas Weist.
MHQ: Du spielst am 28. März in Saarbrücken in der Saarlandhalle. Eigentlich sollte das Konzert ja schon vor drei Jahren stattfinden. Wie hast du dir in der Zwischenzeit die Zeit vertrieben?
Ich komme gerade aus dem Urlaubsmodus und bin noch auf einer anderen Frequenz unterwegs. Aber ich hab versucht, die Zeit relativ sinnvoll zu nutzen. In der ersten Phase hab ich Kochen gelernt, weil ich nicht mehr rausgehen konnte, aber dann hab ich plötzlich gecheckt, dass man ja auch Essen bestellen kann. Aber die ersten zwei Monate hab ich tatsächlich für mich selber gekocht. Dann hab ich mit Yoga angefangen, im zweiten Corona-Jahr mit Tennis, Surfen – und dann, als es wieder ging, die Welt bereist. Ich habe versucht, ein paar gesündere Lebenseinstellungen einfließen zu lassen und mich nicht mehr kaputt zu arbeiten. Vorher war ich ständig unterwegs, jetzt habe ich ein ziemlich gutes Privatleben wiederhergestellt.
MHQ: Immerhin habe ich dich danach zweimal open air gesehen. Letztes Jahr in Echternach (Luxemburg) und vor zwei Jahren beim Strandkorb-Konzert am Bostalsee. Was war das für ein Gefühl, vor Strandkörben zu spielen?
Die Strandkorb-Konzerte waren schon was besonderes. Die Distanz zum Publikum war etwas schwierig. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Der erste Strandkorb ist so in 25 Meter Entfernung. Du guckst von einer Riesenbühne runter und hast keine Masse vor dir, die miteinander agiert. Es war schwierig, dass der Funke übergesprungen ist, weil wir einfach so weit entfernt waren. Die Konzerte haben zwar Spaß gemacht, aber sie haben sich immer wie eine Probe angefühlt.
MHQ: Ich finde, die Stimmung war sehr gut. Besser als erwartet. Du hast dazu beigetragen, indem du trotz aller Einschränkungen dein „Bad in der Menge“, also zwischen den Strandkörben, genommen und auch die Zugaben von einem Podest aus dem Publikum gespielt hast. Gab es keinen Ärger deswegen?
Nein. Das war zu der Zeit auch schon wieder erlaubt. Ich bin ja nicht in die Strandkörbe rein gekrochen. Es war einfach eine absurde Zeit. Die Strandkorb-Shows waren gebucht, aber manche Clubs hatten auch schon wieder geöffnet. Trotzdem wollten wir die Konzerte spielen. Die Leute hatten ja Tickets dafür gekauft. Und wir versuchten, nach besten Möglichkeiten ein wenig Intimität zu schaffen. Das geht am besten, wenn du ins Publikum gehst. Und ich glaub für die Leute war das ganz cool, gemütlich zu sitzen. Aber meine Musiker mussten viel Energie in die Shows stecken. Das waren ja riesige Flächen wie Fußballfelder.
MHQ: Was dürfen wir den jetzt für die Saarlandhalle erwarten? Wird es neue Songs geben?
Es wird auf jeden Fall eine Kracher-Show. Wir proben jetzt erstmal eine Woche. Im Sommer haben wir viele Festivals gespielt und wieder ein Gefühl fürs Touren bekommen. Es wird ein „Best of“ aus allen großen Hits und Fan-Lieblingen. Es wird rockige aber auch akustische Momente geben. Es ist mir wichtig, dem Publikum nah zu sein und in den Dialog zu kommen. Es ist immer ein Highlight, auf unsre Konzerte zu kommen. Wir stecken sehr viel Liebe rein und sind auch bekannt dafür, dass es live echt Spaß macht. Ich kann alle nur herzlich einladen: Gönnt euch das!
MHQ: Deine Alben gefallen mir vor allem deshalb so gut, weil sie meist ein Konzept verfolgen und in vielen Songs deine Geschichte erzählen. Manchmal hat man das Gefühl, dass eine Story noch nicht zu Ende erzählt ist und die Alben einen „Director’s Cut“ brauchen. So hast du damals „Die Reise“ akustisch neu aufgenommen und in der Tracklist verändert. Und du hast „Vier“ um einige Songs erweitert und als „Viereinhalb“ neu veröffentlicht. Was ist deine Motivation dahinter?
Wenn man schöne Songs geschrieben hat, finde ich es immer ganz gut, wenn man die auch nochmal anders aufleben lässt. Bei der „Reise“-Platte haben die Songs auch so viel hergegeben. Man konnte sie super akustisch umarrangieren. Und bei „Vier“ hatte ich einfach extrem viele Songs geschrieben und es war total schwierig, die Stücke für die Platte auszuwählen. Also machten wir eine Art „add on“ und nannten das „Viereinhalb“, weil quasi nochmal eine halbe Platte mehr drauf war. So bediene ich mich an den Optionen, die möglich sind. Man kann Deluxe- oder Akustik-Platten machen. Und ich finde, ein guter Song ist nicht so schnell auserzählt.
MHQ: In „Pulverfass“ hältst du eine Ansprache an dein zukünftiges Kind, die ziemlich pessimistisch rüber kommt. Gleichzeitig gibt „Stell dir vor es wird gut“ eine positive Zukunftsperspektive. Wie ist deine Einstellung? Ist das Glas halb leer oder halb voll?
Das hängt von meiner Tagesform ab. Ich kann schon ein Pessimist sein und versuche dann, meine Erwartungen runter zu schrauben, damit ich nicht enttäuscht werde, wenn es doch nix wird. Damit bin ich schon öfter gut gefahren. Aber meist würde ich mich als kleinen Sonnenschein beschreiben, dass ich versuche, gut gelaunt durch du Welt zu gehen und das Beste draus zu machen. Es kann mich ziemlich abfucken, wenn es nicht gut läuft, aber ich bin auch sehr begeisterungsfähig, wenn es dann mal gut läuft.
MHQ: Als Motto für die Tour hast du den Song „Irgendwann ist jetzt“ ausgewählt. Eine Hymne für Eigenverantwortung und ein Aufruf, nicht alles aufzuschieben, was man erreichen will. Ist das die Botschaft, die du deinen Fans vermitteln willst? Geht nicht irgendwann mal wieder zum Konzert – sondern jetzt!
Stimmt. So kann man das auch sehen. Wer weiß, wie lange wir noch auf Tour gehen. Vielleicht hab ich ja in drei Jahren Bock, ein Café in Brasilien aufzumachen. Wenn du ein Konzert besuchen willst, dann mach es jetzt. Und wenn du Dinge in deinem Leben verändern willst, dann auch jetzt und nicht erst in ein paar Monaten. Diese Aufschieberei tut keinem gut. Natürlich ist es leichter, Instagram durchzuscrollen als deine wirklichen Probleme anzugehen. Ich hab letztes Jahr viel aufgeräumt und auch Dinge verändert, die mir auf den Keks gegangen sind. Das tut manchmal weh, aber es ist wie beim Fitness-Studio: Erst hat man keinen Bock drauf, aber hinterher ist es dann doch ein super Gefühl.
MHQ: In den ersten Albentiteln waren immer Bewegungselemente wie Laufen, Rennen und Reisen vertreten. Das Album „Vier“ fand ich dann schon überraschend. Heißt das, dass du inzwischen sesshaft geworden bist?
Das kann man noch nicht so genau sagen, aber ich bin jetzt näher dran am Sesshaft-werden. Mit 34 will man auch nicht mehr auf jeder Party rumtanzen. Man hat schon viel gesehen, weiß wie manche Dinge laufen und wird dadurch etwas entspannter. Da ist schon eine Grundentspannung und ich merke, dass ich weder mir noch irgendjemand anderem etwas beweisen muss. Ich hatte ein paar sehr erfolgreiche Alben und gute Songs im Radio. Da bin ich unfassbar dankbar für. Man kommt schon ein Stück bei sich an, aber es ist kein finales Ankommen. Das würde ich mit einem Stillstand verbinden. Wenn ich ein Ziel erreicht habe, will ich ein nächstes Ziel erreichen.
MHQ: Am Bostalsee hast du „Über den Wolken“ von Reinhard Mey gespielt. Kannst du dir vorstellen, mit 80 Jahren noch zweistündige Konzerte zu geben?
Auf jeden Fall hab ich da großen Respekt vor. Nach zwei Stunden oder oft auch zweieinhalb Stunden komm ich von der Bühne, bin fertig und könnte auch direkt schlafen gehen. Ich würde mir schon wünschen, dass ich das noch lange so machen kann. Aber mit 80? Das ist schon krass. Vielleicht sag ich auch mit 50: Okay, das war ne coole Zeit, aber jetzt kümmere ich mich um Kind und Garten und später um Enkel. Auf jeden Fall liebe ich das Musikmachen so sehr, dass ich mir im Moment nicht vorstellen kann, je ohne Publikum auszukommen. Aber sechs Wochen Tour mit 40 Konzerten wird es in zwanzig Jahren vermutlich nicht mehr geben. Dann macht man einfach etwas weniger.
MHQ: Hast du noch viel Kontakt zu Waldbronn und Karlsruhe? Eigentlich ist Saarbrücken ja fast ein Heimspiel für dich. Hat das eine besondere Bedeutung, dort zu spielen?
Ich mag es immer noch sehr, im Süden zu sein. Auch ans Saarland habe ich nur gute Erinnerungen. Das ist ein Bundesland, in dem wir immer tolle Konzerte gespielt haben. Das passt gut, ich hab Bock drauf und bin dankbar, dass mir die Leute dort schon seit Jahren so treu sind.
MHQ: Wann wird es denn ein fünftes Album geben? Hast du schon Pläne?
Gefühlt ist das noch ne Ecke weg. Ich hab langsam angefangen, ein paar Songs zu schreiben, aber ich will mir auch keinen Druck machen. Ich finde, du kannst nicht alle anderthalb Jahre eine neue Platte rausbringen. Du musst erstmal etwas erleben. Für eine gute Platte braucht man Stoff von 2-3 Jahren. Also: Es ist noch nichts in Aussicht, aber Ewigkeiten wird es auch nicht dauern.
MHQ: Der Song mit Michael Schulte ist aber kein Zeichen, dass du es mal auf Englisch probieren willst?
Also solomäßig fühle ich nicht, dass es ein englisches Album geben wird. Im Duo-Kontext könnte ich mir das schon vorstellen. Es ist nichts geplant, aber ich will das auch nicht komplett verneinen. Es wäre vorstellbar. Als Künstler will man auch mal was anderes machen. Nach links und rechts gucken, was da so geht, finde ich ganz spannend.
MHQ: Ich danke dir sehr für das Gespräch. Danke für deine Zeit!
Ein besonderer Dank geht an Heiko Renno von Saarevent für die Vermittlung, an die Tourpromoterin Anika Grillis für die Organisation und natürlich an Peter Goebel, der uns stets mit News zu Max Giesinger auf dem Laufenden hält.