ROCK AM RING – Tag 1 mit DONOTS, Måneskin, BROILERS, Green Day, Scooter

Es war ein würdiger Start nach zwei Jahren Corona-Zwangspause. Was für eine geile Idee, die DONOTS als Opener quasi am frühen Morgen (geplant war ein Start um 13.40 Uhr) auf die Hauptbühne zu lassen. Dann wurde es aber doch 14 Uhr. Ingo und seine Gang sind ja inzwischen so etwas wie die Patrone und Hausherren des Festivals – ein Status, den sie sich redlich verdient haben. Gerade erst haben die DONOTS angekündigt, dass ihr neues Album „Heut ist ein guter Tag“ im Februar 2023 erscheinen wird. Yeah! Und natürlich gab es ein entsprechendes Banner im Bühnenhintergrund: Ein Strauß Blumen für die Fans. Schnell wurde der Albumtitel zum Motto des Tages, denn heute sollte alles passen.

Von den angekündigten Gewittern und Regenschauern war nichts zu bemerken. Es blieb trocken bis zum Schluss und die milden Sommertemperaturen sorgten für das ideale Festivalwetter. Der Ring war mit 90.000 Fans ausverkauft und das Programm sah eine Menge Partykracher für ausgelassene Stimmung vor – so auch bei den DONOTS. Zehn nach vorn treibende Songs zeigten die Feierlaune des Quintetts im Einklang mit seinem Publikum. Die Mischung ging durch die gesamte Karriere, startend mit „Calling“ und „Wake The Dogs“, endend mit „Auf sie mit Gebrüll“ und „So Long“.

Dazwischen gab es eine Überraschung, auf die viele gehofft aber mit der die meisten nicht wirklich gerechnet hatten: Die TOTEN HOSEN waren auch im Jahr 2022 auf dem RING! Was wären auch das (verschobene) Jubiläum und der Neustart ohne diese Dauergäste? Zunächst spielten die DONOTS selbst „Hier kommt Alex“, doch dann waren plötzlich die Freunde, sprich: Campino und Band, mit auf der Bühne und der Jubel im Publikum grenzenlos. Kann man das noch toppen? Ja – mit einem ÄRZTE Song: Der „Schrei nach Liebe“ aus 90.000 Kehlen ließ das Gelände beben.

Es waren, laut Ingo, 888 Tage seit der letzten DONOTS-Show. Die Disziplinen Springen, Rudern und Laufen im Circle Pit funktionierten aber noch. Und wie!

Der Timetable war ein wenig im Eimer. YOU ME AT SIX starteten nochmal eine halbe Stunde zu spät und mussten ihren Gig verkürzen. Sie standen vermutlich im Stau. Der Auftritt war trotz dieser Widrigkeiten sehr stark. Der Sound komplex und von einem starken Beat getragen. Die Tracks pendelten gerne mal zwischen Pop und Rock, am liebsten aber rockte das Quintett seine breitwandigen Hymnen straight nach vorne und baute enorme Klangwände auf, die trotz aller Elektronik nie nervig wurden. Josh Franceschi sang, schrie und hielt die Fäden in der Hand. Seine Ansagen enthielten die corona-typische Wehmut: Der erste Auftritt in Deutschland seit 2019 – und zugleich der „fucking dream to play the main stage“ bei ROCK AM RING. Geschafft!

Die Alternative Rocker WEEZER brachten ihre melodische Seite auf die Main Stage. Gitarrenlastig zwischen Punk und College Rock. Als Intro gab es Van Halens „Jump“, womit die Zeichen auf einträchtiges Springen im Publikum gestellt waren. Die Setlist reichte von „Hash Pipe“ über „My Name Is Jonas“ bis hin zu „Island In The Sun“. Wer bis dahin noch nicht textsicher war, durfte sich über das TOTO-Cover „Africa“ freuen. Sänger Rivers Cuomo interpretierte den Song definitiv besser als weiland Totos Bobby Kimbell. Mit „Buddy Holly“ endete ein respektabler Set.

Es folgte die „Band der Stunde“. Måneskin aus Rom sind seit ihrem Sing beim ESC 2021 zu Recht in aller Munde und konnten den Erfolg schnell über Europa hinaus ausdehnen. Recht früh im Set präsentierten sie „Beggin'“, ein Cover der Four Seasons, ihren viralen Hit, der auch in den USA mit Platin ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus gab es „Zitti e buoni“, den ESC-Siegertitel. Und das schon ganz zu Beginn des Sets. Aber die Band war keineswegs „leise und brav“. Es wurde gerockt, was das Zeug hielt, wobei der exzentrische Fronter Damiano David ganz im Mittelpunkt stand und seine Show gekonnt zelebrierte. Alles in allem ein ordentlicher Abriss für die Hauptbühne.

The Offspring aus Orange County in Kalifornien sind nicht mehr die Jüngsten. Sänger Dexter Holland geht auch schon auf die 60 zu, was für die Punkband aber kein Hindernis war. 2021 gab es nach neun Jahren Funkstille mit „Let The Bad Times Roll“ einen neuen Longplayer. Die Frage darf gestellt werden: Braucht man so ein Album samt Titel überhaupt noch? Hat der Punk ausgedient? Ja und nein heißt hier die Antwort. Dieses Album kam genau zur richtigen Zeit und zeigte, dass Punkrock in den USA noch nicht am Ende war. Live berufen sich Dexter Holland & Co. auf alte Stärken und zelebrieren ihre Klassiker mit großer Lightshow und Leinwandvideos, die sich dann am frühen Abend (es war inzwischen 19.30 Uhr) auch lohnten. Der Tag ging mit Sonnenschein und Kaiserwetter zu Ende – The Offspring brachten den Lichterglanz vom Himmel zur Bühne.

Jan Delay mit Disko Nr. 1 und die Metalcorer Caliban spielten parallel auf Mandora und Orbit Stage. Schwierige Entscheidung, die dann aber doch zu Gunsten von Jan Philipp Eißfeldt ausfiel. Der Meister des genuschelten Wortes ging direkt in die Vollen und ließ es vom ersten Song an nicht zu, dass das Publikum sich zur Ruhe setze. „Klar“, „Spaß“, „Large“ und „Disko“ ließen den Funk hoch leben und das Publikum tanzen. Das aktuelle Album heißt „Earth, Wind & Feiern“, was zur Mottoparty einlädt. Von dem gab es dann auch viel Material zu hören. Mit Blechbläsern und weiblichem Backgroundgesang war Einiges aufgefahren und die formidable Lightshow tat ihr Übriges dazu.

Zwischenzeitlich zelebrierten Caliban Headbanging, Circle Pits und ein aggressiv-freundliches Aufeinanderlosgehen mit klaren Ansagen gegen Nazis und Intoleranz. Während Jan Delay noch den Sonnentag feierte, ging es hier düster zur Sache – auch wenn das Rammstein Cover „Sonne“ ertönte. Das Publikum zog mit und der Refrain „Eins – hier kommt die Sonne“ wurde textsicher gefeiert. Der Titelsong des neuen Albums heißt „Dystopia“ und beschreibt sowohl den Zustand der Welt als auch die Widrigkeiten der Lockdown-Zeit. Das sprach mal wieder vielen aus der Seele. Gut, dass die Zeit von Masken und Impfausweis (vorerst) ad acta gelegt scheint.

Die Broilers zeigten sich auf der Hauptbühne „Utopia Stage“ von ihrer besten Seite und hielten die Feierlaune am Kochen. Sammy Amara war ein extrem sympathischer Frontmann und schaffte es, die Punk-Atmosphäre in den Abend zu retten und das Feld für Green Day zu bereiten. Dabei waren die Broilers selbst ein würdiger Headliner. „Zurück zum Beton“ passte perfekt als Eröffnungssong – standen doch die Zuschauer feste springend auf der Asphaltfläche. Atmosphärisch war es ein hervorragendes Konzert mit wehmütigen und kritischen Texten. Der epische Bläserklang der Band verband gekonnt Funk und Punk. So soll das sein! Sehr engagiert gab es große Circle Pits, auch und gerade als Sammy – auf sein Alter anspielend – die „Jugendlichen von 40 Jahren“ ansprach. Es gab einen Kniefall des Publikums und ausgelassenes Springen. Und natürlich bekamen „Alice Weidel und die ganze Nazischeiße“ zum Song „Alice und Sarah“ ordentlich ihr Fett weg. So gehört sich das!

Der Rostocker Marteria ist auf „Vollkontakt Tour“. Das mit dem Körperkontakt ist nicht so einfach als Künstler bei ROCK AM RING. Auf der „Mandora Stage“ gab es einen lauten Set mit viel Elektronik. Die Produktion von DJ Koze zeigt Wirkung. Daher war es nicht so atmosphärisch wie im Doppelpack mit Casper vor drei Jahren. Immerhin schaffte es der gute Marten, den Anwesenden Frauen mehr Geltung zu verschaffen. Zu „Marteria Girl“ sollten alle Girls auf die Schultern ihrer Begleiter. Das klappte sichtlich gut und Marteria konnte den Song allen Girls widmen. Für „El Presidente“ gab es hingegen eine komplett neue Strophe, die den Krieg in der Ukraine thematisierte. Verdammt passend! Dass Campino auch noch hier auf der Stage auftauchte, um Zungenküsse mit Marteria auszutauschen und ihre Ossi-Wessi-„Feindschaft“ ausgiebig zu zelebrieren, sei nur am Rande erwähnt.

Auf der „Utopia Stage“ begann nun das gespannte Warten auf Green Day. Und als die US-Band, die in den 90ern das Revival des Punkrock eingeläutet hatte, endlich auf der Bühne stand, kamen ihre Headliner-Qualitäten voll zur Geltung. Was für eine geile Show! Einziges Manko: Die Zuschauer im hinteren Bereich der großen Fläche konnten nur einen Bruchteil des Sounds genießen, da die entsprechenden Boxen aus unerfindlichen Gründen entweder ausgeschaltet oder sehr leise eingestellt waren. Alles Hadern nutzte nichts – vorne brachten Billie Joe Armstrong und Green Day die Menge zum Kochen. Der Opener „American Idiot“ schlug direkt ein, aber es gab auch stille Momente. Was für ein Bild, als Billie die Fans zu „Boulevard Of Broken Dreams“ an die Handys bat: Ein Meer aus Lichtern beleuchtete das Festivalgelände und stimmgewaltig wurde der Song mitgegrölt. Der Frontmann war ständig im Kontakt zum Publikum und trieb sein Spiel mit Gesten und Sprechchören. Flammenshow auf der Bühne – dann eine Zuschauerin, die sich am Bass versuchen durfte und das Instrument am Ende gar geschenkt bekam. Tatsächlich in Green Day verliebt haben wir uns, als „Basket Case“, „She“ und „When September Ends“ erklangen. Das brachte perfekte Stadion- und Festivalatmosphäre mit Gänsehaut und Kribbeln im Bauch. Und zum Schluss gab es ein respektables Feuerwerk, das die Main Stage schließen sollte.

Aber es war noch nicht die Zeit, in Auto, Zelt oder Hotel zu entschwinden. Auf der zweiten Hauptbühne gab es ja noch das Late Night Special von SCOOTER. H.P. Baxxter ist es schon lange gewohnt, vor großem Publikum zu spielen, aber dass Techno und der elektronische Dancefloor solche Massen anzogen, war dann doch eine Überraschung. Keiner wollte nach Hause. Klar: Man hatte lange genug auf Livekonzerte verzichtet. Also jetzt Samples, leicht bekleidete Tänzerinnen, eine wirklich ordentliche Pyroshow und Songs von „God Save The Rave“ über „Nessaja“ und „How Much Is The Fish?“ bis hin zum ultimativen „Endless Summer“ mit dem unvermeidlichen „Hyper, Hyper“. Mottosong war definitiv „FCK 2020“ als ein „Fick dich“ an die Corona-Jahre. Und zu „Fire“ war die Hütte ordentlich am brennen. Scooter am Ring? Aber ja doch!

Als Fazit des ersten Tages bleibt zu sagen: Das Line-up war besser als sein Ruf. Viel Partymucke, was dem feier-, tanz- und springwütigen Publikum gerade recht kam. Das im Vorfeld stark kritisierte Cashless-System hat gut funktioniert und sorgte dafür, dass die extrem langen Schlangen vergangener Jahre ausblieben. Auch gut! Und die Wettervorhersagen hatten zum Glück gelogen. Es war den ganzen Tag über trocken mit leichter Sonnenbrand-Gefahr. So ist es auch für Tag 2 angesagt. Mal sehen.