Gazpacho sind die progressiven Meister des Geschichtenerzählens. Im Prinzip hauen sie ein wundervolles Konzeptwerk nach dem anderen raus. Für mich steht immer noch „Tick Tock“ ganz vorne, das die Autobiographie von Antoine de Saint-Exupéry in Töne fasst. Ganz aktuell ist aber das Werk „Soyuz“ am Start, erschienen 18.5.2018 und damit noch ganz aktuell, als die Band in die Stummsche Reithalle im saarländischen Neunkirchen kam. Seit dort das „Gloomaar-Festival“ stattfindet, ist Neunkirchen eine guten Adresse für Progressive Rock. Trotzdem hatten sich nur knapp 50-60 Zuschauer zu Gazpacho verirrt. Es mag an den tropischen Temperaturen gelegen haben. Musikalisch nämlich sollte jeder sich für Gazpacho interessieren. Sie sind eine Wucht!
Der unverwechselbare Artrock von Gazpacho balanciert zwischen spannenden und wunderschönen sowie düsteren und gefühlvollen Arrangements. Offiziell dem „Neo-Prog“ zugeordnet, zieht die Band ihre Inspiration jedoch aus einem vielfältigen Repertoire von Vorbildern, wie etwa Marillion, Muse oder Pink Floyd. In Neunkirchen spielten sie eines von nur drei Deutschlandkonzerten. Und natürlich stand „Soyuz“ als aktuelles Werk ganz im Vordergrund. Darin geht es um die Vergänglichkeit wunderbarer Momente. Als Inspiration des neuen Albums dienten unter anderem das zum Pech verdammte russische Raumschiff SOJUS, dessen ikonischer Kapitän Komarow mit der Kapsel verunglückte. Außerdem die tibetanisch-buddhistische Himmelsbestattung, bei der die Verstorbenen in Stücken an Geier und Wildvögel verfüttert werden. Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ stand Pate für den Song „Emperor Bespoke“. Außerdem auf dem Album zu hören: die älteste Aufnahme der menschlichen Stimme von 1860.
Das Konzert in Neunkirchen begann pünktlich um 20 Uhr und es gab eine 20minütige Pause zur Halbzeit, die wohl dem Verlangen nach frischer Luft geschuldet war. Gazpacho spielen auf der aktuellen Tour ihre neue CD nicht am Stück. Das war in der Vergangenheit oft anders. Stattdessen gab es eine Mischung von Songs aus verschiedenen Alben, mal kurz gehalten, mal in epischer Breite (wie „The Walk“ aus „Tick Tock“). Großartig, dass die Band einen Violinisten dabei hatte, der Folk-Anleihen mit ins Spiel brachte.
Im Hintergrund fand sich auf LCD eine animierte Lightshow, die die passende Atmosphäre zu den einzelnen Songs schuf. Dazu ein satter Sound – vor allem in den lauten Passagen – und hervorragende Solisten. Die gute Akustik in der Reithalle tat ihr Übriges dazu. Und natürlich die unvergleichliche Stimme von Jan-Henrik Ohme, der die Songs ebenso atmosphärisch begleitete wie seine instrumentalen Mitstreiter. Es war schon ein besonderes Konzert mit wundervoller Klangfülle. Mir gefielen vor allem die Stücke vom „Night“ Album und natürlich die rhythmischen Songs von meinem Lieblingswerk „Tick Tock“. Das ging in die Beine und zu Herzen.
Über zwei Stunden plus Pause dauerte die Show und die Band schenkte sich nichts – trotz der bescheidenen Zuschauerzahl. Das ist wahre Größe und qualifiziert die Norweger auf jeden Fall als Publikumslieblinge der Prog-Szene.
Setlist – Gazpacho, Neunkirchen, 29.5.2018
Soyuz One
Hypomania
The Wizard of Altai Mountains
Alarm
Black Lily
Tick Tock, Part 3
Fleeting Things
The Dumb
Golem
Molok Rising
Dream of Stone
Upside Down
Emperor Bespoke
The Walk, Part 1
The Walk, Part 2
Splendid Isolation
Soyuz Out
Massive Illusion
Winter Is Never