Selig nehmen uns auf ihrem letzten Konzert diesen Jahres mit auf eine Reise ins Jahr 1994 – dem Jahr, in dem „Selig“, das erste Album der Band, entstanden ist. Dieser Abend markiert aber nicht nur das Ende des 25-jährigen „Selig“-Jubiläums, sondern auch den Abschluss des 2. Rheinbühne-Festivals.
Die von den Veranstalter*innen ausgewählte Location war mir bis dato kein Begriff, doch sie gefällt mir wirklich gut. Die Atmosphäre ist wunderbar familiär, alle sind entspannt und scheinen sich auf einen gemütlichen Abend mit Selig und ihren Freund*innen zu freuen. Die familiäre Atmosphäre wird nochmal über die persönliche Ansprache inklusive Dankesworte von einem der beiden Veranstalter*innen verstärkt. Wie es so oft bei Konzerten ist, steht und fällt alles mit dem Publikum. Ich muss sagen, dass die knapp 600 Zuschauer*innen allesamt wie eingefleischte Selig-Fans erscheinen: So ein textsicheres Publikum habe ich selten erlebt. Wie vorher einstudiert wechseln Jan Plewka und das Publikum sich ab, sodass ein wunderschönes Gesangsgemälde entsteht.
Schon beim Opener „Sie hat geschrien“ wird das Tanzbein geschwungen und lauthals mitgesungen. So macht ein Konzertbeginn besonders Spaß! Jan Plewka lässt die Fans am Schreibprozess von „Das Mädchen auf dem Dach“ teilhaben, welches Anfang der 1990er Jahre auf dem Dach von Christian Neander entstand – mit diesem Wissen hat das Lied gleich eine ganz andere Energie. Vor „Ohne dich“ stellen wir uns gemeinsam vor, unsere imaginäre Schallplatte herumzudrehen und die B-Seite aufzulegen. Bevor das gesamte Publikum mit „lauten und offenen Herzen“, wie Jan Plewka es ausdrückt, jedes einzelne Wort des Songs in den Abend singt, erzählt die Band, dass sie sich über die Titelreihenfolge auf ihrem ersten Album so sehr gestritten haben, dass sie sich fast getrennt hätten. Ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass es dazu nicht gekommen ist! Wie immer hat Selig es auch an diesem Abend mühelos geschafft, das Publikum bei „Wenn ich wollte“ tanzen und bei „Regenbogenleicht“ ganz leise sein zu lassen. Wir sind also nicht nur durch die Zeit, sondern auch durch verschiedene Gefühlszustände gereist.
Bis zu diesem Punkt war die Setlist klar; „Selig“ wurde chronologisch abgearbeitet. Nach unserem musikalischen Ausflug durch ihr erstes Album, beglücken uns Selig mit ein paar neueren Stücken. Meine Tränen bei „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ sind dabei wie immer ein Muss. Und wie schon so oft habe ich auch heute Abend wieder festgestellt, dass „Ist es wichtig“ zu meinen absoluten Live-Favoriten gehört. Das Konzert endet untypischerweise nicht mit „Wir werden uns wiedersehen“, denn das ist der vorletzte Song und der hat das Publikum noch einmal richtig aufgeweckt.
Mit dem Schlusslied „Fadensonnen“ kommen wir auf unserer Zeitreise endgültig im Hier und Jetzt an und schließen gleichzeitig den Kreis, da „Fadensonnen“ auch der letzte Song auf „Selig“ ist. Jan Plewka leitet den Song mit den Worten „Wie kann es sein, dass unsere Kinder auf die Straße gehen müssen? Wo sind wir?“ ein und macht auf den Klimastreik am 20.09.2019 aufmerksam. Die Band spannt ein Transparent auf der Bühne auf und ruft zu einer friedlichen, antitoxischen und grenzenlosen Revolution für das Klima auf. Mein Herz schlägt höher! Wir singen „Fadensonnen“ für unseren Planeten, stellen uns vor, wir wären die letzten, die noch hier sind, während alle anderen schon auf dem Weg zu einem Planeten B sind (wie auch immer sie den gefunden haben…). Mein Lieblingssatz des Abends ist in dem Zusammenhang auf jeden Fall „Lasst euch von diesem Plastikzwang nicht einzwängen.“ Okay, Jan, ich bin dabei: „Lasst uns die Welt retten – jetzt!“
Und weil sie nicht nur wunderschön poetische Musik, sondern auch auf wichtige politische Themen aufmerksam machen, mag ich Selig so. Wie schön, dass sie ewig weitermachen wollen, wie sie heute Abend sagen. Und wir können uns freuen, denn sie werden sich nun (vor ihrer Tour „Selig macht Selig“ ab März 2020) nach Dänemark zurückziehen und ein neues Album aufnehmen – wir bleiben gespannt und wie immer auch ein bisschen selig.