Pünktlich zum zehnten Geburtstag der Band gibt es ein neues Album der Briten und man darf den neuen Sänger und Gitarristen Daniel Änghede im Line Up begrüßen. Wie immer erwarten uns spannende Songs, die man nicht einfach so nebenbei hören kann. Der Zuschreibungen gibt es viele: Progressive Rock, Artrock, Postrock, Ambient… In Wahrheit bieten CBP von allem etwas, überraschen aber zunächst mal mit einem akustischen Folk-Titel, den der Schwede Änghede elvis-mäßig ins Mikro schmachtet.
Doch keine Sorge, spätestens der Longtrack “No!”, aufgeteilt in Part 1 und 2, bietet uns die experimentelle Größe der Band, wie wir sie von Mastermind Justin Greaves und seinen gerne mal wechselnden Mitstreitern erwarten. Ein sehr zerbrechlich wirkendes Musikstück mit sanftem Piano-Einstieg. Eigentlich teilen Crippled Black Phoenix ihr Album in eine “Black Side” und eine “White Side” ein, doch Unterschiede sind schwerlich auszumachen. Die Grundstimmung bleibt düster und fast verzweifelt melancholisch. Das ist die Stimmung, die man auch live transportiert.
Hymnische Klangkonstruktionen, filigrane Balladen und durchaus psychedelische Klänge lassen mal wieder Erinnerungen an die seligen Pink Floyd hoch kommen – das mag abgedroschen klingen, doch CBP gehören zu den Bands, die diesen Vergleich verdienen und sich ihm stellen können. Die atmosphärische Dichte des Albums erzeugt Gänsehaut und ich verliebe mich in die ruhige Grundstimmung, die durch härtere Tracks wie “Let’s Have An Apocalypse Now” und “Parasites” nur unwesentlich aufgebrochen wird.
Auf den neuen Songs spiegelt sich sowohl das vergangene, von Umbrüchen geprägte Jahr wieder, als auch das Markenzeichen der Band: progressive Schwere und Verrücktheit. “White Light Generator” ist in zwei Hälften unterteilt: auf der ersten (Black Light) ist die schwere Seite der Musik zu hören. „Ich wollte ein klanglich einfacheres Album machen“, so Bandgründer Greaves. „Gute Songs, die sich mehr um das Gefühl drehen als um musikalisches Können. Ein Album, das auf dem natürlichen Analogsound aufgebaut ist. Wir haben zwar schon immer auf diese Art und Weise gearbeitet, doch dieses Mal haben wir uns noch weniger in die Produktion eingemischt. Ich denke, das Ergebnis ist sehr gut geworden. Wenn Ihr die älteren, weicheren und weniger sauberen Sounds mögt, wird Euch das gefallen.“
Wundervoll klingt es, wenn sich die Instrumentalisten in sphärischen Klanggebilden verlieren, um doch immer wieder auf den melodischen Pfad zurück zu kehren. Daraus entstehen magische Songs mit bisweilen folkigen oder weltmusikalischen Elementen. Bläser-Einsatz ist eben so gerne gesehen wie chorische Passagen. Der neue Sänger groovt sich in die Songs ein und schwebt mit durch Raum und Zeit. Ein großartiges Album von gut 70 Minuten Länge erwartet jeden, der bereit ist sich darauf einzulassen.
Der versöhnliche Abschluss heißt “A Brighter Tomorrow” und liefert ein verträumtes Ende. Die Flasche Wein ist leer, die Spannung hat sich gelegt – CBP beweisen mal wieder, dass sie zu den interessantesten Bands der Gegenwart gehören und weit davon entfernt sind, sich zu wiederholen.
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Crippled Black Phoenix Live:
06.05. Hannover – Musikzentrum 07.05. Essen – Turock 08.05. Hamburg – Fabrik 09.05. Berlin – Kesselhaus 14.05. München – Backstage Werk 15.05. Frankfurt – Batschkapp 16.05. Köln – Kantine
Nach der Regenschlacht vom vergangenen Jahr hatte das traditionelle Festival an der Burg Herzberg wahrlich gutes Wetter verdient. 2012 mussten die Landwirte der Umgegend aktiviert werden, um Fahrzeuge auf die Zeltplätze zu schleppen und später wieder raus zu holen. Nächtelang hörte man die Motoren dröhnen – aber das Festival konnte stattfinden und war wie immer ein Zeugnis von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Trotzdem hatte das die Veranstalter auf eine harte Probe gestellt, war der Aufwand doch mit hohen Kosten verbunden. Umso erlösender die Nachricht, dass das Event auch 2013 stattfinden kann. Mit ordentlichem Line-up und (wie sich in den mittleren Juli-Tagen herausstellte) unter hervorragenden Wetterbedingungen. Es war den rührigen Leuten vom Herzberg-Team mehr als gegönnt.
Foto: Horst Müller
Alteingesessene Besucher waren bereits seit Dienstag vor Ort, das Festival startete donnerstags, ich selbst traf erst am Freitag ein. Strahlender Sonnenschein, ein aufgeräumter Zeltplatz, die gewohnt hervorragende Infrastruktur. Ich weiß, dass für viele Besucher, die der Hippie-Kultur frönen, der musikalische Aspekt nur eine untergeordnete Rolle spielt, doch es darf wieder gesagt werden, dass es einige Hochkaräter zu bestaunen und einige Perlen zu entdecken gab.
In der Nachmittagshitze hatte es sich die Band um den Bluesgitarristen Bassekou Kouyate auf der Bühne bequem gemacht und unterhielt mit einer bunten Mischung aus westafrikanischem Blues und weltmusikalischen Elementen. Hier standen das Beherrschen der Instrumente und die Verbreitung entspannter Stimmung im Vordergrund. Ein perfektes Ensemble für den durstigen Nachmittag.
Foto: Horst Müller
Um 18 Uhr standen dann die Progrocker Riverside aus Polen auf der Bühne. Gerne wird das Quartett um Mariusz Duda mit Bands wie Marillion, Porcupine Tree oder gar Pink Floyd verglichen. Und tatsächlich haben sie in den letzten Jahren einen immer höheren Grad an musikalischer Perfektion erreicht. Die Reise geht vom psychedelischen Prog der 70er über Blues und Jazz bis hin zu den rockigen, bisweilen gar metallischen Klängen der Gegenwart. Dies bewiesen sie auch im Rahmen des Festivals und legten einen klanglich perfekten Auftritt hin. Mariusz ist kein Exzentriker auf der Bühne, aber er besticht immer wieder durch sein Können. Das brachte die Zuschauer nicht zum Tanzen, aber oft genug zum Staunen. So funktioniert Prog – ob man will oder nicht.
Foto: Horst Müller
Steve Hackett war der zweite Topact am Freitag. Wenige Tage später musste ich im Rolling Stone lesen, dass er “die schlimmste Musik der Welt” fabriziert. Obacht! Natürlich ist das ellenlange Instrumental-Gedudel großer Progwerke nicht jedermanns Sache. Natürlich bewegen sich manche Prog-Götter nur sporadisch auf der Bühne und schwelgen darüber hinaus in elegischen Passagen. Aber Hackett? Gerade, wenn er mit der Genesis-Show unterwegs ist? Er hat einen charismatischen Sänger bei sich, der auffällt, der die Bühne einnimmt und einen extrovertierten Peter Gabriel gibt. Manchem mag das affig erscheinen, doch es passt zu der Musik, die man darbietet. Hier leben die Genesis der 70er Jahre weiter und es macht große Freude, Klassiker wie “The Musical Box”, “I Know What I Like” und vor allem das halbstündige “Supper’s Ready” vom Gitarrenmeister himself zu hören.
Foto: Horst Müller
Der Abschluss mit Agitation Free und Orange lud dann wieder mehr zum Schwofen ein. Die Atmosphäre am Ende des heißen Tages war sehr entspannt und man konnte sich umso mehr auf den interessanten Samstag freuen. Der begann für mich mit den gitarrenlastigen Cactus und einer furiosen Rockshow in der Sonne. Die Musiker standen meist mit Sonnenbrillen auf der Bühne, um das grelle Licht zu ertragen. Die Zuschauer freute es hingegen, dass die Sonne auf den Rücken brannte und nicht das Sichtfeld einengte.
Erstes Highlight am Samstag waren The Levellers. Die Briten halten seit Ende der 80er Jahre den Geist des Folkrock hoch und übertragen ihn locker in die Gegenwart. Musik mit Banjo und Fiddle, viele akustische Elemente, eine raue Stimme, viel Kraft, viel Mut und eine Menge musikalischer Einfälle zeichnen die sechs Musiker aus. Hymnen wie “What A Beautiful Day” luden die Zuschauermassen zum Tanzen ein und verwandelten die Wiese zu einem einzigen großen Fest. Die Darbietung war perfekt und erreichte ihren Höhepunkt mit Einsatz eines Didgeridoos, der das Geschehen mit basslastiger Klangfülle zur Vollendung brachte.
Foto: Horst Müller
Die hochgelobten Gov’t Mule waren dann so gar nicht mein Fall. Ihr Southern Rock begleitete den sonnigen Tag über den Sonnenuntergang hinaus, war aber in seiner eintönigen Ausrichtung auch recht langweilig. Die Songs erreichten ständig Überlänge (10+) und das, was ich beim modernen Prog so liebe – nämlich dass man nur schwerlich auf den Punkt kommt – war hier ziemlich nervig. Das Geschehen auf der Hauptbühne fand aber genug begeisterte Fans. Für viele war es also genau das Richtige.
Fast um Mitternacht traten dann endlich Crippled Black Phoenix auf die Bühne. Zu meiner Schande muss ich gestehen, diese famose Band bisher nicht live gesehen zu haben. Das ging vielen Anwesenden so und die Truppe nutzte ihre Chance, ein aufnahmefähiges Publikum zu verzaubern. Hymnische Klangkonstruktionen, filigrane Balladen und durchaus psychedelische Klänge lassen mal wieder Erinnerungen an die seligen Pink Floyd hoch kommen – und auch CBP gehören zu den Bands, die diesen Vergleich verdienen und sich ihm stellen können. Die atmosphärische Dichte des Auftritts war einfach fantastisch und wohl keiner wird bereut haben, das Träumen am Lagerfeuer noch ein wenig aufzuschieben.
Ich war meist vor der Hauptbühne zu finden. Das Lesezelt hatte die richtigen Autoren zur falschen Zeit, die Protagonisten auf den kleinen Bühnen wurden beim leichten Antesten meist zu Ohrenquälern. Allerdings fanden sie immer ihr begeistertes Publikum – und das ist die Hauptsache. Leider musste ich am Sonntag bereits abreisen, so verpasste ich beispielsweise die Party mit den Spin Doctors. Doch man muss sich seine zeitlichen Kapazitäten nun mal gut einteilen. Zum Entschleunigen haben zwei Tage Herzberg allemal gereicht.
Foto: Horst Müller
Das Herzberg-Festival kann einem schnell ans Herz wachsen. Zehntausend Besucher plus Kinder konnten die Veranstalter vermelden. Also ausverkauft. Zwar würden noch mehr Besucher auf das Gelände passen, doch man will das Konzept nicht überstrapazieren. Kinder unter 14 Jahren sind traditionell frei und es wird einiges für die Kleinen geboten. Der große Spielplatz ist eine Attraktion, ebenso die selbstgebastelten Musikinstrumente und die Konzerte, die man damit gibt. Überhaupt findet viel abseits des großen musikalischen Geschehens statt: Immer wieder findet man Einzelpersonen und Musikgruppen am Wegrand, die sich spontan ein ordentliches Publikum erarbeiten und für manche Lacher sorgen. Mein Kompliment gilt den Veranstaltern, die immer präsent waren und für einen friedlichen Ablauf sorgten. Und auch das Publikum lebte Friede, Freude und biologisch wertvolle Lebensmittel. Die stets präsente Müllentsorgung nicht zu vergessen – so wird man zum Musterbeispiel für ein nachhaltiges Festival.
Erst im Januar diesen Jahres ist „(Mankind) the Crafty Ape”, das aktuelle Doppel-Album von Crippled Black Phoenix, das von den Kritikern gefeiert wurde, erschienen. Doch Mastermind Justin Greaves hatte keine Lust, sich zurückzulehnen und den Erfolg zu genießen. Nach einer Mammuttour im Frühjahr ist er wieder in die heiligen Hallen der Chapel Studios in Lincolnshire eingekehrt, um eine neue EP aufzunehmen. Musicheadquarter-Redakteurin Shirin Kay war hautnah dabei. Hier ihr Bericht:
Meine Reise nach Lincolnshire beginnt in London. Ich steige in King’s Cross in den Zug nach Grantham, wo ich in einen Bummelzug Richtung Skegness umsteige. Es sind Sommerferien, und der Zug ist voll mit Familien, die in Skegness oder einem der Badeorte in der Nähe Urlaub machen. Dort angekommen muss ich noch eine Stunde auf den Bus nach Alford warten. Der Bus fährt mitten durch Skegness durch, vorbei an Jahrmärkten, Adventure Parks, Schießbuden, Coctailbars und Campingplätzen, flanierenden und halbnackten Teenagern, schreienden Kindern und genervten Familienvätern. Irgendwann ist der Spuk vorbei und wir fahren raus aufs Land, vorbei an Wiesen und Äckern und vereinzelten Landhäusern. Es sieht ein bisschen aus wie in Hobbingen, nur dass sich scheinbar noch nicht mal Hobbits hierhin verirrt haben. Und als der Bus schließlich im kleinen Städtchen Alford anhält, hat man das Gefühl, mitten im Nirgendwo angekommen zu sein. Hier holen mich Justin Greaves und ein mir unbekannter Mann, der wie ein waschechter L.A.-Rocker aussieht und sich mit dem Namen John E Vistic vorstellt, mit dem Auto ab. Nach einer zehnminütigen Fahrt bin ich endlich am Ziel: die Chapel Studios, in denen schon Größen wie Paul Weller, Simple Minds, Shirley Bassey oder O.M.D. ihre Alben aufgenommen haben.
Hier nehmen Crippled Black Phonix ihre neue EP “No Sadness Or Farewell” auf. „Es ist ein bisschen so, als wäre ich zurück nach Hause gekommen”, sagt Justin Greaves, der in der Gegend aufgewachsen ist. Als kleines Kind, erzählt er, sei er im Sommer mit seinen Eltern nach Skegness gefahren, um dort die Ferien zu verbringen. Aber auch die Chapel Studios sind für ihn eine Art zu Hause. Schon vor 20 Jahren habe er als junger Mann hier ein Demo mit einer seiner ersten Bands aufgenommen. Auch wenn das Demo letztendlich keinen Erfolg hatte, habe er nie vergessen, dass der Sound in den Studios unheimlich gut war. Nach dem Deal mit Mascot Ende letzten Jahres hatten CBP endlich die Chance, sich ein gutes Studio zu suchen, und Justin wusste sofort, dass er in den Chapel Studios aufnehmen wollte.
Im Studio treffen wir auf Ewan Davis, mit dem Justin die neuen Songs produziert. Das erste Mal, als sie sich trafen, war vor knapp zwanzig Jahren, da arbeitete Ewan schon als Assistent in den Chapel Studios. Mittlerweile hat er mit Bands wie Arctic Monkeys, Billy Bragg, Editors, Paradise Lost und den Kaiser Chiefs zusammengearbeitet. Der hochgewachsene Mann mit den wirren Haaren und Brille sitzt versunken am Mac und arbeitet konzentriert am ersten Song der EP. Die Aufnahmen sind alle unter Dach und Fach, fast alle Musiker sind abgefahren. Jetzt erfahre ich, dass Johnny der neue Sänger von CBP ist. Seit Joe Volk letztes Jahr die Band verließ, war die Sängerfrage etwas heikel, oder wie Justin es umschreibt „a pain in the ass”. Auf der Tour im Frühjahr nahm die Band den jungen Sänger Matt Simpkin mit auf Tour, der seinen Job zwar wunderbar machte, aber stimmlich nicht hundertprozentig das war, was Justin suchte. Aber mit John E Vistic, so Justin, haben sie die Frage ein für allemal geklärt. Noch vor den Aufnahmen war es nicht sicher, ob es mit ihm funktionieren würde, aber dann stellte sich recht schnell heraus, dass es wie die Faust aufs Auge passte. Eine Last sei von seinen Schultern gefallen, sagt Justin. Jetzt kann er sich vollends auf die Musik konzentrieren.
Auch Johnny hat bereits mit Justin gearbeitet: Auf älteren Alben hat er die Posaune gespielt. Mit dem ersten Song, den wir uns gemeinsam anhören, kann ich mich von seinen stimmlichen Qualitäten überzeugen. „So Goodbye To All Of That” ist eine Hymne, wie sie im Buche steht. Elegisch und elegant mit ausladenden, verträumten Gitarren, wie man sie von den Floyd-angehauchten Nummern von CBP gewöhnt ist, darüber die dunkle, etwas rauchige Stimme von Johnny – eine Traumkombination. Der Song endet in einem wehmütigen Singsang „Goodbye my love, to all of that…”, bei dem die ganze Band mitgemacht hat. Als ich erwähne, dass es glatt als Fußball-Hymne durchgehen könnte, stimmt Justin spontan „Goodbye Arsenal, goodbye Arsenal …” an. Ja, es passt!
Zeit für Zigaretten und Tee! Es ist überhaupt erstaunlich, wie viel Tee in diesen zwei Tagen getrunken wird – Praktikant Jacob wird nicht müde, sich immer wieder danach zu erkundigen, ob jemand Tee möchte und ist meist damit beschäftigt, volle und leere Tassen hin- und herzutragen. In den vielen Zigarettenpausen erzählt Johnny unter anderem, dass mit diesem Sängerjob ein Wunsch von ihm in Erfüllung gegangen sei, nämlich endlich etwas rockigere Sachen zu singen. Bisher habe er eher im Blues-Bereich gesungen, das sei jetzt also eine richtige Herausforderung. Ansonsten sei er ein großer Fan des Rockpoeten Bob Dylan, neben Shakespeare und James Joyce einer seiner größten Idole. Für die neue CBP-EP hat der gebürtige Australier neben Justin zu einigen Songtexten beigetragen.
Neben verschiedenen Textern gibt es auf der EP wie so oft bei CBP auch mehrere Sänger. So ist Keyboarderin Miriam Wolf auf „Mr Jonestown Martin” zu hören. Ein schwermütig daherkommender Song mit Gänsehautgarantie und vielen schaurigen Effekten. Darüber Miriams leicht wabernde, rauchige Stimme, im Hintergrund unheimlicher „Mönchsgesang”, der leicht an gregorianische Chöre erinnert. Die Stellen einzusingen sei allerdings ziemlich spaßig gewesen, erzählt Justin, dauernd musste einer lachen, aber am Ende sei es gelungen, die unheimliche Atmosphäre zu kreieren, die man brauchte, um den Song perfekt zu machen. Im Text hat Justin übrigens einen wiederkehrenden Alptraum verarbeitet. Als ich in dieser Nacht müde und glücklich die Treppen zu meinem Schlafzimmer hinaufsteige, wird mir plötzlich ein wenig anders, denn wie hieß es so schön in dem soeben gehörten Song: „It’s always dark at the top of the stairs, look for me there, you should be scared.” …
Am nächsten Tag nehmen Ewan und Justin die Arbeit schon um 10 Uhr auf. Viel Zeit bleibt nicht, um die insgesamt sieben Tracks zu produzieren, aber das hält sie nicht davor ab, jeden Song immer wieder laut aufzudrehen und konzentriert durchzuhören. Der dritte Song, den ich zu hören bekomme, ist ein Instrumentalstück, das als Opener der EP angedacht ist. Ein recht typischer CBP-Song im Geiste von „(Mankind) the Crafty Ape”, episch und ausladend, allerdings mit einer unglaublich atemlosen und frenetischen Drumarbeit im Hintergrund. Das aufzunehmen sei kein Zuckerschlecken gewesen, sagt Justin, der von Hause aus Drummer ist. Er habe die Drums selbst eingespielt und zeigt auf seine von Schwielen und Blasen übersäten Hände. Das ist der Preis, wenn man alles selbst machen will, aber ein Preis, den er gerne zahlt.
Die nächsten beiden Songs, die an diesem Tag produziert werden, unterscheiden sich grundlegend von allen vorangegangenen. Justin hatte mich zwar schon vorgewarnt, aber das, was ich zu hören bekomme, habe ich beim besten Willen nicht erwartet: Waschechte Rocksongs, die es ordentlich krachen lassen. „Maniac Beast” ist einem alten Bandkameraden und gutem Freund von Justin gewidmet, Johnny, mit dem er vor langer Zeit in der Band Iron Monkey spielte, und der vor einigen Jahren unerwartet verstarb. Der Song ist aber keine Hommage im eigentlichen Sinne, sondern eine polternde und angriffslustige Rocknummer, gerade mal 3:40 Minuten lang. Keine Schnörkel, keine Experimente, einfach nur Rockmusik vom Feinsten. „Das könnten wir neben „Bella Ciao” ganz gut als Zugabe spielen”, reibt sich Justin die Hände, „um die Leute aufzuwecken, all die Postrock-Kids, die mit verschränkten Armen da stehen. Die werden Augen machen!”. Ja, damit könnte er recht haben, das wird auf jeden Fall für einige CBP-Fans eine Überraschung sein.
Die größte Überraschung steht aber noch aus, denn „Long Live Independence”, das ich nur im Rough Mix zu hören bekomme, übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Justin beschrieb ihn schon am Tag zuvor als eine Mischung aus Blackmetal und Bluegrass, „Blackgrass könnte man es vielleicht nennen”, sagt er schelmisch grinsend. Und ja verdammt, genau das ist es: Blackgrass! Mächtige Riffs, die den geneigten Hörer völlig aus der kuscheligen Stimmung reißen, eine mächtige Soundkulisse — aber schon nach den ersten paar Takten steigt ein schwurbeliges Banjo mit ein, darüber Johnnys entschlossene Stimme, die einen Kampfsong anstimmt. Das Ganze hat etwas Absurdes, Außerirdisches und haut mich völlig von den Socken. Ich bin sicher: So etwas gibt es einfach noch nicht! So sitzen wir da und hören uns die Nummer vier Mal hintereinander an. Justin strahlt zufrieden, Johnny bangt wie wild auf seinem Platz, ich grinse wie ein Honigkuchenpferd. Auf den (überaus angenehmen) Schock muss ich eigentlich was trinken. Leider gibt es zu meinem Bedauern keinen Alkohol mehr im Haus bis auf einen Rest Wodka, den Johnny mit mir brüderlich teilt. Und so geht ein weiterer Tag in den Chapel Studios zu Ende.
Am nächsten Tag bringt Justin Johnny und mich nach Skegness, von wo aus wir unsere Heimatorte ansteuern, Johnny nach London, ich zurück nach Bonn. Im Kopf habe ich noch den Refrain von „Long Live Indepence”, ein Zustand, der noch ziemlich lange anhält. Zwei Songs habe ich zwar nicht mehr hören können, aber das ist völlig egal. Ich freue mich einfach wie Bolle darauf, die EP rauf- und runterzuhören und vor allem freue ich mich auf die Tour im Oktober. Das wird ein Fest!