Zum Jahresabschluss veröffentlichte Frank Turner ein absolutes Highlight! Mitte Dezember erschien auf CD, DVD und als Download “Show 2000 — Nottingham Rock City”, der packende Live-Mitschnitt seines 2016er Konzerts in Nottingham. Das Konzert war seine 2.000. Show und war bisher von Fans immer wieder angefragt worden, aber noch nie zuvor als einzelne Veröffentlichung erschienen.
Cool auf jeden Fall, dass der in Bahrain geborene Brite so akribisch Buch führt über die Anzahl seiner Konzerte. Seit dem Ende der Punkband Million Dead, bei der er als Sänger fungierte, im Jahr 2005 ist er als Solo-Künstler unterwegs und bietet eine breit angelegte Mischung aus Rock, Pop, Punk und Folk.
Die Nacht der Show war ein echtes Fest für Frank, der in etwas mehr als zehn Jahren 2000 Live-Shows aufführte — was einem erstaunlichen Durchschnitt entspricht und aufzeigt, wie sich der Singer/Songwriter vom Geheimtipp in die Herzen einer immer größer werdenden Fangemeinde spielte. Die Show ist gewohnt furios und das Publikum überaus textsicher. Es macht kaum Sinn, einzelne Songs aufzuzählen, da jeder für sich eine Wucht ist. Allein das Motörhead-Cover “Ace Of Spades” sei erwähnt.
Über die Veröffentlichung sagt Frank: “Ich bin sehr froh, endlich die Aufnahmen meiner 2000. Show zu haben — es hat lange gedauert. Es war eine perfekte Show und ein großartiges Dokument eines ganz bestimmten Moments in meiner Karriere.” Das Paket enthält die DVD des Konzerts und eine um einige Songs gekürzte live-CD. Zugreifen!
Im November letzten Jahres erschien mit „Songbook“ das erste Best-of-Album von Frank Turner. Es gibt Künstler, die mit solchen karriereumspannenden Rückblicken ihren eigenen Abgesang einleiten. Nicht so Frank Turner. Anfang Mai ließ er mit „Be More Kind“ sein siebtes Studioalbum folgen, auf dem er musikalisch wie textlich einmal mehr klare Kante zeigt. Inhaltlich geht es um große Gefühle und die große Politik. Ursprünglich wollte der in Bahrain geborene Brite ein Konzeptalbum schreiben, das von bedeutenden Frauen handelt, die die Geschichtsschreibung vergessen hat, doch dann „drehte die Welt kollektiv durch“, wie er selbst es beschreibt. Der Titel des Albums stammt aus einem Gedicht von Clive James und steht sinnbildlich dafür, dass das eigene Leben am Ende wiederspiegelt, wie man andere Menschen behandelt hat. Wer Gutes tut, dem wird Gutes widerfahren. In Düsseldorf tut Frank Turner viel Gutes.
Als wir in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt ankommen, ist der Parkplatz der Mitsubishi Electric Halle überraschenderweise noch für Nachzügler wie uns geöffnet. Das lässt auf einen eher gemäßigten Fanansturm schließen. Tatsächlich sind im Inneren weite Teile der Halle mit großen schwarzen Tüchern abgehängt. Letztlich mögen es geschätzt 5.000 Leute sein, die den Weg nach Düsseldorf gefunden haben, was immerhin gleichbedeutend mit dem größten Einzelkonzert in der Karriere von Frank Turner in Deutschland ist. Wer schon einmal ein Konzert des 36-Jährigen besucht hat, der weiß, dass er auch über die Anzahl seiner Auftritte genauestens Buch führt. Heute abend findet Konzert Nummer 2.283 statt, das gleichzeitig das Ende der aktuellen Europatour markiert.
Den standesgemäßen Auftakt macht der Song „1933“, eine wütende Hymne, in der Frank Turner rigoros mit dem hin und wieder gehörten Quatsch aufräumt, die neuen Rechten seien der neue Punkrock. Beim darauffolgenden „Blackout“ springt er zum ersten Mal zu den Fans in den Graben. Überhaupt ist Turner ununterbrochen in Bewegung und schon nach zehn Minuten wird klar: Das hier gibt eine Vollgasveranstaltung. Die Fans steuern ihren Teil dazu bei. Die Düsseldorfer hüpfen, klatschen, tanzen und singen. Bei „Little Changes“, „Brave Face“ oder „The Way I Tend To Be“ übernehmen sie den Chorus, was Frank Turner angesichts leichter gesundheitlicher Stimmprobleme mit sichtlicher Dankbarkeit quittiert. Auf jeden Fall reicht seine Stimme noch für zahlreiche Ansagen zwischen den Songs, in denen er sich des öfteren an der deutschen Sprache versucht und ansonsten am häufigsten das Wort „fuck“ verwendet. Die Stimmung um ihn herum ist super (der Sound übrigens auch) und die Anzahl der umherfliegenden Bierbecher beeindruckend. Es sind viele volle darunter (und nein, ich möchte damit nicht auf die Qualität des Düsseldorfer Bieres schließen).
„Eulogy“ singt Frank Turner dann sogar ganz auf Deutsch. Nach eigener Aussage wurde das Stück von einem gewissen Peter aus Köln übersetzt. Ich vermute, dass er nicht Brings mit Nachnamen heisst. Aber wer weiß das schon? Frank Turner jedenfalls weiß um die Rivalität zwischen Düsseldorf und Köln und spielt mehrfach darauf an. Bei der Erwähnung der Domstadt erntet er die erwarteten Buh-Rufe aber auch erstaunlich viel Applaus. Vor „Be More Kind“ vereint er die Düsseldorfer und Kölner wieder, indem er dazu auffordert den Arschlöchern dieser Welt nicht das Feld zu überlassen. Die Fans zücken ihre Handys und sorgen mit ihren Taschenlampen für die dazu passende Atmosphäre. Wobei ich mich zum wiederholten Male frage, wer mit dieser Unsitte eigentlich angefangen hat und wo das gute alte Feuerzeug geblieben ist.
Anschließend nimmt Frank Turner erstmal Dampf vom Kessel und streut einen Akustikblock ein. Neben „Sailor’s Boots“ und der sentimentalen „Ballad Of Me And My Friends“ gehört dazu auch das lange nicht mehr live gespielte „Good And Gone“ von seinem 2013er Album „Tape Deck Heart“. Danach stößt die Band wieder zu ihm und gemeinsam rockt man sich dem Ende des Mainsets entgegen. Bei „Out Of Breath“ will Turner den größten Circle Pit aller Zeiten sehen und während sich zu „Photosynthesis“ ein erster Crowdsurfer auf Händen durch die Halle tragen lässt, hält er einen weiteren flammenden Appell für mehr Menschlichkeit. Er sei besonders stolz darauf, wie sehr gerade auf Punkkonzerten alle aufeinander aufpassen. Dann darf fünf Minuten kollektiv verschnauft werden.
Zur ersten Zugabe „Don’t Worry“ wirft sich Frank Turner direkt mal selbst in die Menge und surft bis kurz vor das Mischpult, wo sich ein weiterer Circle Pit gebildet hat. Während er weiter singt, tanzt Turner dort eine Weile mit ein paar Mädels, die er fassungslos zurücklässt, bevor er wieder zur Bühne getragen wird. Wie es sich gehört bedankt er sich dort ausgiebig bei allen Beteiligten und betont noch einmal wie unglaublich er es findet heute hier zu spielen. Schließlich fand sein erstes Deutschlandkonzert vor zwanzig Jahren im Kölner Underground statt (Applaus! Danke Düsseldorf!) und schon damals konnte er sein Glück kaum fassen. Am Ende holt er zu „Polaroid Picture“ noch einmal die beiden Vorgruppen PUP und Xylaroo hinzu und gemeinsam mit ihnen verabschieden sich Frank Turner und seine Band The Sleeping Souls nach knapp zwei Stunden von der feiernden Meute.
Weder mit seiner alten Punkband Million Dead, als Solist oder mit seinen Sleeping Souls, noch mit seiner Hardcore-Combo Möngöl Hörde, hat Frank Turner je ein Blatt vor den Mund genommen. Nur wenige Songwriter können wie er ihre eigenen Erfahrungen und die daraus resultierenden Ansichten in derart mächtige, allgemeingültige Lieder verwandeln, in denen mit einfachen Worten Persönliches zum Politischen wird, ohne dabei peinlich oder aufgesetzt zu wirken. Wie wertvoll das Frank Turner als Sprachrohr für all diejenigen macht, die sich mit dieser aus den Fugen geratenen Welt nicht abfinden wollen, hat er in Düsseldorf wieder mal eindrucksvoll bewiesen.
Frank Turner ist in der Stadt. Das alleine wäre schon eine gute Nachricht. Nach seinen Auftritten im Blue Shell, der Kulturkirche oder dem Underground hat er diesmal ein Einsehen mit all jenen Fans, die in den vergangenen Jahren zu oft vergeblich nach Karten für seine Konzerte angestanden haben und mietet sich im Palladium ein. Nach Turner’s Zählung ist es Konzert Nummer 1.826 und gleichzeitig seine bislang grösste Headliner-Show in Deutschland. Natürlich ist die Halle in Köln-Mülheim restlos ausverkauft.
Im Gepäck hat Frank Turner sein neues und sechstes Album “Positive Songs For Negative People” und mit Will Varley sowie Skinny Lister gleich zwei Vorgruppen. Während der melodische Akustik-Folk von Will Varley noch weitestgehend zwischen Klogängen und der Organisation des Biernachschubs untergeht, lassen Skinny Lister nach 45 Minuten eine dampfende Menge zurück. Möglicherweise kommt ihr Gemisch aus Punk, Rock und Folk in Köln aber auch nur deshalb so gut an, weil es am Ende wie eine endlose Wiederholung des Brings-Schlagers “Polka, Polka, Polka” klingt. Da der Karneval im Rheinland kommende Woche seinem Höhepunkt entgegensteuert, schunkelt sich der Kölner heute abend schon mal dankend warm.
Danach ist ohnehin nur noch Feiern angesagt. Frank Turner und seine famosen Sleeping Souls reißen das Palladium förmlich in Stücke. Der gebürtige Bahrainer springt wie ein Derwisch über die Bühne und ganz Köln tut es ihm gleich. Die Stimmung ist vom ersten Ton des Openers “The Next Storm” an absolut grandios. Es wird getanzt und gepogt so lange die Kräfte reichen. Ihre stimmlichen Fähigkeiten stellen die Kölner insbesondere beim auf Deutsch gesungenen “Eulogy” unter Beweis. Doch nicht nur da. Auch mein persönlicher Favorit “I Am Disappeared” erklingt als tausendfacher Chor. Als die Sleeping Souls zu Ehren von Lemmy Kilmister noch “Ace Of Spades” anspielen gibt es endgültig kein Halten mehr. Später widmet Frank Turner “Polaroid Picture” dem Motörhead-Frontmann und der zweiten kürzlich verstorbenen Ikone David Bowie. Das gesamte Palladium hüpft ihnen zu Ehren im Takt.
Zwischendurch gönnt Frank Turner seinen Fans eine kleine Verschnaufpause. “Tattoos”, das uralte “Balthazar, Impresario” und das wunderschöne “The Ballad Of Me And My Friends” singt er alleine mit seiner Akustikgitarre, bevor die Band zu “Reasons Not To Be An Idiot” vollzählig auf die Bühne zurückkehrt. Dabei bleibt Turner stets der sympathische Kumpeltyp von nebenan, macht Witze, erklärt die “Konzertregeln” (“Hier sind alle gleich”) oder die Geschichte der Tour-Fahne, die den Troß seit dem Auftaktkonzert im September auf jeder Show begleitet und dabei durch die Fans von Stadt zu Stadt weitergereicht wird. Bei “Out Of Breath” holt er die Kollegen von Skinny Lister zurück auf die Bühne und freut sich in gebrochenem Deutsch über die Begeisterung vor ihm: “Danke for Kommst”.
So geht das zwei Stunden lang. Am Ende der schweißtreibenden Party steht dann passenderweise “Four Simple Words”. Eigentlich ist damit “I Want To Dance” gemeint, was die Kölner auch mehr als wörtlich nehmen. Stattdessen könnte man Frank Turner für diesen grossartigen Abend aber auch ein “Thank You Very Much” zurufen. Karneval kann kommen!
Fachmagazine prophezeiten es schon vor Jahren, Musikkenner seit seiner ersten Revival Tour, Pro7 und 1Live haben ihn erst vor ein paar Monaten entdeckt – Frank Turner, Meister des Geschichtenerzählens und Lieferant der Hintergrundmusik des Lebens eines jeden Folk-Liebhabers, hat den Durchbruch nun endgültig geschafft. War „England Keep My Bones” beim Release 2011 bereits in aller Munde, entwickelte sich die darauffolgende Tour in stetig größere Hallen, die schließlich in einer ausverkauften Wembley Arena mit 12.000 Leuten gipfelte. Ganz zu schweigen davon, gebührte dem 31-jährigen die Ehre im Vorprogramm der Olympischen Spiele mit drei Songs aufzutreten – Ein angemessener Rahmen für einen Mann, der etwas zu erzählen hat.
Heute sind es zwar keine 12.000 Menschen, die Turner mit seinen Geschichten zum Mitsingen bringen wird, immerhin hat er aber das E-Werk mit ca. 1.800 Zuschauern pickepackevoll bekommen. Die sind auch bester Dinge und empfangen den ersten Support des Abends, Liedermacher Jon Allen (absolute Empfehlung!), mit rhythmischem Klatschen. Der Hamburger ist sichtlich angetan und dankt den Zuschauern mehrfach. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Turner ihn per Zufall in einem kleinen Schuppen in Hamburg gesehen hatte und anschließend zu ihm meinte: „Du kommst mit auf meine nächste Tour.” Glück muss man haben. Als zweite Vorgruppe stehen Lucero auf dem Programm. „Die hören sich ja an wie The Gaslight Anthem! Voll die Kopie!”, tönt es an mein rechtes Ohr vom 15-jährigen Mädchen, das eigentlich platztechnisch gesehen zwei Tickets hätte kaufen müssen. Irgendwo richtig kleines Mädchen, denk ich mir. Aber auch verdammt falsch. Lucero gibt es einfach mal gut und gerne zehn Jahre länger, nämlich seit 1998. Also wenn hören sich deine Gaslights wie die Kapelle hier an und sind die verdammte Kopie. Lucero machen ihren Job nicht minder schlechter als Jon Allen. Beide haben sich heute als Anheizer durchaus empfohlen.
Um 21:45 Uhr wird es erneut dunkel. Turner betritt – trotz seiner momentanen Rückenprobleme, ohne Rollstuhl – die Bühne mit einem Grinsen im Gesicht und legt mit „I Still Believe” los. Überall sieht man textsichere Menschen mit Fäusten in der Luft, die Parole um Parole, Phrase um Phrase dem Mann aus Winchester entgegen brüllen. Bei dieser riesigen Karaoke- Party wurmt einen nur die Routine, welche immer wieder durchblitzt. Es gibt wenige Überraschungen, Turner redet zwar viel mit dem Publikum, aber irgendwie hat man alles dann doch schon einmal von ihm gehört. Zu seiner Verteidigung muss man erwähnen, dass der Brite körperlich momentan nicht auf dem Zenit seiner Kräfte zu sein scheint. Das Tourleben mit allen Vorteilen ist für die Gesundheit nicht zwingend die beste Medizin. Nichtsdestotrotz haben die Leute ihren Spaß. Ob beim Hampelmann machen zu „Recovery” oder bei „Dans Song” eine Orgie des Brüllens zu veranstalten – sie machen alles brav mit, was Turner ihnen auftischt. Mit „Broken Piano”, dem wohl ungewöhnlichsten Song des neuen Albums „Tape Deck Heart” verabschiedet sich Turner zum ersten Mal von der Bühne.
Dann kommt endlich das Schmankerl, worauf man die ganze Zeit gewartet hat: „The Ballad Of Me & My Friends”, eines von Turners ältesten Klassikern, wird in Pianoversion zum Besten gegeben. Ein wenig verwunderlich ist das schließlich schon, hatte Frank vor einiger Zeit behauptet den Song nicht mehr spielen zu wollen, weil das Lied über Musizieren vor einer Hand voll Leute, zu seinen jetzigen Lebensumständen nicht mehr passe. Offensichtlich kann er genau so wenig von dem Song loskommen, wie einige Hörer der ersten Stunde. Es folgen „Eulogy”, „Photosynthesise” und zu guter letzt die Ich-lass-ein-letztes-Mal-die-Sau-raus-Hymne „Four Simple Words”.
Das war doch mal wieder ein ordentlicher Auftritt von Herrn Turner. Trotzdem beschleicht einen die Vermutung, dass es mit Turner wohl bald in noch größere Hallen gehen wird, bei dem Erfolg, welchen der Mann zu verbuchen hat. Ein wenig Wehmut ist da schon dabei, wenn man bedenkt, dass er vor vier Jahren als Vorband von The Gaslight Anthem vor 300 Leuten in Deutschland aufgetreten ist. Hach, sie werden ja so schnell erwachsen. Dennoch, wer Frank Turner und seine Sleeping Souls noch nie gesehen hat, sollte dies schleunigst nachholen. Mit etwas Glück hat man noch die Möglichkeit sie in kleineren Hallen zu sehen, bevor es in die Arenen geht.
Außergewöhnliche Locations für Konzerte haben immer einen besonderen Anreiz. Mal sind es Fabrikhallen, mal sind es Tropfsteinhöhlen – und mal Kirchen! Letzteres und Frank Turner haben nun nicht wirklich viel gemeinsam. Gerade auf seinem 2011 erschienen Album „England Keep My Bones” distanzierte er sich mit „Glory Hallelujah” mehrmals deutlich von Oblate und Wein, von Absolution und Kommunion, von Jesus und Gott. Gerade dieser Unterschied macht die Kulturkirche, als Location für das heutige Konzert, so spannend. Die Kirche ist nämlich weit mehr als ein klassisches Gotteshaus, in dem täglich Messen gehalten werden. Seit mehreren Jahren gilt sie auch als Konzerthalle. So gastierten hier bereits die Arctic Monkeys, The Kooks, Kettcar oder auch Nancy Sinatra. Den Support machen heute „Larry & His Flask”, eine schwungvolle Folk-Kombo aus Amerika, die wissen, wie man der Menge ordentlich einheizt. Gut eine halbe Stunde dauert ihr Set, nahezu ohne eine Pause einzulegen oder gar zu atmen.
Der Mann des Abends wird eine halbe Stunde später mit seinem Vier-Mann Orchester, den Sleeping Souls, unter schon fast frenetischem Applaus von den gut 600 Glücklichen, die sich eine Karte ergattern konnten, empfangen. Los geht’s direkt mit „4 Simple Words”, bei dem vor allem die ersten Reihen zeigen, warum Frank so angetan von Deutschland ist. Zwar lässt Turner verlauten, dass man mit den Hits noch ein wenig warten müsse, aber jede Nicht-Single wird ohnehin so lautstark mitgesungen, dass jeder Song vom Gefühl her ein Evergreen ist. Natürlich dürfen auch Turners Solostücke nicht fehlen. So holt er mit „The Real Damage” den ältesten Song des Abends heraus. Um noch mal Turner’s Output zu untermauern: Der Song ist gerade mal von 2007.
Ein weiteres Highlight ist die Story über einen Freund Turners. Dieser hatte sich kürzlich von seiner Freundin getrennt und sich betrunken bei einer Gala gedacht, man könne doch mal Kylie Minoque fragen, ob sie denn nicht Lust hätte, mit zwei ganz normalen, netten Engländern etwas trinken zu gehen. Diese hatte leider nur bedingt Lust auf dieses Abenteuer Diese Expedition sei laut ihm aber keine Niederlage gewesen, da er Tom Jones beim Pinkeln getroffen hatte. So wurde schließlich „Delilah” mit in die Setlist aufgenommen, einer von Jones’ Klassikern.
Anschließend geht es mit „Recovery” und „Long Live The Queen” flott weiter. „Photosynthesis” ist der Abschluss eines großartigen Main-Sets, die Fans sind restlos bedient. Zu dem Zeitpunkt ist es schwer zu sagen, ob sie die Zugabe überhaupt noch durchhalten, ohne einen Kollaps zu kriegen, so sehr hecheln die vorderen Reihen nach Sauerstoff.
Bei der deutschen Version von „Eulogy” bekommt die Meute in der Zugabe ebenfalls keinen Sauerstoff – und zwar vor Lachen. Warum auch immer, es hat einfach immer etwas Lustiges, wenn ein Ausländer versucht die Muttersprache des jeweiligen Landes in dem man ist, zu sprechen, obwohl man dieser in keinem Stück mächtig ist. Es folgen „I Know Prufrock Before He Got Famous” und „Try This At Home” (Achtung, große Schuhverlustgefahr bei diesem Song!), bis sich der Folk-Singer/Songwriter/Menschenversteher/Vollblut-Musiker mit „I Still Believe” verabschiedet.
Noch Stunden nach diesem großartigen Auftriit sieht man den Engländer fleißig Autogramme schreiben. Wer so viel Einsatz für seine Fans zeigt, hat es verdient auch in den größeren Hallen der Nation zu spielen. Hut ab dafür!
Der Festivalsonntag startet völlig unerwartet aber traditionsgemäß mit Dauerregen, genau wie im Vorjahr, deshalb starte ich erst am frühen Nachmittag auf das Gelände, wo man unzählige wetterfeste Festivalisten in bunten Regencapes und Gummistiefeln beobachten kann, obwohl so einige schon vor dem Wetter kapituliert und bereits den Heimweg angetreten haben.
Trotz des anhaltenden Regens ist das Konzert des britischen Folk-Rockers Frank Turner & The Sleeping Souls (14:40 Uhr Blue Stage) recht gut besucht. Der bestens gelaunte Frontmann lässt sich die Stimmung vom Wetter nicht verderben und präsentiert uns schon mal sein heute erlerntes Deutsch mit den Worten “Scheiß Regen”. Das Publikum ist ebenfalls in bester Stimmung und feiert und tanzt sowohl zu den schwungvollen Folk-Songs mit leichtem Country-Touch wie “The Road”, als auch zu den rockigen Nummern wie zu “Reasons Not To Be An Idiot”. Immer wieder hat Turner eine kleine nette Geschichte parat wie z.B. zu “Wessex Boy”, musikalisch rundet er sein Set mit einer gesunden Mischung aus teils punk-rockig klingenden, aber auch mal pianogeprägten Melodien in “I Am Disappeared” vom aktuellen Album “England Keep My Bones” ab, zu denen das Publikum stets enthusiastisch mitklatscht. Er versteht es das Publikum perfekt zu unterhalten, zeitweise sogar in gebrochenem Deutsch. Bei seinem eigens initiierten “European-Dance-Contest” tanzen dann wirklich fast alle zu seinem neuen Song “Four Simple Words” und zu seinem Hit “New Slang” fröhlich mit, gegen Ende seines Sets bringt er das gesamte Publikum aus der Hocke zum Springen. Genau so soll ein Live-Auftritt aussehen, beste Unterhaltung und dazu eine tolle Band, die das Konzert vollends abrundet.
Auch die fünf gehypten Chemnitzer von Kraftklub (15:30 Uhr Red Stage) lassen sich ihre einjährige Vorfreude nicht durch den Regen verderben und begrüßen ebenfalls alle “Zaungäste”, die nur von außerhalb noch den Blick auf das nahezu überfüllte Gelände an der Red Stage werfen können. Sie beginnen ihr Set geradezu explosiv, im vorderen Bereich gibt es kein Halten mehr, es wird gesprungen und trotz nervig prasselndem Regen ausgelassen gefeiert und herrlich mitgegröhlt, jedoch ist die Stimmung im hinteren Bereich durch die zeitweise schlechte Akustik zunächst eher verhalten. Die Newcomer um den 22-jährigen Frontmann Felix Brummer toben regelrecht über die Bühne und schmettern einen mitreißenden Song nach dem anderen raus, sei es “Juppe”, “Zu Jung” und natürlich ihren erfolgreichen Radiohit “Songs für Liam”. Da werden dann die angeleiteten Klatschspielchen sogar in den hinteren Reihen mitgemacht. Sie liefern hier trotz Sauwetter eine großartige Bühnenshow ab und reißen ihre Fans mit einer Mischung aus Rap und Pop mit ihren deutschsprachigen Texten einfach nur mit. Wer Party machen will, ist hier also genau richtig. Jetzt wo ich Kraftklub zum ersten Mal live miterlebe wird mir auch klar, warum ihr Debütalbum “Mit K” direkt an die Spitze der deutschen Charts schnellte.
Der heftige Regen macht einen doch langsam mürbe, da es wirklich unaufhörlich durchpladdert, ich suche also erstmal Schutz im Pressebereich, um mich ein wenig aufzuwärmen und abzutrocknen. Leider schaffe ich es deshalb nicht rechtzeitig zu Boy, die ich so gerne gesehen hätte, dafür aber zu der von Frontmann James Mercer schon im Jahre 1996 gegründeten Indie-Rock Band The Shins (17:30 Uhr Blue Stage), die mit ihrem frischen Album “Port Of Morrow” im Gepäck derzeit die Festivalbühnen bespielen. Tatsächlich hört es während ihres Sets kurz auf zu regnen, so können ihre Fans ein wenig gelassener in die wunderbar eingängigen, dabei aber nicht kommerziell wirkenden, Melodien mit Mercers ausdrucksstarken Gesang eintauchen, der in der Hauptsache den Charakter ihrer Musik prägt. Besonders positiv fällt mir neben anderen etwas rockigeren Stücken “Simple Song” auf, der mit seiner besonderen Rhythmik, dem Piano und dem zweistimmigen Gesang bei allen sehr gut ankommt. Das Publikum empfindet ihren melodischen Indie-Sound scheinbar genauso entspannend wie ich, vor allem die sanften, melancholischen Songs, und bewegt sich verträumt im Takt mit. Zum Refrain wird auch schon mal mitgesungen, offensichtlich sind die Fans weitestgehend mit ihren Texten vertraut. Jedoch gehen immer wieder skeptische Blicke gen Himmel, wie lange die Regenpause mit vereinzelten Sonnenstrahlen wohl andauern wird. Doch The Shins haben Glück und können ihr durchweg gelungenes Konzert trocken beenden.
Von hier geht es für mich direkt weiter zum britischen Quartett von Bat For Lashes (18:30 Uhr Red Stage), die das unsagbare Glück haben ihr Set bei Sonnenschein zu spielen. Die studierte Songwriterin Natasha Kahn präsentiert uns experimentelle, aber klangvolle Melodien, die das der Sonne fröhnende, teils auf dem Rasen sitzende Publikum in ihren Bann zieht. Die interessanten Arrangements aus ihrem dramaturgisch angelegtem Gesang, Drums, Synthies und akustischen Instrumenten fesseln die Zuhörer hier genauso wie die gekonnt extrovertierte Theatralik, mit der Natasha Kahn ihre Songs hier performt. Ihre Musik wird mit bewusst platzierten Kontrasten spannungsreich inszeniert, die hohe Stimme wird zeitweise mit tief durchdringenden Bässen und reduziert gesetzten Drums begleitet. In anderen Songs wirkt diese dann mit Pianobegleitung fast zauberhaft und mit elektronischen Beats sind die Songs dann sogar richtig tanzbar. Bat For Lashes präsentieren uns einen guten Werk-Querschnitt durch ihre ersten beiden Alben, außerdem stellen sie uns ein paar neue Titel aus dem im Oktober erscheinenden Album “The Haunted Man” vor, so auch die reduzierte Klavierballade “Laura”. Ihre atmosphärische Musik ist wunderschön anzuhören, dabei wirkt Frontfrau Natasha durchweg sympathisch in ihrer eher schüchternen Kommunikation mit dem Publikum, welches aber durchweg von ihrem Auftritt begeistert ist. Für mich ist dieser eine positive Überraschung, denn ich hatte zuvor nicht damit gerechnet, dass die Musik von Bat For Lashes doch so abwechslungsreich ist und mich so fesseln würde.
Kaum ist das Set beendet geht es auch schon wieder los mit heftigsten Schauern. Wieder einmal flüchte ich, um mich bei einem Kaffee im Trockenem zu ermutigen, noch bis New Order durchzuhalten. Auf den Bildschirmen wird gerade das Konzert von Katzenjammer (19:15 Uhr Blue Stage) übertragen, die in strömendem Regen während des gesamten Konzerts ihre Fans bei Laune halten. Die vier Norwegerinnen machen ihre Sache aber wirklich gut, da sie natürlich mit ihrem außerordentlichen musikalischen Begabung und ihrem zauberhaftem Aussehen nahezu jeden begeistern können. Auf jeden Fall scheint die Stimmung an der Bühne hervorragend zu sein, wie auch direkt nebenan bei The Kooks (19:45 Green Stage), wo offensichtlich ausgelassen im Regen zu flottem Indie-Rock der Briten wie “Naive” und “Shine On” den Wasserfluten von oben zum Trotz gefeiert wird. Ich gönne mir jedoch meine wohlverdiente Pause und mache mich erst zu The Temper Trap ( 20:30 Uhr Red Stage) wieder auf den Weg in den Dauerregen. Mittlerweile hat sich das gesamte Gelände in eine wahre Matschlandschaft verwandelt, ohne Gummistiefel ist da ein Durchkommen trockenen Fußes schon fast nicht mehr möglich. Das australische Quartett um Frontmann Dougy Mandagi hatte ich leider schon im letzten Jahr verpasst, weil die Red Stage wieder einmal überfüllt war, deshalb möchte ich sie heute auf jeden Fall live sehen. Die Australier haben heute gleich mehrfach Glück, denn erstens hat es tatsächlich während ihres Sets wieder aufgehört zu regnen, was von Sänger Doughy mit “There is hope” kommentiert wird. Zweitens ist ihr Konzert trotz der kritischen Wetterlage sehr gut besucht, und zwar mit richtig gut gelauntem Publikum, und drittens haben sie an der Red Stage die weltbeste Security, die zu ihrer Musik vorne im Graben so richtig mitrockt. Schon zu Beginn spielen sie das von allen umjubelte “Need Your Love” von ihrem aktuellen selbstbetitelten Album, nicht nur das Publikum hüpft und klatscht dazu, wie auch bei “Fader” von ihrem Debütalbum “Conditions”, sogar die Security-Truppe springt, tanzt und performt regelrechte Choreografien, so dass es eine wahre Freude ist dabei zuzusehen. Das heizt natürlich die Menge umso mehr an, die Stimmung hier an der Red Stage wird immer besser. Faszinierend ist auch der energetisch geladene Instrumentalpart in “Drum Song”, worauf dann schon ihr Superhit “Sweet Disposition” den Abschluss und auch den Höhepunkt ihres Sets bildet. Sie begeistern ihre Fans sowohl mit ihrem ruhigeren sphärischen, als auch mit ihrem rockigeren, stark rhythmusbetonten Gitarrensound, zudem rundet das harmonische Zusammenspiel der Band und vor allem Doughys variationsreiche und außergewöhnlich hohe Stimme das Ganze noch mal in seiner Perfektion ab. Ein tolles Konzert, welches mir trotz Schietwetter lange in Erinnerung bleiben wird.
Apropos, natürlich hat auch der unangenehme Nieselregen wieder eingesetzt, und ich scheine mit meiner Idee nicht die einzige zu sein, sich am Kaffeestand mit einem Heißgetränk aufzuwärmen und zum weiteren Durchhalten zu animieren. Die Mehrzahl der verbliebenen Festivalbesucher strömt jetzt rüber zur Green Stage zu den Ärzten, meine Wahl fällt heute aber zugunsten von New Order aus, da ich sie niemals zuvor live gesehen habe. Auch Beirut wäre eine tolle Alternative gewesen, aber man kann sich ja schließlich nicht zweiteilen. Doch kurz vor Beginn von New Order (22:00 Uhr Blue Stage) ist es hier immer noch total leer, bis auf eine etwas größere Ansammlung von hartgesottenen Fans, die das Gelände lediglich bis zur Absperrung füllen. Ich wundere mich schon ein bisschen über das mangelnde Interesse, da doch die Ärzte alle naselang irgendwo bei uns in Deutschland spielen. Wird wohl am Wetter liegen denk ich mir, da schließlich auch ich von unserer gesamten Truppe die einzige bin, die den Regentag überhaupt noch in Angriff genommen hat. Die 80-er Synthie-Pop Legenden um Sänger Bernard Sumner und den noch verbliebenen Mitgliedern der legendären Band Joy Division kommen dick in Winterjacken gehüllt auf die Bühne und beginnen mit effektvollen Projektionen auf die riesige Videoleinwand und dem Opener “Elegia” ihr Set. So richtig glücklich sehen aber auch sie nicht aus, vermutlich hatten sie mit deutlich mehr Publikum gerechnet. Zugegebenermaßen bin ich gedanklich auch schon fast auf dem Sprung, da sich die feucht-kriechende Kälte in meinen Klamotten mittlerweile nicht mehr abschütteln lässt. Auch der Blick in den wolkenverhangenden schwarzen Himmel lässt Schlimmstes erahnen. Die darauf folgenden Songs “Crystal” und “Regret”, alle in technisch unausgewogener Soundqualität, können mich auch nicht mehr so richtig begeistern, so dass ich mich, berechtigterweise ein wenig in Sorge um die Schlammsituation auf dem Womo-Platz, ebenfalls auf den Rückweg begebe. Letztendlich stellte sich dies als eine weise Entscheidung heraus, da vor mir direkt schon die ersten PKW´s mit den ortsansässigen Traktoren rückwärts vom Platz gezogen werden müssen, wobei ich mit meinen Wagen trotz einer wahren Schlitterpartie durch den weich gefahrenen Acker glücklicherweise noch alleine bis auf die Straße gelangen kann.
Ein wenig schade ist es schon, dass ich nun nicht mehr “Blue Monday” und die Cover Version des Joy Division Klassikers “Love Will Tear Us Apart” miterleben kann. Nichtsdestotrotz war das Hurricane Festival auch in diesem Jahr wieder vom Allerfeinsten! Rund 26 großartige Bands konnte ich mir live anschauen, nebenbei erwähnt bei einer wunderbar stressfreien Atmosphäre auf dem gesamten Festivalgelände. Viele tolle Helfer, Festivalmitarbeiter und das größtenteils freundliche Security-Personal haben ein sensationelles Event mit einem fast unschlagbaren Line-Up auf die Beine gestellt, auch wenn es hier und da natürlich immer Verbesserungsmöglichkeiten gibt. An zwei Tagen hatten wir sogar wunderbares Sommerwetter, die meisten Festivalbesucher haben sich jedenfalls nicht von dem verregneten Sonntag die Laune verderben lassen und sind wetterfest ausgerüstet bis zum Ende geblieben.