Im November letzten Jahres erschien mit „Songbook“ das erste Best-of-Album von Frank Turner. Es gibt Künstler, die mit solchen karriereumspannenden Rückblicken ihren eigenen Abgesang einleiten. Nicht so Frank Turner. Anfang Mai ließ er mit „Be More Kind“ sein siebtes Studioalbum folgen, auf dem er musikalisch wie textlich einmal mehr klare Kante zeigt. Inhaltlich geht es um große Gefühle und die große Politik. Ursprünglich wollte der in Bahrain geborene Brite ein Konzeptalbum schreiben, das von bedeutenden Frauen handelt, die die Geschichtsschreibung vergessen hat, doch dann „drehte die Welt kollektiv durch“, wie er selbst es beschreibt. Der Titel des Albums stammt aus einem Gedicht von Clive James und steht sinnbildlich dafür, dass das eigene Leben am Ende wiederspiegelt, wie man andere Menschen behandelt hat. Wer Gutes tut, dem wird Gutes widerfahren. In Düsseldorf tut Frank Turner viel Gutes.
Als wir in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt ankommen, ist der Parkplatz der Mitsubishi Electric Halle überraschenderweise noch für Nachzügler wie uns geöffnet. Das lässt auf einen eher gemäßigten Fanansturm schließen. Tatsächlich sind im Inneren weite Teile der Halle mit großen schwarzen Tüchern abgehängt. Letztlich mögen es geschätzt 5.000 Leute sein, die den Weg nach Düsseldorf gefunden haben, was immerhin gleichbedeutend mit dem größten Einzelkonzert in der Karriere von Frank Turner in Deutschland ist. Wer schon einmal ein Konzert des 36-Jährigen besucht hat, der weiß, dass er auch über die Anzahl seiner Auftritte genauestens Buch führt. Heute abend findet Konzert Nummer 2.283 statt, das gleichzeitig das Ende der aktuellen Europatour markiert.
Den standesgemäßen Auftakt macht der Song „1933“, eine wütende Hymne, in der Frank Turner rigoros mit dem hin und wieder gehörten Quatsch aufräumt, die neuen Rechten seien der neue Punkrock. Beim darauffolgenden „Blackout“ springt er zum ersten Mal zu den Fans in den Graben. Überhaupt ist Turner ununterbrochen in Bewegung und schon nach zehn Minuten wird klar: Das hier gibt eine Vollgasveranstaltung. Die Fans steuern ihren Teil dazu bei. Die Düsseldorfer hüpfen, klatschen, tanzen und singen. Bei „Little Changes“, „Brave Face“ oder „The Way I Tend To Be“ übernehmen sie den Chorus, was Frank Turner angesichts leichter gesundheitlicher Stimmprobleme mit sichtlicher Dankbarkeit quittiert. Auf jeden Fall reicht seine Stimme noch für zahlreiche Ansagen zwischen den Songs, in denen er sich des öfteren an der deutschen Sprache versucht und ansonsten am häufigsten das Wort „fuck“ verwendet. Die Stimmung um ihn herum ist super (der Sound übrigens auch) und die Anzahl der umherfliegenden Bierbecher beeindruckend. Es sind viele volle darunter (und nein, ich möchte damit nicht auf die Qualität des Düsseldorfer Bieres schließen).
„Eulogy“ singt Frank Turner dann sogar ganz auf Deutsch. Nach eigener Aussage wurde das Stück von einem gewissen Peter aus Köln übersetzt. Ich vermute, dass er nicht Brings mit Nachnamen heisst. Aber wer weiß das schon? Frank Turner jedenfalls weiß um die Rivalität zwischen Düsseldorf und Köln und spielt mehrfach darauf an. Bei der Erwähnung der Domstadt erntet er die erwarteten Buh-Rufe aber auch erstaunlich viel Applaus. Vor „Be More Kind“ vereint er die Düsseldorfer und Kölner wieder, indem er dazu auffordert den Arschlöchern dieser Welt nicht das Feld zu überlassen. Die Fans zücken ihre Handys und sorgen mit ihren Taschenlampen für die dazu passende Atmosphäre. Wobei ich mich zum wiederholten Male frage, wer mit dieser Unsitte eigentlich angefangen hat und wo das gute alte Feuerzeug geblieben ist.
Anschließend nimmt Frank Turner erstmal Dampf vom Kessel und streut einen Akustikblock ein. Neben „Sailor’s Boots“ und der sentimentalen „Ballad Of Me And My Friends“ gehört dazu auch das lange nicht mehr live gespielte „Good And Gone“ von seinem 2013er Album „Tape Deck Heart“. Danach stößt die Band wieder zu ihm und gemeinsam rockt man sich dem Ende des Mainsets entgegen. Bei „Out Of Breath“ will Turner den größten Circle Pit aller Zeiten sehen und während sich zu „Photosynthesis“ ein erster Crowdsurfer auf Händen durch die Halle tragen lässt, hält er einen weiteren flammenden Appell für mehr Menschlichkeit. Er sei besonders stolz darauf, wie sehr gerade auf Punkkonzerten alle aufeinander aufpassen. Dann darf fünf Minuten kollektiv verschnauft werden.
Zur ersten Zugabe „Don’t Worry“ wirft sich Frank Turner direkt mal selbst in die Menge und surft bis kurz vor das Mischpult, wo sich ein weiterer Circle Pit gebildet hat. Während er weiter singt, tanzt Turner dort eine Weile mit ein paar Mädels, die er fassungslos zurücklässt, bevor er wieder zur Bühne getragen wird. Wie es sich gehört bedankt er sich dort ausgiebig bei allen Beteiligten und betont noch einmal wie unglaublich er es findet heute hier zu spielen. Schließlich fand sein erstes Deutschlandkonzert vor zwanzig Jahren im Kölner Underground statt (Applaus! Danke Düsseldorf!) und schon damals konnte er sein Glück kaum fassen. Am Ende holt er zu „Polaroid Picture“ noch einmal die beiden Vorgruppen PUP und Xylaroo hinzu und gemeinsam mit ihnen verabschieden sich Frank Turner und seine Band The Sleeping Souls nach knapp zwei Stunden von der feiernden Meute.
Weder mit seiner alten Punkband Million Dead, als Solist oder mit seinen Sleeping Souls, noch mit seiner Hardcore-Combo Möngöl Hörde, hat Frank Turner je ein Blatt vor den Mund genommen. Nur wenige Songwriter können wie er ihre eigenen Erfahrungen und die daraus resultierenden Ansichten in derart mächtige, allgemeingültige Lieder verwandeln, in denen mit einfachen Worten Persönliches zum Politischen wird, ohne dabei peinlich oder aufgesetzt zu wirken. Wie wertvoll das Frank Turner als Sprachrohr für all diejenigen macht, die sich mit dieser aus den Fugen geratenen Welt nicht abfinden wollen, hat er in Düsseldorf wieder mal eindrucksvoll bewiesen.
Unsere Fotogalerie zum Konzert findet ihr hier.
Setlist:
- 1933
- Blackout
- Get Better
- Recovery
- Little Changes
- The Next Storm
- Brave Face
- Plain Sailing Weather
- The Way I Tend To Be
- Be More Kind
- Eulogy
- If Ever I Stray
- Try This At Home
- The Road
- Glory Hallelujah
- Sailor’s Boots
- Good And Gone
- The Ballad Of Me And My Friends
- I Knew Prufrock Before He Got Famous
- Out Of Breath
- Photosynthesis
————————————– - Don’t Worry
- I Still Believe
- Four Simple Words
- Polaroid Picture