Vertrauen ist eines der wertvollsten Gefühle, das nicht nur einem neuen Song, sondern auch dem dritten Album von JEREMIAS seinen Namen gibt. Und das gleichzeitig das Fundament dieser Band und der insgesamt zwölf neuen Songs beschreibt, die seit der Veröffentlichung des zweiten Studioalbums „Von Wind und Anonymität“ (2023) entstanden sind und im Sommer letzten Jahres gemischt und gemastert wurden.
Jeremias Heimbach, Oliver Sparkuhle, Jonas Hermann und Ben Hoffmann präsentieren auch auf den Songs des neuen Albums einen Gegenentwurf in der zunehmenden Belanglosigkeit und Kalkuliertheit vieler heutiger Musikproduktionen für Playlisten und Algorithmen. Ihre Songs sind und bleiben wahrhaftig.
In 30 Minuten bekommen wir atmosphärisch dichte Popsongs voller Melancholie mit Heimbachs einzigartig charismatischer Stimme. Das fröhlich-optimistische Show-Intro „this is“ und der Rausschmeißer „mamita“ sind leider eine Mogelpackung und nur kurze Snippets, die die eigentlichen zehn Tracks des Albums einrahmen. Dazwischen finden sich die routinierten Popsongs, die man von Jeremias gewohnt ist – schön, elegant und mit erzählendem Charakter.
Einige davon sind schon durch vergangene Single-Veröffentlichungen bekannt. „pillen“ erzählt von Nähe, Veränderung und dem flüchtigen Zauber gemeinsamer Augenblicke. Die Zeilen „Die Zeit vergeht so schnell als hätt ich Pillen im Bauch“ bringen dieses Gefühl poetisch auf den Punkt – als würde die Realität für einen Moment aufgelöst und durch etwas Schöneres ersetzt. “ein mensch” ist ein Lied über den Verlust eines Menschen. Obwohl die Trauer und der Schmerz so groß ist, jemanden loslassen zu müssen, ist dennoch die Gewissheit da, dass irgendwo an anderer Stelle ein neues Leben beginnen wird. Immer wenn jemand geht, kommt wiederum jemand, sodass auch immer etwas Neues entsteht.
„reich“ beschriebt das Gefühl von Ohnmacht, welches man in einer Beziehung entwickelt, wenn man an einen Punk gelangt, an dem es gefühlt nicht mehr vor und zurück geht. Und das Resultat von Gesprächen und Besserungsversuchen lediglich Tränen sind, die einen stagnieren lassen. „meer“ ist ein Song über die tiefe Verbindung zweier Menschen. Es geht um einen konkreten Moment, um eine Umarmung, in der man ganz nah beieinander ist und das atmen des jeweils anderen hört. Und „fallen“ handelt davon, sich selbst zu akzeptieren und sich in jeglichen Situationen fallen zu lassen und vermittelt den perfekten, unbeschwerten Vibe für den anstehenden Sommer.
So darf man sich auf atmosphärische Musik und Gänsehaut-Momente freuen, aber wirkliche Überraschungen gibt es nicht. JEREMIAS wollen ihr Erfolgsrezept noch nicht verändern – stattdessen liefern sie ein solides, modernes Popalbum mit epischen Songs. Tief und schön!
Freitag und Samstag sind beim RBF traditionell die Tage, an denen man Konzerte in der wundervollen Elbphilharmonie besuchen darf. Und ich hatte das Glück, in diesem Jahr gleich drei Mal dabei sein zu können. Eigentlich hat man nur Anspruch auf einen Konzertbesuch dort, doch zwei Stunden vor Beginn kann jeder ganz spontan sein und sich am Ticket Desk des Festivals für etwaige Restkarten anstellen. Das lief diesmal recht gut und war vielleicht dadurch begründet, dass viele Zuschauer*innen den komplizierten Weg vom Festivalgelände zur Elphi scheuten, weil die U3 ausgerechnet auf dieser Strecke wegen Bauarbeiten gesperrt war. Sei’s drum – so gab es für mich neben Jeremias und Bruckner am Freitag auch noch den stimmgewaltigen Matt Corby am Samstag.
Der Freitag startete aber zunächst mit Annie Hamilton. Im Club Molotow war nämlich „down under“ angesagt und einige australische Acts gaben sich die Klinke in die Hand. Annie hat im Mai 2020 ihre Debüt-EP herausgebracht, kurz bevor die Pandemie so richtig durchstartete. Doch statt zu verzagen machte sie ihre Wahrnehmung des Lockdowns und die gesellschaftlichen Umbrüche zum Thema für den ersten Longplayer, der dann zwei Jahre später erschien: „The Future Is Here But It Feels Kinda Like The Past“ wandelt zwischen Dreampop und Indierock. Die Texte erzählen von Vergänglichkeit und unerwartetem Positivismus. Im Innenhof des Molotow erzeugten drei Gitarren einen ordentlichen Wall of Sound und Annie sang mit starken Vocals Songs wie „Dynamite“.
Ein flippiger Ansager ging zwischen den Acts ans Mikro um alle gebührend zu begrüßen und dem Australien-Thema einen roten Faden zu verleihen. Nette Witze waren das Ergebnis, beispielsweise vom Flughafen, wo man sich unter dem Schild AUSGANG direkt zuhause fühlte. Musikalisch lieferte dann Thelma Plum schönen Pop mit lauter Rhythmus-Fraktion. Beeindruckend war vor allem die Bassistin, die auch einen perfekten Backgroundgesang beisteuerte. Im Duett klangen die beiden großartig. Die Künstlerin Thelma Plum mit Aborigine-Background überzeugte mit emotionalem Folkpop.
Fotocredit: Festival Village by Florian Trykowski (RBF)
Im Festival Village gab es inzwischen die „Homeless Gallery“ zu bewundern. Ein Kunstprojekt, das von der Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“ initiiert worden ist. Obdachlose konnten ihre Vision eines Kunstwerks schildern, das ihre Lebenswelt und ihre Gefühle beschreibt, und eine KI hat dies in großformatige Kunstwerke verwandelt. Dass Ergebnis fand ich absolut beeindruckend – und alle Erlöse aus Katalogen, Postkarten und der Versteigerung der Bilder gehen an die Obdachlosenhilfe. Tolle Aktion, auch wenn man die Verwendung einer KI durchaus kritisch sehen kann.
Auf der Fritz-Kola-Bühne traten nun Girl Scout an, um ihre Musik mit hohem Spaßfaktor an die Festivalbesucher*innen zu bringen. Das Quartett aus Stockholm schuf mit drei Gitarren einen Sound zwischen punkrockig und chillig. Zwei Frauen waren mit an Bord, was wieder einmal den hohen weiblichen Anteil des Festivals bestätigte. Gut so! Songs wie die aktuelle Single „Bruises“ weckten die Menge aus dem Mittagsschlaf und machten uns bereit für neue Taten.
Fotocredit: Christian Hedel (RBF)
Am Reeperbus hörte ich mir erneut Brockhoff an, diesmal aber ganz anders als bei der rockigen Performance vom Mittwoch. Jetzt konnte man sie akustisch mit Gitarrenbegleitung erleben und es war eine ganz andere Sicht auf die Künstlerin, die nun melancholisch und balladesk rüberkam.
Dann aber auf in die Elbphilharmonie. Hier feierten Jeremias die Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Von Wind und Anonymität“, das just an diesem Tag erschienen ist. Wo kann man das schöner zelebrieren als vor zweitausend Menschen in der Elphi? Die Indie-Pop-Band brachte alle zum Tanzen und verwandelte die ehrwürdige Location in einen atmosphärischen, bisweilen mystischen Ort. Das war pures Konzertfeeling! Vor allem Gitarrist Oliver Sparkuhle legte sich mit seiner Performance schwer ins Zeug, auch wenn Sänger Jeremias Heimbach stets im Mittelpunkt stand. Besonders als er allein am Piano für Gänsehautmomente sorgte. Auch neue Stücke wie „Da für dich“ und „Julia“ wurden frenetisch bejubelt. Kein Problem, das neue Album an diesem Abend in den Mittelpunkt zu stellen. Nach dem wundervollen „Grüne Augen lügen nicht“ setzte der Frontsänger noch eins drauf und holte seine Cousine inklusive Cello mit auf die Bühne. Standing Ovations mitten im Set hat wohl auch die Elphi bisher selten erlebt. Genauso wenig wie den Ausflug des Sängers in die obersten Zuschauerränge zu „Mit dir kann ich alleine sein“. Das spanische Stück „Pasajero“ ließ die Location durch tausend Handylichter leuchten. Alles in allem eine magische Performance, bei der es einige Zugaben gab.
Im Hangar auf dem Heiligengeistfeld hatte sich jetzt Florian Künstler bereit gemacht. Auch er mit einem Album-Release am selben Tag, nämlich dem Debüt „Gegengewicht“. Florian ist ein ganz besonderer Mensch. Das kann man mit Fug und Recht behaupten. Sein Song „Kleiner Finger Schwur“ kam quasi aus dem nichts und hat ihn in der Szene deutschsprachiger Songpoeten weit nach oben katapultiert. Es war kein Zufall, dass er ausgerechnet in der Festival Village auftrat, denn Florian unterstützt die oben erwähnte Homeless Gallery. Wenn man Künstlers Lebensweg anschaut, ist das verständlich. Er hatte drogenabhängige Eltern, wurde zum Pflegekind, war zeitweise selbst obdachlos und lernte soziale Berufe, um anderen Menschen zu helfen. Beim Konzert zeigte sich der Mittdreißiger als durch und durch sympathischer und bodenständiger Typ, der immer im Kontakt zum Publikum blieb. Florian ist ein Mann der ruhigen, sentimentalen Worte. Und er hatte zu jedem Stück eine Geschichte zu erzählen. Von seinem Leben als Pflegekind und der Liebe zu den Ersatz-Großeltern. Der Trauer um einen geliebten Menschen, die er in „Tausend Raketen“ besang. Die Textzeile „Wenn du jetzt glücklich bis“ wurde zum krassen Moment, denn die Zuschauer*innen schleuderten ihm diese entgegen und man konnte ihm das Glück ansehen. Auch schwierige Themen verschwieg er nicht und thematisierte in „Vergiss die guten Tage nicht“ eine zeitweilige Depression.
Wieder zurück in der Elbphilharmonie waren Bruckner mit zunächst elektronisch angehauchtem Indiepop am Start. Jakob und Matti Bruckner sind die Söhne eines Musiklehrers und haben sich inzwischen eine große Fangemeinde erspielt. Zuerst blieb es beim Synthiesound, doch mit Gästen wie Paula Carolina und Dominik Hartz kam Bewegung in die Sache. Zu „Josephine“ gab es hymnische Gitarren und schließlich wurde gar ein Streicherensemble aufgefahren. Die beiden Bruckners wollten die phänomenale Akustik der Elphi zeigen und standen zunächst als Duo, später mit der kompletten Band um ein einfaches Studio-Standmikro im Kreis und lieferten akustische Stücke aus ihrem Repertoire. Was für ein Sound – gerade im Verbund mit den Streichern! Selbst die Tourmanagerin durfte als Backgroundsängerin in Erscheinung treten. Der denkwürdige Abend endete dann mit einer Reihe tanzbarer Stücke. Die Elphi hat gebebt, das Publikum ging glücklich in die Hamburger Nacht.
Am Samstag musste ich mir dann erst einmal eine Pause gönnen, um die Eindrücke des Festivals sacken zu lassen. Als Erstes stand abends der Australier Matt Corby an – standesgemäß in der Elbphilharmonie. Sein psychedelischer Soul will Kraft und Hoffnung spenden. Dazu kam er wie ein bärtiger Hobbit barfuß auf die Bühne und gab sich seiner Passion hin. Er ist eine charismatische Erscheinung, ob er nun am Piano sitzt oder am Mikro steht. Die Begleitband war eine positive Begleiterscheinung, aber sie blieb dezent im Hintergrund und wurde nicht einmal namentlich vorgestellt. Matt war ohnehin kein Mann der großen Worte. Er freute sich über die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit, aber schwelgte nicht darin. Die Augen blieben meist geschlossen und er war tief in seine Melodien versunken. Krass fand ich den Wechsel durch die Oktaven – Matt kann in tiefem Bass ebenso bestehen wie in höchsten Sphären. Einen Akustikpart bestritt er ganz allein, was absolut ausreichte. Und danach gab es dreckigen Bluesrock – wie um die Vielfalt zu betonen. Was mir etwas gefehlt hat, war ein Ausschöpfen der Akustik im Saal. Matt Corby sang alles mit Verstärkung, dabei hätte er ruhig mal weg vom Mikro gehen können. Die Elphi trägt jeden Ton nach oben.
Als Kontrast sollten es jetzt in der Großen Freiheit 36 die Pretenders mit der 72jährigen Chrissie Hynde sein. Sie hatte eine junge Band im Gepäck, was ihr Alter noch betonte. Aber sollte das eine Rolle spielen? Ihre Performance war purer Rock’n’Roll wie in alten Zeiten. So als habe Alice Cooper hier sein weibliches Pendant. Es gab einige Unstimmigkeiten, da Chrissie sich nicht filmen lassen wollte und sich mit Zuschauer*innen in der ersten Reihe und auf der Empore anlegte. Das fand ich überkandidelt, aber so sind die Stars der Szene nun mal. Bis auf die Ballade „You Can’t Hurt A Fool“ gab es vor allem den üblichen Rocksound der Pretenders. Daran hat sich auch mit dem neuen Album nichts geändert. Einen Unterschied in der zeitlichen Einordnung mancher Songs konnte man nicht ausmachen. So war das Konzert zwar solide, aber der Musik-Ikone nicht unbedingt würdig.
Nebenan im Grünspan sollte mit Stimming und dem NDR Vokalensemble etwas ganz Besonderes zum Festivalabschluss warten. Größer konnten die Gegensätze kaum sein. Stimming ist bekannt für seine elektronische Kunst aus Beats und sphärischen Melodien. Das Ensemble hat sich eher der Klassik verschrieben. Kann man das verbinden? Man kann – in einer grandiosen Form. Die gewählten Stücke waren zwischen 40 und 400 Jahre alt. Der Chor aus acht Männern und acht Frauen interpretierte diese alte Musik, während Stimming passende Beats dazu komponiert hatte. Im Lauf der Nacht wurde die Kombination immer komplexer und ich musste vor allem den Chor bewundern, dass man den Takt noch halten und die Melodien harmonisch einbringen konnte. Das Konzept des Konzerts erzählte vom Zustand der Welt und war damit natürlich sehr traurig, von Naturgeräuschen mit dem Mund bis hin zu einem beklemmenden Schluss aus Lautmalereien des Krieges. Ein Bach-Choral wurde gesampelt und verfremdet, um das Wehklagen „O Traurigkeit, o Herzeleid“ noch zu steigern. Das Klangexperiment wurde zu Recht bejubelt und hat nachhaltig Eindruck hinterlassen.
So endete das Reeperbahn Festival 2023. Der nächste Termin steht schon fest: Das nächste RBF findet vom 18. – 21. September 2024 statt. Tickets sind ab sofort HIER zur vergünstigten Early-Bird-Rate erhältlich.
JEREMIAS melden sich mit einer neue Auskopplung aus ihrem kommenden Album zurück. „Egoist“ dreht sich um die Sehnsucht nach Anonymität in einer Stadt. Auf Bühnen stehen, im Internet präsent sein, in der Heimatstadt erkannt werden: irgendwann ist es zu viel und ein Umzug, sowie der Song „Egoist“ folgen. Eigentlich ein kleines Stück Musik, eine Nylongitarre führt durch den Song – lyrisch aber die großen Themen: „Mein Vorbild war immer nur der Wind“. Egoist zeigt eine weitere Facette des kommenden Albums, musikalisch und aus der Bandgeschichte.
Auf dem am 22. September erscheinenden zweiten Album „Von Wind und Anonymität“ verarbeitet die Band die letzten zwei Jahre im Leben von Sänger Jeremias Heimbach, Bassist Ben Hoffmann, Drummer Jonas Hermann und Gitarrist Oliver Sparkuhle. Während es von außen betrachtet steil nach oben ging, kämpften die vier Bandmitglieder auch mit den Schattenseiten der allgegenwärtigen Gegenwärtigkeit. Konzerte spielen wurde erst zur Belastung, Schreibblockaden mussten durchbrochen werden und die Band sich selbst neu erfinden, um wieder zueinander finden zu können. „Von Wind und Anonymität“ handelt auch davon, selbst wieder hinter die Musik zurückzutreten, ihr den ganzen Raum zu überlassen und in ihr aufgehen zu können.
Fotocredit: Lucio Vignolo
Für „Von Wind und Anonymität“ ließ die Band sich Zeit. Anders als beim Vorgänger, der mit einer großen Prise Spontanität an einem Ort entstand, reisten JEREMIAS jetzt durch verschiedene Studios. Die Songs wurden immer greifbarer. Man hört einer durch unzählige Konzerte eingespielten Band dabei zu, wie sie ihren gefundenen Sound weiterentwickelt, Nuancen verschiebt und neue Wege geht.
Es gibt keine andere Band in Deutschland, die so klingt wie JEREMIAS. JEREMIAS klingt wie JEREMIAS. Der Nachfolger von „golden hour“ strotz vor raffinierten Harmonien und klugem, reflektiertem Songwriting. Das Album erinnert zuweilen an Größen wie John Legend und Sam Smith, zwischen Sanftheit und Schwere stellt man sich die Band zwangsläufig auf den ganz großen Bühnen vor. Je länger man JEREMIAS auf „Von Wind und Anonymität“ zuhört, desto klarer wird: Das hier ist ein wirklich herausragendes deutschsprachiges Popalbum von einer Band, die ihren ganz eigenen Sound gefunden hat und von diesem Punkt aus losgezogen ist, um Experimente zu wagen.
„Von Wind und Anonymität“ handelt von dunklen Zeiten, stellt diesen aber ein Grundvertrauen ins Leben entgegen, gibt sich zuversichtlich und zeugt von einer Band, die wieder gelernt hat, ihrem eigenen Traum zu vertrauen. Und das ist eine sehr gute Nachricht.
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In jedem Jahr bilden die Konzerte in der Elbphilharmonie den Auftakt der Ankündigungen des Reeperbahn Festival-Konzertprogramms. Das Setting des Konzerthauses an der Elbe mit dem Großen Saal und seiner zu allen Seiten offenen Bühne sowie der einmaligen Akustik bildet den mehr als würdigen Rahmen für unvergessliche Live-Momente. In den letzten Jahren standen hier Acts wie Mine, Anna Calvi, RY X und Lewis Capaldi auf der Festivalbühne.
Auch in diesem Jahr finden am Freitag, den 22. September, und Samstag, den 23. September, wieder je zwei Konzerte pro Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie statt. Die auftretenden Acts sind Altin Gün (NL), JEREMIAS (DE), Matt Corby (AU) und FIL BO RIVA (DE/IT).
Die sechsköpfige Amsterdamer Band Altin Gün (NL) (Foto) überführt die Melodien alter türkischer Volkslieder mit 70ies Psychedelic-Retro-Rock-Sounds, 80er Jahre Pop-Beats und Synthie-Flächen so gekonnt ins Hier und Jetzt, dass es auf ihren Konzerten schnell kein Halten mehr gibt. Nicht ohne Grund heißt der Bandname übersetzt „Goldener Tag“ und ist hier eindeutig Programm!
JEREMIAS (DE) mischen die deutsche Pop-Landschaft seit 2019 gehörig auf. Nach ihren ersten EPs „Du musst an den Frühling glauben“ und „alma“ folgte 2021 ihr gefeiertes Debütalbum „golden hour“, mit dem sie das Lebensgefühl ihrer Generation perfekt auf den Punkt bringen. Da sich JEREMIAS mit ihren mitreißenden Shows inzwischen einen Ruf als echtes Live-Ereignis erspielt haben, werden die Konzerthallen immer größer und es ist höchste Zeit für einen erneuten Besuch beim Reeperbahn Festival.
Songwriter Matt Corby (AU) dreht auf seinem aktuellen Album „Everything´s Fine“ die Widrigkeiten, die das Leben in den vergangenen Jahren für ihn parat hielt, zu Stärken. Er präsentiert sich als merklich gereifter Songautor, dessen Indie-Folk Getriebenheit gegen Gelassenheit getauscht und dabei erheblich an Tiefe gewonnen hat.
Nach Veröffentlichung seiner Debütsingle „Like Eye Did“ in 2016, auf die 2019 sein vielbeachtetes Debüt „Beautiful Sadness“ folgte, war der Wahlberliner FIL BO RIVA (DE/IT) schnell in aller Munde und auch auf den Bühnen des Reeperbahn Festivals ein gern gesehener Gast. Das sonore Timbre seiner besonderen Stimme ist wie gemacht für die introspektiven Inhalte seiner Songs, die Folk und Soul zu einer melancholischen Einheit verschmelzen. Beim diesjährigen Reeperbahn Festival werden diese im Großen Saal der Elbphilharmonie eine besondere Wirkung entfalten – zudem wird FIL BO RIVA in dieser einmaligen Show unveröffentlichte Songs präsentieren!
DIE REEPERBAHN FESTIVAL-KONZERTE IN DER ELBPHILHARMONIE:
Die neuen Corona-Regeln des Saarlands hätten dem Konzert von JEREMIAS im Kleinen Klub der Garage Saarbrücken fast einen Strich durch die Rechnung gemacht, gilt doch dort just seit dem 20.11. die 2G+ Regelung für Clubs und Discotheken. Es war also erforderlich, dass alle Zuschauer sich trotz ihrem Status als „geimpft oder genesen“ auch noch ein tagesaktuelles negatives Testzertifikat besorgen. Zum Glück wurde das frühzeitig kommuniziert und es gab auch beim Einlass keine Probleme. Ein Testcenter befindet sich direkt in der Garage mit separatem Eingang – also alles safe für das Event.
Trotz der kurzfristigen Regelung war der Kleine Klub nämlich gut gefüllt und es gab eine ausgelassene Feier ohne Masken und mit hohen Sicherheitsstandards. So kann das funktionieren! Das Publikum war recht jung. Vor allem wohl Schüler und Studenten. Auch damit kann man bei einer Newcomerband wie JEREMIAS rechnen. Die vier Jungs aus Hannover starten gerade kräftig durch. Ich habe sie unlängst auf dem REEPERBAHN Festival gesehen, wo sie schon für Furore sorgten. Und die Clubtour – deren Abschluss man nun in Saarbrücken feierte – ist auch hervorragend gelaufen.
Den Anfang machten aber ILAYO mit elektronischem Computersound. Ein Keyboarder und eine Sängerin, die ebenfalls eine Tastatur bediente. Es gab sphärischen Gesang und bisweilen skurrile esoterische Bewegungen der Frontfrau. Dem Publikum hat’s gefallen – auch wenn die Vocals zum Ende hin manchmal ziemlich verstörend klangen. Es gab Technobeats und einen voluminösen Clubsound, der gut zur Garage passte und die Zuschauer zum Tanzen animierte. Ein gelungener Einstieg in den Abend.
JEREMIAS starteten pünktlich um 20.30 Uhr mit ihrem ganz besonderem Sound und dem Song „Paris“. Wenn eine Band aus Hannover mit einem Altersdurchschnitt von 20 Jahren angibt, Disko-Funk zu machen, muss das Posing sein. Ist es aber nicht! Die Tour war so gut wie ausverkauft und der Sound der Band ist absolut stimmig. Die Jugend lässt sich vom Label „Funk“ nicht abschrecken. Und während der Popsound auf dem Tonträger noch recht chillig klingt, ging doch live ordentlich die Post ab.
Erst im Oktober 2019 veröffentlichten JEREMIAS ihre Debüt-EP „Du musst an den Frühling glauben“. Im Corona-Sommer 2020 folgte die zweite EP. Ein Intro, vier Songs: „alma“, die spanische Bezeichnung für die Seele. Und im Mai 2021 war dann das Debütalbum „Golden Hour“ am Start. Konsequent, Zug um Zug – und der Erfolg gibt ihnen Recht.
Der Kleine Klub beherbergte ein textsicheres Publikum, das sich seit Mai alle Lyrics des Debüts drauf geschafft hatte. Zum groovenden Sound wurde lässig getanzt. Das aktuelle Album stand ganz im Vordergrund der Performance mit Stücken wie „nie ankommen“, „ich mags“, „mio“ und „einfach“. Kurze Songtitel, ordentliche Aussage. Die Indie-Pop-Band brachte das Publikum trotz aller Auflagen zum Tanzen und verwandelte den Klub in einen atmosphärischen, bisweilen mystischen Ort. Das war pures Konzertfeeling wie in alten Zeiten! Vor allem Gitarrist Oliver Sparkuhle legte sich mit seiner Performance schwer ins Zeug, auch wenn Sänger Jeremias Heimbach stets im Mittelpunkt stand. Besonders als er allein am Keyboard den neuen Song „Goldmund“ (frei nach Hermann Hesse) vortrug und für einen Gänsehautmoment sorgte.
Der reguläre Konzertteil endete nach 80 Minuten mit dem Titelsong des Albums. Aber es war das letzte Konzert der Tour, also gab es einige Überraschungen. So befand sich in der Wasserflasche des Sängers purer Gin. Und als erste Aktion der Zugabe sang die komplette zehnköpfige Crew ein a-cappella-Stück auf der Bühne. Danach wurde wieder getanzt und gefeiert bis zur Curfew um 22 Uhr. Tanzen im Circle, Stage-diving, das komplette Programm mit Teilen der Band im feierwütigen Publikum.
JEREMIAS sind unbekümmert und finden Funk geil. Ihr Sound ist tanzbar und sexy, reduziert und groovend zugleich, manchmal theatralisch. Das junge Publikum steht auf diesen handgemachten Sound. So wird vermutlich auch der nächste Tourabschnitt im März 2022 zur geilen Zeit. Zum Vormerken: 6. März 2022 in der TUFA (Tuchfabrik Trier). Der VVK ist bereits gestartet.
Etwa 300 Konzerte an ca. 35 Locations – das ist ein Wagnis, das zu Zeiten dieser schon so lange andauernden Pandemie kaum einer anzugehen wagt. Abgesehen von den Machern des Reeperbahn Festivals in Hamburg. Schon im Jahr 2020 waren sie die letzte Bastion im weitgehend konzert- und ansonsten absolut festivalfreien Deutschland. Doch natürlich musste man Abstriche machen (und muss es noch). Wo sich normalerweise um die 50.000 Fans in St. Pauli tummeln, waren es im vergangenen Jahr gerade mal 8.000 – in Clubs und überdachten Freiluftarenen, überall mit Sitzplätzen. HIER unser Bericht vom vergangenen Jahr.
2021 sieht es schon anders aus. Von „heile Welt“ will ich aber nicht reden. 20.000 Besucher sind zugelassen. Die Veranstalter hätten sich für die in Hamburg mögliche 2G-Regelung entscheiden und alle Spielstätten wie in alten Zeiten füllen können, doch die Entscheidung des Senats ist mitten in die zu Ende gehenden Planungen reingegrätscht. Da hatte man sich schon längst für das 3G-Konzept entschieden und wollte den Karteninhabern entsprechende Planungssicherheit geben. Heißt im Klartext: Schon bevor man das Festivalbändchen in Empfang nehmen kann, führt der erste Weg zum Covid-Check: Wer geimpft, genesen oder frisch getestet ist, bekommt ein entsprechendes Bändchen als Nachweis. Das war für die folgenden Konzertbesuche die beste Lösung, bedeutete aber auch ein erstes Warten in einer schier endlosen Schlange.
An die Warteschlangen allüberall sollte man sich gewöhnen müssen. Und ich kann nur die Geduld aller Beteiligten loben: Security, Einlasspersonal und vor allem wartende Menschen. Es gab kaum Unmutsäußerungen, auch wenn Besucher berichteten, an drei Clubs angestanden zu haben um letztlich kein Konzert zu sehen. Das wurde vor allem in beliebten Clubs wie dem Gruenspan oder dem Mojo zu harter Realität. Auch wer es rein geschafft hatte, durfte nicht machen, was er wollte. Wo es keine Sitzplätze gab, waren Stehplatz-Punkte auf den Boden geklebt. In stetiger Fleißarbeit bekam jeder vom Personal einen Platz zugewiesen. Maskenpflicht blieb natürlich bestehen – es ist schon Wahnsinn, woran wir uns in den vergangenen 18 Monaten alles gewöhnt haben.
Lässige Konzerterlebnisse gab es vor allem auf den Open-Air-Bühnen am Spielbudenplatz und am Heiligengeistfeld, wo das Festival Village aufgebaut war. Angesagte Künstler wie Jeremias, Antje Schomaker und Jupiter Jones auf der ARTE Concert Stage – das waren echte Highlights wie zu alten Zeiten. Es wurde gejubelt und gefeiert, allerdings „ohne Tanzen und ausschweifende Bewegungen“, wie die Festivalstimme vom Band am Anfang jedes Gigs vermeldete.
In den kleinen Locations wie dem UWE konnte man neue Acts entdecken und lieb gewinnen. Im Umfeld der Fritz Bühne wurde es immer wieder gemütlich und heimelig, da man von überall einen guten Blick auf die hohe zweistöckige Bühne hatte und zu guter und lebhafter Musik chillen konnte. Und dann waren da natürlich die wirklich ungewöhnlichen Konzertstätten: Das Imperial Theater, wo die Bands in der Kulisse eines Edgar-Wallace-Stücks auftraten, die St. Michaelis-Kirche mit ihrem wundervollen Ambiente und natürlich die Elbphilharmonie, die endlich wieder mit im Programm vertreten war.
Man konnte sich bestimmte Konzerte als Priorität setzen, pünktlich am Einlass stehen und mit etwas Glück einen Platz bekommen, oder aber man ließ sich treiben und stromerte dahin, wo gerade nicht so viel los war, wo spannende Musik zu hören war, wo das Publikum gerade lauthals jubelte. Hamburg wurde mit musikalischem Leben erfüllt – und es war fast wie früher.
Konzerthighlights
Herausheben möchte ich für den ersten Tag die spielfreudige Kölner Indie-Pop-Band Fortuna Ehrenfeld. Im GRUENSPAN heizten Martin Bechler, Jenny Thiele und Jannis Knüpfer dem Publikum ordentlich ein und sorgten für ausgelassene Stimmung. Was für ein Start ins Festival! Sehr soulig wurde es dann mit Joy Denalane im STAGE Operettenhaus. Bei einem umjubelten Auftritt präsentierte sie vor allem ihre aktuellen Songs im Motown-Sound und wurde dabei von einer kraftvollen Band mit zwei Background-Sängerinnen unterstützt. Ein grandioses Konzert voller stimmlicher Eleganz.
Am Donnerstag konnte ich Annie Chops bei einem Solo-Showcase ihrer Plattenfirma bewundern. Eigentlich gehörte sie gar nicht zum Festival-LineUp, doch da sie als Gitarristin von Antje Schomaker mit am Start war, nutzte sie die Gelegenheit für einen Auftritt vor dem Maa‘ Deyo und zeigte, wie sie ganz allein mit ihrem R’n’B, Hip Hop und Pop bestehen kann. Hilfreich war dabei eine Loop Station, garniert von einer unverschämt souligen Stimme, deren rauer Charme direkt unter die Haut ging.
Danach ging es zu OSKA in den Nochtspeicher. Sie war nominiert für den ANCHOR Award als Nachwuchstalent und trat hier vor der Jury auf (die mit Namen wie Emeli Sandé, Tom Odell und Yvonne Catterfeld aufwartete. Etwas nervös am Anfang führte sie das Publikum durch ein melancholisches Set voller ruhiger Songs. Mit traumhafter Stimme und verklärt-verspielten Ansagen. Tags darauf hat sie uns vom Auftritt berichtet – das Interview könnt ihr HIER nachlesen. Wenig später gab es JEREMIAS auf der ARTE Concert Stage. Die Indie-Pop-Band aus Hannover brachte das Publikum trotz aller Auflagen zum Tanzen und verwandelte das Heiligengeistfeld in einen atmosphärischen, bisweilen mystischen Ort. Pures Konzertfeeling wie in alten Zeiten!
Freitags gab es neben einigen kleineren Konzerten den gefeierten Auftritt von JUPITER JONES auf der ARTE Concert Stage. Ein erzählfreudiger Nicholas Müller mit teils launischen Ansagen, die perfekt zu seiner schnoddrigen Art passten – inklusive Mittelfinger für Hetzer und Populisten. So kennt man den Eifeler Sänger – schön, dass er wieder zurück ist. Und als dann sein Hit „Still“ erklang (wie immer der verstorbenen Mutter gewidmet), hatte die Gänsehaut alle ergriffen.
Auf der Spielbude XL wurde Tim Freitag zum Überraschungshit! Der Indie-Rocker aus Zürich kämpfte sich durch alle Tonlagen, sprang vom Boxenturm und stand am Ende selig und halbnackt im Schein der beeindruckenden Lightshow. Mit seiner Bühnenpräsenz war er sicher eine Entdeckung des Festivals! Skurril dann auch der Auftritt von Katy J Pearson im Imperial Theater, da die Band dort in der Kulisse eines Edgar Wallace Theaterstücks auftrat. Die Sängerin mit prägnanter Stimme und fantastischen Instrumentalisten konnte das Wohnzimmer jedenfalls problemlos mit ihrer Musik füllen.
Der Samstag führte nach einigen kleineren Shows auf der FRITZ Bühne wieder zur ARTE Concert Stage, wo Antje Schomaker in ihrer Heimatstadt vielleicht den Auftritt ihres Lebens hinlegte. Übersprudelnd vor Freude haute sie einen Deutschrock-Hit nach dem anderen raus und fütterte das Publikum mit Lebensweisheiten aus ihrem Alltag („Wenn’s nicht passt, dann trennt euch“). Sie wird einfach von Album zu Album stärker.
Und dann zwei abschließende Highlights zum Schwärmen: In der St. Michaelis Kirche (dem Hamburger Michel) glänzte die Songwriter-Band Die höchste Eisenbahn mit einem Akustikset, der durch alle Phasen der Karriere führte und das Publikum zu stehenden Ovationen brachte. Der Sound war überragend und die Band ließ sich davon tragen. Konnte man das noch toppen? Ja, mit Niklas Paschburg in der Elbphilharmonie. Der Hamburger Elektronik-Künstler füllte die hohe Konzerthalle mit wundervollen Klängen aus Flügel, Keyboard und Akkordeon, die er mit einer Loop-Station live zur atmosphärischen Soundkulisse arrangierte. Der glasklare und warme Sound der Philharmonie tat sein Übriges dazu, dieses Konzert zum Abschluss-Highlight werden zu lassen. Das konnte man nicht mehr steigern!
Fazit
Da will ich zunächst mal Frehn Hawel von der Festivalleitung zu Wort kommen lassen: „Als Superstar Sting erzählte, dass er vor seinem Auftritt bei der Eröffnung des Reeperbahn Festivals nervös gewesen sei, da dies seine erste Liveshow seit 18 Monaten war, brachte er damit die aktuelle Situation für die meisten seiner Kolleg*innen auf den Punkt. Die Freude über das Erleben von unmittelbarer Intensität und direktem Austausch, sowohl zwischen Künstler*innen und Publikum, aber auch branchenintern, gepaart mit dem Wiederaufleben der internationalen Aktivitäten des Musikgeschäfts zeichneten die diesjährige Ausgabe des Reeperbahn Festivals aus. Wie groß die Sehnsucht nach Konzerterlebnissen in Musikclubs ist, zeigte sich leider auch in den teils sehr langen Schlangen vor den Spielstätten, die durch die 3G-Umsetzung des Reeperbahn Festivals auch in diesem Jahr stark eingeschränkte Kapazitäten aufwiesen.“
Die Entscheidungen, die getroffen werden mussten, waren nicht leicht und sorgten durch die geringen Kapazitäten auch zu Unmut (nicht unbedingt vor Ort, aber in Kommentaren bei den sozialen Medien). Trotzdem waren sie richtig – und letztlich konnte sich jeder sein Festival bei Traumwetter selbst gestalten. Wer die langen Schlangen vor den Clubs meiden wollte, hatte vor den großen Open-Air-Bühnen Spielbude XL und ARTE Concert Stage genügend Freiraum. Der Reeperbus sorgte mit 15minütigen Kurzauftritten für große Vielfalt in kürzester Frequenz. Und wer es gemütlich haben wollte, konnte weitläufig um die hoch aufgebaute FRITZ Bühne chillen.
Das Experiment ist auch im zweiten Corona-Jahr gelungen und hat die Normalität ein Stück weiter zurück gebracht. Bleibt zu hoffen, dass es im nächsten Jahr mit wieder 50.000 Besuchern und ohne Auflagen weitergeht. Der Termin steht schon: 21. bis 24. September 2022. Early-Bird-Tickets sind ab heute erhältlich!
Jemand meint es gut mit Wuppertal – blauer Himmel, viel Sonnenschein, (ausnahmsweise mal) kein Regen und noch dazu stabile Inzidenzwerte, die endlich das möglich machen, worauf viele seit etlichen Monaten warten: Live-Musik. Und das kam direkt im Multi-Pack. Thees Uhlmann, Maria Basel und Darjeeling sowie Jeremias sorgten auf der Waldbühne Hardt am zweiten Juniwochenende für drei Konzertabende.
Gut besucht waren die Konzerte alle, kaum Stühle blieben frei und die strengen Hygienemaßnahmen lassen einen für einige Stunden den Corona-Alltag vergessen. Zugang gab es nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete. Alle Veranstaltungen waren bestuhlt und jedem wurde sein Sitzplatz zugewiesen – hier galt die Regel „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Idyllisch zwischen Felsen und grünem Wald gelegen versteckt sich in dem Park zwischen den Stadtteilen Elberfeld und Barmen die Waldbühne in erhöhter Position mitten in der Stadt.
Gleich die Eröffnung übernahm eine Größe der deutschsprachigen Rockmusik – Thees Uhlmann, Ex-Tomte-Frontmann, seit einigen Jahren vor allem Solo unterwegs, zeigte sich mit seiner Live-Band voller Spielfreude, Charisma und einer großen Portion (Selbst-)Humor.
Dass Thees Uhlmann musikalisch seit Jahren abliefert, ist kein Geheimnis. Mit seiner Solo-Karriere knüpft er weitestgehend nahtlos an die erfolgreichen Tomte-Zeiten an – es bleibt weiter indierock-poppig mit Texten, die von Kritikern wie Fans gefeiert werden, zum Mitsingen einladen und dabei im Kopf nachhallen. Dabei weiß Uhlmann, wie er das Publikum auch zwischen den Songs – die vor allem vom aktuellen „Von Junkies und Scientologen“- Album und der selbstbetitelten Solodebüt-Platte kommen – bestens unterhalten kann. Wenn Uhlmann in der Anekdotenkiste kramt, hat er die Lacher dank seiner augenzwinkernd-selbstironischen Erzählweise definitiv auf seiner Seite, ohne dabei abgehoben zu wirken. Vielmehr hat man das Gefühl, mit einem sehr guten Kumpel entspannt bei einem Bier zusammenzusitzen und dabei bestens unterhalten zu werden – inklusive eines zwischenzeitlichen Griffs zur Gitarre. Für die Rückkehr zurück zur Livemusik hätte der Veranstalter kaum eine bessere Wahl treffen können.
Dass dies mit lokalen Künstlern ebenfalls gelingen kann, zeigte der zweite Abend. Den abschließenden Bühnencheck für Darjeeling und Maria Basel übernahm – passend zur Waldbühne – ein Eichhörnchen, das schnell über die Stage flitzte. Solcherart gewappnet und mit entspanntem Publikum eröffnet Maria Basel den Abend. Die Solokünstlerin hat Anfang des Jahres ihre Debüt-EP „Layers“ mit fünf dichten, sphärischen Elektro-Pop-Songs veröffentlicht und präsentiert diese nun erstmals vor Live-Publikum. Dabei ist sie kein unbeschriebenes Blatt. Sie singt, komponiert oder spielt bei verschiedenen Formationen mit – das reicht von Elektro hin zu Pop, Hip-Hop oder Jazz etwa mit dem Pina Bausch Ensemble, Samy Deluxe, Golow oder im Basel & Söhngen Duo. Zudem legt sie als RIA mit elektronischen Performances/DJ auf. Ihr Sound aus flirrenden Loops und melancholischen Melodien macht Lust auf mehr – auch bei dem Konzert auf der Waldbühne.
Nach einem Set von einer knappen halben Stunde übernimmt ein adäquater Nachfolger: Die Wuppertaler Band Darjeeling ist mit ihrem mittlerweile dritten Album „Maguna“ nicht nur in der Heimatstadt etabliert. Mit ihrem psychedelischen Avantgarde-Pop mit einer Mischung aus synthie-lastigem Indie und Krautrock weiß das Trio, bestehend aus Fabian Till Reinkenhoff (Keyboard), Markus Kresin (Bass) und Jan Szalankiewicz (Gitarre), zu überzeugen. Live gibt es Unterstützung von Schlagzeuger Thorben Doege und Niklas Nadidai am Keyboard.
„Endlich wieder Konzerte – sozusagen zum Anfassen“ dürfte vielen durch den Kopf gegangen sein, die an dem sommerlichen Freitagabend in den Genuss kommen, Darjeeling live zu erleben. Dass die neuen Songs nun auch vor „richtigem“ Publikum und nicht nur in Streams vorgeführt werden ist für alle Seiten eine Freude. In den Rängen schwelgen die Zuschauer zu den Klängen mit nickenden Köpfen in den Soundwolken, die aus den Boxen strömen, während die Spielfreude auf der Bühne förmlich zu greifen ist. Die Zeit ist allerdings begrenzt, wie bei Open-Airs meist der Fall, daher hält sich die Band nur wenig mit Ansagen auf und holt stattdessen alles mit, was geht, inklusive zwei Songs als Zugabe. Dabei bedienen sich die Jungs vor allem an ihren beiden jüngeren Alben „Maguna“ und „Hokus Pokus“, wobei auch „Little Weapon“ vom Debütalbum nicht fehlen darf. Hätte es besagte Zeitbegrenzung nicht gegeben, sowohl Publikum als auch Band hätten wohl am liebsten bis spät in die Nacht weitergespielt – zu Recht.
Und doch – wo ein Ende, da auch ein Anfang, in dem Fall das nächste Konzert am Samstagabend. Dieses Mal sind Jeremias aus Hannover zu Gast – und reißen gleich in den ersten Sekunden alle von den Stühlen. Statt Sitzkonzert gibt es mehr stehende Tanzeinlagen, wenn auch bedacht am eigenen Platz. Das durchschnittlich junge Publikum feiert die Gruppe, zeigt sich in knapp anderthalb Stunden Konzert textsicher. Der Indie-Pop mit Disco-Funk-Elementen und deutschsprachigen Texten trifft den Nerv der Hörer, geht direkt ins Ohr und offensichtlich auch in die Beine. Frontmann Jeremias Heimbach (Gesang und Piano), Oliver Sparkuhle (Gitarre), Ben Hoffmann (Bass) und Jonas Herrmann (Drums) genießen den Tourauftakt sichtlich, schließlich haben sie ihr gerade erst erschienenes Debütalbum „Golden Hour“ mit im Gepäck und bei dieser Reise allen Rückenwind.
Den dürften auch die Veranstalter des Wuppertaler Konzertfrühlings haben: volles Haus bei allen Konzerten, keine Zwischenfälle, ein entspanntes und begeistertes Publikum und viele Menschen auf allen Seiten, die hungrig nach mehr sind.
Im Juli geht es weiter. Am 9. Juli spielen Die Sterne auf der Waldbühne, am 10. Juli folgt die Henrik Freischlader Band. Für beide Events gibt es noch Karten im Vorverkauf.