Wenn sich 25.000 Fans zur ultimativen Sprechstunde am Bostalsee einfinden, kann das nur eins bedeuten: Die Ärzte aus Berlin sind da! Und es ist nicht irgendein Konzert. Man feierte den Abschluss der „Buffalo Bill in Rom“ Tour. Benannt war das 2022er Happening nach einem weithin unbekannten Spaghettiwestern, bei dem die Zirkusshow des berühmten Bisonjägers durch Europa tourt. So müssen sich vermutlich auch Die Ärzte fühlen. Genau wie ihre Fans sind sie ordentlich gealtert, aber sie haben auch ganz neue Generationen zu ihren Konzerten gelockt, wovon viele zu den Anfangszeiten der Band vor 40 (!) Jahren noch nicht einmal geplant waren.
Das Eventgelände am Bostalsee ist logistisch gut gelegen. Okay, man muss lange Wege zur Location in Kauf nehmen, wenn man mit dem Auto anreist, aber alles ist gut organisiert. Platzanweiser zu den Parkplätzen, gute Beleuchtung, abgesperrte Fußwege, ein gutes Verkehrskonzept, um den Abfluss der Fahrzeuge nach dem Konzert zu regeln.
Zum Glück blieb es fast durchgehen trocken, auch wenn die Vorhersage ganz anderes Wetter befürchten ließ. Die positive Energie des Publikums schien alle Regenwolken zu verscheuchen. Einmal gab es eine kurze Schauer von drei Minuten während der Beatsteaks und zum Konzertende war ein leichtes Nieseln zu spüren. Aber zum Glück hatten sich die meisten gut eingemummelt, um 9 Grad Lufttemperatur zu ertragen. Kein wirklich schönes Open-Air-Wetter, aber mit Jubeln, Springen und Tanzen ließ sich das Beste draus machen.
Pünktlich um 18.30 Uhr startete Special Guest Christian Steiffen. Eigentlich heißt der illustre Entertainer Hardy Schwetter und ist ein Schauspieler aus Osnabrück. Dort hat er gar zweimal als Oberbürgermeister kandidiert. Musikalisch bietet er nicht wirklich Punk, sondern eher seichte Popsongs mit sarkastischen Texten und einer Prise Synthiesound. Songs wie „Die dicksten Eier der Welt“ bot er mit sonorer Stimme dar. Die humorvolle Schlagerparty endete nach 35 Minuten
Nach einer halben Stunde Umbau folgten die BEATSTEAKS, die dem Bostalsee mit Gitarrenriffs Marke „Alle meine Entchen“ huldigten. Die Berliner Punkband um Arnim Teutoburg-Weiß feierte die unglaubliche Kulisse und riss das Publikum von Beginn an mit. Es gab eine Mischung aus deutschen und englischen Texten. Natürlich mit viel beschwingtem Punk, aber auch mit gesellschaftskritischen Momenten, die an Ton Steine Scherben erinnerten – beispielsweise bei „Frieda und die Bomben“. Man war sich natürlich bewusst, dass die Ärzte ganz im Mittelpunkt standen und machte sich daher einen Spaß daraus, immer wieder Zitate aus deren Songs in die Ansagen und die eigenen Musikstücke einzubauen. Mit ihren fetzigen Songs wie „Hello Joe“, „Hand in Hand“ und „I Don’t Care As Long As You Sing“ legten sie einen soliden 40minütigen Partyset hin. Eine gute Einstimmung auf das, was da noch kommen sollte.
Für Die Ärzte musste man 45 Minuten Umbauzeit überbrücken, in denen die Kälte langsam aus Richtung See zu den Zuschauer*innen kroch. Als dann aber Punkt 21 Uhr ein optimistisches „Himmelblau“ erklang und zum Ende des Songs endlich der Vorhang fiel, war alles Bibbern vergessen und nur noch Party angesagt.
Die Mischung von Songs zog sich wie gewohnt durch die komplette Bandgeschichte. „Wir sind die Besten“ wurde ebenso begeistert aufgenommen wie der moderne Klassiker „Lasse redn“. Es gab „Fiasko“ und „Angeber“, aber auch die selbstkritische Hymne „Ist das noch Punkrock?“. Die drei Akteure verwandelten die Ansagen der Show häufig zur Comedy-Show. „Sorry. Ja. Ab und zu singen wir auch“, hieß es dann entschuldigende zwischendurch. Aber es macht einfach Spaß, den Kabbeleien auf der Bühne und der Kommunikation mit dem Publikum zuzuhören.
Natürlich bekamen AFD und andere Nazis ihr Fett weg. „Doof“ wurde ganz explizit rechtsradikalen Tendenzen gewidmet. Aber auch das ironische „Hurra“, „Besserwisserboy“ und der lange nicht gespielte Oldie „Quark“ schlugen in die Kerbe der Floskeln mancher Politiker, die diese ohne ein Spur Nachdenkens von sich geben.
Nach „Friedenspanzer“ und „Manchmal haben Frauen…“ durfte Arnim von den Beatsteaks wieder auf die Bühne. Er hatte sich „Buddy Holly’s Brille“ gewünscht und durfte den Klassiker selbst performen. Auch für diesen erfahrenen Frontmann ein sichtlich bewegender Moment.
„Grace Kelly“ wurde als Schauspiel-Ikone besungen, dann aber war wieder jeder dran: „Deine Schuld“ ist der ultimative Politsong, der alle dazu auffordert, selbst tätig zu werden und nicht wegzuschauen. Damit sprachen Die Ärzte hier allen aus der Seele. Das „Lied vom Scheitern“ und „Unrockbar“ beendeten gegen 23 Uhr den Hauptset, doch wer Die Ärzte kennt, weiß, dass es noch locker bis fast Mitternacht weiterging.
Das Thema aus den „Miss Marple“ Filmen läutete die Zugaben ein. Und hier gab es dann auch herbei gesehnte Stücke wie den „Schrei nach Liebe“ (mit enthusiastischen „Arschloch“-Rufen), dem rockigen „Jung“ und natürlich dem All-time-favourite „Zu spät“. Auch Christain Steiffen durfte wieder auf die Bühne und mit den Ärzten seinen eigenen Song „Ja Ja die Punkmusik“ performen, bevor das Happening dann a cappella mit „Gute Nacht“ endgültig zu Ende ging.
Ein Ärzte-Konzert ist wie Forrest Gumps berühmte Schachte Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt. Die Setlist variiert mit wenigen Konstanten von Konzert zu Konzert und kann auch mal ganz spontan geändert werden. Der Tourabschluss war jedenfalls großartig und lieferte am Ende ganze 37 (!) Stücke aus dem gewaltigen Backkatalog der Band. Jetzt nur noch raus aus der Kälte und ins warme Auto. Das Ende der Open-Air-Saison hatte ein Highlight geliefert. Auf ein Neues 2023!