Bauchredner und Puppenspieler – eine Kunst, die sich seit dem Altertum in unserer Kultur etabliert hat. Mancher mag meinen, solche Formen der Unterhaltung hätten sich überholt, seit es Kino und Fernsehen gibt. Doch weit gefehlt! Wer gestern Abend am beschaulichen Sonntag den Weg nach Trier fand, durfte sich wundern, wie viele Fans diese alte Kunst heutzutage hat.
Sascha Grammel ist aber auch ein Phänomen. Jung, gut aussehend, aus Berlin stammen. Der Künstler, der nächsten Februar seinen 40. Geburtstag feiert, hat nach eigenen Angaben bereits mit neun Jahren das Bauchreden angefangen. Zuhause, auf Kindergeburtstagen, später in kleinen Clubs und Kabaretts. Die klassische Ochsentour also. Sascha war Mitglied des Magischen Zirkels Berlin und schaffte es mit der Zeit verstärkt, ein ganz neues Genre in Deutschland zu etablieren: Puppet Comedy.
Grammel vereint Versatzstücke aus Comedy, Puppenspiel, Bauchreden und Zauberei zu einer bunten Show, die in dieser Form einzigartig ist. Seit 1997 tritt er öffentlich auf und hat Preise über Preise gewonnen, war im Fernsehen in vielerlei Hinsicht präsent und schafft jetzt mit seinem zweiten großen Programm „Keine Anhung“ das, wovon alle Künstler träumen: die ganz großen Arenen zu füllen. Da gehört Trier jetzt eher zu den kleineren Veranstaltungsorten, wenn man sich die Tourdaten anschaut.
Die Größe der Halle hat natürlich den entscheidenden Nachteil, dass die Zuschauer in den Rängen einen recht kleinen Sascha und noch kleinere Puppen auf der Bühne sehen und sich ihre Konzentration mit der Zeit wohl eher auf die LCD-Leinwände richtet. Man ist live dabei, schaut sich aber eher den Film an. Nun gut – das ist bei großen Rockkonzerten auch nicht anders.
Sascha machte das durch ein spektakuläres Bühnenbild wett, in dem jede Figur ihr buntes Haus hatte. Als er auf die Bühne kam, ging zunächst einmal tosender Applaus los. Die wenigsten haben ihn schon einmal live gesehen, doch fast jeder kennt ihn aus dem Fernsehen. Und wen der sympathische Künstler und seine genialen Figuren erst einmal in den Klauen haben, den lassen sie so schnell nicht wieder los.
Sascha Grammel stellt sich mit seinen originellen Charakteren dem Klischee entgegen, dass Bauchredner als verhärmte Alleinunterhalter auf der Dorfkirmes enden. Klar, auch Grammel legt ein Dauergrinsen an den Tag, das einem Autoverkäufer zur Ehre gereichen würde, aber er macht seinen Job mit viel Selbstironie.
Manche Figuren kennt man bereits aus dem ersten abendfüllenden Programm. Das trug den Titel „Hetz mich nicht“ und machte uns bekannt mit der Schildkröte Josie, die als schüchterner Geldautomat arbeitet, mit dem mehr als selbstbewussten Adler-Fasan Frederic Freiherr von Furchensumpf und mit dem Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Peter Hacke, einem Hamburger im doppeldeutigen Sinn des Wortes. Diese traten auch im neuen Programm „Keine Anhung“ wieder auf.
Die Show begann mit Frederic, der gewohnt schnoddrig sein Gegenüber vorführte und kein gutes Haar an Grammel ließ. Dann folgte Außer Rüdiger, eine gelbe Socke mit großen treuherzigen Augen. Mein Favorit war aber auch diesmal Josie, die sich auf der Suche nach einem Freund befand und schließlich Sascha ansang „Willst du mein Freund sein?“ – ein herzzerreißender Moment, der alle Zuschauer vergessen ließ, dass Grammel beide Rollen spielte. Da steckt überhaupt Saschas große Stärke. Die Dialoge verpassten den Puppen das perfekte Eigenleben. Er ging oft auf die Metaebene, walzte Versprecher oder Lacher zu handfesten Streitereien aus. Da blieb kein Auge trocken.
Prof. Hacke bekam in der zweiten Programmhälfte seinen besonderen Moment – hat er doch das ultimative Lebensmittel entdeckt, isotonisch, laktosefrei, ohne Zucker und voller natürlicher Aromen: Wasser! Wenn Sascha von seinen Versuchs-Wässerchen trank, verwandelte er sich stimmlich in die verschiedenen Figuren des Programms. Ein netter Gag, der die Stimmvielfalt eindrücklich unter Beweis stellte.
Viel Herzblut steckt auch in der neuen Figur, dem außerirdischen Handelsvertreter Herr Schröder, der im ständigen Clinch mit seinem Symbionten, der Sternschnuppe Ursula lag. Ein Auftritt, der wie ein Ohrwurm lange nachwirkte (wer die Show gesehen hat, weiß was ich meine). So entführte uns Grammel in seine Welt, die am Schluss über einen Brief von Josie nochmal in allen Figuren zusammen geführt wurde. Zudem ließ es sich der (Ver-)Zauberer nicht nehmen, auch noch ein kleines Zauberkunststück in die Geschichte mit einzubauen. Seine Jonglierkünste hatte er zuvor ebenfalls unter Beweis gestellt.
Die Zuschauer verabschiedeten Grammel mit stehenden Ovationen, die dieser gerührt entgegen nahm. Vermutlich tut er das jeden Abend, doch es war schon sehr bewegend, als er in einer letzten Ansprache ans Publikum seiner Freude darüber Ausdruck verlieh, es vom Kindergeburtstag in die große Arena geschafft zu haben. Man gönnt es ihm von ganzem Herzen. Für den Bambi ist er auch nominiert – und: „es gibt ein Zuschauervoting, man kann online dafür abstimmen“. Werden wir tun, Sascha. Ehrensache.