2009 starteten Selig nach zehnjähriger Pause eine furiose Reunion. Seitdem haben sie mit „Und Endlich Unendlich“, „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ und zuletzt „Magma“ drei Alben veröffentlicht, die sich allesamt in den Top Ten der Charts platzieren konnten. Die fünf Hamburger gehören längst wieder zum festen Wertekanon der deutschen Rockszene, auch wenn „Magma“ als stilistische Neuorientierung nicht überall auf uneingeschränkte Gegenliebe stieß. Die FAZ etwa schrieb von „Mainstream-Pop“ und „Wellness-Rock“, kürte das Album aber dennoch zur „CD der Woche“. In einem jedoch sind sich alle einig: Es gibt hierzulande nur wenige Kapellen, die Selig live das Wasser reichen können.
Seit Mitte März lässt das Quintett auf seiner „Magma Tour“ die deutschen Bühnen brodeln. Köln ist ihre neunte Station, sechs weitere Termine folgen noch, als nächstes das doppelte Heimspiel im Docks auf der Reeperbahn. Die Live Music Hall ist zwar voll, erstaunlicherweise aber nicht ganz ausverkauft. Wer hier schon mal ein Konzert erlebt und gesehen hat, wie die Leute quasi bis unter die zuweilen brüchige Decke gestapelt stehen, der weiß, dass dies heute abend nur von Vorteil sein kann. Möglicherweise befinden sich viele Kölner bereits im Osterferienmodus.
Diejenigen, die „nicht auf dem Sofa liegen geblieben, sondern gekommen sind“, wie Jan Plewka später sagen wird, brauchen allerdings elendig lange, bis sie so etwas ähnliches wie Stimmung verbreiten. Das gesamte Mainset über komme ich mir vor, als läge ich tatsächlich zuhause auf dem Sofa und würde mir eine Konzert-DVD anschauen. Es wird gequatscht statt gesungen, bestenfalls mitgewippt statt getanzt und zwischen den Songs zumindest höflich Applaus gespendet. An Selig liegt diese für Kölner Verhältnisse fremdartige Zurückhaltung definitiv nicht. Der Sound ist vom ersten Ton des Openers „Ich lüge nie“ nahezu perfekt und Jan Plewka, Leo Schmidthals, Christian Neander, Stephan Eggert sowie Malte Neumann erweisen sich als gutgelaunte Meister ihres Fachs. Trotzdem scheinen sie die seltsame Atmosphäre ebenfalls zu spüren. Jan Plewka versucht es immer wieder mit einem aufmunternden „Geht es euch gut?“ oder „Seid ihr noch da?“, gibt aber spätestens nach „Der Tag wird kommen“ auf, als sein Wunsch, lautstarke Grüße von Köln nach Hamburg zu schicken nur einen müden Widerhall findet.
Man muss Selig zugute halten, dass sie sich davon in keinster Weise irritieren lassen. Die Setlist ist ein gelungener Streifzug durch ihre beiden Schaffensphasen vor 1999 und nach 2009. Lediglich das „Blender“-Album von 1997 findet mit keinem einzigen Stück Verwendung, dafür ist „Magma“ gleich mit deren zehn vertreten. Vielleicht liegt die flächendeckende Körperstarre der Fans am eisigen Wind, der uns vor Konzertbeginn auf dem Weg zur Halle fast hat einfrieren lassen. Vielleicht liegt des Rätsels Lösung aber auch darin, dass man nach so viel „Magma“ gerne mehr älteres Material gehört hätte. Als es beim ersten Zugabenblock mit „Sie hat geschrien“, „Wenn ich wollte“ und dem unvermeidlichen Klassiker „Ohne Dich“ nämlich ganz zurück bis zu den seligen Anfängen von 1994 geht, da können plötzlich alle mitsingen, tanzen und ihre Arme in die Luft reißen.
Am Ende müssen Selig sogar dreimal wiederkommen, ehe sie den Abend nach über zwei Stunden und insgesamt 23 Songs mit einer akustisch angehauchten Version von „Regenbogenleicht“ ausklingen lassen. Vorher versprechen sie noch „Wir werden uns wiedersehen“. Angesichts der musikalischen Klasse, die sie heute demonstriert haben, klingt dieses Versprechen wie eine Verheißung. Die Live Music Hall ist dabei spät, aber nicht zu spät aufgetaut. Selbst wenn es zu einem Vulkanausbruch nicht mehr ganz gereicht hat. Genau den hätte dieses Konzert eigentlich verdient gehabt!
(Fotos: Torsten Schlimbach – Dream Out Loud Magazin)
Setlist:
- Ich lüge nie
- Sie scheint
- Schau Schau
- Arsch einer Göttin
- Love & Peace
- Danke
- Wenn ich an dich denke
- Ist es wichtig?
- Der Tag wird kommen
- Zeit
- Bring mich heim
- 5.000 Meilen
- Magma
- Von Ewigkeit zu Ewigkeit
- Die alte Zeit zurück
- Bruderlos
- Encore 1: Sie hat geschrien
- Wenn ich wollte
- Ohne dich
- Encore 2: Alles auf einmal
- Mädchen auf dem Dach
- Wir werden uns wiedersehen
- Encore 3: Regenbogenleicht