Wenn man die Meldungen auf Rays Facebookseite verfolgte, konnte man sich eigentlich auf eine Doppel-CD freuen. Ursprünglicher Plan war es nämlich, das neue Album mit einer akustischen und einer härter rockenden Scheibe zu füllen. Das sind – wie die Fans des Schotten wissen – seine beiden Seiten, in denen er jeweils sehr stark ist. Ray Wilson glänzt als Songwriter mit leisen Tönen, kann aber zugleich mit seiner Band Stiltskin ordentlich abrocken. Beide Seiten in einem Release zu zeigen, würde durchaus Sinn machen. Nun ist es aber doch anders gekommen und wir erleben zunächst die leisen und introvertierten Klänge des Künstlers. Auf den lauten Ray müssen wir bis zum Herbst warten. Auch gut.
Vergessen wir also mal, dass Ray Wilson für kurze Zeit als Sänger bei Genesis aktiv war. Diese Tatsache hilft seinem Bekanntheitsgrad und verfeinert die Setlist der Livekonzerte. Doch für die musikalische Qualität ist es irrelevant. Gerade wenn Ray seine eigenen Stücke singt, wird die Magie der Konzerte wirksam. Ob es Klassiker sind wie „Change“ und „The Actor“ oder Stücke des neu erscheinenden Albums – er nimmt seine Hörer gefangen und führt sie aus dem Mitsingen der Genesis-Klassiker in seine ganz eigene Welt.
„Song For A Friend“ bietet gut 43 Minuten feine akustische Gitarrenmusik, welche die Größe des Künstlers als Geschichtenerzähler zeigt. Gewidmet ist das Album dem 2015 verstorbenen Freund James Lewis. Inhaltlich wurde es zu einem melancholischen Rundumschlag durch die Gemütszustände des Lebens. Der Opener „Old Book On The Shelf“ handelt von einer Bar in Amsterdam, die nur ein einziges Buch im Regal stehen hat. Dieses erzählt die Lebensgeschichte des Protagonisten. Klasse erzählt – hervorragend umgesetzt.
Die Geschichte des Lebensbuches kann wie ein Bindeglied für die Songs wirken. Das Album dreht sich beispielsweise um alte Freunde und die Trauer, wenn man sich erst auf einer Beerdigung wieder trifft. Der Titelsong erinnert an die folkigen Gitarrenläufe von Cat Stevens und ist sehr bewegend. „Cold Light Of Day“ wendet sich an Menschen, die ihre Emotionen verstecken. „Not Long Till Springtime“ hat Ray für seine Freundin geschrieben, als sie sich eine Verletzung zuzog, die ihre Tanzkarriere beeinträchtigte.
„Backseat Driving“ setzt sich mit dem Tourleben auseinander, das für Ray Wilson, der quasi dauerhaft auf Tour ist, eine große Belastung bedeutet. Vor allem, wenn alle Bandmitglieder morgens um 5 Uhr im Tourbus durcheinander reden wie Politiker in einer Talkshow. Den Abschluss des Albums bildet das grandiose Pink Floyd Cover „High Hopes“. Originalgetreu wiedergegeben, aber heruntergebrochen auf die Gitarrenakkorde, die für Wilson so typisch sind.
„Song For A Friend“ ist ein sehr homogenes Album. Es transportiert die Lagerfeuerromantik der ganz großen Songwriter in unsere Zeit. Zur Seite gestanden hat ihm einmal mehr Uwe Metzler, der schon öfter für Ray in die Saiten griff. Auch diesmal wieder eine fruchtbare Zusammenarbeit. Wem das für den Sommer zu viel Melancholie beinhaltet, der muss halt auf die zweite Scheibe im Herbst warten.