Clueso geht mit „Handgepäck I“ auf eine emotionale Reise durch die Zeit
Bevor wir uns dem neuen Album von Clueso widmen, sollten wir uns nochmal kurz bewusst machen, wo die musikalischen Wurzeln des 38-Jährigen eigentlich liegen. Nämlich im HipHop. Erst seit seinem dritten Album „Weit weg“ und der Überflieger-Single „Chicago“ kennt die Welt Thomas Hübner aus Erfurt als den Clueso von heute. Gelegentliche Kollaborationen, wie kürzlich bei „Zusammen“ mit den Fantastischen Vier, zeugen noch von alten Zeiten und langen Freundschaften. In den vergangenen 20 Jahren wurde Clueso immer erfolgreicher, jedoch ohne seine musikalische Vision aus den Augen zu verlieren. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung war 2014 das Album „Stadtrandlichter“, mit dem er erstmals Platz 1 der deutschen Charts erreichte. 2016 folgte dann ein sehr viel puristischeres Werk, das er passenderweise „Neuanfang“ nannte, und das nun mit Album Nummer 8 seine konsequente Fortsetzung findet. Auf „Handgepäck I“ zieht sich Clueso quasi bis auf die Knochen aus und präsentiert 18 rein akustische Songs, die auf seinen zahlreichen Reisen entstanden sind. Es sind Songs, die ihm genauso gefielen, wie sie waren, die aber nie so ganz auf eines seiner bisherigen Alben passten und von denen der älteste bereits elf Jahre auf dem Buckel hat. Geschrieben hat er sie in Hotelzimmern und Autos, hinter der Bühne, auf Inseln und Bergen. Einige von ihnen hat Clueso schon live gespielt, aber die meisten sind bislang unbekannt.
Es gab für das Album nur einige wenige Studiosessions, die meisten Lieder hat Clueso unterwegs mit dem Equipment aufgenommen, das er sowieso immer bei sich trägt, Gitarre, Mikrofon, Laptop, und sie so gelassen. Nur hier und da wurden ein paar Kleinigkeiten ergänzt: Etwa ein Cello in „Wie versprochen“ oder die Dixieland-Bläser in „Zwischenstopp“. Den ein oder anderen Gesangspart hat er noch verbessert, das Album selbst aufgenommen, die meisten Instrumente eigenhändig eingespielt, alles arrangiert, produziert und abgemischt. Der größte Teil der Arbeit wurde dabei unterwegs erledigt, auch das Tracklisting legte er während eines Fluges fest. Das klingt nicht nur sehr authentisch, das ist es auch.
„Aufbruch“ ist dafür die passende Prelude. Das Stück beginnt wie ein warmer Sommerregen, in den sich eine gezupfte Gitarre und ein in der Ferne geblasenes Horn mischen. Mit „Wie versprochen“ folgt eine melancholische Hommage an das (Allein-)Reisen: „Jeder Gedanke versinkt im Schweigen des Berges nebenan“. Melancholisch geht es dann auch größtenteils weiter. Clueso spürt nicht nur seinen Reisen nach, sondern auch tief in sich hinein. Dabei fördert er aber nicht nur Nachdenkliches zutage. Mal schreitet er beschwingten Schrittes voran wie in „Waldrandlichter“ oder „Kurz vor Abflug“, dann wieder hüpft er fröhlich und ausgelassen durch die Gegend („Du und ich“). „Zwischenstopp“ klingt sogar wie ein ganzer Wanderzirkus. Um ihn herum wird es auch mal voll bluesig („Landstreicher“) oder verhalten bluesig („Morgen ist der Winter vorbei“). Und natürlich darf die Mundharmonika als das typische Wanderinstrument nicht fehlen („Einfache Fahrt“). Zwischendurch sorgt das Instrumental „Wüste“ für eine kleine Verschnaufpause. Abgerundet wird das Ganze durch das Puhdys-Cover „Wenn ein Mensch lebt“. Den Schlusspunkt unter „Handgepäck I“ setzt schließlich „Paris“, eine musikalische wie sprachliche Ode an die französische Hauptstadt, an deren Ende Clueso pfeifend seiner (weiteren) Wege zieht.
In den Texten dreht sich vieles um Sehnsucht und Fernweh, aber auch um ganz konkrete Erlebnisse, wie etwa an der Bar mit Otto und Helge Schneider während eines Auftritts von Udo Lindenberg in Leipzig. Es geht um das Gefühl nach Hause zu kommen, um die Einsamkeit nach umjubelten Konzerten, um Entschleunigung oder endlose Wartezeiten an irgendeinem Flughafengate. Vor allem aber lautet die Botschaft: Genieße den Augenblick! Clueso vermittelt sie auch auf einer Länge von 18 Songs so glaubhaft, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt. Dafür dass es auch nicht kitschig wird, sorgt die Tatsache, dass er (noch) nicht altklug genug klingt und textlich immer ebenso haarscharf wie präzise an der Tränendrüse vorbeischrammt.
Das erstaunliche ist, dass man „Handgepäck I“ die großen zeitlichen Abstände nicht anhört, die zwischen einigen der Stücke liegen. Sie alle fügen sich zu einem homogenen Gesamtwerk zusammen. Deshalb ist das Album auch alles andere und viel mehr als nur eine vermeintliche B-Seiten-Compilation. Clueso legt mit „Handgepäck I“ sein Herz auf den Tisch und konserviert darauf das wohl intensivste Stück Musik, das er bislang veröffentlicht hat. Wer weiß, vielleicht packt er seinen Koffer ja demnächst auch für eine Akustik-Tour. Der Titel lässt jedenfalls erfreulicherweise vermuten, dass dem ersten Teil des Handgepäcks noch mindestens ein weiterer folgt.