Eltern mit musikbegeisterten Kindern kennen das Problem: Die Kleinen wollen ihre Helden auch mal live sehen. Aber kann man es ihnen zumuten, drei Stunden in einer Menschenmenge zu stehen, aus der heraus sie höchstens mal den Haarzipfel des geliebten Künstlers erblicken können? Wincent Weiss schafft da Abhilfe. Schon sehr früh in seiner Karriere geht er auf eine akustische Tour in mittelgroßen Hallen – mit Sitzplätzen. Kein Wunder, dass die Europahalle in Trier schon früh ausverkauft war und sich viele Generationen auf den Sitzen befanden.
„Da müsste Musik sein, überall wo du bist!“ – mit seiner 2016er Single „Musik Sein“ hat Wincent Weiss viel mehr als eine künstlerische Duftmarke gesetzt. Damals konnte ich ihn als Support von Max Giesinger live erleben. Und es war eine Offenbarung: Wincent trat als ein durch und durch sympathischer Bursche auf. Seine Ansagen waren fast schon anrührend, wenn er von seiner kleinen Schwester erzählte und in den Dialog mit dem Publikum ging. Es war ihm auch sichtbar peinlich, von den Mädels angehimmelt und für seine Musik bejubelt zu werden.
Inzwischen dürfte er sich daran gewöhnt haben. Schließlich hat er ein fantastisches Debütalbum auf dem Markt, das auf Anhieb Platz 3 der Charts belegte. Mit der Zeit wurde die Idee geboren, die Songs des Album-Debuts „Irgendwas Gegen Die Stille“ noch einmal aufzunehmen. Akustisch, liebevoll neu arrangiert und sparsam instrumentiert: Streicher, Gitarren, Klavier, Percussion. Und die unnachahmlich warme und feinfühlige Stimme von Wincent Weiss. Aus der Idee wurde Wirklichkeit, wie man auf der aktuellen Tour erleben darf.
Klar stellte sich die Frage, wie Wincent denn nun mit den Titeln seines Debütalbums einen kompletten Konzertabend füllen wollte. Doch keine Angst: Es gibt ja schöne Coverversionen, mit denen man locker auf 100 Minuten Länge aufstocken kann.
Den Anfang in der voll besetzten Halle machten aber um 20 Uhr Lupid aus Gießen. Das Trio war erst am Tag zuvor informiert worden und spontan als Support eingesprungen – eine hervorragende Wahl. Sänger Tobias Hundt stammt eigentlich aus der christlichen Liedermacherszene und hat schon mit Größen wie Samuel Harfst und Johannes Falk Musik gemacht. Jetzt ist er als Kopf des Trios Lupid unterwegs, begleitet von Piano und Percussion. Deutsche Balladen gaben sie zum besten – und als die Ansage zu „Aus allen Wolken“ mit den Worten „für alle pubertierenden Jungs im Publikum“ abgeschlossen wurde, gab es großes Gelächter von der vorwiegend weiblichen Zuhörerschaft. Egal. Lupid trafen den Nerv des Publikums mit ihren melancholischen Liedern und es gab gar Standing Ovations der ersten Zuschauerreihen, als sie zum Abschluss ihre am 2. März erscheinende Single „Am Ende des Tages“ vorstellten. 30 gehaltvolle Minuten, die für einen guten Start in den Konzertabend sorgten.
Dann aber – nach 15 Minuten Umbau – der Star, auf den alle gespannt warteten. Wincent ist immer noch der sympathische Junge ohne Starallüren. Damit hatte er das Trierer Publikum auf Anhieb im Griff. Das Bühnenbild für die Akustik-Tour ist wie ein Wohnzimmer aufgebaut. Drei tapezierte Wände, Familienfotos in einer Ecke, Kaminfeuer und eine Theke mit Barkeeper (die wohl nicht jeder zuhause hat) schufen ein stilvolles Ambiente. Verstärkt wurde das noch durch einen Kontrabass und ein kleines Streicherensemble (zwei Geigen, Bratsche und Cello). Man hatte sich also vorgenommen, die neuen Arrangements auch virtuos zu vermitteln.
Natürlich spielte Wincent Weiss die Songs des Albums „Irgendwas gegen die Stille“. Zwischendurch aber war er ständig im Publikum unterwegs. Viele Künstler machen ja einmal im Set dieses Bad in der Menge, doch er war gefühlt ständig auf Achse, machte Selfies mit den Kids und Teens, sammelte unzählige Geschenke ein, gratulierte Geburtstagskindern und war nach dem Zwischenruf „Ich will ein Foto mit dir“ so erleichtert, dass es „nur“ um ein Foto ging, weshalb er sich gleich auf den Weg zu besagtem weiblichen Fan machte.
Auch Revolverheld oder Tim Bendzko haben schon solche Wohnzimmerkonzerte gegeben. Dort wirkt das Geschehen aber immer sehr durchchoreografiert. Nicht bei Wincent: im Gegenteil. Er lässt sich von gefühlt jedem zweiten Zwischenruf ablenken und auf neue Ideen bringen. Da kann er sich auch mal auf der Bühne umziehen, weil ihm ein Hemd geschenkt wurde. Diese Interaktionen schienen im Spaß zu machen. Und das machte ihn ungeheuer sympathisch.
Ach ja: Musik gab es auch. Wunderschöne Balladen wie „Ein Jahr“, „Gegenteil von Traurigkeit“ und „Betonherz“. Die Streicher waren bisweilen sehr prägnant, was den Arrangements absolut gut tat. Zu „Regenbogen“ gab es ein stimmungsvolles Handy-Sternenmeer. Das Publikum befolgte alle Anweisungen aufs Wort. Wincent sang auch seinen ersten Hit „Unter meiner Haut“. Ein Cover von Elif, das vor einigen Jahren von den DJs Gestört aber geil in einem Remix verbraten wurde und mit dem die Karriere des jungen Manns begann. In der Akustik-Version war es gigantisch gut. Ebenso wie ein Cover von Philipp Poisel („Wie soll ein Mensch das ertragen“), das er allein an der Gitarre vortrug, oder ein Deutsch-Pop-Medley mit Titeln von Mark Forster, Max Giesinger und anderen Vorbildern. Selbst „Ich und mein Holz“ wurde darin verbraten.
Den eigenen Song „Herzlos“ sang Wincent nur zu Pianobegleitung. Dann zog er wieder los ins Publikum und sang aus der Menge heraus „Nur ein Herzschlag entfernt“, das er für seine inzwischen 13jährige Schwester geschrieben hat. Zum Ende hin gab es die ersehnten Singlehits „Musik sein“ und „Frische Luft“. Diese rahmten den Titel „Wir sind“ ein, bei dem das Publikum geschlossen DIN-A4-Zettel mit dem Spruch „Wir sind das was bleibt“ in die Höhe hielt. Das war von einem Fanclub vorbereitet und da war selbst Wincent Weiss für einen Moment sprachlos.
Zum Zugabenteil mit dem abschließenden „Feuerwerk“ lud er alle Fans, die schon lange nicht mehr auf den Stühlen saßen, nach vorn an die Bühne ein. Das gab ein großes Gewusel und bestimmt entsetzte Gesichter bei manchen Eltern. Die Stimmung war fantastisch und es zeigte sich, dass der 25jährige in seiner kurzen Karriere alles richtig gemacht hat. Es ist schon eine Bank, mit nur einem Album die mittelgroßen Hallen zu füllen. Tendenz steigend. Ich bin zuversichtlich, dass er die gebotene Qualität auch auf einem zweiten Album halten kann. Die kleinen und großen Fans warten geduldig.