K.I.Z, die „Kannibalen in Zivil“, „Klosterschüler im Zölibat“ oder wie auch immer man die Abkürzung der Berliner Hip-Hop-Formation deuten will, sind über die Jahre in ihrer Musik deutlich ernsthafter geworden. Bezeichnend ist dies für mich auf dem aktuellen Album „Görlitzer Park“, das sich doch sehr stark von ihrer Vergangenheit abhebt, in der Tarek, Maxim und Nico den Straßen- und Gangsterrap eher satirisch aufs Korn nahmen.
Dieses politische Album brachten die drei Protagonisten plus DJ am 28. Februar in die ausverkaufte SWT Arena in Trier. Über 6.000 Zuschauer wurden zunächst von der Berliner Rapperin Ikkimel auf einen grandiosen Partyabend vorbereitet. Ebenfalls mit besagtem DJ brachte sie Songs ihres Debütalbums „Fotze“ zu Gehör. Der Name ist Programm: Mit derben Worten wurden durchaus feministische Themen unters Volk gebracht. Dabei nahm die Künstlerin in Trier kein Blatt vor den Mund und brachte das Publikum in Stimmung. Der Ruf „Ganz Trier hasst die AfD“ erklang aus 6.000 Kehlen und es gab schon für den Support respektable Circle Pits.
Credit: Sony Music
Dann aber war es Zeit für K.I.Z, die um 19.50 Uhr ganz in weiß gekleidet die Bühne enterten. „Frieden“ vom aktuellen Album war der passende Opener in schwierigen Zeiten. Nach den feierwütigen „VIP in der Psychiatrie“ und „Ehrenlos“ folgte „Urlaub fürs Gehirn“. Alles Publikumslieblinge, die die Fans ordentlich in Stimmung brachten. Man bot eine hervorragende visuelle Show mit großen Leinwänden, sodass die Performance in der ganzen Halle gut zu sehen war. Immer wieder bildeten sich kleine Circle Pits, vor allem im vorderen Bereich, der durch zwei breite Schneisen von der zweiten Hallenhälfte abgeteilt war. Warum, das sollte man später erfahren.
Nach dem Gassenhauer „Bier“ (passend zum laufenden Karnevalstrubel) gab es mit „Berlin wird dich töten“, „Sommer meines Lebens“ und „Görlitzer Park“ einige eingängige Songs vom aktuellen Album. Das Publikum ging genau so mit wie bei „Hurra die Welt geht unter“. Auf Textsicherheit konnte man sich jederzeit verlassen.
Ein krasses Gimmick waren fahrende Bühnenteile. So wurde die frontale Stage kurzerhand aufgelöst und die drei Hip-Hopper konnten jeweils mit einem eigenen Bühnenelement und sehr viel Platz mitten durch die Menge in die Mitte der Arena gefahren werden. Das perfekte Setting für die Solosongs von Maxim („Applaus“) und Tarek („Filmriss“).
Von der Hallendecke öffnete sich ein selbstironisches Banner: „Fick deine Mutter Rap seit 20 Jahren“. Grund genug für die Fans, den Song „Hurensohn“ einzufordern, der dann spontan a cappella dargebracht wurde. Klassiker wie „Neuruppin“ und „Illuminati“ wechselten sich mit ruhigen Hymnen wie „Sommerregen“ und dem neuen Stück „Sensibel“ ab. Dazu gesellten sich starke gesellschaftskritische Tracks: „Rap über Hass“ und „Samstag ist Krieg“.
Im Stil eines Business-Coaches wurde „Geld ist ein Magnet“ mit Mantren à la „Ich bin ein Gewinner“, „Ich kann alles schaffen“ und „Ich nehme mir was ich will“ eingeleitet, wobei die ganze Halle im Stil gleichgeschalteter Jünger mitspielte. Erschreckend, aber ganz realitätsnah.
Danach wurde es Zeit für ein DJ-Set mit Mitsing-Titeln wie „Halbstark“, um dem Trio Zeit zum Umziehen einzuräumen. Von weißer Kleidung ging es jetzt in ein schwarzes Outfit. Karneval war nicht gerade angesagt, obwohl sich auch einige kostümierte Fans zum Konzert gewagt hatten und man gar eine Banane beim Crowdsurfen beobachten konnte.
Zum Schluss gab es nochmal choreografierte riesige Circle Pits und Titel wie „Familienfeier“ sowie „Ein Affe und ein Pferd“, bevor der Abend nach glanzvollen 125 Minuten endete. Nur eine echte Zugabe, aber mehr war auch nicht nötig, um dieses Konzert zwischen Party und ernsthafter Rapkultur zu Ende zu bringen. Es war erst der zweite Gig der aktuellen Tour. Ganz gespannt darf man jedenfalls auf die Show im Juni bei ROCK AM RING sein, denn dort werden die Jungs wieder alles geben. Garantiert.
Der Samstag bot einen verhaltenen Start bei ROCK AM RING. Das Wetter lud eher dazu ein, sich auf dem Zeltplatz ein schattiges Plätzchen zu suchen – und der lange Konzertabend am Vorabend zeigte Wirkung. So hatten sich um 14.30 Uhr zu den Chemnitzer Indie-Poppern von BLOND nur vereinzelte Zuschauer*innen vor der Utopia Stage eingefunden. Doch es war nur eine Strecke von wenigen hundert Metern zu bewältigen und schon konnte man von der Mandora Stage vertraute Klänge und ein jubelndes Publikum hören.
Bury Tomorrow waren derb und kräftig am Werk und lieferten krachenden Metalcore. Frontmann Daniel Winter-Bates hatte aber hörbar Mühe damit, die Fans davon zu überzeugen, dass zu einer echten Begrüßung eine aggressive Stimme und ein fieser Gesichtsausdruck gehören. Es war einfach noch zu früh für solches Schauspiel. Und auch für Circle Pits, die sich erst zaghaft bildeten. Der Sänger wünschte sich „1000 Crowdsurfer“. Dieser Wunsch wurde kaum im Ansatz erfüllt, doch ca. zur Halbzeit des Sets gelang zumindest ein großer Wall of Death, den die Band anleitete. Man freute sich unbändig, dass RAR Bury Tomorrow schon früh am Tag so ausgiebig feierte. Zum Dank für die emotionalen Worte gab es Sprechchöre, was Daniel zu dem Versprechen brachte, im Anschluss an den Gig für Gespräche und Fotos zur Verfügung zu stehen. Ein Zeichen von Publikumsnähe, das man hier sonst nur selten erlebt.
Bury Tomorrow – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Auf der Hauptbühne ging es mit den Briten von Nothing But Thieves weiter. Die letzten Jahre waren für die fünfköpfige Truppe aus Southend eine ziemliche aufregende Reise. Vor allem die hohe Stimme von Conor Mason bildet ein deutliches Alleinstellungsmerkmal der Band. Das wurde auch hier am Ring wieder deutlich, denn man stellte sich schon nach den ersten Tönen die Frage, ob da vielleicht doch eine Frau am Mikro steht. Das Quintett gab alles in Sachen Pop, Rock und auch Rap, doch das Publikum war noch nicht sehr bewegungsfreudig. Die Ballade „Impossible“ passte hervorragend zur Musicalstimme des Sängers. Der Gig war halt perfekt zum entspannten Sitzen und Genießen der Sonne.
Nothing but Thieves – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Apropos Sonne: Es war auch am zweiten Tag durchgehend sonnig, aber nicht zu heiß. Weder Regen noch Gewitter hatte der Wetterbericht in Sicht, was die Meteorologen zu der Aussage veranlasste, es sei das beste RAR-Wetter seit über dreißig Jahren.
Fotocredit: Rainer Keuenhof
Passend zur Sommerlaune gab es nun Indie-Pop aus Oberschwaben. Provinz machen seit elf Jahren Musik und haben 2019 ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben. Jetzt schon auf der Utopia Stage mit riesigem Publikum zu spielen ist ein Erfolg, den nicht viele deutsche Bands geschafft haben. Frisch und ungezähmt klingt ihre Musik, aber auch nostalgisch. „Wer von euch ist aufm Dorf groß geworden?“, fragte Vincent Waizenegger. Ein gefundenes Fressen für die Eifel. „Alle? Okay!“ hieß es dann nach frenetischem Jubel und der Song „Unsere Bank“ passte perfekt dazu. Ein nostalgischer und emotionaler Song über Jugend und Alter fernab der Großstadt.
Provinz – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Der Sommer lädt zum Tanzen ein: „Du und ich und der Sommer, wir machen Liebe zu dritt“, hieß es passend zum Festival. Das könnte zum Motto für ROCK AM RING 2023 werden. Und auch Provinz feierten ihren RAR-Moment und den Traum, vor so vielen Menschen spielen zu dürfen. Weiter im Set gab es die Ballade „Zorn & Liebe“ vom gleichnamigen Album und die Hymne „Spring“. Für mich waren Provinz definitiv die Überraschung unter der Nachmittagssonne.
Provinz – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Brandon Boyd von Incubus geht auch schon langsam auf die 50 zu, ist aber in Würde gealtert, was man spätestens zur Halbzeit erkannte, als er mit nacktem Oberkörper seine optischen Qualitäten zeigte. Neben der Metal-Crossover-Mischung bot die Band aus Kalifornien auch eine spritzige Version von „Come Together“ (The Beatles) und leitete ihren Song „Wish You Were Here“ mit einem kurzen Riff aus Pink Floyds gleichnamiger Hymne ein. Mit dem starken „Drive“ endete ein formidabler Set.
Incubus – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Viele Schauspieler versuchen sich auch als Rockstars, aber Jack Black und Kyle Gass sind mit Tenacious D ganz vorne. Das komödiantische Rockduo war mal wieder eine Bank, glänzte mit Feierlaune und viel Groove. Jack, diese wundervolle Gesangskanone, konnte mit hoher Rockstimme und entsprechendem Pathos überzeugen. Und auch die schauspielerischen Fähigkeiten der beiden kamen nicht zu kurz. So boten sie der Masse ein Feuerwerk an guter Laune. Die Show war aufgebaut wie ein Horror-Musical, bei dem sich der Pyrotechniker als Satansjünger entpuppte und allerlei Dramatik auf der Bühne stattfand. Ein ganz besonderes Ereignis war aber, dass Evanescence Frontfrau Amy Lee auf die Bühne kam und zwei Songs mit den Protagonisten performte. Weitere Highlights: eine satanische Tanzeinlage fürs Publikum, das theatralische Chris Isaak Cover „Wicked Games“ und „The Spicy Meatball Song“ a cappella. Am Ende gab es die ersehnte Pyro – also alles gut in diesem Stück.
Fotocredit: Rainer Keuenhof
Doch auch K.I.Z hatten sich der Theaterdramaturgie verschrieben und so gab es einen kompletten Umbau. Die Bühne verwandelte sich in die „Birkenhain Nervenheilanstalt“. Tarek, Maxim und Nico gaben drei psychiatrische Patienten in Musiktherapie. So weit, so gut. Was dann abgezogen wurde war eine krasse Party von „VIP in der Psychiatrie“ über „Rap über Hass“ bis hin zu „Urlaub fürs Gehirn“. Damit waren auch wichtige Alben schon zu Beginn abgefeiert, denn tatsächlich erschien „Urlaub fürs Gehirn“ genau auf den Tag zwölf Jahre zuvor.
Wer jetzt denkt, Rap und HipHop hätten bei ROCK AM RING nichts zu suchen: Es war unglaublich, was da im Publikum abging. Man feierte Party quer durchs Gelände bis hinten ans Riesenrad. K.I.Z schafften es, den vielleicht größten Moshpit des Festivals zu erzeugen – und das mit „Ein Affe und ein Pferd“ im Pippi Langstrumpf Sound. Und weil die Backstreet Boys immer für eine Hymne gut sind, schaffte das Trio es auch, die Menge zum Chor mit „Everybody“ zu bewegen. „Hurra die Welt geht unter“ beendete den Set, doch der Stern von K.I.Z ist gerade erst richtig aufgegangen.
K.I.Z – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Die Kings of Leon waren Headliner am Samstag. Für manche vielleicht zu poppig, das merkte man daran, dass der erste Wellenbrecher nicht komplett gefüllt war. Wer aber dabei war, erlebte eine kunstvolle visuelle Show. Caleb Followill überzeugte mit seinen charismatischen Vocals, die stets ein wenig gepresst wirken. Es gab eine viele Alben umfassende Show, die mit „Crawl“ startete und Highlights wie „Supersoaker“, „The Bandit“ und „Red Morning Light“ zu bieten hatte. Richtig wach wurde das Publikum aber, als zum Ende die bekannten Hits „Use Somebody“ und „Sex on Fire“ erklangen. Spätestens jetzt war kein Halten mehr und die atmosphärische Show wurde zur ausgelassenen Sause.
Kings of Leon – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Ein kurzer Abstecher zur Orbit Stage. Hier hatte sich VV mit seiner „Neon Noir“ Tour eingenistet. Sagt euch nix? Vielleicht Ville Valo? Oder zumindest die Band HIM? Der finnische Musiker war nämlich Frontmann dieser vor allem um die Jahrtausendwende sehr erfolgreichen Band. Und auch hier am Ring gab es eine düster-mystische, sehr mit Gothic-Elementen angereicherte Show. Dabei wurden zudem einige HIM-Songs geboten, so dass jeder auf seine Kosten kam.
Evanescence – Fotocredit: Rainer Keuenhof
Zum Abschluss dann Evanescence mit der stimmgewaltigen Leadsängerin, Pianistin und Songschreiberin Amy Lee. Der Aufbau hatte sich verzögert, so dass man erst um 0.45 Uhr startete und es die Masse nach einem langen Tag eher Richtung Zeltplätze als zur Bühne zog. Es war auch kein gutes Omen, dass Amy die Zuschauer*innen mit „Hallo ROCK IM PARK“ begrüßte. Doch davon abgesehen gab es eine gute Show mit fantastischem Licht. Amy sang mit einem starken Sopran, der nicht so opernhaft aufgesetzt wirkte wie das manchmal bei den Kolleg*innen von Nightwish der Fall ist. Ihre Stärke liegt in kräftigen Vocals zu Metalklängen. Und es tat dem männlich dominierten Line-up am Ring auch mal ganz gut, hier Frauenpower zu zeigen, wozu auch die neue Bassistin Emma Anzai beitrug. Der Set umfasste zwei Medleys, um möglichst viel Repertoire unterzubringen – und ganz zum Schluss erschien zu „Bring Me To Life“ Jacoby Shaddix von Papa Roach auf die Bühne, was den zweiten Festivaltag definitiv krönte.
Sonntag, 15.11.2015, Köln-Mühlheim. Zum wiederholten Male steht man an der Keupstraße und trifft sich mit den Kollegen am nahe an der Bahnstation gelegenen Dönerverkäufer Doy-Doy. Es ist stürmisch, man begibt sich also auf den Weg zum Palladium um sich das erste von Zwei ausverkauften Konzerten der Kannibalen in Zivil, kurz KIZ, anzusehen. 4000 Menschen erwarten eine Show, die ihresgleichen suchen soll. Und diesen sollen die Rheinländer bekommen. Fangen wir vorne an.
Nach dem Betreten der Halle wird man zunächst einmal von den außerordentlich freundlichen, engagierten und kompetenten Politikern der PARTEI begrüßt. Alleine die Tatsache, dass die Partei hier Leute anwerben möchte ist schon ein Highlight des Abends, welcher erst wenige Minuten alt ist. Darauf erst mal ein kühles Blondes und dann auf in den Konzertsaal, in welchem zurzeit der Support, Audio 88 & Yassin, auf der Bühne steht. Wirklich überzeugen kann das die Kölner allerdings nicht, der Applaus ist verhalten und nach Beendigung der Stagetime freut man sich nun umso mehr auf Tarek, Nico, Maxim und DJ Craft. Um 20.50, nach einigen „H****sohn“-Rufen, ist es dann so weit. Hinter dem weißen Bühnenvorhang lassen sich vier uniformierte Menschen erkennen. Ein gedrehtes Intro, welches schon für die ersten Lacher in der Halle sorgt, eröffnet diesen denkwürdigen Abend.
Der Opener „Duhastaufdeinenkokaturndeinegeistigbehinderteschwestergeficktmucke“ lässt das Kölner Publikum gleich die Arme heben und erste gute Laune verbreiten. Der Vorhang fällt und die uniformierten Kannibalen entpuppen sich als riesige Statuen. „Urlaub fürs Gehirn“ stellt mit dem zweiten Song des Abends gleich eine der Hymnen dieses Konzertes dar. Bestimmte, für KIZ stehende, Schimpfwörter werden lauthals mitgegröhlt. Der größte Coup gelingt den Berlinern nach „Ich bin Adolf Hitler“, als sie sich von der Hymne „Das Kannibalenlied“ von der Bühne zum gegenüberliegenden Hallenende geleiten lassen und sich auf vor dem Rollstuhlfahrerpodest aufgestellte Rednerpulte stellen. Absoluter Aha-Effekt. Maxim hält neben dem einschüchternden Tarek und dem champagnertrinkenden Nico eine Rede die seinesgleichen sucht. „…jeder von euch ist 30 Euro Eintritt für uns…“ oder „…wir geben euch Hoffnung wo sonst keine ist…“ sind nur einige Meisterfloskeln. Gefolgt wird diese Rede von „Abteilungsleiter der Liebe“, mit anschließendem, gefeierten Rückmarsch zur Bühne. Das 25 Songs umfassende Set beinhaltet neben neuen Songs wie „Boom Boom Boom“ oder „Hurra die Welt geht unter“ auch Klassiker wie „Spasst“, „Neuruppin“ (welches als erster Bühnenabgang fungiert), „Ellenbogengesellschaft (Pogen)“ oder „Geld“. Auch Bühnentechnisch hat sich einiges getan: Geldkanonen, ständig wechselnde Bühnenbilder auf einer riesigen Leinwand und unzählige Lichteffekte schmücken mittlerweile die Stage der Rapper, die sich durch jede Gesellschaftsschicht und Genres ziehen. Den Abschied dieses unglaublichen Konzerts bildet der Song „H***nsohn“, welches nochmal viele mit Freude erfüllte Gesichter hervorzaubert.
Man könnte über KIZ-Konzerte Berichte schreiben, die länger wären als die Berichte von drei Magazinen über Rock am Ring, Wacken und Glastonbury zusammen, so viele Eindrücke und nennenswerte Eindrücke sammelt man an solch einem Abend. Deshalb die Empfehlung an jeden der KIZ noch nicht gesehen hat oder überlegt es zu tun: Augen auf, zum Ticketkauf. Es wird ein Ereignis, von welchem man seinen Kindern noch ausschweifend berichten wird.
K.I.Z waren bis vor kurzem für den normalen Radiohörer unbekannt. Die vier Berliner, die seit Jahren den neuen deutschen Gangster- und Straßen-Rap aufs Korn nehmen, indem sie in ihre Texte noch viel mehr Gewalt, Drogen und Sex packen, haben aber soeben Platz 1 der Album-Charts für sich eingenommen. Würde das noch viel bedeuten, hätten wir jetzt wahrscheinlich wieder eine große Debatte über die Gefährdung der Jugend und den ganzen Kram. Aber Jauch ist im Urlaub und über Politik scheint sich ja eh niemand wirklich unterhalten zu wollen.
Mit den harten Texten von K.I.Z werden die normalen Radiohörer wahrscheinlich auch gar nicht in Kontakt kommen – die neue Single „Hurra, die Welt geht unter“ ist ganz, ganz zahm. Dafür aber richtig gut.
Darin entwerfen K.I.Z ein utopisches Zukunftsbild: „Das große Feuer“ kam, die Gesellschaft ist zusammengebrochen. Alle leben glücklich zusammen, arbeiten ein bisschen, lieben ein bisschen, ziehen gemeinsam Kinder mit einem neuen Gesellschaftsbild auf. Das klingt fast ein wenig zu sehr nach Waldmenschen und Hippies. Henning May, die Stimme von AnnenMayKantereit, die ich niemals genug loben kann, singt dazu den Refrain.
Auf dem neuen Album von K.I.Z, das genauso heißt wie die Single, findet sich der Titel als letztes Stück und macht es so fast zu einem kleinen Konzeptalbum. Sie entwerfen darin auf ihre übliche Art kleine Welten, werfen den Blick auf verschiedene Probleme in unserer Gesellschaft und brechen mit dem Gewohnten.
Gleich im ersten Track „Wir“ z.B. nehmen sie den typischen „Ich bin der Tollste“-HipHop auf und drehen ihn noch ein Stück auf. Ein schöner Text, der das ganze Gehabe karikiert und der Lächerlichkeit Preis gibt.
Danach nehmen sie Track für Track durch Übertreibung und ironische Brechung die Gesellschaft, in der wir leben, auseinander. Am besten funktioniert das bei den kapitalismuskritischen Songs wie in „Boom Boom Boom“ (auch eher zahm, denn auch dieser Track hat ein Video bekommen), „Glücklich und satt“ oder „Geld“, oder wenn sie mit der geläufigen Wahrnehmung spielen wie in „Käfigbett“. Grausamer wird es bei Themen wie Mord, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Nazis, etc. Leider provozieren diese Songs hauptsächlich und gehen nicht in die Tiefe. Da pflügen K.I.Z lieber den gesamten Acker um und hinterlegen das mit tanzbaren Beats und harmlosen Melodien. So sieht es hier aus, lasst uns nicht drüber nachdenken, ab in die „Rudelbumsdisco“.
Das Album ist ehrlicher und erwachsener als seine Vorgänger – das zeigen sie unter anderem mit einem persönlichen Stück wie „Freier Fall“. Provoziert wird auch hier wieder an allen Ecken und Enden, wenn auch diesmal ruhiger.
Als Konzeptalbum möchte ich „Hurra, die Welt geht unter“ dann doch wegen dem letzten Song, der oben erwähnten Single, bezeichnen. All die Augenblicke, die das Album in jedem Song vorher beschreibt, sind darin nun verschwunden. So sieht es jetzt aus. Hurra, die Welt ist untergegangen, mit der ganzen Gewalt, der Angst, dem System und der Grausamkeit. Ein großes Aufatmen zum Ende. Ein Neuanfang.