Diese Single ist für Reinhard Mey und Konstantin Wecker eine echte Herzensangelegenheit: Die beiden Liedermacher haben am 5. Juli 2023 im Mastermix Studio in München Unterföhring das berühmte Antikriegslied „Es ist an der Zeit“ zusammen neu aufgenommen „für unseren Freund Hannes Wader“. Begleitet und arrangiert von Konstantin Weckers Freund Jo Barnikel und mit freundlicher Genehmigung von Universal/Polydor.
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„Wir halten es gerade in diesen schrecklichen Zeiten von Kriegen, Massakern an Zivilist*innen und angesichts eines drohenden großen Krieges für notwendig, dieses wichtige und schöne Lied unseres Freundes Hannes Wader wieder zu singen. Immer und immer wieder. Wir werden uns unsere Hoffnung auf eine gerechtere und friedlichere Welt für alle Menschen nicht nehmen lassen“, sagt Konstantin Wecker: „Dafür ist Empathie nötig mit den betroffenen Menschen von Krieg und Terror.“
Hannes Waders Bearbeitung und Übersetzung des Liedes von 1980 wurde zu einer Hymne der Friedens- und Antikriegsbewegung. Millionen Menschen sangen das Lied auf unzähligen Demonstrationen der letzten 40 Jahre. Erstmals sangen Reinhard Mey und Konstantin Wecker „Es ist an der Zeit“ gemeinsam mit ihrem Freund Hannes Wader zu dessen 60. Geburtstag 2002 in Bielefeld. Und ein Jahr später am 15. Februar 2003 in Berlin auf einer großen Demonstration gegen den drohenden Irak-Krieg. Auch auf ihrem gemeinsamen Album Songs an einem Sommerabend von 2014 ist das Lied enthalten.
„Es ist an der Zeit“ ist die von Hannes Wader getextete und gesungene Version von Eric Bogles „No Man’s Land“ (1976), das auch unter den Titeln „The Green Fields of France“ und „Willie McBride“ bekannt ist. Es spielt am Grab eines jungen Mannes, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Reinhard Mey und Konstantin Wecker haben die Neuaufnahme ihrer verstorbenen Freundin Antje Voller (31. Mai 1943 – 15. März 2023) gewidmet.
Die neue Single Es ist an der Zeit von Reinhard Mey und Konstantin Wecker ist ein rein karitatives Projekt: Alle Einnahmen werden gespendet an das Internationale Friedensdorf e.V. Weitere Infos unter: https://friedensdorf.de/
Wie der Name schon sagt: Die RECLAM Reihe “100 Seiten” versucht auf 100 Seiten Phänomene der Populärkultur zu beschreiben. Das können auch Schlagwörter sein wie Depression, Demokratie oder die Ereignisse des 11. September, aber spannend wird es mit Figuren wie James Bond und den drei ???. Und dann sind da natürlich noch Bands und Künstler*innen, die im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. Aktuell erscheinen Bände zu den Ärzten, Reinhard Mey und Bruce Springsteen. Eine große Vielfalt wird also geboten.
Gerade zum nahenden 80. Geburtstag des großen Liedermachers Reinhard Mey gibt es recht viele Bücher, von denen gerade die beiden Kleinsten am stärksten herausstechen. Da ist zunächst der lyrische RECLAM-Band „Ich wollte wie Orpheus singen – Lieder und Chansons“, der einige der schönsten Liedtexte des Barden in der bekannten gelben Optik vereint (HIER unsre Rezension). Bereits dieser Band enthält ein umfangreiches Nachwort des Literaturwissenschaftlers Oliver Kobold, der ein echter Kenner der deutschen Liedermacherszene ist.
Nach diesem kleinen Vorgeschmack gibt es jetzt das komplette „100 Seiten“ Büchlein, das sich in gewohnt liebevoller Aufmachung der Person des Reinhard Mey anzunähern versucht. Und das Ergebnis ist wirklich großartig und wird dem Berliner Künstler absolut gerecht. Chronologisch geht es zunächst von den Anfängen auf Burg Waldeck hin zu ersten populären Erfolgen. Dabei erfahre auch ich noch viel Wissenswertes und Kurioses, beispielsweise dass „Gute Nacht, Freunde“ 1972 beim Vorentscheid zum „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ dabei war, wobei Reinhard es unter einem Pseudonym einreichte. Auch seine großen Erfolge als Frédéric Mey in Frankreich werden akkurat beleuchtet.
Mit viel Liebe zum Detail streift Kobold durch alle Alben des Meisters, beleuchtet einige Texte sehr detailliert und erzählt auch von den Livekonzerten. Besonders gut gefällt mir die inhaltliche Zuordnung von Songs in Themengruppen wie „Natur“, „Berlin“, „Berufe“ und „Tod“. Reinhard ist immer mitten im Leben unterwegs und so gibt es spannende Wiederholungen und Fortsetzungen in seinen musikalischen Ideen.
Bis hin zum herzlichen Epilog ist das Buch absolut lesenswert und ein gelungener Beitrag zum nahenden Geburtstag!
Wer etwas anderes als die musikalischen Biographien sucht, ist vielleicht mit dem Buch von André Boße zu „Die drei ???“ ganz gut dran. Natürlich geht es hier um die beliebten Kinderbücher und Hörspiele, die alles andere sind als ein vergänglicher Retrokult. Immerhin erscheinen noch stetig neue Geschichten um das Detektiv-Trio.
Es gibt einen nostalgischen Abriss zum amerikanischen Original. Viel wichtiger ist aber die Umsetzung und Fortführung der Buchreihe im deutschsprachigen Raum, die dann zu den erfolgreichen Hörspiel-Kassetten (und mittlerweile CDs) führte. Wer hat nicht „Die drei ???“ regelmäßig zum Einschlafen genutzt? Die Geschichten sind kinderfreundlich und trotzdem recht spannend. Und viele der Hintergründe, Vorgaben sowie Ideen beleuchtet Boße sehr unterhaltsam und mit bestem Hintergrundwissen.
Die Frage, warum diese Serie zum Kult werden konnte, der die Sprecher des Hörspiels zu regelrechten Stars der Szene machte, wird nicht abschließend, aber zumindest annähernd beantwortet. Und die nostalgischen Momente, die allein das Artwork und das Layout der Serie bis heute bei mir und vielen anderen bewirken, zeigen den großen Effekt der Serie. Es funktioniert bei Kindern, Teenagern, Erwachsenen und sogar Senioren – bis heute.
Man könnte jetzt drauf rumreiten, wie wir früher von diesen gelben Heftchen gequält worden sind. Der „Schimmelreiter“, die „Judenbuche“ und allerlei literarische Werke für den Deutschkurs. Ob ich wohl gejubelt hätte, wenn unser Kursleiter plötzlich mit Texten von Reinhard Mey angekommen wäre? Vermutlich nicht – aber heute ist es einfach wundervoll, dieses vertraute gelbe Layout in Händen zu halten und ganze 46 Lieder dieses wundervollen Songwriters darin zu finden.
Natürlich musste eine Auswahl getroffen werden. Wer alle Texte will, muss zu den Hardcover-Ausgaben aus der „edition reinhard mey“ greifen. Doch hier bei Reclam ist eine wirklich gute Auswahl getroffen, die man dann in der Jackentasche immer mit sich tragen kann.
Der großartige Einstieg in Reinhards musikalisches Schaffen mit „Ich wollte wie Orpheus singen“. Der Mini-Krimi im Songformat „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Das humorvoll-feminismuskritische „Annabelle, ach Annabelle“, mit dem Reinhard es in Hecks Schlager-Hitparade schaffte. Natürlich das wundervolle „Gute Nacht, Freunde“ und die ironische Abrechnung „Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“. Die Hymne „Über den Wolken“ und das immer noch hochaktuelle „Sei wachsam“. Die pazifistischen „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ und „Alle Soldaten wolln nach Haus“. Die epischen Erzählungen „51er Kapitän“ und „Das Narrenschiff“. Und natürlich das wehmütige „Viertel vor Sieben“, das die Erinnerung an schöne Zeiten wach hält und das ich so liebe, wie kein anderes seiner Lieder.
„Lieder sind meine Chronik. Sie sind Erlebtes und Erdachtes, aus Hoffnungen und Ängsten entstanden, aus Beobachtungen, Glück und Unglück gemacht.“ (Reinhard Mey)
Reinhard Mey ist Poet, Lyriker, Kritiker am Zeitgeist, Songwriter, Geschichtsschreiber, Nostalgiker. Seine Lieder handeln von den Tücken des Alltags, von Leuchtfeuern und Schicksalsschlägen, von der Liebe und den Verheerungen des Krieges. Meys Karriere ist ohne Beispiel: ein Dichter, der dem französischen Chanson in Deutschland eine Heimat gegeben hat; ein Spötter, Tröster und Menschenfreund, dessen Zeilen längst Kulturgut geworden sind. In einem Nachwort findet Oliver Kobold die richtigen Worte, um dies zu würdigen. Dieses Reclam-Heft ist ein Muss in jeder lyrischen Bibliothek!
Vergangenen Donnerstag wurde Hannes Wader 80 Jahre alt. Und es gibt nicht etwa eine „Best of“ zu seinem runden Geburtstag oder eine weitere Liveplatte, sondern tatsächlich ein neues Studioalbum, das den Titel „Noch hier – was ich noch singen wollte“ trägt. Seit seinem Abschied vom Tourneeleben ist es ruhiger geworden um den großen Liedermacher. Umso schöner, jetzt nach sieben Jahren ein neues Studiowerk genießen zu dürfen, das brillant aufgenommen und von Günter Pauler feinfühlig arrangiert wurde.
Schon die beiden gesprochenen Hölderlin-Gedichte „Die Nacht“ und „An die Parzen“, die das Album einrahmen, sind ein starkes Statement. Es klingt sehr heimelig, die vertraute und sonore Stimme zu hören. Und dazwischen finden sich 16 Tracks, die alles zu bieten haben, was man sich von Hannes wünscht: Neu vertonte Volkslieder, französische Chansons, sowie ganz neue Lieder aus seiner Feder.
Das Volkslied „Es dunkelt schon in der Heide“ wird mit akustischen Gitarrenklängen interpretiert und „In stiller Nacht“ von Johannes Brahms kommt mit wundervollem Harfenspiel. Für das von Streichern untermalte „Les temps des cerises“ hat er sich den alten Freund und Mitstreiter Reinhard Mey mit an Bord geholt. Einzigartig, wenn die beiden zusammen singen. Das ist für mich der bewegendste Moment des Albums. Das Liebeslied „Plaisir d’amour“ entführt mit Akkordeon-Klängen ebenfalls in die Welt der Chansons.
Gerade die Eigenkompositionen sind sehr persönlich. „Es ist vorbei“ behandelt seine jüngst zerbrochene Ehe mit schonungsloser Offenheit. „Klaas der Storch“ erzählt von einem alten Vogel und man fragt sich, ob dieser nicht sinnbildlich für den 80jährigen Hannes steht. Der innere Monolog „Vorm Bahnhof“ führt von Karl Marx bis zum Smartphone und schlägt damit einen weiten Bogen, während „Schlimme Träume“ den Weg in die Tiefen des Unterbewusstseins geht. Jedenfalls hat Hannes Wader es nicht verlernt, seine Zuhörer mit philosophischen Ideen zu beglücken und mit auf den Weg zu nehmen.
Am Ende des Albums singt Hannes Wader seine Vertonung des berührenden Gedichts „Noch hier“, das ihm einst sein Freund Manfred Hausin zum Geburtstag schenkte und das hier zum Titeltrack avanciert. Darin heißt es: „Die Feinde, die Freunde / sind alle weit, / nur ich bin noch hier / und lasse mir Zeit.“ Gut so! Auch wenn Hannes nicht mehr von Bühne zu Bühne tingelt, muss seine Stimme doch lange noch nicht verstummen.
Tim Linde wird gerne mal mit Reinhard Mey verglichen. Das war schon so, als im Jahr 2014 sein erstes Album „Menschenverstand“ erschien. Und ich muss gestehen, dass ich den Vergleich ziemlich vermessen fand – bis ich dann das Album erstmals am Stück hören durfte. Und da war plötzlich dieser Tim, der keineswegs ein linker, politischer Songwriter ist, aber die Gesellschaftskritik gerne mal zwischen den Zeilen versteckt. Der alltägliche Beobachtungen in lustigen Anekdoten vertont und der Hirngespinste, die vielleicht jeder mal in sich trägt, unumwunden weiterspinnt und zu einer lustigen musikalischen Idee ausweitet. Und dann sind da die wundervoll philosophischen Momente, die ich seit seinen ersten Erfolgen mit Stücken wie „Wasser unterm Kiel“, das er zur Taufe seiner Tochter schrieb, und der Hymne „Großes Land“, die an die Verantwortlichkeit Deutschlands im innen- und weltpolitischen Reigen appelliert, zu schätzen gelernt habe.
Als sein Talent entdeckt wurde, war Tim schon 37 Jahre alt. Trotzdem hat er seinen Weg gemacht und sich als Familienvater auf den unsicheren Weg des Künstlerlebens begeben, der ihn vermutlich in den vergangenen zwei Jahren auch oft ins Straucheln brachte. Doch Qualität setzt sich letztlich durch und wird auch in besonderen Projekten gewürdigt. Nach zwei Studioalben in den Jahren 2014 und 2018 gab es 2020 die besten Songs unter dem Titel „Großes Besteck“ mit Orchester neu eingespielt. Es war die perfekte Symbiose aus der Kunst eines großen Liedermachers und der Vielfalt orchestraler Gestaltungsmöglichkeiten und hat Tims Songwriting auf eine neue Ebene gebracht. Das merkt man beim aktuellen Studioalbum „Flügelschläge“ mit zwölf neuen Stücken aus seiner Feder.
Bewundernswert ist die Vielfalt bei den Aufnahmen. Man darf sich natürlich auf akustische Gitarrensongs freuen. Diese wechseln sich aber mit Songs im Bigband-Sound und fein arrangierten Popstücken ab. Als besonderer Gast ist der legendäre Gitarrist Jonas Isacsson (Roxette) mit dabei, was natürlich einem Ritterschlag für Tim gleichkommt.
Das Titelbild versinnbildlich in Verbindung mit dem Titelsong die Zweideutigkeit vieler Zeilen, die das Album so besonders macht. In „Flügelschläge“ geht es um ein Zusammensein von Vater und Sohn am Strand, das die beiden zusammenschweißt aber auch die Erkenntnis des Größerwerdens mit sich trägt, das irgendwann beide auf getrennte, eigenständige Wege führen wird. Die Liebe, mit der Tim diese Gedanken zu musikalischer Lyrik werden lässt, finde ich sehr berührend und authentisch. Damit es nicht allzu ernst bleibt, gibt es auf dem Cover aber auch Flügel zu sehen – nämlich Schwimmflügel. Und der fröhliche Song „Seepferdchen“ ist dazu passend ein großartiger Ohrwurm, der mit viel Euphorie und LaLaLa-Chor einen wichtigen Eckpunkt im Leben eines Kindes beschreibt und zugleich eine Form von politischem Übermut mit sich bringt: „Steigen auch die Meeresspiegel und die Welt säuft ab, kann mir nichts passieren, gar nichts passieren, weil ich Seepferdchen hab“.
Co-Songwriter für manche Stücke ist René Münzer. So beispielsweise beim Opener „Unsere Wege“. Auch hier geht es ums Wachsen eines Kindes, das beherrschenden Thema dieses Albums. Die fein arrangierte Ballade ist eine wundervolle Hymne über das Nebeneinander von Kindern und Erwachsenen mit wohlwollenden Ratschlägen, die aber nicht von oben aufgedrückt werden sondern zur Selbstermächtigung aufrufen.
„Ich erhebe mein Glas“, der mit Piano und Akkordeon versehene gesungene Trinkspruch eines Trauzeugen, hat einen schönen Twist im Text. Da bleibt fraglich, ob der Ehemann die Vorzüge der besungenen Frau richtig zu würdigen weiß. „Keine Garantie“ mit wundervollen Gitarrensoli von Isacsson macht sehr nachdenklich. Er beschreibt Momente im Leben, welche für die beteiligten Menschen einen Wendepunkt im Schicksal bedeuteten. Solche berührenden Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind, bewundere ich sonst vor allem bei Reinhard Mey. Tim Linde trägt dessen emotionale Erzählweise aber auch tief in sich.
„Wer isst noch normal“ klingt wie eine Mischung aus Folksong und Shanty. Inhaltlich beschäftigt er sich satirisch mit den heutigen Ausmaßen verschiedenster Ideen beim Verzehr von Lebensmitteln – von veganer Kost über analogen Käse bin hin zum Kutscherteller. Danach gibt es ein weiteres Stück mit nautischem Thema („Der Kapitän geht von Bord“), das sich aber auf jede Situation eines Chefs anwenden lässt, der seine Mannschaft verlässt. Tatsächlich musste ich auf Anhieb an die Abschiede von Jogi Löw und Kanzlerin Merkel aus ihren Wirkungskreisen denken.
Mit „Kuh“ konnte ich zunächst nichts anfangen, aber der Song wächst beim mehrmaligen Hören. Mit Akkordeon und Blasmusik darf man sich in der Gedankenwelt einer Kuh wiederfinden, die ihre Situation und Wünsche zur besseren Lebensqualität erklärt. Ähnlich gesellschaftskritisch aber mit viel Swing und Bigbandsound gibt es „Memento Mori“. Tim singt hier wie der selige Roger Cicero und berichtet von Situationen, in denen philosophische Gedanken und die Suche nach Lebensglück plötzlicher wichtiger werden als die Anforderungen des Alltags.
Zu drei Songs habe ich noch nichts gesagt: Mit „Ich bin Optimist“ wird zu Mundharmonika und einer entspannten Popmelodie der Menschen gedacht, die über sich hinausgewachsen sind, als es drauf ankam. Das mit Klatsch- und Pfeifrhythmus versehene „Goldene Blätter“ zeichnet ein atmosphärisches Bild von Spätsommer und Herbst. Und der Abschluss „Der Stammbaum“ führt wieder mit melancholischen Klängen zum Hauptthema zurück. Es klingt wunderschön, wie Tim ein beruhigendes Schlaflied für seinen Sohn singt und dabei von harmonischen Pianoklängen begleitet wird. Das Bild des Stammbaums, der um neue Ringe wächst, ist ein starkes und berührendes Symbol.
Zwölf neue Songs in gut 45 Minuten, die zum Nachdenken anregen aber auch nie todernst sind. Einen Ausfall kann ich nicht feststellen. Tim Linde legt hier das perfekte Songwriteralbum vor und etabliert sich weiter als feste Größe in der Szene. Was ich schon zu „Großes Besteck“ geschrieben habe, gilt weiterhin: Wer bisher noch nie von Tim Linde gehört hat, sollte diese Lücke schleunigst schließen!
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René Kollo wird in Kürze 83 Jahre alt. Nein, er muss wirklich niemandem mehr etwas beweisen. Und doch legt er mit „Meine große Liebe“ ein hervorragendes neues Album vor. Welche Liebe mag gemeint sein? Die zum Gesang allgemein, zum Schlager oder zur deutschsprachigen Musik?
Er ist der einzige Sänger, der im Unterhaltungssegment genauso begeistern konnte wie an den renommiertesten Opernhäusern der Welt: Auf seinem neuen Studioalbum interpretiert René Kollo nicht nur seine größten Schlager-Hits wie „Hello, Mary Lou“ neu, sondern präsentiert insgesamt gleich ein ganzes Dutzend musikalische Meilensteine im neuen Gewand – zwölf zeitlose Klassiker, die seinen Lebensweg begleitet und geprägt haben.
Dass sich diese „große Liebe“ immer schon auf ein weites musikalisches Feld bezogen hat, zeigt allein die unglaubliche Spannbreite seiner Erfolge: Für die einen ist und bleibt Kollo weltweit der Wagner-Spezialist, der ultimative „Heldentenor“, für die anderen ist er eine Schlager-Ikone, ein Entertainer vom alten Schlag. Was den Sänger über die Jahrzehnte hinweg persönlich bewegt und begleitet hat, zeigt er nun auf „Meine große Liebe“, das er im Oktober 2019 mit seinem Produzenten René Möckel in den Berliner Hansa Studios aufgenommen hat.
„Bevor ich ‘Hello, Mary Lou’ sang, war ich Mr. Nobody“, sagt René Kollo rückblickend. „An den Wochenenden machte ich Tanzmusik und konnte mich davon über die Woche ernähren. Aber ich hatte keinerlei Plan für die Zukunft. Doch dann lächelte die ‘Mary Lou’ mich an und alles wurde anders: Plötzlich ging ich mit Max Greger auf Tournee, auch mit Zarah Leander. Ich konnte mir ein Auto leisten und eine schöne Wohnung – hätte ich das ohne die bezaubernde ‘Mary Lou’ gekonnt?“ Weil diese zauberhafte „Mary Lou“ die wohl wichtigste Wegbereiterin für seine spätere Weltkarriere an der Oper war, besingt René Kollo sie nun ein weiteres Mal – und widmet ihr dieses musikalische Dankeschön.
So beginnt sein „Meine große Liebe“-Album mit jenem Song, mit dem vor knapp 60 Jahren alles anfing. Auch ein Titel wie „Immer wieder geht die Sonne auf“ durfte auf diesem Album nicht fehlen, wo der Sänger doch schon vor knapp 35 Jahren ein ganzes Udo-Jürgens-Coveralbum („Musik war meine erste Liebe“) eingesungen hatte.
Danach geht er noch weiter zurück in die Vergangenheit, wenn er „Schau mich bitte nicht so an“ interpretiert, von Edith Piaf in den Vierzigern als „La vie en rose“ geschrieben. Auf den euphorischen Sprung ins neue Jahrtausend („Ein Stern, der deinen Namen trägt“) folgt wieder eine Rückschau: „verzeih’n Sie, wenn ich sag: I did it my way“. Auch diesen Titel wissen Kollo und Möckel mit sehr viel Fingerspitzengefühl zu arrangieren – und er klingt noch eindringlicher, wenn er von jemandem eingesungen wird, der schon so viel erlebt hat.
Auch eine Zeile wie „Bin kein Rockefeller/Ich bin auch kein Beau“ von Marius Müller-Westernhagens „Weil ich dich liebe“ steht dem 82-jährigen Sänger bestens. Leinwandgroß klingt „Über sieben Brücken“ (Karat, Peter Maffay), opulent arrangiert ist auch Heinz-Rudolf Kunzes Song über die schönsten Schmerzen, die es gibt („Dein ist mein ganzes Herz“). Davor lässt er u.a. minimalistische Strophen auf wuchtige Refrains treffen („Wunder gibt es immer wieder“) und verbindet auch mal schnellere Gesangspassagen mit getragenen Walzermelodien („Wir wollen niemals auseinandergehen“). Alles Klassiker, denen Kollo mit viel Respekt und noch mehr Gefühl seinen Stempel aufdrückt.
Mir gefällt die ungewöhnliche Zusammenstellung sehr gut. Wer es schafft, auf einem Album Frank Sinatra, Reinhard Mey, Edith Piaf, Katja Ebstein und Marius Müller-Westernhagen so zu vereinen, dass es trotzdem wie ein Album aus einem Guss klingt, hat Großartiges geleistet: einen perfekten Rundumschlag durch die Musik- und Hitparadengeschichte. Dabei hat Kollos Stimme nichts von ihrem einstigen Glanz verloren.
Kaum ein Entertainer konnte sich ähnlich elegant und frei zwischen den sonst so streng getrennten Bereichen E- und U-Musik bewegen – und sich genau deshalb über Jahrzehnte hinweg treu bleiben. Schon 1979 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt, folgte 15 Jahre später auch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Dazu konnte er sich über den Bayerischen Verdienstorden, zwei GRAMMY Awards sowie etliche weitere Preise freuen. Zuletzt bekam der Sänger, der sich zur Jahrtausendwende aus dem Ersten Tenorfach zurückzog, den Österreichischen Musiktheaterpreis für sein Lebenswerk verliehen. Dieses Lebenswerk setzt er mit dem neuen Album gekonnt fort. Altes Eisen? Fehlanzeige!
„Aus der Vergangenheit hinüber in die Gegenwart“, heißt es im Song „In Wien“ auf Reinhard Meys neuem Album „Das Haus an der Ampel“. Jetzt könnte man sagen, das sei doch nichts Besonderes. Reinhard Mey schreibt schon seit Jahrzehnten über Vergangenes. Über Dinge, die er – wie er sagt – selbst erlebt hat, die er erlebt haben könnte oder die ihm so zugetragen worden sind. Stücke wie „Vaters Mantel“, „51er Kapitän“ und „Viertel vor sieben“ sind berührende und inzwischen schon legendäre Anekdoten aus seiner Kindheit. „Meine Söhne geb ich nicht“ und „Aller guten Dinge sind drei“ besingen seine Kinder. In „Dann mach’s gut“ und „Mr. Lee“ hat er uns mitgenommen auf den langen und emotionalen Weg des Abschieds von seinem im Koma liegenden und inzwischen verstorbenen Sohn.
Man kann also sagen, dass die Hörer seiner Musik immer auch Wegbegleiter waren. Dass sie die Höhen und Tiefen eines (Künstler-)Lebens miterleben durften. Und jede neue Tour hat mit den Erzählungen zwischen den Songs diese Nähe noch vertieft. Trotzdem blieb noch Vieles unerzählt. Und selbst der 77jährige Reinhard Mey kann noch tief in der Mottenkiste graben, um uns neue Einblicke zu geben. Wie kein anderer fasst er das Leben in Worte – das menschliche Leben, manchmal aber auch das tierische. Oder gar das Wirken personifizierter Dinge wie sein Bleistift (im Song „An meinen Bleistift“).
Auf dem 28. Studioalbum gibt er besonders viel Persönliches von sich Preis. Der Titeltrack zum Beispiel gibt am Beispiel seines Elternhauses der Liebe zu den Eltern Ausdruck und führt sie durch die Jahrzehnte. Aus der Zeit, in der Reinhard selbst noch Kind war, über die liebevolle Beschäftigung des Paars mit ihren Enkeln bis hin zum Ist-Stand der Gegenwart, wo er den Verstorbenen im Wolkenthron erzählt, was aus den Enkeln geworden ist. Da hatte ich schon beim ersten Hören einen Kloß im Hals, als es sich um den verstorbenen Max drehte, der schon gegangen ist, weil er alles gesehen hat. Es sind gerade diese Momente, die trotz aller Trauer auch Zuversicht geben. Die einen wundervollen Menschen zeigen, der für sich den Weg gefunden hat, mit dem Unabänderlichen umzugehen.
Mit „In Wien“ macht Reinhard eine Reise zu den Anfängen der Karriere. Als plötzlich die Hallen größer und die Hotelzimmer besser wurden. Ich mag solche perfekt formulierten Zeilen, in denen er beispielsweise Berlin und Wien vergleicht: „Du wohlvertraute, fremde, schöne Schwester meiner Stadt, die, ein Symbol, als Wegweiser den Reim schon auf dich hat“. Da stehen Nostalgie, Melancholie und unbändige Freude gleichberechtigt nebeneinander. „Wir haben jedem Kind ein Haus gegeben“ beschreibt das hoffnungsvolle und trostlose Familienleben mit dem Gefühl von Heimkommen und Zusammenhalt.
Das waren jetzt erst drei Songs. Und nicht alles ist so leicht zu verstehen. „Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten“ wird mich in seiner Morbidität vermutlich noch länger beschäftigen. Ebenso das ominöse „Zimmer mit Aussicht“.
Und dann sind da diese Miniaturen aus kleinen Begebenheiten, die eine so große Wirkung entfalten. „Der Vater und das Kind“ beschreibt seine Sicht auf einen Konzertbesucher, der sein Kind im Rollstuhl mit ins Konzert bringt. Einfache Worte, wie der Sänger durch diese Begegnung in der Ferne bewegt ist und wie trostvoll die Wirkung dieses Ereignisses ist. Bis hin zum Sinnspruch: „Es ist ein eigenart’ger, schöner Trost, den dieses Bild mir gibt, dass man das schwächste seiner Kinder, das zerbrechlichste, immer ein bisschen inniger, ein bisschen zärtlicher liebt“. Wundervoll!
Zudem wissen wir seit langem, dass Reinhard Mey ein beseelter Geschichtenerzähler ist. Beweis dafür ist diesmal „Gerhard und Frank“. Egal, ob diese Geschichte echt oder erdichtet ist. Sie könnte sich so zugetragen haben. Und sie beschreibt in wenigen Minuten ein ganzes, ereignisreiches Leben. Von den beiden Männern, die das Schicksal zusammen gebracht hat, die sich lieben gelernt haben, die viele gute und schwere Zeiten verbracht haben – und von denen der eine jetzt, da im Alter die wirklich guten Zeiten beginnen sollten, lebensbedrohlich erkrankt und nur noch einen Ausweg sieht. Mey versteht es, die Worte so zu formulieren, dass sie wie ein Film im Kopf des Hörers ablaufen.
Nach soviel Wehmut aber auch noch ein Hinweis auf drei lustige Stücke. „Menschen, die Eis essen“ beleuchtet den Genuss des Schleckens aus unterschiedlichen Perspektiven. „Häng dein Herz nicht an einen Hund“ ist trotz des Titels eine verklausulierte Liebeserklärung an die Vierbeiner. Und „Ich liebe es, unter Menschen zu sein“, zeigt trotz aller Ironie in den ersten Strophen am Ende doch auf, in welcher Situation Gemeinschaft gar nicht so schlecht ist (Slogan: „Du gehst niemals allein“). Gerade in der Corona-Krise ein durchaus positiv stimmender Song.
Zwei CDs. 16 Stücke pro Album. Und ja: es sind die gleichen, aber in ganz unterschiedlichen Versionen. CD 1 bietet durchproduzierte Stücke. Mit passender Instrumentierung, natürlich viel Gitarre, aber auch Flöten, Streicher, Keyboards, E-Gitarre, Harfe, Akkordeon – eine große Klangvielfalt, die die Stimmungen unterstützt. CD 2 hingegen zeigt uns den puren Reinhard. So, wie man es von seinen Konzerten gewohnt ist: Der Meister ganz allein an der Gitarre. Fans wissen, dass diese Versionen genau so gut funktionieren, wie die großen Arrangements. Tatsächlich lenken sie sogar häufiger den Blick auf das Wesentliche, nämlich die einfache Melodie und den aussagekräftigen Text.
Reinhard Mey hat sich diesmal etwas länger Zeit gelassen für sein neues Album. Vier Jahre lagen noch nie zwischen zwei CDs. Das Ergebnis ist so großartig und bewegend wie immer. Ich freue mich schon darauf, wenn wieder Konzerte möglich sind und vielleicht auch Reinhard wieder auf der Bühne steht. Bis dahin muss man sich mit Aufnahmen wie seinem privaten YouTube-Open-Air zufrieden geben. 13 Minuten, die mir bis zum abschließenden „Viertel vor sieben“ die Tränen in die Augen treiben: „Manchmal wünscht ich die Dinge wär’n so einfach geblieben und die Wege gingen nur geradeaus. Manchmal wünscht ich es wär nochmal viertel vor sieben und ich wünschte ich käme nach Haus.“
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In „Mein Respekt“ huldigt Josef Hien seinem großen Vorbild Reinhard Mey. Und er tut dies auf sehr herzliche Art, damit kokettierend, dass er Meys Klasse niemals erreichen wird. Wenn man aber das aktuelle Album „Mit dir“ des Regensburgers hört, ist er schon verdammt nah dran – an diesen poetischen Zeilen des Kollegen aus Berlin. Und er schafft es, in einer Textstrophe vier bekannte Mey-Songs sehr wohltuend als Hommage zusammenzufassen.
Genug also, um aufzuhorchen und sich näher mit diesem Singer/Songwriter zu beschäftigen, den Konstantin Wecker für sein „Sturm & Klang“ Label entdeckt hat. „Ein gutes Lied denkt nach und macht das Angebot mitzudenken; für sich selbst um- oder eben weiterhin anders zu denken“, so umschreibt Hien seine Profession als Liedermacher. Und er scheint diese als Mittvierziger zu leben, wenn man der Biographie und den Songs Glauben schenken will.
Josef Hien war schon Spielzeugverkäufer, Opernsänger, Konzert- und Eventmanager, Tennistrainer, Marketingleiter und Koordinator für Altenheimumzüge. Dieser Welt hat er inzwischen den Rücken zugekehrt und schaut gesellschaftskritisch in die Zukunft. Inzwischen sagt er, er wolle fortan ohne Smartphone, Müll und Plastik durch’s Leben gehen.
„Der Adler, der ein Huhn war“ setzt eine Fabel aus Ghana um und erklärt, dass man nicht immer Huhn bleiben muss, nur weil man mit den Hühnern scharrt. „Schwarzes Gefieder“ beschäftigt sich mit Korruption und Karrieregeilheit. Und das nachdenkliche „Mitten im August“ beginnt als schreckliche Moritat, die sich aber nach einem Twist zum Ende des Lieds (den ich jetzt nicht spoilern will), sehr anschaulich selbst erklärt. Kein Wunder also, dass Wecker sich entschieden hat, dieses Debütalbum unter seine Fittiche zu nehmen.
Auf der anderen Seite sind da die Liebeslieder, die sehr eigen sind und doch zu Herzen gehen. „Genial“ beschreibt die üblichen Missgeschicke des Alltags im Gegensatz zum Glück, den richtigen Partner gefunden zu haben. „Wenn du nicht bei mir bist“ spricht von der Leere des Lebens, die eintritt, wenn der Partner fern ist. „Elitepartner“ behandelt die Unperfektheit echter Beziehungen und der Titelsong „Mit dir“ schließlich erzeugt Gänsehaut, wenn Josef Hien ans Sterben denkt und wie es dann mit der Liebe weitergehen kann.
Für mich ist „Mit dir“ ein wunderschönes Debüt in späten Jahren. Vergleichbar mit Tim Linde, der im Norden seine Stücke zum Besten gibt, während Josef Hien den Süden unsicher macht. Er hat einen genauen Blick für seine Umwelt entwickelt, gefühlsstark und lustig, böse und politisch, aber vor allem immer hoch persönlich.
Für mich war es eine Überraschung, Jan Josef Liefers mit Radio Doria als Sänger einer Popband zu erleben. Das wollte so gar nicht zu dem steifen Professor Börne aus dem Tatort passen. Um so überzeugender das Ergebnis, das er mit dem Debütalbum „Die freie Stimme der Schlaflosigkeit“ erzielte. Eine weiche, sehr jugendliche Tenorstimme, akustische Gitarren, luftige Pianomelodien. Es war ein poetisches, feinsinniges Album mit viel Tiefgang. Erst später entdeckte ich bei einem Livekonzert am Merchandise, dass Liefers schon viel länger mit seiner Band Oblivion (englischsprachige) Musik machte. Auf jeden Fall ist er als Sänger eine lohnenswerte Entdeckung – und trotz seiner inzwischen 53 Jährchen klingt der gebürtige Dresdner wie ein junger Hüpfer. Chapeau!
Jetzt also das zweite Album. Mit „2 Seiten“ haben Radio Doria einen weiteren großen Schritt nach vorn gemacht. Meist schreibt Liefers Musik und Texte im Bandgefüge mit. Er ist also nicht nur Aushängeschild des Sextetts, sondern wichtiger musiksalischer Bestandteil. Das Album setzt sich mit Lebensfreude und den Launen des Lebens auseinander. Es feiert den Zusammenhalt, das Miteinander, die Nachdenklichkeit und die Liebe. Also weder Weltschmerz oder herbe Rebellenpose, noch dauergrinsende “Feel-Good”- Beschallung. Es gibt feine Melancholie in „Jeder meiner Fehler“ und „So schön“, nostalgische Nachdenklichkeit in „Eigentlich“ und den gesellschaftspolitischen Optimismus von „Das weisse Haus“.
Das musikalische Profil von Radio Doria ist vielfältiger geworden. Von deutlich hörbaren Einflüsse aus den 80er und 90er Jahren über funky Grooves bis hin zu klassischen, fast filmmusikalischen Streichersätzen führen uns Liefers und seine Band durch das Radio Doria Universum von 2017. Jeder Song transportiert eine andere Grundstimmung und zu Albummitte gibt es einen kleinen Bruch, wenn „So schön“ mit einer langen orchestralen Passage ausklingt.
Dann die vertraute Stimme von Reinhard Mey, der „Nie egal“ im Duett mit Liefers singt. Ein wundervoller Song über das Teilen von Erlebnissen. Liefers versucht die Grundstimmung des Albums so zu beschreiben: „Als wir begannen, neue Songs zu schreiben, wehte gerade ein ziemlich schneidender Wind durch unser Land. Es sah aus, als würde es vor allem an der Flüchtlingsfrage auseinanderbrechen. Der Ton im Internet, aber auch in der Politik, wurde aggressiv und verächtlich, es schien die Stunde der ‚Hater‘. Und mitten in dieser Stimmung sollte nun eine Pop-Platte entstehen! Es war nicht leicht, den für uns richtigen Einstieg zu finden.“ Darum ist es aber noch lange kein kritisches, sondern ein sehr optimistisches Album geworden.
„Wir sind“ stellt das Leben in den Mittelpunkt und „Geister“ die belebenden Unterschiede der Menschen. „Nochmal zum ersten Mal“ ist eine Ode an die Liebe und „Wie es nie war“ eine Hommage ans Träumen. Das Album endet mit dem „Abendlied“, das ein Mantra als Fazit enthält: „Es sieht gut für uns aus“. Und so ist es tatsächlich. Radio Doria scheinen als Band zusammen gewachsen zu sein. Die Produktion ist jenseits jeder Sterilität und liefert immer neue, interessante Arrangements. Mit „2 Seiten“ hält man eine fantastische Pop-Platte in Händen, die auch nach vielen Hördurchläufen nicht langweilig wird.
Man mag bisweilen vergessen, welch erhabenes Gefühl es war, eine LP Hülle aufzuklappen und das Vinyl vorsichtig heraus zu ziehen. Doch wenn es dann mal wieder so weit ist, hat dieser Moment etwas ganz Besonderes. Vinyl-Liebhaber dürfen sich jetzt also auf die ersten acht Alben des großen Barden Reinhard Mey freuen. Und das 50 Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen.
Der Liedermacher und Chansonier erhielt 1967 nach einem Auftritt beim Knokke-Festival in Belgien einen ersten Plattenvertrag – jedoch zuerst in Frankreich, kurz darauf dann auch in Deutschland. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte er sein Debutalbum „Ich wollte wie Orpheus singen“. 1968 wurde er als erster ausländischer Sänger in Frankreich mit dem „Prix International de la Chanson francaise“ ausgezeichnet. Es dauerte hierzulande noch eine Weile, ehe ihm mit dem Lied „Der Mörder war immer der Gärtner“ (1971) der große Durchbruch gelang. Mit dem Erfolgstitel und dem Album „Ich bin aus jenem Holze“ war Mey beim großen Publikum angekommen. Die nachfolgende LP „Mein Achtel Lorbeerblatt“ erreichte Platz 1 der deutschen Charts. In den 1970er Jahren gelangen dem Künstler noch zahlreiche weitere Erfolgs-LPs, darunter „Wie vor Jahr und Tag“ mit dem großen Hit „Über den Wolken“ und dem feinsinnigen Titelsong, einem der schönsten Liebeslieder in deutscher Sprache.
Am 12. Mai erschienen die lange vergriffenen ersten acht Alben neu auf Vinyl. Zudem werden alle acht LPs auch in einer Box unter dem Titel „Jahreszeiten 1967-1977“ veröffentlicht. Jedes dieser Alben hat seinen künstlerischen und ideellen Wert. Klar kann man diese auf CD erwerben (sogar komplett in der sogenannten Jahreszeiten-Box), aber es macht große Freude, die Originalalben in der Hand zu halten, die sich bis auf den zusätzlichen Copyright-Hinweis „2017“ neben dem ursprünglichen Erscheinungsjahr kaum von der ursprünglichen Veröffentlichung unterscheiden. Ich zähle mal auf:
„Ich wollte wie Orpheus singen“ – Das Debütalbum von 1967.
„Ankomme, Freitag, den 13“. – Für dieses Album verfasste Reinhard Mey erstmals alle Texte selbst.
„Aus meinem Tagebuch“ – Das Album enthält unter anderem die bekannte Trilogie auf die Hauswirtin Frau Pohl
„Ich bin aus jenem Holze“ – Inklusive des Mey-Klassikers „Der Mörder ist immer der Gärtner“ und das Berlin-Lied: „Ich trag den Staub von deinen Straßen“.
„Mein Achtel Lorbeerblatt“ – Enthält unter anderem den Hit „Gute Nacht, Freunde“, das Lied über die intellektuelle „Annabelle“ oder „Die heiße Schlacht am kalten Buffet“.
„Wie vor Jahr und Tag“ – Der absolute Mey-Evergreen wurde erstmals mit diesem Album veröffentlicht: „Über den Wolken“. Weitere Höhepunkte sind beispielsweise „Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden“, „Es gibt keine Maikäfer mehr“ oder der Titelsong.
„Ikarus“ – Die griechische Mythologie inspirierte Reinhard Mey zu diesem Album-Konzept.
„Menschenjunges“ – Nach der Geburt seines ersten Sohnes erschien dieses Album mit dem gleichnamigen Lied.
Übrigens gibt es zu jedem Album einen Download-Code, mit dem man sich die digitale Version kostenlos auf den PC laden kann. Wer also unbedingt mit Spotify-Qualität und Mini-Lautsprecherboxen hantieren will, kommt auch zu seinem Recht.
Alle drei Jahre kommt dieser liebe Gast in unser Haus und erzählt von den Dingen, die er in der Zwischenzeit erlebt hat oder die ihn berührt haben. Es ist ein wunderbares Geschenk, das Reinhard Mey seinen Fans da immer wieder macht. Er lässt uns an seinem Leben teilhaben – gewährt Blicke in sein Innerstes. Oftmals tut das weh, aber es kann auch sehr tröstlich sein.
Der Liedermacher aus Berlin – einer der letzten großen seiner Zunft – ist inzwischen 73 Jahre alt. Das merkt man weder ihm selbst und seinen Auftritten an, noch den Songs, die er schreibt. Es sind immer noch Geschichten aus dem Leben. Kleine Anekdoten, die uns auch selbst passiert sein könnten.
Wer sich mit dem Hintergrund beschäftigt, findet berührende Details aus dem Leben der großen Mey-Familie. Das Lied „So lange schon“ beschäftigt sich mit dem Tod des Sohnes Maximilian, der seit 2009 nach einer verschleppten Lungenentzündung im Wachkoma lag und schließlich 2014 verstarb. Es ist ein unendlich trauriges Stück, das mir Tränen in die Augen treibt und dennoch ein optimistisches Bild bietet. Das Bild einer Familie, die sich trifft, um gemeinsam des fehlenden Menschen zu gedenken. An Eindringlichkeit sind diese Worte kaum zu überbieten.
Die letzte CD „Dann mach’s gut“ brachte viele Geschichten mit sich, die sich mit der Familie beschäftigten. Das neue Werk handelt wieder stärker von den persönlichen Ansichten, die im Gesamtwerk des Liedermachers seit jeher eine große Rolle spielen. Er erzählt vom Lateinlehrer Dr. Brand, den die Schüler bösartig fertig gemacht haben, und von dem der Ich-Erzähler später erfuhr, dass er ein KZ-Überlebender war. Dann ist da die rührende Geschichte „Herr Fellmann, Bonsai und ich“ über den dementen Flüchtling aus einer Pflegeeinrichtung, den Reinhard Mey und sein Nachbar wieder zurück ins Heim bringen.
„Hörst du, wie die Gläser klingen“ erzählt gleich drei Episoden, die sich über den philosophischen Refrain verbinden. Weiterhin gibt es auch profane und trotzdem berichtenswerte Dinge, beispielsweise von der Streunerkatze „Lucky Laschinski“, die so unvermittelt im Leben des Protagonisten auftauchte, und von der lebenslustigen Zimmernachbarin im Ferienhaus („Wenn Hannah lacht“). Dann das Triple über Stationen des Lebens: „Wenningstedt Mitte“, „Heimweh nach Berlin“ und „Im Haus am Meer“. So viel will noch erzählt werden. Und wer weiß, wie viel Zeit noch bleibt?
Zwei Titel beschäftigen sich deutlich mit dem Herbst des Lebens. „So viele Sommer“ erzählt berührend schön von den guten gemeinsamen Zeiten eines Paares. Und „Zeit zu leben“ ist eine Hommage an seinen Freund, den Liedermacher Klaus Hoffmann. Ob man also Angst haben muss, dass die Flut an neuen Mey-Liedern plötzlich endet?
Wie um dem entgegen zu wirken trägt das Album eben nicht den Titel „So viele Sommer“, sondern es heißt ganz geheimnisvoll „Mr. Lee“. Im Titelsong wird dieser besungen – als schweigsamer Reisender, der auftaucht und wieder verschwindet. Die dazu gehörige Bleistiftzeichnung im Booklet könnte wieder auf den verstorbenen Sohn hin deuten. Doch die Erzählung bleibt geheimnisvoll und das ist auch gut so.
Jeder Song ist übrigens mit einem Foto aus Reinhard Meys Privatschatulle illustriert, das uns die Stücke nochmals näher bringt. Wir lernen seine Frau Hella kennen, die besungene Katze Lucky, die Haltestelle „Wenningstedt Mitte“ und Tochter Victoria-Luise. Wir sehen sogar die Familie in „So lange schon“ an ihrem Abschiedsort. Ein sehr intimer Einblick. Ich liebe es, wenn ein Album so als Gesamtkunstwerk funktioniert. Ganz zum Schluss gibt es das englische Wiegenlied „Lavender’s Blue“ im Duett mit der Tochter. Die 72 Minuten CD-Länge werden voll ausgeschöpft.
Es ist sein 27. Studio-Album, fast genau 50 Jahre nach „Ich wollte wie Orpheus singen“ entstanden. Die alte Begeisterung ist zu spüren, mehr denn je, sie hat sich von Album zu Album gesteigert. Alle Titel funktionieren als Gitarrenstücke, sind aber mit unterschiedlichsten Instrumenten versehen. Schon während ich die Studioversionen höre, freue ich mich auf die Tour im Herbst 2017. Dann werden wir den Liedermacher wieder allein auf der Bühne erleben. Nur mit seiner Gitarre – angestrahlt von einem Scheinwerfer. Ich freue mich drauf und werde das fantastische Album bis dahin noch oft hören.
Im Jahr 2014 hat mich das Reinhard Mey-Fieber gepackt. Ich hatte den Mann noch nie live gesehen, obwohl ich seine Musik schon seit Jahren so liebe. Und was, wenn er plötzlich aufhörte? Das letzte Album hieß „Dann mach’s gut“ und enthielt immerhin einen Song, der Wolfgang Petry im beschaulichen Rentnerdasein besang. Okay – ich denke, man muss sich keine Sorgen machen. Wie sagte Reinhard Mey auf den aktuellen Konzerten? „Der Zenit meiner Karriere liegt ja noch vor mir.“ Recht so!
Trotzdem habe ich es nicht bereut, mir mit den Konzerten in Koblenz, Saarbrücken und Trier gleich drei Auftritte des genialen Songwriters angesehen zu haben. Nur Reinhard mit Gitarre – über zwei Stunden, ganz allein auf der Bühne. Angestrahlt von einem Scheinwerfer, sonst nichts. Und wo es auch war – er nahm den Saal gefangen. Mit seiner Präsenz, den Liedern, seinen emotionalen und humorvollen Ansagen.
Das kann man nun nacherleben auf dem neuen Livealbum „Dann mach’s gut – live“. Reinhard Mey verfolgt seit Jahren eine strikte Politik: Im Jahr eins erscheint ein Studioalbum (logischerweise im Mai). Jahr zwei sieht eine Tournee vor, die in der Regel 60 Auftritte in gut zwei Monaten umfasst. Jahr drei schließlich beschert uns den dazu passenden Liverelease. Ebenfalls im Mai – diesmal sogar am Monats-Ersten. Und es sieht auch nicht so aus, als wolle der Barde sich zur Ruhe setzen. Pläne für das Album 2016 scheinen schon recht konkret zu sein.
Was aber bietet der aktuelle Release? Den Mitschnitt eines Tour-Höhepunkts, nämlich eines Konzerts in Berlin zum Abschluss der Tour. Mey thematisiert auch dieses Nachhausekommen und entführt die Hörer auf eine durch und durch biographische Reise. Die Setlist war auf allen Konzerten der Tour gleich, doch das hatte mich auch als mehrmaligen Konzertbesucher an keiner Stelle gestört.
Es ist faszinierend, wie Reinhard Mey uns auf seine Reise mitnimmt. Thematisch geht es zunächst um das Leben als Musiker. Der neue Song „N‘abend“, dazu passend „Freundliche Gesichter“, das autobiographische „Spielmann“ und die Hommage „Wolle“ passen da perfekt rein. Anschließend thematisiert er die Liebe zu seiner Frau Hella. Wir hören „Wenn du bei mir bist“ und „Ich liebe dich“. Betörend gut und atemberaubend, vor allem wenn man selbst die Liebste neben sich sitzen hat.
Eine humorvolle Passage gibt uns „Der Biker“ als Entschuldigung an die berühmte Annabelle, einige Kühe on the road, die Hommage „Alter Freund“ an den Wein und das beliebte „Danke, liebe gute Fee“. CD 1 und damit die erste Konzerthälfte endet dann mit einem schwierigen Titel. „Lass nun ruhig los das Ruder“ geht an den Sohn Max, der nach vielen Jahren im Wachkoma Mitte 2014 verstarb. Nach diesen emotionalen Lyrics braucht man erst einmal Zeit zum Durchatmen.
Doch auf CD 2 geht es ebenso persönlich und eindringlich weiter. Die Satire „Das Narrrenschiff“ widmet sich der aktuellen politischen Lage. Ja, Mey kann auch noch Politik, wenn er sich dabei auch stärker zurück hält als seine Kollegen. Dann geht es zurück ins Familiäre: Songs an die Enkelkinder. Die neu hinzu gekommene Generation hat den Songwriter inspiriert, wie dies jede Veränderung in seinem Leben getan hat.
„Vaters Mantel“ berichtet von Leidenschaften – beruflichen wie privaten. Danach folgt ein Exkurs zu Meys ganz persönlicher Leidenschaft, dem Fliegen. Wundervoll, dass er „Lilienthals Traum“ und „Über den Wolken“ wieder ausgepackt hat. Beim Hören des Albums wird deutlich, wie bewusst der Liedermacher die Setlist ausgewählt hat und wie stark sie als Einheit funktioniert.
Zum Ende geht es um die Tochter („Spangen und Schleifen und Bänder“) und den verstorbenen Sohn. Nach „Dann mach’s gut“ gehen die Lichter im Saal aus und man fragt sich, wie Reinhard Mey nach diesen emotionalen Lyrics, die vielen Tränen in die Augen treiben, weiter machen kann. Doch es geht. Mit dem, was immer hilft, wenn man nicht mehr weiter weiß: „Ein Stück Musik von Hand gemacht“. Im Zugabenblock finden sich das nostalgische „Viertel vor sieben“, das die Kindheit besingt. Ein Wunsch, den sicher jeder Anwesende nachempfinden kann. Um zum Abschluss gibt es „Gute Nacht Freunde“ – den Klassiker. Reinhard Mey erlaubt den Zuschauern, die bisher fotografisch und filmisch erfreulich zurückhaltend waren (das habe ich auf drei Konzerten so erlebt), diesen Song mitzuschneiden, da nun das Lampenfieber überwunden sei und er sich keine Sorgen mehr um Textaussetzer mache.
Die letzte Tour von Reinhard Mey war vielleicht seine emotionalste. Er packt sein Publikum und lässt es für über zwei Stunden nicht mehr los. Und danach setzt er sich dann noch geduldig hin und gibt Autogramme. So erlebt man den großen Künstler während der Tour: publikumsnah und ohne Allüren. Ich hoffe, dass er noch lange weiter macht und wir auch in Zukunft von seinen Weisheiten profitieren können, egal ob im Studio oder live.
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