Ob mit Tomte oder als Solokünstler hat Thees Uhlmann die Szene poetischer, deutschsprachiger Musik seit 1991 geprägt wie kaum ein anderer. Der 1974 in Niedersachsen geborene Künstler startete die Indierockband Tomte vor allem im Hamburger Untergrund. Nach großen Erfolgen zu Beginn des neuen Jahrtausends liegt die Band seit 2012 faktisch auf Eis, obwohl sie offiziell nie aufgelöst wurde. Doch Fans werden seither live und mit Studioalben von Thees solo versorgt, also kein Grund für Fans, sich zu grämen.
Die Compilation „Sincerely, Thees Uhlmann“ fasst die Karriere auf zwei Longplayern zusammen. Nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern bunt durchmischt mit Songs beider Epochen. Und gleich wird nochmal bewusst, wie prägend Uhlmanns Sprache für die Musiklandschaft war und ist. Voll Melancholie erklingt Tomtes „Ich sang die ganze Zeit von Dir“ mit seinem emotionalen Refrain. Ebenso das hymnische „Die Schönheit der Chance“, das von Träumen und Hoffnungen berichtet. Die Ballade „Der letzte große Wal“ mit ihrer berührenden Thematik ist ebenso vertreten wie das übermütige „Korn & Sprite“ und der Song über den Sehnsuchtsort „New York“. Viele der Tomte-Titel sind zurecht zu Klassikern der Indie-Musik geworden und erfahren hier eine schöne Würdigung.
Ebenso stark stehen aber die Solotitel daneben. Natürlich „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ mit seiner philosophischen und nachdenklichen Grundidee, das atmosphärische „Die Toten auf dem Rücksitz“ und die Hommage an den schwedischen DJ „Avicii“. „Fünf Jahre nicht gesungen“ hatte 2019 das Ende einer Schaffenspause mit dem immer noch Album „Junkies und Scientologen“ eingeläutet und klingt ebenso groß wie die Würdigung von Bruce Springsteen in „Danke für die Angst“.
Viele dieser 29 Songs – aber auch viele mehr, von den frühesten Anfangstagen bis zu den ganz frischen Sachen – wird es zwischen dem 03.-07.01.2025 auf speziellen Konzerten im St. Pauli-Theater zu hören geben. Und auch wer nicht dabei sein kann, kann „Sincerely, Thees Uhlmann“ als Ausgangspunkt nehmen, sich mal wieder mit der Musik zu beschäftigen, die einen die ganzen Jahre durchgebracht hat.
Als Booklet gibt es übrigens keine Lyrics, informativen Liner Notes oder statistische Aufzählungen, sondern eine Art Poster, dass in recht persönlich gehaltenen Statements die Gegenstände beschreibt, die auf dem Albumcover zu sehen sind und Wegmarken in Thees‘ Karriere darstellen.
Tracklist „Sincerely, Thees Uhlmann – Das Beste von Tomte bis heute“ (Vinyl-Aufteilung)
01. Für immer die Menschen (2003)
02. Zugvögel (2013)
03. Der letzte große Wal (2008)
04. Korn & Sprite (2000)
05. Danke für die Angst (2019)
06. Ich sang die ganze Zeit von dir (2006)
07. Im Sommer nach dem Krieg (2013)
08. In Köln und dann in meinem Zimmer (1998)
09. Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hip Hop Videodrehs nach Hause fährt (2019)
10. Die Schönheit der Chance (2003)
11. Die Toten auf dem Rücksitz (2010)
12. Pflügen (1998)
13. Geigen bei Wonderful World (2006)
14. Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf (2010)
15. Kaffee & Wein (2013)
16. Römer am Ende Roms (2010)
17. Fünf Jahre nicht gesungen (2019)
18. Egal was ich tun werde, ich habe immer an dich gedacht (2023)
19. Das hier ist Fussball (2006)
20. New York (2006)
21. Schreit den Namen meiner Mutter (2003)
22. Es brennt (2013)
23. Wie sieht’s aus in Hamburg? (2008)
24. Was den Himmel erhellt (2006)
25. Avicii (2019)
26. Wilhelm, das war nichts (2000)
27. & Jay-Z singt uns ein Lied (2010)
28. Von Gott verbrüht (2003)
29. Nichts ist so schön auf der Welt, wie betrunken traurige Musik zu hören (2008)
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Wie bekommt man verschlafene Festivalbesucher*innen am dritten Tag wieder wach? Dazu brauchte es einen ordentlichen Abriss. Und den lieferten Boysetsfire zu früher Stunde auf der Utopia Stage. Die Band hat sich dem Post-Hardcore und Emocore verschrieben und Sänger Nathan Gray glänzte mit seiner unglaublich klaren und starken Stimme. Das bemerkte man direkt beim ersten Song „After The Eulogy“, einem ihrer bekanntesten Stücke. Vor allem die Mischung aus harten und emotionalen Momenten rüttelte das Publikum wach. Symbolhaft prangte eine Regenbogenfahne in der Mitte der Bühne. Mit den Höhepunkten „Empire“ und „Rookie“, die schon lange im Repertoire sind, beendete man den Set. Die 1994 gegründete Band ist auch nach ihrer zeitweiligen Auflösung immer noch eine Wucht.
Dann folgten mit Sum 41 und NOFX zwei altgediente Bands, die ihr Karriereende für die nächste Zeit angekündigt haben. Passt doch bestens, hier am Ring nochmal alles zu geben. Es gab Songs wie „Underclass Hero“ und „Walking Disaster“. Sänger Deryck Whibley von Sum 41 dirigierte die Menge wie ein menschliches Orchester und brachte ordentlich Stimmung in die Bude. Neben den eigenen Klassikern animierte man die Fans auch mit Auszügen aus „Smoke on the Water“ und „Seven Nation Army“. Später gab es zudem eine schnelle Punkversion von „We Will Rock“. Sum 41 zeigten wieder einmal, dass ihnen das Alter scheinbar nichts anhaben kann und man sich weiterhin auf Konzerte der Kanadier freuen darf – bis dann 2024 der endgültige Abschied erfolgt.
NOFX sind jetzt vierzig Jahre nach Bandgründung ein echtes „altes Eisen“. Überaus passend startete man dann auch mit dem berühmten „Time Warp“ vom Band und jeder wusste, dass eine selige Zeitreise folgen wird, die mit AC/DCs „Riff Raff“ begann. Frontman Fat Mike (Mike Burkett) zeigte sich allerdings in Plauderlaune und so gab es eine – grausam lange – Kennenlernrunde mit dem Publikum, bevor es richtig los ging. „We can talk for one hour“, stellte er richtigerweise fest, aber dafür waren die Leute nicht gekommen. „Ihr Deutschen habt für alles ein extra Wort – Schadenfreude“, beendete er seine Kulturanalyse und endlich gab es einen umtriebigen Set mit immerhin zwanzig Stücken, was man gar nicht mehr vermutet hätte. Die Bandgeschichte wurde ausgiebig und vielseitig gewürdigt. Trompeten und Reggae-Sound mischten sich mit Punk und melodischem Hardcore. Es gab sogar eine gelungene Ska-Version von „Les Champs-Élysées“ und nach „Kill All The White Man“ erklang tatsächlich noch der Musicalsong „Schadenfreude“ vom Band.
Anscheinen hatte es sich bis zur Mandora Stage rumgesprochen, dass ausgiebige Ansagen zum guten Ton gehören. Auch Michael Starr von Steel Panther war sehr gesprächig. Die Glam-Metaller hatten die ohnehin schon lila gehaltene Bühne komplett in dieses Farbschema getaucht. Und bunt war auch die Mischung aus Metal, Fun und Glamour. Man darf ohnehin nicht bierernst nehmen, was da geschieht. Starr überlegte, was die Amis an Deutschland lieben. Die Antwort: Audi, Scorpions und Titten. Nun ja. Als Tribute an Def Leppard spielte Drummer Stix Zadinia ein Stück mit unter dem Shirt verstecktem Arm – auch recht makaber. Songs wie „Asian Hooker“, „Death to all but Metal“ und die nostalgische Hymne „1987“ nahmen das Publikum aber gekonnt mit. Zum Ende hin klang man hymnisch wie Bon Jovi in den 80ern und holte allerlei Ladies auf die Bühne. Definitiv hatte die Band ihren Spaß.
Dann sorgte die weibliche Frontfrau von Arch Enemy sowohl für optischen Genuss als auch (für diejenigen die Arch Enemy nicht kannten) unerwartete und überraschend harte Töne, denn sie growlte, was das Zeug hielt. Alissa White-Gluz ist eine Powerfrau im blauen Superheldinnenkostüm, mit blauen Haaren und einer starken Performance. Leider ging es zwanzig Minuten verspätet los – das ist wohl das Schicksal der Mandora Stage, bei der man die Pünktlichkeit nicht gerade erfunden hat. Egal. Die formidable Songzusammenstellung von „War Eternal“ über „The Eagle Flies Alone“ bis hin zu „Nemesis“ entschädigte für die Wartezeit.
Auf der Hauptbühne war man nun bereit für Machine Gun Kelly alias Colson Baker – in den USA der Mann der Stunde. Seine Mischung aus HipHop, Rock und Punk machte die Performance einzigartig und der Hauptbühne würdig. Auch seine intensiven Rap-Skills waren neben der Rock-Performance absolut überzeugend. Dass Rap und Rock durchaus zusammen passen, bewies das Erscheinen von Oliver Sykes (Bring me the Horizon), der sich für „Maybe“ zu Kelly auf die Bühne gesellte. Zu Beginn gab es extrem viel Qualm auf der Bühne, so dass Machine Gun Kelly ganz nach oben auf die Pyramide aus LCD-Klötzen steigen musste, damit man ihn überhaupt noch sehen konnte. Extravagant war das Outfit mit silbernem Anzug und stachelig gegelten Haaren. Extraterrestrisch und damit passend zum Song „Concert for Aliens“.
Die große Band lieferte hymnische Melodien, Metalgitarren und bisweilen auch Screams. MGK bewegte sich entspannt durch Songs wie „I think I’m okay“ und das Gorillaz-Cover „Feel Good Inc.“. Höhepunkt waren zweifellos sein Bad in der Menge und der Weg rauf auf einen Warsteiner-Stand. Hier konnte er posieren und „My Ex’s Best Friend“ ins Publikum schmettern. Seine Nähe zu den Fans wurde heftig bejubelt – der Ring schien definitiv nicht mit dem extravaganten Künstler zu fremdeln.
Und dann war es endlich soweit. Darauf hatten Zigtausende gewartet: Die Fahnen wurden gehisst zum zweistündigen Konzert der Toten Hosen. Und was war das für eine Sause! Publikum und Band schenkten sich nichts. Er war ein Genuss vom ersten bis zum letzen Stück. Schon der Anfang mit „You’ll Never Walk Alone“ vom Band brachte die Stimmung zum Überkochen. Dann das Westernfilm-Intro „3 Akkorde für ein Halleluja!“ auf den überdemsionierten LCD-Wänden. Und endlich standen die Desperados auf der Utopia Stage bei Rock am Ring. Mal wieder. „Heimspiel“, wie Campino es ausdrückte.
Die Zusammenstellung an Hits für alle Generationen war von Beginn an großartig. Bei „Altes Fieber“, „Bonnie & Clyde“ und „Liebeslied“ war Mitsingen (oder halt Grölen) angesagt. Die „alten Knacker aus Düsseldorf“ lieferten gnadenlos ab – und auch im Publikum gab man alles. Bengalos und Fußballfahnen, Circle Pits und Crowdsurfing. Völlig losgelöst feierten alle sich, die Hosen und den letzten Abend eines wundervollen Festivals. Dabei blieb auch Zeit für Dankesworte („112“ als Song für die Feuerwehr) und vehemente „Nazis raus“-Rufe, als Campino vor „Willkommen in Deutschland“ alle Rechten, Rechtspopulisten und den Umgang mit Flüchtlingen geißelte. So lieben wir unsere Hosen – und beim Ringpublikum konnte er ohnehin mit breiter Zustimmung rechnen.
Damit der Punk nicht zu kurz kommt, gab es „Forever Young“, das die Goldenen Zitronen mal „Forever Punk“ betitelt hatten, in einer schrillen Punkversion. Und auch „Halbstark“ (im Original von den Yankees) passte hier perfekt. Die Bengalos inmitten der Fans waren vielleicht nicht so gern gesehen, doch zu „Pushed Again“ platzierte man ein kontrolliertes Bengalofeuer auf der Bühne und auf allen Wellenbrechern. Das war ein starkes Bild und tauchte den Ring bis zurück zum Riesenrad in rotes Licht. Die Klassiker“Alles aus Liebe“, „Wünsch dir Wasser“ und „Hier kommt Alex“ beendeten den Hauptset.
Im ersten Zugabenblock deutete Campino ironisch an, dass er mit 60 für viele Medien schon zum Establishment gehört. Damit es aber nicht heißt, dass die Hosen jetzt sogar auf Sauflieder verzichten, gab es das kultige „Eisgekühlter Bommerlunder“. Der zwete Block war dann „den drei Würstchen aus Berlin“ gewidmet. Der in den 80ern obligatorische Konkurrenzkampf zwischen Hosen und Ärzten existiert schon lange nicht mehr. So gab es mit „Schrei nach Liebe“ ein kongeniales Cover und auch der Song „Freunde“ wurde den Ärzten gewidmet. Nach zwei Stunden machte Campino noch eindringlich Werbung für Thees Uhlmann und – es war ja schon Montag – entließ die Fans in die Woche.
Eigentlich war es jetzt Zeit für den Heimweg. Was sollte nach diesem Gig noch kommen? Aber natürlich war auch Thees Uhlmann auf der Orbit Stage noch einen kleinen Fußmarsch wert. Der Tomte-Sänger hatte zu Beginn nur ein kleines Publikum, das aber stetig anwuchs. Und tatsächlich waren plötzlich die Toten Hosen mit auf der Bühne und hatten auch noch Sammy Amara von den Broilers mitgebracht, den sie unterwegs wohl irgendwo backstage aufgabeln konnten. Wieder gab es das „Liebeslied“, diesmal mit noch größerer Liebe. Thees hatte schon davon erzählt, wie er vor 20 Jahren zum ersten Mal am Ring spielte und vor Aufregung einen Heulkrampf bekam. Getröstet hätte ihn damals Jacoby Shaddix von Papa Roach. Auch jetzt ist der Gig am Ring noch aufregend – doch Thees ganz souverän. So kommentierte er die Schreie von der Mandora Stage: „Jetzt wird da drüben schon wieder rum geschrien. Muss wohl was Wichtiges sein.“ Es gab geschmeidige Songs wie „Zugvögel“ und eine Hommage an „Avici“, außerdem den Tomte-Song „Ich sang die ganze Zeit von dir“ und das grandiose „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“.
Auf der Mandora Stage lieferten Bring Me The Horizon zwischenzeitlich eine starke visuelle Show auf drei Ebenen. Alle Instrumentalisten waren gut zu sehen, aber dennoch wirkte das sehr überfrachtet. Die Pausen zwischen den Songs waren stimmungskillend lang, doch der sphärische Aufbau war sehr gelungen. Die Briten waren gewohnt experimentierfreudig und bewegten sich zwischen Metalcore und Elektronik-Sounds. Für manche Ohren wohl zu viel des Guten, aber es war auch schon spät.
Was bleibt vom Ring 2023? Natürlich die fantastische Stimmung, die auch dem guten Wetter zu verdanken war. Durchgehend wolkenfreier Himmel – und trotzdem ein gelegentliches Lüftchen, damit die Sonne nicht zu sehr brannte. Nachts wurde es kalt, also hatte man im besten Fall Wechselkleidung für die Stunden ab 22 Uhr mit dabei.
Für mich persönlich gab es einige Überraschungen. Ich nenne mal die famose Show von Apache 207 am Freitag. Damit hätte ich nicht gerechnet. Auch Provinz waren eine enorme Bereicherung und K.I.Z viel besser als erwartet. Bei den Headlinern hatten Foo Fighters und die Hosen die Nasen vorn. Kings of Leon waren okay, aber das hart rockende Publikum hätte sich vermutlich mehr Power gewünscht. Insgesamt fand ich die Mischung jedoch stimmig. Man muss mit der Zeit gehen und ein junges Publikum anlocken, damit das Festival eine Zukunft hat. Früher beschwerte sich auch niemand über Fury in the Slaughterhouse und Alanis Morrisette. Wer auf das ROCK im Namen besteht, wurde zu jeder Zeit an einer der Bühnen fündig. Und so wird es ROCK AM RING trotz des leichten Zuschauerschwunds auch im Jahr 2024 geben. Der Termin wurde noch in der Nacht bekannt gemacht: Es geht weiter vom 7. bis 9. Juni 2024. ROCK ON!
Das heutige Thees Uhlmann Konzert bildet meinen musikalischen Jahresabschluss 2019 und ist somit gewissermaßen meine ganz persönliche Musicheadquarter-Weihnachtsfeier – nur ohne die anderen Mitarbeitenden der Seite. Naja gut, der Vergleich hinkt, doch es sei mir verziehen, schließlich ist Weihnachten! Verziehen wurde uns zum Glück auch unser leichtes Zuspätkommen.
Als wir um 20.30 Uhr an der Location ankommen, läuft das Lied „Komplett im Arsch“ von Feine Sahne Fischfilet. Das passt sehr gut zu unserer Stimmung, denn wir sind etwas abgehetzt, schließlich waren wir vorher noch auf dem völlig überfüllten Bielefelder Weihnachtsmarkt. Umso besser tut uns dann die Atmosphäre, die uns der Lokschuppen bietet; alles wirkt weihnachtlich und besinnlich, Industriecharme trifft auf Backsteinwände und Fischermützenträger*innen auf Menschen mit nicht mehr ganz so vollem Haupthaar und Kinder stehen auf der Tribüne für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, so dass alle den Überblick behalten.
Wenige Sekunden nachdem wir die Halle betreten haben, geht es auch schon los – besser hätte das Timing also nicht sein können. Zunächst erfüllen blaues Licht und elektronische Klänge die Location, die Band betritt die Bühne, verhaltener Applaus. „Fünf Jahre nicht gesungen“ ist der Opener des heutigen Abends. Der Jubel wird immer begeisterter und das Publikum kommt langsam von einer Weihnachtsmarkt- in eine Weihnachtsparty-Stimmung. Weiter geht es mit „Danke für die Angst“ (einen Song, in dem es um Stephen King geht) und „Die Toten auf dem Rücksitz“, welche beide zum Tanzen einladen. Uhlmann erzählt eine Anekdote, dass ein Kind seinen Vater mal gefragt habe, ob Uhlmann Bäcker sei, schließlich habe er einen Song über Torten im Auto geschrieben. Wäre sicherlich auch interessant, was das Songwriting-Talent daraus Feines gebastelt hätte. Bereits nach dem vierten Song „Zugvögel“ hat Uhlmann jede seiner drei Platten einmal angespielt, was auf einen bunt gemischten Abend hoffen lässt. Und den liefert er uns! Weiter geht es mit „Und Jay-Z singt uns ein Lied“, welches mich noch den gesamten Heimweg als Ohrwurm begleitet.
Doch Uhlmann ist nicht nur ein toller Songwriter und Dichter, er hat auch Talent zum Geschichtenerzähler. Immer wieder leitet er von einem zum anderen Song mit Anekdoten über, die alle wahr seien, im Gegensatz zu denen von Pearl Jam, bei denen der Drummer jeden Abend Geburtstag habe. Auch die Überleitung zwischen „Das Mädchen von Kasse zwei“ und „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt“ ist wieder recht lang – und unterhaltsam, durchaus auch mit politischer Dimension. Lange lässt Uhlmann sich darüber aus, wie die „Macker“ auf HipHop-Konzerten sich verhalten, alles dreckig machen und dies dann von unterbezahlten Reinigungskräften sauber gemacht werden muss. Gut, genau so hat er es nicht gesagt, er hat sich wesentlich mehr Kraftausdrücke bedient und wirkte dadurch sehr leidenschaftlich. Es gefällt mir, dass er solche Zustände anprangert und meint, es gehöre sich nicht, Frauen vom Gerüst aus hinterher zu pfeifen – recht so! (Die Anspielung auf die Größe des Penis solcher „Macker“ hätte er sich aber verkneifen müssen, denn genau solche Angriffsstrategien begünstigen ein toxisches Männlichkeitsbild. Viele Grüße an Jack Urwin und sein Meisterwerk „Boys Don‘t Cry“ an dieser Stelle!)
Nach „Was wird aus Hannover?“ kommt der erste Tomte-Song des Abends: „Ich sang die ganze Zeit von dir“. Schon vor dem ersten Ton des Songs klatscht das Publikum im Takt, Textsicherheit scheint hier ein Standard zu sein. Das zeigt sich auch bei den weiteren Stücken wie „100.000 Songs“ und „17 Worte“. Das anschließende Cover des Toten Hosen Klassikers „Liebeslied“ leitet er mit einer Geschichte zu Neven Subotic (für dessen Verein wir am Eingang die Möglichkeit hatten zu spenden) und einem Treffen mit den Toten Hosen in Liverpool ein. Die Stimmung wird immer ausgelassener und steigert sich über „Junkies und Scientologen“ und „Katy Garyson Perry“ bis zu „Vom Delta bis zur Quelle“, was einer meiner neuen Favoriten wird. Bei „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“, dem meistgefilmten Song des Abends, kennt das Sing along kein Halten mehr.
Um 22.15 Uhr ziehen Uhlmann und Band sich mit den Worten „Vielen Dank, ihr Punks!“ zum ersten Mal von der Bühne zurück. Doch so leicht kommen sie nicht davon! Mit „Korn und Sprite“ und „Schrei den Namen meiner Mutter“ werden weitere Tomte-Song ausgepackt. Nach „Avicii“ folgt die zweite Pause, doch auch nun kehren die Musiker*innen noch einmal zurück und spielen „Römer am Ende Roms“, welches einen wunderbaren Gänsehaut-Start und ein opulentes Ende hat. „Die Nacht war kurz und ich stehe früh auf“ scheint der letzte Song des Sets zu sein und der Ausruf „Viel Spaß in der 1. Liga!“ (mit Gruß an Arminia) könnte der perfekte Abschiedsspruch sein, doch wenn man so denkt, kennt man Uhlmann nicht! Ein allerletztes Mal kommt er nochmal auf die Bühne, viele Menschen im Publikum haben schon ihre Jacken angezogen und tanzen dennoch im Gang. Der Tomte-Song „Schönheit der Chance“ rundet den Abend ab, Uhlmann reißt seine Gitarre in die Luft, stellt seine Band unter tosendem Applaus vor, lässt sich zu einem Mic Drop hinreißen und verlässt jubelnd die Bühne. Und wir, wir schwingen uns jubelnd auf die Räder und summen „Und Jay-Z singt uns ein Lied“ vor uns hin.
Wir haben schon darüber berichtet, dass der KiWi-Verlag eine Reihe von Musikbüchern veröffentlicht, bei der bekannte Persönlichkeiten über ihre Lieblingsband schreiben. Subjektiv, emotional und voller schöner Anekdoten.
Noch genialer aber, als diese Bücher zu lesen, ist es, sie vorgelesen zu bekommen – und das am besten vom Autor selbst. Dafür wurden Hörbucher erfunden.
Thees Uhlmann, selbst Künstler und Frontmann von Tomte, erzählt von seiner Liebe zu den Toten Hosen. Es ist ein Buch voller Anekdoten, das aus zutiefst subjektiver Sicht eine dreißig Jahre andauernde Liebe beschreibt und eine dicke Freundschaft, die daraus entstanden ist. Mit so viel Herzblut geschrieben, dass man ihm jedes Wort abnimmt.
Bei Grand Hotel van Cleef gibt es nun das dazu passende Hörbuch als ungekürzte Autorenlesung. Und es ist einfach megacool. Thees liest in gut drei Stunden seine Liebeserklärung an die Düsseldorfer (Punk-)Rockband mit unaufgeregter Stimme. Absolut authentisch!
Das ist doch mal ein schönes Konzept, das gleich zwei Seiten in den Mittelpunkt stellt: In der neuen Musikbibliothek des KiWi Verlags schreiben bekannte Persönlichkeiten über ihre musikalischen Lieblinge.
Thees Uhlmann, selbst Künstler und Frontmann von Tomte, erzählt von seiner Liebe zu den Toten Hosen. Ein Buch voller Anekdoten, das aus zutiefst subjektiver Sicht eine dreißig Jahre andauernde Liebe beschreibt und eine dicke Freundschaft, die daraus entstanden ist. Mit so viel Herzblut geschrieben, dass man ihm jedes Wort abnimmt.
Die bekannte Journalistin Anja Rützel schreibt über Take That – und spricht mir aus der Seele. Es geht um die bitteren Momente, als Robbie die Band verließ, und um die schönen, als es zur Neuformierung und Wiedervereinigung kam. Mit persönlichen Worten und dem ureigenen Herzschmerz.
Schriftsteller Tino Hanekamp liefert einen wunderbaren erzählerischen Trip zu Nick Cave, der Vergangenheit und Gegenwart vereint. Ein Roadtrip als Liebeserklärung an den großen Star.
Die Radiomoderatorin Sophie Passmann widmet sich schließlich dem kalifornischen Songwriter Frank Ocean. Sie erzählt, warum dieser den Soundtrack ihres Lebens geschrieben hat. Ihre Depressionen und den Sturz in die Extreme beschreibt sie mit schonungsloser Offenheit.
Passend zu der Lektüre kann man sich übrigens zu jedem Buch eine Spotify-Playlist als Hintergrundmusik abspielen. Der KiWi Verlag hat einfach an alles gedacht und liefert hier zunächst vier sehr schöne Büchlein im handlichen Format, die Leseratten und Musikliebhaber vereinen. Hoffentlich werden dem noch viele Bände folgen.
Was für ein schöner, wertiger Release! Niedeckens BAP veröffentlichte am 18.11. „Lebenslänglich im Heimathafen Neukölln (live)“. Und doch gibt es für manche Freunde der Band auch Grund, sich zu ärgern. Denn Vieles, was sich in diesem Komplettpaket aus vier Silberlingen befindet, haben sie schon im Regal. Jetzt kann man sich über den zusätzlichen Inhalt freuen – oder den Herrn Niedecken und seine Gang der Abzocke bezichtigen. Richtig ist aber: Wer diesen dicken Release käuflich erwirbt, bekommt etwas Schönes für sein Geld. Jenseits allen Streamings und Download-Getues. Hier hat man ein schönes Kleinod in der Hand. Und wer das aktuelle BAP Album ohnehin noch nicht im Regal hat, sollte bei dieser Edition schleunigst zugreifen.
CD 1 bietet also das Studioalbum mit 14 Songs. Dazu brauche ich nicht mehr viel zu sagen, denn das hat Kollege Kröll schon ausführlich an dieser Stelle erledigt: Review „Lebenslänglich“ von Niedeckens BAP.
CD 2 bietet dann die live-CD „Heimathafen“. Anlässlich des 40-jährigen Bandjubiläums suchte Wolfgang Niedecken für den Stapellauf des „Lebenslänglich“-Albums nach einer geeigneten Location, um den Vorabend des Releases gebührend zu zelebrieren. Jedoch waren in seiner Heimatstadt Köln sämtliche Venues aufgrund von Karnevalssitzungen bereits belegt. Wolfgang Niedecken machte die Not jedoch zur Tugend und wich von Köln auf Neukölln (Berlin) aus. Im wunderschönen Heimathafen spielte er samt seiner Band und den Überraschungsgästen Clueso, Thees Uhlmann, Stephan Stoppok, Nicky Müller, Calexico-Trompeter Martin Wenk und Max Prosa sowohl neue Lieder als auch bewährte Klassiker.
Besonders gut gefällt mir die Version von „Dä Herrjott meint et joot met mir“ mit Nicky Müller. Die beiden harmonieren hervorragend miteinander und es menschelt sehr. „Frau, ich freu ich“ ist mit im Set. Und auch „Kristallnaach“ – wunderschön und ewig aktuell.
Die live-DVD hat dann noch vier Songs mehr, nämlich zum einen „Rita“ und das emotionale, immer wieder gern gehörte „Do kanns zaubre“, zum anderen den großen Ausklang mit „Verdamp lang her“ und „Heroes“. Der 110-minütige Live-Mittschnitt fängt diese mal heitere, mal nachdenkliche Atmosphäre in authentischen Kamerasequenzen ein. 17 Songs mit einem klaren Schwerpunkt auf der Jetztzeit. Schließlich steuert Wolfgang Niedecken auf „Lebenslänglich“ denkwürdige Stationen seiner Karriere an. Als Mensch und Künstler. Ein Blick zurück nach vorn also, mit dem sich BAP musikalisch vielfältiger denn je aufstellt.
Als sich zum Ausklang des Auswärtsspiels Band und musikalische Gäste nach einem emotionalen „Verdamp lang her“ zu einem euphorischen Finale versammeln, stimmen sie gemeinsam David Bowies „Helden/Heroes“ an und sogar Kult-Regisseur und Freund Wim Wenders gesellt sich überraschend dazu. Ein weiterer Beleg dafür, dass der rockige, erdige Sound der Band und Niedeckens Texte mit ihren scharfen Beobachtungen, politischen Statements, humorvollen Geschichten und persönlichen Einblicken Menschen in allen Altersgruppen und völlig unabhängig von Genregrenzen erreichen.
CD 4 ist dann ein Extra-Schmankerl mit sieben Titeln, die Niedecken bei „Sing meinen Song“ im März 2016 im Südafrika performt hat. Stücke von The BossHoss bis Samy Deluxe. Besonders genial geraten ist aber die kölsche Version von Xavier Naidoos Hit: „Wat mir allein nit schaffe“.
Die vier Scheiben kommen im Digipack in DVD-Größe und tragen ein dickes Booklet bei sich, das neben den Texten des neuen Albums auch viele großformatige Bilder der Livesession beinhaltet und den Text „Zeitkapsel“ in dem Wolfgang Niedecken ein Statement zu seiner Teilnahme bei „Sing meinen Song“ abgibt. Wir kommen zu folgendem Urteil: lebenslänglich!