Leider stand das Festival-Wochenende am Bostalsee unter keinem guten Stern. Am Samstag fand das Open Air mit Vanessa Mai statt, die dort den Abschluss ihrer Open-Air-Tour feierte, am Sonntag sollten Lena und Lukas Rieger beim „Summer Fade Out“ den Sommer ausklingen lassen. Über die Gründe ist nichts bekannt, aber beide Headliner des Sonntags sagten ihre Auftritte ab, sodass die jungen Veranstalter vor dem Super-Gau standen. Riverflow Entertainment machten aus der Not eine Tugend, besorgten Kay One und Pietro Lombardi als Ersatz – und machten kurzerhand aus beiden Konzertabenden ein einziges Festival, indem sie die Gültigkeit der Tickets jeweils auf beide Abende ausdehnten. In meinen Augen eine gute Lösung, wenn auch die Zielgruppen sich nicht unbedingt überlappten.
Ich konnte leider nur am Samstagabend zu Vanessa Mai am Start sein. Und wie es oft passiert: Manchmal hat man kein Glück, manchmal kommt auch noch Pech dazu. Es hatte den ganzen Tag geregnet und das Festivalgelände wurde zur Pfützenlandschaft. Allerdings gab es einen Lichtblick in Form eines Regenbogens, der (nomen est omen) den Titel von Vanessas aktuellem Album veranschaulichte. Das sollte doch ein gutes Zeichen sein, als der Konzertabend um 19 Uhr begann.
Den Anfang machte Daniel Ceylan, seines Zeichens Ex-Teilnehmer bei DSDS, wo er 2014 den dritten Platz belegte. Er stellte zunächst seine aktuelle Single „Glaubst du noch“ vor, die sehr an die Musik von Xavier Naidoo erinnert. Ein schöner Titel – und man merkt dem Sänger an, dass er Xavier sehr verehrt. Im Anschluss gab es dann auch Coverversionen von „Geh davon aus“ (Söhne Mannheims) und „Ich kenne nichts“ (Xavier). Daniel sang live zu einem instrumentalen Playback, was der Stimmung aber keinen Abbruch tat. Er hat eine starke, saubere Stimme, die auch bei Deutschpop („Auf uns“) funktionierte.
Die Distanz zu Publikum und Bühne war recht groß. Leider hatten sich nur einige Hundert Zuschauer an dem kalten, windigen und regnerischen Tag an den Bostalsee gewagt. Das „Summer Fade Out“ machte seiner herbstlichen Idee alle Ehre. Schade, denn eine wirklich große Show sollte allen noch bevorstehen, die definitiv mehr Publikum verdient hatte.
Ich bin nun wahrlich kein Schlagerfan – und erst recht kein Anhänger von Dieter Bohlen – doch Vanessa Mai, die gegen 20 Uhr die Bühne betrat, hatte das Publikum von Anfang an im Griff. Gartenstühle zum Draufsitzen? Braucht keiner mehr, wenn „Mein Herz schlägt Schlager“ erklingt und aus vielen Kehlen mitgesungen wird. Man merkte Vanessa Mai an, dass sie Bock auf den Auftritt hatte, aber das Ambiente nicht stimmig war und sie sich nicht wohl fühlte. Ein langer Laufsteg, direkt daran ein VIP-Bereich mit wenigen Gästen, dahinter eine Absperrung, an der sich die übrigen Zuschauer drängelten.
Vanessa weichte die Regeln selbstbewusst auf: „Der Veranstalter wird mich killen dafür und ich weiß gar nicht, ob ich das darf, aber das ist doch doof, wenn ihr so weit weg steht. Kommt alle nach vorne an die Bühne.“ Das ließen sich die Fans nicht zweimal sagen, der VIP-Bereich wurde aufgelöst und alle drängten sich um den Laufsteg, wo Vanessa ihre Publikumsnähe auch deutlich zelebrierte. Plötzlich war es ein anderes Konzert – eine große, fantastische Vanessa-Show.
Sie stand ständig in Kontakt zu den Leuten, vor allem zu Kindern und Teenies. „Sorry. Ich hab einen Magen-Darm-Virus. Mein Arzt hat gesagt, ich soll keine Autogramme geben und niemanden knuddeln. Das ist ansteckend.“ Zuviel Information für einen Konzertabend? Egal. Vanessa erzählt gern – und ich ertappe mich dabei, dass ich sie mindestens so gern reden wie singen höre. Einfach sympathisch, nah an den Fans und überaus unterhaltsam. Die Jugend bekommt eine pädagogische Ansprache zur Wichtigkeit des Schulbesuchs, die „mitgeschleppten“ Väter werden bedauert. Einer ist eigentlich Onkelz-Fan, wie er freimütig zugibt. Vanessa singt zunächst lachend „Wunder gibt es nicht nur im Himmel“ und weist selbstironisch auf den tiefgründigen Text hin, und widmet ihm dann Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, weil das wenigstens ein bisschen rockig ist.
Unglaublich, wie unkompliziert eine Künstlerin sein kann, die gerade mit einem Nummer-1-Album im Schlagerhimmel gelandet ist. Daniela, ein Fan den Vanessa namentlich kennt, beginnt zu weinen, und die Sängerin wirft alle Vorsätze über Bord. Plötzlich wird in den ersten Reihen gedrückt und geknuddelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Selfies, Autogramme, Entgegennahme von Geschenken – alles ist möglich. Das hätte sich nach obiger Selbstoffenbarung wohl keiner zu träumen gewagt.
Ach ja – Musik fand auch noch statt. Und das immerhin knapp 90 Minuten lang. Vanessa hatte eine respektable Band, die allerdings sehr keyboardlastig klang, was wohl Bohlens Kompositionen geschuldet ist. Die weiblichen Backing Vocals kamen als Samples vom Band, ansonsten war aber alles live. Das sah man sowohl der Liveband an, man merkte es aber auch an Vanessas unzähligen Texthängern, die sie dann gern augenzwinkernd zum Thema machte.
Es gab Cover wie Yvonne Catterfelds „Ohne dich“ und viele Tracks vom aktuellen Album „Regenbogen“, die das Publikum textsicher mitsang. Die Fans sorgten auch für Showeffekte wie Konfettiregen und Seifenblasen, beispielsweise beim abschließenden „Ich sterb für dich“. Als Zugabe sang Vanessa zum zweiten Mal die aktuelle Single „Nie wieder“ und hatte damit alles gegeben. Eine mehr als ordentliche Show – gutes Licht. Trotz des kleinen Publikums hatte man nie das Gefühl, dass das Festival stiefmütterlich bespielt wird.
Zur Konzerthälfte setzte wieder kräftiger Regen ein. Anstatt sich mit ihrem Virus unter das schützende Bühnendach zu flüchten, drehte Vanessa Mai erst recht auf, zog die Jacke aus, rannte im T-Shirt und kurzer Hose den Laufsteg hin und her und sorgte dafür, dass sie mindestens genau so nass war wie die Leute davor. Es war das vorerst letzte Konzert der Tour. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass sie mit diesem Engagement der Erkältung nicht weiter Vorschub geleistet hat. „Es war ein ganz besonders Konzert für mich“, sagte sie, und man nahm es ihr ab. Wie auch die ehrliche Aussage, dass sie damit nicht gerechnet hätte.
Bleibt den Veranstaltern von Riverflow Entertainment zu wünschen, dass sie nicht den Mut verlieren. Ort und Motto für das Festival sind passend – für das Wetter kann keiner was. Sie haben das Beste draus gemacht und Vanessa Mai hat dafür gesorgt, dass die Zuschauer begeistert nach Hause gehen konnten. Gerade bei den Kids in den ersten Reihen waren die leuchtenden Augen nicht zu übersehen.