Ein Rückblick: Das Jahr 2020 nimmt zunächst rasant an Fahrt auf. Ende Februar kündigen die legendären Deep Purple ein neues Studioalbum an. Es hört auf den Namen „Whoosh!“ und wird Mitte Juni erscheinen. Bereits im Dezember 2019 hatten kryptische Botschaften und Interviews von Ian Gillan für entsprechende Spannung und Spekulationen innerhalb der Fangemeinde gesorgt. Kurz gesagt: Die Vorfreude ist groß. Dann kommt Corona. Anfang April verschieben Deep Purple wie viele andere Kollegen den Veröffentlichungstermin. „Whoosh!“ wird nun für den 7. August angekündigt. Die erste Single „Throw My Bones“ erscheint Ende März. Das dazugehörige Video wirkt wie ein Corona-Soundtrack. Es durchbricht die Grenzen von Raum und Zeit und lädt den Zuschauer ein, einen Schritt zurückzutreten und das große Ganze zu betrachten. Eine Einladung, den Planeten und die aktuelle Situation auf der Erde zu beobachten und gleichzeitig ein Aufruf zum Handeln. An dieser Stelle befinden wir uns Anfang August immer noch. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass wir „Whoosh!“ mittlerweile in den Händen halten.
Auf ihrem inzwischen 21. Studioalbum haben Deep Purple zum dritten Mal mit Produzent Bob Ezrin zusammengearbeitet. Gemeinsam schrieben und nahmen sie in Nashville die dreizehn neuen Songs auf und kreierten ihr bislang vielleicht vielseitigstes Werk. Gleichzeitig verschaffen sie ihrem Unmut über die aktuelle Situation der Welt sehr deutlich Luft. So deutlich wie ich es seit Ausbruch der Corona-Pandemie noch von keinem Künstler (vielleicht mit Ausnahme von Pearl Jam’s aktuellem Album „Gigaton“) gehört habe. Der Text zu „Nothing At All“ beispielsweise rückt jene gnadenlose Ausbeutung in den Vordergrund, welche wir Menschen in der kurzen Zeit unserer Existenz dem Planeten Erde zugemutet haben.
Nach dem bombastisch-orchestralen Auftakt mit „Thow My Bones“ machen Deep Purple auf „Whoosh!“ das, was sie am besten können: Hardrock der soliden Bauart. Hier und da werfen sie sogar mal einen Blick zurück in ihre dunkle Vergangenheit wie im vollfetten „We’re All The Same In The Dark“. Und die Angus Young-Gedächtnisgitarre in „Drop The Weapon“ rechne ich ihnen ebenfalls hoch an. In den letzten Jahren haben Deep Purple nach und nach neue Bereiche erkundet und damit das Interesse von Fans geweckt, die noch mit der Windel um den Weihnachtsbaum liefen, als der heilige Gral aus „In Rock“ (1970), „Machine Head“ (1972) und „Made In Japan“ (1973) erschien und sich die Band mit Tracks wie „Smoke On The Water“ auf den Rockolymp katapultierte.
Diese Lust an Veränderung und Weiterentwicklung ist Ian Gillan, Roger Glover, Ian Paice, Steve Morse und Don Airey auch nach über fünfzig Jahren nicht verlorengegangen. Dafür stehen das sakrale „Step By Step“ ebenso wie das komplett instrumentale Feuerwerk „And The Address“. „What The What“ klingt als wäre es einer Neuauflage der „Rocky Horror Picture Show“ entsprungen, diesmal mit Jerry Lee Lewis in der Hauptrolle. Selbst vor Prog-Rock machen Deep Purple auf „Whoosh!“ nicht Halt („The Power Of The Moon“ oder „Man Alive“). Und dass die fünf Bandmitglieder allesamt absolute Könner ihres Fachs sind muss an dieser Stelle wohl nicht extra erwähnt werden. Falls aber doch, hört euch einfach mal die Gitarrenarbeit von Steve Morse in „Nothing At All“ an oder die Hammond-Orgel von Don Airey in „The Long Way Round“. Emerson, Lake & Palmer lassen grüßen.
Die Limited Edition, die wir zur Besprechung erhalten haben, enthält darüberhinaus noch den kompletten Auftritt von Deep Purple beim Hellfest 2017 erstmals auf DVD (inklusive „Smoke On The Water“, „Hush“, „Black Night“ und vieler weiterer Klassiker), eine kurzweilige 60-minütige Konversation zwischen Roger Glover und Bob Ezrin (aufgenommen im November 2019 in London, also ohne Masken) und ein fettes Mediabook. Das Ganze ist geschmackvoll in einem aufklappbaren Digipak untergebracht, was dem Album in der B-Note noch ein Zusatzsternchen beschert.
Rein musikalisch betrachtet ist „Whoosh!“ selbst bei einer Länge von dreizehn Stücken keine Sekunde langweilig. Deep Purple tappen nicht in die naheliegende Falle zu einer Karikatur ihrer selbst zu verkommen und sich am Ende nur noch zu wiederholen. Im Gegenteil! Mit „Whoosh!“ treten die alten Herren aus England ihren selbsternannten (und oft genug gescheiterten) Nachfolgern einmal mehr mit Schmackes in den Hintern. Und mit jeder Menge Stil. Chapéu!