Man staunt ja schon, in welchem Alter Rocker wie Udo Lindenberg die Bühne stürmen und Liedermacher wie Reinhard Mey zwei Stunden feinster Unterhaltung ganz allein an der Gitarre abliefern. Doch Altmeister Dieter Hallervorden – neben Otto der vielleicht bekannteste Komiker Deutschlands – wurde kürzlich schon 86 Jahre alt. Und mit „80 plus“ wechselt er nochmal vollkommen das Metier und bringt eine CD heraus. In der Vergangenheit gab es ja schon respektable Schlagerhits wie „Du, die Wanne ist voll“ (1978) und „Punker Maria“ (1981), doch nun geht es nicht um Klamauk: „80 plus“ ist ein autobiographisches und stellenweise sehr ernstes Album.
Wie er darauf kam? Vermutlich war die Teilnahme bei „The Masked Singer“ im vergangenen Jahr ausschlaggebend, wo er in einer Verkleidung als Chamäleon trotz eher bescheidener Gesangskünste zum Publikumsliebling avancierte und einen respektablen fünften Platz erreichte. Auch von der Jury wurde er im Anschluss begeistert gefeiert.
„80 plus“ bietet nun zehn spannende neue Titel, einen Bonustrack und einen Epilog. Dieter (man darf ihn hoffentlich auch liebevoll „Didi“ nennen) nutzt eher eine Art melodischen Sprechgesang. Nur an wenigen Stellen singt er wirklich echte Gesangslinien. Doch das stört keineswegs. Seine Stimme ist einfach einzigartig und weckt Erinnerungen an schöne Fernsehzeiten in den 80er Jahren.
Viele Aspekte seiner Laufbahn werden mal humorvoll, mal weise, mal verspielt, mal provokant beleucht. Schon der melancholische Opener „Mein Leben“ ist voller biographischer Elemente und Lebensweisheiten („ich provoziere als Clown und als Philosoph“). Direkt danach folgt der Titelsong des Albums und in der ironischen Standortbestimmung werden auch Songs wie „Atemlos, im Treppenhaus“ und „Highway To Hell“ verwurstet.
„Palim Palim“ ist der augenzwinkernde Schlager zu Didis größtem Erfolg, dem Sketch mit der „Flasche Pommes Frites“. Den Song hätte man schon in den 80ern gebraucht, aber da wäre die daraus resultierende Erkenntnis nicht so groß gewesen: „Mein letztes Wort: es sei Palim!“
In weiteren Stücken behandelt Hallervorden den Sinn der Ehe, die er mit Nudelsalat („erst schmeckt er lecker, dann wird er fad“) vergleicht. In „Freiheit“ vermittelt er ein Gleichnis vom Wolf, der nicht gehorsam sein will. „Hallervorden“ gibt erneut einen Abriss durch seine Karriere. Und dann gibt es mit „Keine Zeit“ und „Tod“ zwei Stücke, die das baldige Ableben mit viel Humor und Sarkasmus („ich hab den Tod untern Tisch gesoffen“) behandeln.
Allein mit Dieters Statement zum „Gendern“ kann ich nichts anfangen. Ein blindes Einpreschen auf alle, die dem weiblichen Teil der Bevölkerung Respekt zollen und Wege suchen, weibliche Formen in der Sprache mit einzubringen – was soll das? Es hat schon einen faden Beigeschmack, wenn ein alter weißer Mann von „dämlichem Sprach-Design“ und „das braucht kein Schwein“ singt. Er braucht es vermutlich nicht – und keiner zwingt ihn dazu. Vermutlich muss man diesen Song unter Altersstarrsinn verbuchen.
Ansonsten aber ist „80 plus“ wirklich ein beachtliches Debüt, das er da im Trio mit dem mehrfach prämierten Komponisten & Multiinstrumentalisten Frank Nimsgern und dem Orchesterdirektor und Cellisten Thomas Schmidt-Ott abliefert. Mit seinem Lebenswerk-Album schlägt Dieter Hallervorden noch einmal ein ganz neues musikalisches Kapitel in seiner Karriere auf – denn „Mit 80 plus ist längst nicht Schluss“!