Florian Künstler ist ein ganz besonderer Mensch. Das kann man mit Fug und Recht behaupten. Sein Song „Kleiner Finger Schwur“ kam quasi aus dem nichts und hat ihn in der Szene deutschsprachiger Songpoeten weit nach oben katapultiert. Im März habe ich ihn als Support von Max Giesinger in Saarbrücken gesehen und war schon schwer beeindruckt. Gestern feierte er den Release seines Debütalbums auf dem Reeperbahn Festival. In kürzester Zeit konnte er das Publikum auf dem Heiligengeistfeld in seinen Bann ziehen.
Es war kein Zufall, dass er ausgerechnet dort auftrat, denn Florian unterstützt die „Homeless Gallery“, die dort zu sehen ist. Dabei handelt es sich um eine Ausstellung KI-generierter Bilder, die nach den Ideen obdachloser Menschen entstanden sind. Sehr beeindruckend – und alle Erlöse aus Katalogen, Postkarten und der Versteigerung der Bilder gehen an die Obdachlosenhilfe von „Hinz&Kunzt“. Wenn man Künstlers Lebensweg anschaut, ist das verständlich. Er hatte drogenabhängige Eltern, wurde zum Pflegekind, war zeitweise selbst obdachlos und lernte soziale Berufe, um anderen Menschen zu helfen.
Beim Konzert zeigte sich der Mittdreißiger mal wieder als durch und durch sympathischer und bodenständiger Typ, der immer im Kontakt zum Publikum bleibt. Florian ist ein Mann der ruhigen, sentimentalen Worte. Und er hat zu jedem Stück eine Geschichte zu erzählen. Von seinem Leben als Pflegekind und der Liebe zu den Ersatz-Großeltern. Der Trauer um einen geliebten Menschen, die er in „Tausend Raketen“ besingt. Die Textzeile „Wenn du jetzt glücklich bist“ wurde zum krassen Moment, denn die Zuschauer*innen schleuderten ihm diese entgegen und man konnte ihm das Glück ansehen. Auch schwierige Themen verschwieg er nicht und thematisierte in „Vergiss die guten Tage nicht“ eine zeitweilige Depression.
So lebendig und lebensbejahend wie die Konzerte ist auch sein Debütalbum. Darauf findet man Florian Künstler in kompakter Form mit all seinen Facetten. Natürlich ist die Hitsingle „Kleiner Finger Schwur“ vertreten, aber sie geht fast unter in der Zusammenstellung fantastischer Songs. Die Tracklist klingt wie ein Lebensratgeber – doch ohne zu bevormunden. Albumtitel und Song „Gegengewicht“ sind eine Liebeserklärung mit lustigem Hintergrund, spielt doch ein verwahrlostes Berliner Hotel eine tragende Rolle.
Es ist fast egal, ob man Florians wundervolle Songs mit akustischer Gitarre oder – wie hier – in starken Bandarrangements hört. Die Melodien und Texte funktionieren immer. Und der poetische Deutschpop klingt in jeder Beziehung großartig. Die Pianoballade „Lächeln“ singt er im Duett mit Cassandra Steen. In Songs wie „Glück kann man nicht kaufen“ und „Schwarzer Anzug“ findet er perfekte Worte für schöne und schwierige Momente. Es gibt Stücke mit Tanzbeats oder dezente Streicher, aber meist ist die Ausrichtung akustisch.
Mein Lieblingsstück „Tausende mehr“ brachte gestern als ungeplante Zugabe eine ganze Festivalmenge zum Singen. Verbundenheit spüren, wenn es einem nicht so gut geht – das ist das Mantra. Und Florian Künstler gelingt es wie kaum einem anderen, solche Themen ohne Plattitüden und Banalitäten an den Menschen zu bringen. Dabei singt er mit rauer und authentischer Stimme wie der Typ von nebenan, manchmal knapp an der Grenze zum Schlager, ohne diese aber zu überschreiten. Von mir die Höchstwertung!