Normalerweise sind wir ja gewohnt, dass von Konstantin Weckers Label „Sturm und Klang“ Musik im Liedermacher*innen-Stil um die Ecke kommt. Just im Moment gibt es aber zwei sehr rockige Releases, zum einen vom Österreicher Erwin R., zum anderen von Schauspieler Milian Otto.
Das Album von Erwin R. trägt den prägenden Titel „ondraseits“ und bietet zwölf kernige Songs im südost-österreichischen Dialekt. Es soll den Gegenpol zum Vorgängerwerk „anaseits“ bilden, das im Jahr 2017 erschien. Seitdem ist viel Zeit vergangen und Erwin R. ist reifer geworden: „Familiengründung, ein politisches Soloalbum, Tourneen als Begleitmusiker. Die letzten Jahre waren eine verrückte und inspirierende Achterbahnfahrt“.
Das beschwingte „Faiastarter“ gibt den optimistischen Opener im Uptempo. Rockig bleibt es in „Mir is gleich“, „Olles nei“ schafft ein beschwingtes Blues-Feeling und „Jedesmol“ gibt die akustische Rockballade.
Die Texte in Mundart bieten Humor und melancholische Ernsthaftigkeit („Herz“). Rockkracher wie „Monster“ und „Flut“ schwanken zwischen Lust und Lebensfreude. „August“ schafft eine düstere Spätsommer-Atmosphäre und der psychedelische Longtrack „Morbides Lied“ lässt uns mit einer Gänsehaut zurück.
Darf man in diesen Zeiten überhaupt noch Partysongs mit unwiderstehlichem Pop-Appeal veröffentlichen? „Man muss“, behauptet Erwin R., „denn auch das ist eine heilige Funktion der Kunst: Den Kopf leer und das Herz voll machen“.
Als Schauspieler ist Milian Otto seit vielen Jahren auf den deutschsprachigen Bühnen zuhause und hat während seiner Engagements in Düsseldorf und Zürich in dutzenden Produktionen mitgewirkt. Als Musiker liefert er vor allem gitarrengetränkte Musik mit Tiefgang.
Der Genremix auf „Corpus Delicti“ umfasst 70s Psychedelicrock, Indiepop, eine arabische Oud, ein Fauré-durchtränktes Cello, 90s Alternative Gitarrenriffs, Afrobeat Anleihen, politisches Lied, Singer-Songwriter Pop mit 80s Choruseffekten, Buckley-eske Gitarrenräume, Udo-Lindenberg-Gedenk-Bläsersätze und überhaupt ein breites Sammelsurium rockiger Klänge.
Der Titelsong liefert ein philosophisches Lamentieren im Sprechgesang. „Corpus Delicti“ fordert eine Welt, die empathisch und gerecht ist, gegenüber allen Körpern, allen Menschen.
Harmonisch und melancholisch schreit Milian gegen Faschos, gegen tödliche Gier, gegen selbstherrlichen Optimierungswahn, gegen Mikro- und Makrozynismus. Seine Band liefert den rockigen Grundton, der Sänger die schnoddrige Liedermacher-Attitüde.
Ein starkes Album, mit dem man sich inhaltlich beschäftigen kann und muss.