Die amerikanische Songwriterin Tori Amos gehört zwar zu den erfolgreichsten Künstlerinnen ihres Genres, aber sie hat es in den letzten beiden Jahrzehnten dem Publikum mit ihrer Musik und vor allem ihren Texten nicht ganz leicht gemacht. Sie ließ ihre Songs zu Graphic Novels und Musicals umarbeiten und produzierte im Laufe ihrer Karriere viele wegweisende Videos. Indem sie die Trends der damaligen Zeit sorgsam links liegen ließ, berührte die erstaunliche Sängerin dennoch Millionen von Menschen mit ihren hinreißenden Melodien, ihrer fesselnden Bühnenpräsenz sowie ihren persönlichen und aufrichtigen Texten.
Mit „Night Of Hunters“ bot sie Eigenkompositionen, die von klassischer Musik inspiriert waren. Ambitioniert und schwer verdaulich. „Gold Dust“ brachte dann eine Retrospektive der besonderen Art: ältere Songs, die neu arrangiert im orchestralen Gewand oder ganz einfach als leichtfüßige Pianosongs daher kamen. „Unrepentant Geraldines“ zeigte Tori Amos als Königin des Progressive Rock mit einer verträumten, zerbrechlichen Stimme, die jeden vom Hocker reißt.
Das neue Werk „Ocean To Ocean“ bietet weniger Piano und mehr Gitarre. Es ist ziemlich deutlich vom Lockdown beeinflusst und Tori sagte in Interviews auch selbst, dass sie nicht damit umgehen konnte, so zum Stillsitzen verdammt zu sein. Ohne Live-Musik, Reisen und überhaupt ohne viel zu beobachten, hatte Amos eine schwierige Zeit während der Pandemie. Sie verbarrikadierte sich in Cornwall und geriet in eine persönliche Krise, die jedem bekannt vorkommen mag.
So wurde „Ocean To Ocean“ zum sehr persönlichen Songwriter-Album, in dem sie ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Der Titelsong, dessen Drama sich an den Küsten des Vereinigten Königreichs und der USA abspielt, vermittelt ein Gefühl der geografischen und emotionalen Entwurzelung. Es ist ein Lied über Verwandtschaft und Liebe, über das Festhalten aneinander in zerstörerischen Zeiten mit einer melancholischen Dringlichkeit, die wir in ihren Werken von Anfang an gehört haben.
“Ich habe mir vorgenommen, die Dinge so zu betrachten, dass ich zu mehr Selbststärkung komme“, sagt Tori. „Aber was ist eigentlich Stärke? Manchmal ist man noch nicht bereit, aufzustehen – man muss am Boden anfangen. Wir alle haben Momente erlebt, die uns zu Boden werfen können. Diese Platte begleitet dich da, wo du gerade bist, vor allem, wenn du gerade einen Verlust erlebst. Es fasziniert mich, wenn jemand eine Tragödie durchgemacht hat und wie er seine Trauer verarbeitet. Darin liegt das Gold. Wenn jemand tatsächlich an diesem Punkt ist und denkt: ‚Ich bin am Ende‘, wie erreicht man diese Person? Es geht nicht um eine Pille oder einen doppelten Schuss Tequila. Es geht darum, gemeinsam im Dreck zu sitzen. Und dort im Dreck werde ich dich treffen.“
Allerdings ist es kein düsteres Album geworden. Melodisch, sanft und eingängig führt uns Tori durch ihre Gefühls- und Gedankenwelt. So entsteht ein homogenes Album, das ganz von Toris wundervoller Stimme getragen ist und ohne viel Bombast hervorragend produziert wurde. Viel Gitarre, ein wenig Piano hier und da – das reicht völlig, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Vergleiche zu Kate Bush gab es schon zu ihren Anfangszeiten und sie bieten sich immer noch an. Tori verzichtet auf Elektronik und orchestralen Bombast. Stattdessen klingt alles zart und verspielt – irgendwo zwischen Folk und Pop. Tori Amos geht seit über 30 Jahren konsequent ihren eigenen Weg und hat inzwischen einige musikalische Überraschungen aus dem Hut gezaubert. „Ocean To Ocean“ ist eine Rückkehr zu den Wurzeln – kraftvoll und authentisch.