Dustin O’Halloran ist in Arizona geboren, bekam schon mit sieben Jahren Klavierstunden und gab mit elf Jahren erste Konzerte mit eigenen Kompositionen. Später war er mit der Sängerin Sara Lov in einer Band unterwegs und wurde schließlich vor allem durch seine Filmmusik bekannt: Sofia Coppolas „Marie Antoinette“, Christian Duguays „Boot Camp“, Oscar-nominiert für „Lion – der lange Weg nach Hause“ – um nur einige zu nennen. Daneben erschien eine Reihe von Soloalben.
Mit dem Wechsel zur Deutschen Grammophon gibt es einen Neustart und eine Art Aufarbeitung des bisherigen Schaffens. Auf „Silfur“ sind zwei neue Werke – „Opus 56“ für Klavier und „Constellation No. 2“ für Klavier, Cello und Elektronik – sowie Neueinspielungen einer Auswahl von Stücken aus den Soloalben. Vier von ihnen wurden mit zusätzlichen Streicherarrangements aufgenommen.
Auch wenn die Streicher etwas Abwechslung in das Album bringen, so ist es doch Dustins wundervolles Piano, das mich immer wieder gefangen nimmt. Sein Spiel und der Klang des Instruments sind so klar, dass der Albumtitel von Anfang an Sinn ergibt. „Silfur“ entstand in Island, O’Hallorans Wahlheimat, in der er einen Teil seiner Zeit verbringt, während er sonst in Los Angeles lebt. Da er aufgrund des Lockdowns nicht nach Kalifornien zurückkehren konnte, ließ er sich von der Abgeschiedenheit und der einzigartigen Atmosphäre Islands inspirieren, um neue Musik zu schaffen und alte Stücke neu zu interpretieren.
Bei der ersten Aufnahmesession für dieses Album bekam er einen Silfurberg (Silberfels), einen isländischen Kristall, der ihn später auch zum Titel des Albums inspirierte. “Er hat die einzigartige Eigenschaft, das Licht, das auf ihn trifft, zweifach zu brechen”, sagt O’Halloran. “Ich hatte das Gefühl, dass ich genau das bei der Aufnahme dieser Platte mache. Und mir kommt es so vor, dass der Ort, an dem man ist, immer eine Resonanz findet – das kommt irgendwie durch die Musik.”
„Silfur“ bietet schöne Klangfarben, eine starke Dynamik im Wechsel schneller und ruhiger Melodien. O’Hallorans Stil ist so präzise – und dennoch bietet er einen warmen Klang, der zum Träumen einlädt. Man merkt dem Album nicht an, dass es eigentlich eine Form von Compilation ist. Die Atmosphäre Islands trägt dazu bei, dass es wie aus einem Guss wirkt und als schöne Bestandsaufnahme zum Werk des Künstlers gelten kann.
Der kreative Prozess ließ ihn verstehen, dass Musik nie zweimal auf dieselbe Art erlebt wird: “Das Ganze war wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, während ich die Musik in der Gegenwart auf ganz neue Weise erlebte“, sagt er. „Es ist etwas Besonderes, dass wir die Zeit auf diese Weise einfangen können. Und ich denke, das ist fast das, was Musik ist: Sie hält die Zeit fest.“
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Gegensätzlicher kann man die Musik von Richard Strauss wohl kaum darstellen: Ein dramatisches, orchestrales Meisterwerk auf der einen Seite und ein humorvolles, schrilles Stück für Klavier und Orchester auf der anderen.
Antonio Pappano, Leiter des „Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia“, sagt dazu: „Strauss hat immer dramaturgisch gedacht. Wenn man diese Musik in Italien aufnimmt, muss die Verbindung über die Oper kommen, mit all ihrer Theatralik, ihrem Temperament, ihren Kontrasten und Farben […] Man braucht ein gewisses Ausstrahlungsvermögen im Klang, das die Musiker hier erreichen.“
Das „Heldenleben“ als durchkomponierte sinfonische Dichtung entstand im Jahr 1898. Der namenlose Held wird dargestellt, seine Widersacher und seine treue Gefährtin. Beim Sieg des Helden werden Themen aus früheren Werken von Strauss zitiert, die eine Sammlung diverser Helden darstellen. So verwundert es nicht, dass man das 50 minütige Stück meist mit dem anschließenden „Also sprach Zarathustra“ aufführt.
Pappano geht einen ganz anderen Weg und stellt den heroischen Klängen die „Burleske“ entgegen. Das verspielte Stück zeigt Leichtigkeit und Überschwang mit dem großartigen Solisten Bertrand Chamayou.
Die sechs Teile der großen Suite werden theatralisch und opulent dargestellt, wie es sich gehört. Bis zum Moment, da der Held sich an seine Taten erinnert und sich vom Leben zurückzieht. Die 20minütige „Burleske“ holt uns mit fröhlichen Pianoläufen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine spannende Idee, die diesem selten gespielten Stück neues Leben einhaucht.
Diese DVD-Veröffentlichung ist zugleich eine Reise ins zu Ende gehende 19. Jahrhundert, aber auch in die frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. In der Sammlung auf zwei Silberscheiben, die alle vier Brahms-Sinfonien enthält, kann man Leonard Bernstein beim Dirigieren zweier seiner Lieblingsorchester erleben: des Israel Philharmonic Orchestra und des Boston Symphony Orchestra.
Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 1972 und 1973. So verströmt die Great Concert Hall in Jerusalem den spröden architektonischen Charme der 60er und 70er Jahre. Da ich regelmäßig das Theater Trier besuche (hoffentlich bald mal wieder), ist das für mich nichts Neues. Es sorgt eher für heimelige Atmosphäre. Was allerdings auffällt: Die Aufführungen sind fast ausschließlich in männlicher Hand. Nach Musikerinnen muss man gezielt und quasi mit der Lupe in den letzten Reihen suchen.
Im Vordergrund stehen aber auch gar nicht die – wirklich hervorragenden – beiden Orchester, sondern der Stardirigent. Bisweilen bleibt die Kamera Ewigkeiten auf seinem Gesicht und fängt jede Nuance, jedes romantische, gefühlvolle und jedes energische Moment seines Dirigats ein. Das ist schon ganz besonders.
Beide Orchester stehen bei Bernstein in einer wichtigen Tradition: Seit seinem ersten Engagement mit dem Israel Philharmonic Orchestra Mitte der 1940er Jahre hat der berühmte Musiker über einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert eng mit dem Ensemble zusammengearbeitet und schließlich die Rolle des Ehrendirigenten übernommen.
Aber Bernstein begann seine Karriere als Dirigent in Tanglewood im Jahr 1940. Er studierte bei Sergei Koussevitzky (Gründer des Tanglewood Festivals) und es erfüllte ihn mit Stolz, die Brahms-Sinfonien Nr. 2 & 4 im Jahr 1972 beim Tanglewood Festival zu dirigieren, die sein Lehrer Koussvitzky dort ebenfalls dirigierte. Die Aufnahme aus Boston ist visuell nicht ganz so gut. Das Bild ist hier verrauscht und bisweilen verschwommen – ganz im Gegensatz zum Mitschnitt aus Jerusalem, dem man sein Alter von fast 50 Jahren keineswegs ansieht.
Und was zum Glück absolut fehlerfrei ist: die Tonqualität. Ein auditiver Genuss sind diese Aufnahmen allemal. Abgerundet wird die DVD durch ein umfangreiches Booklet, das sowohl Bernsteins Bezug zu Brahms als auch seine Verknüpfungen mit dem Israel Philharmonic Orchestra und dem Tanglewood Festival erläutert. Meine Empfehlung für Liebhaber von Bernstein, Brahms und den Künsten zweier Ausnahme-Orchester.
Nachdem wir kürzlich schon die wundervolle Violine von Renaud Capuçon im Release „ELGAR“ reviewt haben, gibt es nun wieder Ohrenschmeicheleien vom Saiteninstrument: „PHOENIX“ heißt der schön aufgemachte Release, der ebenfalls bei Warner Classics erscheint.
Die Solo-Violine wird von Janusz Wawrowski gespielt und das Royal Philharmonic Orchestra, dem bei dieser Aufnahme Grzegorz Nowak vorsteht, sorgt für die sinfonische Begleitung.
Das Album vereint zwei lebensbejahende Violinkonzerte, die in schwierigen Phasen im Leben ihrer Komponisten entstanden sind: Tschaikowsky erholte sich gerade von seiner katastrophalen Ehe und der polnische Komponist Ludomir Różycki durchlebte den Warschauer Aufstand von 1944. Beiden war zu wünschen, dass sie wie ein Phoenix aus der Asche aufsteigen mögen. Die Musik spricht aber noch nicht vom Triumph, sondern eher von der Melancholie des Augenblicks – im Wechsel mit einer starken Dynamik.
Wawrowski verbrachte mehrere Jahre damit, das Konzert von Różycki aus lange verlorenen Fragmenten zu rekonstruieren. „Dieses wunderbare Werk sprach mich sofort an […] Wie ein Phönix aus der Asche sollte es wiedergeboren werden und vom Publikum in aller Welt genossen werden. Für mich ist das Konzert voll von der Energie und dem Leben Warschaus vor dem Krieg, und ich denke, Różycki versuchte, diese positive Energie heraufzubeschwören, als er es 1944 schrieb […] Es erinnert mich an Gershwin oder Korngold, bewahrt aber gleichzeitig einen ausgeprägten slawischen Geschmack.“
Wawrowski wird bei dieser Aufnahme vom Londoner Royal Philharmonic Orchestra und seinem in Polen geborenen ständigen stellvertretenden Dirigenten Grzegorz Nowak begleitet. Orchester und Solist harmonieren perfekt miteinander und verweben sich zu einer bildhaften Sprache, die ruhige und laute, fast schon aggressive Momente enthält. Eine spannende Zusammenstellung, die sehr gut funktioniert, obwohl hier zwei Jahrhunderte aufeinander treffen.
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Es ist nicht unbedingt Namedropping, wenn man Sir Edward William Elgar in den Mittelpunkt eines Klassik-Releases stellt. Doch mit Renaud Capuçon an der Violine, Stephen Hough am Piano und dem London Symphony Orchestra unter Simon Rattle im Hintergrund wird ein Schuh draus. Die Protagonisten harmonieren hörbar gut miteinander und Sir Rattle hält den Laden perfekt zusammen. Allein das Albumcover, das Simon und Renaud vertraut und mit verschmitztem Lächeln zeigt, wirkt äußerst sympathisch.
Der Komponist Edward Elgar ist vor allem durch ein Werk bekannt: „Pomp & Circumstance March No. 1“ mit seinem stimmungsvollen Mittelteil „Land of Hope und Glory“. Diese Hymne ist Höhepunkt jeder „Last Night of the Proms“. Mit den Stücken für Violine hat das aber nichts zu tun. Hier weichen Pomp und Bombast einem sanften Dahingleiten durch musikalische Emotionen. Manchmal klingt das wie dezente Filmmusik, dann wie energisches Aufbrausen.
Elgars Violinkonzert ist eines der bedeutendsten spätromantischen Konzerte und gilt als unverwechselbar nostalgisch und gemeinhin also besonders „englisch“. So ist es kein Wunder, dass das Konzert nicht gerade zum Standard-Repertoire französischer Geiger gehört. „Es ist ein gewaltiges Stück“, sagt Renaud Capuçon, „sowohl in Bezug auf seine Länge als auch auf seine großzügige musikalische Ausgestaltung.“ Zum ersten Mal arbeitet der Franzose mit Sir Simon Rattle zusammen – und vielleicht bedeutet gerade dieser spezielle Gegensatz den besonderen Schliff der Aufnahme.
Auch darüber hinaus gibt es enge Bezüge: Das LSO begleitete nicht nur Fritz Kreisler bei der Uraufführung des Violinkonzerts im Jahr 1910, Elgar wurde im darauffolgenden Jahr auch dessen Chefdirigent. Und jetzt formt sich in 50 Minuten Konzertlänge ein wundervoller Klangkörper, der zwar – wie man im Booklet erkennen kann – mit Abstand und teilweise mit Schutzmaske musiziert, dabei aber absolut souverän agiert und starke Emotionen weckt.
Zusammen mit dem Konzert ist auf diesem Album Elgars Violinsonate zu hören, die 1919 uraufgeführt wurde. Renaud Capuçon, der die Sonate als „ein Werk von Adel und Zartheit“ bezeichnet, wird hier von einem der führenden britischen Pianisten der Gegenwart, Stephen Hough, begleitet. Deren Zusammenspiel ist viel mehr als nur Füllmaterial, um die CD-Länge auszuschöpfen. Es zeigt, wie Capuçons Violine auch ohne großes Orchester ihre volle Wirkung entfaltet und den Zuhörer in ihren Bann schlägt. Zwei Virtuosen unter sich.
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Die Zeit kurz vor Weihnachten ist traditionell die Zeit für etwas ungewöhnliche CD-Besprechungen. Und damit meine ich nicht nur die x-te Xmas Veröffentlichung von Interpret*in Y und Band Z, sondern auch atmosphärische Neuveröffentlichungen wie wir sie unter anderem gerade von Nick Cave und Nicholas Lens aber auch von Sigur Rós erlebt haben. Werke von musikalischer Eleganz, die wie Weihnachtsengel um uns schweben. Dabei setzen die Poor Clares of Arundel noch einen drauf. Als jemand, der (außerhalb von Corona-Restriktionen) selbst in mehreren Chören singt, weiß ich diesen Release sehr zu schätzen. Zwar instrumental umspielt, aber mit reinen Stimmen gibt es hier eine Zusammenstellung kirchlicher Gesangsstücke. Sphärisch und berührend.
Inmitten vom Lärm und Hast des Weltgeschehens feiert ein Kloster in der britischen Marktstadt Arundel (Grafschaft West Sussex) den großen, wenn auch etwas unerwarteten Erfolg des vor Kurzem bei Decca Records erschienenen Debütalbums der Poor Clares of Arundel namens „Light For the World“. Die Klarissen von Arundel, eine Gemeinschaft von 23 Nonnen, schufen einen bewegenden Soundtrack, der zur Achtsamkeit anhält und innere Ruhe stiftet.
Die überwältigenden Reaktionen des Publikums kamen für Schwester Gabriel Davison überraschend: „Wir sind begeistert, dass unsere Musik die Herzen der Menschen berührt hat und auf Platz 1 der Klassik-Charts gelandet ist. Wir hoffen, dass ‚Light for the World‘ Euch Frieden, Freude und einen Moment der Ruhe in diesen schwierigen Zeiten, die von Einsamkeit und Stress geprägt sind, bringen wird.“
Tom Lewis, Co-Geschäftsführer von Decca Records, fügt hinzu: „Ich glaube nicht, dass wir jemals eine solche Reaktion erlebt haben. Wir hörten von Menschen, die unter Tränen ihre Autos anhielten, nachdem sie die Musik und die Botschaft der Klarissen gehört hatten. Es hat uns völlig überrascht und zwar in einem solchen Ausmaß, dass wir mit der Produktion nicht mehr hinterherkamen! Ihre Musik enthält eindeutig einen musikalischen Balsam, den die Menschen ausgerechnet jetzt nötig haben.“
Die Schwestern, denen ein Leben in Isolation nicht fremd ist, sind darüber erfreut, die Musik mit einem größeren Publikum zu teilen, die für sie eine ständige Quelle der Heilung und Reflexion war. Der Gesang nimmt einen vorrangigen Platz in ihrem Alltag ein. Sie leben, arbeiten, lachen und beten nach der Lebensform der heiligen Klara von Assisi, die diese 1253 von ihrem Kloster aus in der ländlichen Umgebung der Grafschaft Sussex nahe der Stadt Arundel entwarf. Das Album enthält wunderschön vertonte Schriften der Heiligen Klara und des Heiligen Franziskus, durch die Komponist*innen James Morgan und Juliette Pochin.
Schwester Gabriel fährt fort: „Die Aufnahme war ein großes Abenteuer und wir waren dermaßen von der Offenheit und dem Respekt beeindruckt, die uns seitens Decca entgegengebracht wurde, dass unsere Ängste und Bedenken, unsere Lieder und unsere Arbeit an die Öffentlichkeit zu bringen, schnell zerstreut wurden. Wir empfinden eine tiefe Freude an unseren Gesängen und hoffen nun, dass unsere Musik viele Menschen erreicht und allen, die zuhören, Frieden, Liebe und ein Wohlgefühl bringt.“
Ich kann mich den Lobeshymnen nur anschließen. Die Stimmen weben einen schönen mehrstimmigen Klangteppich. Zwar nicht in moderner A-cappella-Form sondern vielmehr in sich harmonisch überlagernden Stimmgruppen, die ein polyphon ausgewogenes Bild erzeugen, wie es uns die Gregorianik im Mittelalter vorgemacht hat. Dabei macht man sich die Akustik einer Kapelle zu nutze, um eine sehr ruhige und sanfte Stimmung zu schaffen. Mit der instrumentalen Begleitung war ich schnell versöhnt. Manchmal zwar etwas viel Elektronik (wie in „Ubi Caritas“), dann aber mit fantastischer Klavierbegleitung („Pange Lingua“) oder mit zarten Streichern versehen.
Das Booklet ist schön gestaltet – allein das Cover einer Schwester mit Kopfhörer im Stil eines Kirchenfensters gefällt mir sehr gut – und enthält viele der verwendeten Texte in lateinischer Originalsprache mit englischer Übersetzung.
Mit der Veröffentlichung von „Light For The World“ teilen die Schwestern ihr Ethos der Freundlichkeit, Ruhe und Meditation durch Musik und ermutigen die Zuhörer, zu den Wurzeln der Achtsamkeit zurückzukehren. Das Gruppenfoto im Booklet zeigt, dass viele der Sängerinnerinnen schon gesetzteren Alters sind. In der Musik klingen sie aber alle sehr jung. So wirkt guter Chorgesang! Ein Album zum Runterkommen, wenn der Weihnachtsstress mal wieder überhand nimmt.
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Tatsächlich gab es ganz besondere Lockdown-Momente im Frühjahr 2020, beispielsweise als Andrea Bocelli am Ostersonntag ein Onlinekonzert aus dem Mailänder Dom streamte. Ohne Zuschauer in dieser beeindruckenden Kulisse – begleitet vom Organisten der Kathedrale Emanuele Vianelli. Was für ein bewegender Moment, als er zum Abschluss des Konzerts nach draußen ging und „Amazing Grace“ mit Blick auf den Domplatz sang. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke – und man muss ehrlich sein: Keiner wusste zu dem Moment, was uns in Zeiten der Pandemie noch alles bevorsteht.
Ob es der Glaube an eine bessere Welt ist, der den Startenor dazu bewegt, das aktuelle Album „Believe“ zu nennen? Oder sein unerschütterlicher Glaube an Jesus Christus – was zumindest durch die imposante Auswahl religiöser Werke zu belegen wäre. Eine Zusammenstellung des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Das ist es, was hier an Emotionen geboten wird – beginnend mit einem solidarischen „You’ll Never Walk Alone“.
Das insgesamt 14 Songs umfassende Werk enthält sowohl brandneue Titel, beliebte Stücke in nie zuvor dargebotenen Versionen, weltweit beliebte Hymnen, Duette mit Weltstars wie beispielsweise Cecilia Bartoli oder Alison Krauss und somit auch das ein oder andere versteckte Juwel. Es handelt sich um eine Sammlung von Liedern, die Bocelli über Jahre hinweg inspiriert und ihm Kraft geschenkt haben. Zu hören sind ein bisher unveröffentlichtes Stück des verstorbenen, großen italienischen Komponisten Ennio Morricone sowie „Gratia Plena“ – das Schlusslied aus dem neuen, von der Kritik gefeierten Film „Fatima“. Bocelli hat auch seine eigenen Vertonungen von „Ave Maria“ und „Padre Nostro“ speziell für diese Platte komponiert.
Stimmlich ist der Tenor aus der Toskana über alle Zweifel erhaben und kann sich jedem Musikstil anpassen, seien es Choräle, klassische Duette oder im Pop verhaftete Songs wie das wunderbare „Hallelujah“ mit einer Stimme, die zwischen tiefen sonoren Klängen und Bocellis unvergleichlichem Tenor schwebt.
Die in dieser neuen Aufnahme untersuchten Themen sind für Bocelli zutiefst persönlich – und das vermittelt er ehrlich, authentisch und vor allem mit gewaltiger stimmlicher Kraft.
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Der genaue Geburtstermin ist nicht bekannt, aber am 17. Dezember jährt sich der Tauftermin des guten alten Ludwig van Beethoven zum 250. Mal. Was sollte das für ein großes Jubiläumsjahr werden! Nicht nur im Großen, mit den geplanten Konzertreihen rund um die Welt und in der Geburtsstadt Bonn, auch in vielen kleinen Theatern und Konzerthäusern. Einiges davon hat stattgefunden, aber ganz und gar nicht so, wie es sich die Planer vorgestellt haben. Corona gegen Beethoven. Da siegt das Winzigkleine über den großen Meister. Hoffentlich aber nur kurzfristig.
In meiner Heimatregion spielte Ludwig auch eine Rolle. Die Philharmonie in Luxemburg ließ übers Jahr verteilt alle Sinfonien aufführen. Doch um hier zu Corona-Zeiten eine Karte zu ergattern, musste man zum einen langjähriger Abonnent sein und am besten „noch jemanden kennen der jemanden kennt“. Auch auf das Familienkonzert im Theater Trier hatte ich mich gefreut. Die Kleinen sollten mit Beethoven eine Geburtstagsparty feiern und mein Lieblingsschauspieler Klaus Michael Nix den personifizierten Ludwig geben. Fehlanzeige.
Bleibt also nur, sich den Sinfonien auf der heimischen Couch zu widmen (ganz aktuell erscheint ein CD-Set des niederländischen Concertgebouworkest – unveröffentlichte Aufnahmen mit den bekanntesten Dirigenten aller Zeiten, von Leonard Bernstein über Nikolaus Harnoncourt bis zu Mariss Jansons).
Man kann sich auch über Leben und Werk bilden. Eine tolle Quelle ist Malte Arkona. Auf “Eine Party mit Beethoven” erklärt er viel Wissenswertes zu dem großen Komponisten und in „Orchester-Detektive: Beethoven auf der Spur!“ widmet er sich feinsinnig der fünften Sinfonie.
Beethoven ist also auch 2020 noch in. Und es gibt einen Markt für dicke Bücher zum Thema. Man hat ja Zeit zum Lesen, wenn die Konzerte ausfallen. In „Beethoven: Der einsame Revolutionär“ widmet sich Musikwissenschaftler Jan Caeyers auf lässigen 833 Seiten dem legendären Komponisten. Die Biographie stammt ursprünglich aus dem Jahr 2012, wurde aber nun zum Jubiläum unter Mitwirkung des Bonner Beethoven-Hauses komplett neu überarbeitet.
Das Ergebnis ist immer noch sowohl Standardwerk als auch spannende Erzählung. Wer trockene und schwierige Lektüre erwartet, sollte es gern riskieren, in das Buch reinzulesen. Er wird überrascht sein. Das Buch ist auf verschiedenen Ebenen gut lesbar: Es erzählt die Lebensgeschichte in beeindruckenden Bildern und schönen Anekdoten. Es beschäftigt sich aber auch intensiv mit der Musik, den kunstvollen Kompositionen, dem Zeitgeist der damaligen Epoche und mit allerlei historischen Ereignissen. Das wird bisweilen langatmig, aber niemals langweilig.
Der (ich will mal sagen) „wissenschaftliche“ Teil liefert Musiktheorie und Analyse. Es gibt unendlich viele Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis, um den Studiencharakter des Werks zu betonen. Außerdem ein detailliertes Werk- und Personenregister. So kann man beim nächsten Konzertbesuch nochmal an der richtigen Stelle nachschlagen, um bei der Begleitung mit einem gerüttelt Maß an Fachwissen zu glänzen.
Viel schöner sind aber die vielen Seiten, auf denen der Musiker lebendig wird. Auf dem wir Privates erfahren, Geschichten und Anekdoten. Der Popstar des 18. und 19. Jahrhunderts erhält hier die Würdigung, die ihm gebührt. Seine Popularität ist ohnehin ungebrochen – ob im Jubiläumsjahr oder darüber hinaus. Ein lesenswertes Buch für lange Winterabende am Kamin mit der passenden Musik im Hintergrund.
Der Franzose Gautier Capuçon gehört zu den besten Cellisten der Gegenwart. Dabei ist der Titel seiner aktuellen CD Programm: Es geht um die großen Emotionen – und diese liefert er in kammermusikalischer Vollendung.
Capuçon ist ein Meister der großen Konzerte, dazu ein Kammermusiker von Weltklasse – doch seit einigen Jahren hat er neben dem üblichen Klassik-Repertoire immer mehr Kostbarkeiten einer scheinbar kleineren Welt für sich entdeckt: den Kosmos der vielfältigen Piècen aus allen Ecken und Enden der Musik. Und das nicht nur auf dem Podium, sondern auch diskografisch.
Es begann vor drei Jahren mit dem Album „Intuition“ und setzt sich jetzt mit der Neuerscheinung „Emotions“ fort – mit einer Bandbreite von Schuberts „Ave Maria“ über Debussys „Clair de Lune“ bis hin zu Titeln von Max Richter, Astor Piazzolla, Ludovico Einaudi, Michael Nyman oder Leonard Cohens „Hallelujah“. Sogar „The Entertainer“, Alptraum vieler Klavierschüler, ist vertreten. „Mit dem Album geht mein Wunsch in Erfüllung, meine musikalischen Entdeckungsreisen durch Stücke zu erweitern, die wir alle sehr schätzen“, sagt Capuçon über dieses Projekt.
Das Ergebnis zeigt die Zeitlosigkeit der gewählten Musikstücke, die sich durch einige Epochen ziehen, und Capuçons Können, wenn er sie zu einer thematischen und musikalischen Einheit verbindet. Weitere Mitwirkende sind Jérôme Ducros, der Chor Maîtrise Notre-Dame de Paris, Adrien Perruchon und das Orchestre de chambre de Paris.
Das Spiel des Cellos ist sanft, bewegend und virtuos. Gautier Capuçon ist ein Meister seines Fachs und versteht es, seine Hörer zu berühren. Ein großartiges Album, das uns viele bekannte und unbekannte Kompositionen auf ganz neue Art nahebringt.
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Schon der Anfang bietet einen Knalleffekt, der das Publikum begeistert – so ist es zumindest auf der CD zum „Agents Are Forever“ Konzert zu hören. Wie sollte dieses Konzert auch anders beginnen als mit dem weltbekannten und über Jahrzehnte erhaltenen James-Bond-Theme von John Barry. Zeitlos und immer noch gnadenlos gut. Das Danish National Symphony Orchestra bietet somit eine gute Einleitung für ein Konzert zu Filmhits, bekannten Melodien und Chartklassikern.
Dabei geht es nicht nur um James Bond. Auch andere Helden werden geehrt. Große Ohrwürmer sind beispielsweise die Themen zu „Pink Panther“ und „Mission Impossible“. Weniger bekannt aber ebenso schön kommt die Musik zu „Kingsman“, „Dick Tracy“, „Homeland“ und „Munich“ zu Ehren. Es geht also quer durch die filmischen Epochen der Neuzeit. Die Kompositionen stammen von John Williams, John Barry, Michael Giacchino, Stephen Sondheim, Thomas Newman, Bono („GoldenEye“), Adele („Skyfall“) und Paul McCartney („Live And Let Die“).
Besonderen Anteil an der gelungenen Umsetzung hat die schwedische Sängerin Caroline Henderson. Ihre kraftvolle Stimme bereichert die Arrangements des Dirigenten Hans Ek. Das Konzept ist stimmig, der Aufbau bis hin zum Höhepunkt mit einer Reihe von James Bond-Titeln ist schlüssig, die Umsetzung äußerst gelungen. Ein Fest für Cineasten und Fans moderner Klassik.
…und nicht nur Kinder, möchte ich gleich hinzufügen! „Malte & Mezzo – Die Klassikentdecker“ ist eine neue Musikhörspielserie des Labels Berlin Classics. In der ersten Staffel sind vier CDs erschienen, die auf unterschiedliche Art an die Welt der Klassik heranführen.
Im Mittelpunkt steht der TV-Moderator und Schauspieler Malte Arkona, den wir vom „Tigerenten Club“ und der Show „Die beste Klasse Deutschlands“ kennen. Für die Hörbücher spricht er zudem die von ihm erfundene Figur Mezzo ein: ein lustiges Männchen mit überaus großen Ohren, das sehr vorlaut und wissbegierig ist. Im Dialog und mit dem Einspielen klassischer Musikstücke erleben und erzählen die beiden Figuren spannende und lustige Geschichten, die dem Hörer Meisterwerke der Klassik auf unkonventionelle Art nahe bringen. Das gefällt nicht nur Kindern, sondern auch klassikaffinen Erwachsenen.
Malte Arkona stand selbst schon oft auf großen Konzertbühnen in Deutschland, Österreich und Luxemburg. Er moderierte Familienkonzerte, begeisterte Schulklassen und gewann bereits dreimal den ECHO Klassik für Hörspiele. Warum das so ist, wird schnell klar. Malte kann seine Begeisterung uneingeschränkt vermitteln und Menschen mitreißen. Die Hörspiel-Reihe „Malte & Mezzo“ ist wirklich ein Genuss. Besonders gut gefällt mir die unterschiedliche Herangehensweise aller vier Folgen:
Ausgangspunkt für „Ein Party mit Beethoven“ ist Mezzos Geburtstag. Schnell kommt man auf das diesjährige Beethoven-Jubiläum und erhält in kurzer Zeit einen umfassenden Abriss zu Beethovens Leben und Werk. Die Musikstücke sind perfekt gewählt, um als Teaser für eine nähere Beschäftigung mit Sinfonien und Sonaten zu dienen.
Mystischer wird es mit „Gruselige Bilder einer Ausstellung“. Mezzo hat keine Lust aufs Museum und Malte erzählt ihm die Geschichte zweier Kinder, die zur Musik von Modest Mussorgski in eine fantastische Bilderwelt hineingezogen werden. Sehr anspruchsvoll und vielleicht nicht unbedingt für die kleinsten Hörer geeignet.
Mozart sind gleich zwei CDs gewidmet. „Auf Tour mit Mozart“ zeigt Malte & Mezzo auf dem Weg in den Italienurlaub. Zeit genug also, um im Stundenformat die Geschichte des jungen Genies Mozarts kennen zu lernen und seine Entwicklung anhand verschiedener Musikbeispiele zu verfolgen.
„Keine Nöte mit der Zauberflöte“ widmet sich schließlich ganz der berühmten Oper Mozarts und erzählt sie auf lustige Manier nach, so dass auch der letzte Ignorant endlich die komplexe Handlung einigermaßen erfassen kann.
Die Reihe macht großen Spaß und ich bin begeistert vom Einfallsreichtum des Ideengebers. Geeignet ist sie ganz sicher für Kinder von 4-12 Jahren. Nur mit dem Mussorgski würde ich vielleicht noch bis zum Grundschulalter warten.
Klar – wenn die Musik spielt, wünscht man sich oft, sie würde nicht aufhören (oder zumindest weniger abrupt), doch die Länge einer Hörspiel-CD ist nun einmal begrenzt. Als Teaser sind die Passagen lang genug und es sind definitiv mehr als kurze Snippets. Wer mehr hören will, muss halt zu den berühmten Klassik-Einspielungen greifen. Die Einspielungen stammen von renommierten Orchester wie dem Genwandhausorchester Leipzig und der Staatskapelle Dresden.
Die Reihe wird fortgesetzt. „Peter & der Wolf“ sowie „Karneval der Tiere“ sind in Planung. Außerdem ein Hörbuch rund um den Komponisten Robert Schumann. Ich freu mich drauf!
Es war ein lebenslanger Traum, den sich Lang Lang erfüllte, als er Johann Sebastian Bachs “Goldberg-Variationen” aufnahm. Das Album bietet dem Hörer gleich zwei Darbietungen des Stücks: Die erste wurde in einem einzigen Take live bei einem Konzert in der Leipziger Thomaskirche aufgenommen, wo Bach fast 30 Jahre tätig war und auch begraben ist. Die zweite entstand kurz darauf in der Abgeschiedenheit eines Studios. Die beiden Einspielungen sind zusammen als Teil einer Super-Deluxe-Edition erhältlich, in der als Weltneuheit Studio- und Liveaufnahme gleichzeitig erscheinen.
„Ich bin jetzt 38 Jahre alt. Das ist nicht alt, aber die Zeit war reif für einen weiteren Entwicklungsschritt“, sagt Lang Lang. „Mit den Goldberg-Variationen habe ich mich auf neues Terrain begeben und mich komplett in dieses Projekt vertieft. Als Künstler ist es mein Ziel, immer bewusster, wissender und letztlich inspirierender zu werden. Es ist ein stetiger Prozess. Und ich glaube, dass diese Arbeit mich ein Stück weitergebracht hat.“
Erst nach 20 Jahren war der Moment gekommen, um Bachs großartige Aria und die 30 Variationen aufzunehmen. Anfang März dieses Jahres, kurz vor den Studiositzungen, gab er das Konzert in Leipzig. „Es war unglaublich berührend für mich, in der Thomaskirche zu spielen, in der Bach begraben ist“, sagt er. „Noch nie habe ich mich einem Komponisten so nah gefühlt. Die Liveaufnahme ist sehr spontan. Im Studio dagegen ist mein Spiel ein anderes, äußerst überlegt und reflektiert. Beim Konzert durchlebt man das 100-minütige Werk als Ganzes. Das Studio erlaubt die Arbeit an einzelnen Teilen im Detail. Das wirkt sich natürlich erheblich auf das musikalische Ergebnis aus.“
Es fällt mir schwer zu sagen, welche der beiden Varianten die stärkere ist. Wenn ich mich entscheiden muss, dann wohl die Liveversion – vermutlich wegen des emotionalen Bezugs zur Thomaskirche, den man zu spüren glaubt. Lang Lang spielt wie vom anderen Stern – emotional und energisch zugleich. Die Klangqualität ist (wie immer bei der Deutschen Grammophon) außerordentlich gut.
Sehr schön finde ich die Aufmachung als Digipack mit Hardcover und umfangreichen Liner Notes. Neben vielen Fotos des Pianisten gibt es informative Texte in englischer, deutscher und französischer Sprache. So würdigt man zwei Virtuosen: Den vermutlich besten Pianisten der Neuzeit und den alten Meister aus Leipzig.
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Es ist voller herrlicher Melodien und birst geradezu vor Gelegenheiten, in denen der Solist vielfältige musikalische Fähigkeiten beweisen kann – und doch steht das Violinkonzert von Antonín Dvořák immer noch hinter dessen Cellokonzert in der zweiten Reihe.
Dieses „Violin Concerto Op. 53“ steht im Mittelpunkt der neuen Veröffentlichung von Augustin Hadelich. Der Geiger bringt es zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks unter Jakub Hrůša ins Rampenlicht – und das als Ausgangspunkt zu einer Reise durch die tschechische Musik mit Werken von Dvořák, Jsosef Suk und Leoš Janáček.
Der Titel „böhmische Geschichten“ passt perfekt und gibt den roten Faden für eine romantische Reise vor. Die Musik von Dvořák erzählt eine Geschichte und es gelingt Hadelich, diese mit der Violine wieder neu aufleben zu lassen. Das ganze Album klingt sehr weich und warmherzig. Die ausgewählten Stücke schreiben Musikgeschichte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.
Den Abschluss bilden einige Kammermusik-Stücke inklusive der berühmten „Humoresque“, die wohl jeder schon gehört haben dürfte. In den Liner Notes erklärt Hadelich sehr ausführlich, was diese Musik für ihn bedeutet. So wird die CD zum geschlossenen Album, das sein „tschechiches Programm“ auf den Punkt bringt.
Die erste Europatournee der Piano Guys durch Deutschland, Österreich und die Schweiz war komplett ausverkauft und das Quartett um die beiden Musiker Jon Schmidt (Piano) und Steven Sharp Nelson (Cello) wurde mit Standing Ovations gefeiert. Ihre außergewöhnlichen Videos, die auf YouTube bis zu 400 Millionen Mal angeschaut wurden, binden The Piano Guys natürlich auch in Ihre Konzerte ein: Sie holen damit unglaubliche Kulissen wie die chinesische Mauer auf die Bühne und erschaffen ein beeindruckendes visuelles Erlebnis.
Auch musikalisch gilt für die vier Künstler, zu denen auch die beiden Produzenten Paul Anderson und Al Van Der Beek gehören, das Motto: „No Limits!“: The Piano Guys aus dem US-Bundesstaat Utah präsentieren mit ihren eigenen Arrangements eine einzigartige Mixtur aus Klassik und Pop sowie ein umfangreiches Repertoire, das von Beethoven über Coldplay bis hin zu David Guetta reicht.
Mehr als zwei Millionen Fans können sich nicht irren: The Piano Guys muss man live gesehen haben! Aufgrund des Auftritts bei „Verstehen Sie Spaß?“ waren sie in Deutschland auf Promotour unterwegs und wir konnten ihnen am 5. Juni in Saarbrücken begegnen. Dort trafen wir auf das bestens gelaunte Quartett, dessen fröhliche Stimmung sehr ansteckend war. Da das Interview nur auditiv aufgezeichnet wurde und ich die Stimmen beim besten Willen den Protagonisten nicht zuordnen kann, wird der Sprecher nur in Ausnahmefällen namentlich bestimmt. (Fotos: Jörg Lorscheider.)
Hallo. Schön, dass ihr Zeit für uns habt. Musicheadquarter ist ein Onlinemagazin für alle Arten von Musik. Von Klassik bis Heavy Metal.
Cool. Magst du Heavy Metal?
Ja. Aber jetzt geht es ja um euch. Am Samstag seid ihr bei „Verstehen sie Spaß?“. Ist das euer erstes Mal im deutschen Fernsehen?
Nein. Wir waren schon zweimal bei Mario Barth. Er liebt unsere Show. Er hat eins unserer Konzerte in Berlin gesehen. Ein super Typ. Er ist unser Freund.
Im November werdet ihr in der Saarlandhalle Saarbrücken auftreten. Was darf man erwarten?
Wer unsere YouTube-Videos mag, wird auch das Konzert lieben. Es ist, als ob man unsere Videos anschaut – aber es gibt viele unerwartete Dinge. Wir machen etwas Comedy und spielen ganz andere Versionen der Songs, die man schon aus dem Internet kennt. Wir werden auch mal alle vier auf der Bühne stehen. Das Publikum kann viel Spaß erwarten.
Aber die eigentliche Band sind Jon und Steven?
Paul: Sie sind die meiste Zeit auf der Bühne, aber manchmal leisten wir ihnen Gesellschaft. Im Hintergrund werden die Videos abgespielt. Jeder hat seine Aufgabe.
Ihr werdet als YouTube-Phänomen bezeichnet. Ich kann das nachvollziehen, denn seit mein Sohn „Cello Wars“ kennt, will er das Video ständig wieder sehen. Aber wie wollt ihr so etwas auf der Bühne umsetzen?
Manche Videos sind wirklich unmöglich auf der Bühne umzusetzen, aber wir tun unser Bestes. Ich glaube, bisher war noch niemand enttäuscht. Jeder mag, was wir tun. Was „Cello Wars“ angeht, haben wir noch keine Möglichkeit gefunden, das live zu spielen. Aber wir haben eine Idee – vielleicht Hologramme. Hast du die Michael Jackson-Show gesehen? Mit dem Hologramm von Michael?
Ich hab sie nicht gesehen, aber davon gehört.
Vielleicht versuchen wir mal etwas in der Art. Aber die Technologie ist sehr teuer. Wie heißt dein Sohn?
Florian.
Wir wissen, dass kleine Kinder zur Show kommen und gerne „Cello Wars“ sehen wollen. Wir werden irgendwas mit Video auf dieser nächsten Tour machen. Sie werden nicht enttäuscht sein. Versprochen.
Paul und Al werden auf der Tour mit dabei sein. Davon haben wir schon gesprochen. Alle vier zusammen nennt ihr euch The Piano Guys, aber das Cello ist ein wichtiges Instrument in eurer Performance. Ist es nicht diskriminierend für Steven, dass er sich Piano Guy nennen muss?
(Großes Gelächter.) Steven: Ich mag dich! Diskriminierung…. ja, es ist wirklich diskriminierend für mich. Beim Konzert dreht sich alles um Jon. Das ist das Problem.
Jon: Nein, nein.
Paul: Ich erkläre es dir. Das ist wirklich wichtig. Der Name hat verschiedene Hintergründe. Ich hatte ein Klaviergeschäft im Süden von Utah und wir nannten uns „The Piano Guys“. Der Laden hieß so. Aber wir suchten nach einer besonderen Idee fürs Marketing. So lernten wir Jon kennen. Er kam in den Laden, hat gespielt und wir begannen mit dem Drehen von Videos. Dann stellte er uns Steve vor: „Hey, das ist Steve. Er ist Cellist.“ Und Steve stellte uns Al vor: „Er ist Musikproduzent.“ Und plötzlich hatten wir alles, was wir brauchten. Wir hatten wirklich vor, den Namen des YouTube-Kanals noch zu ändern, aber als Steve dazu kam, war es schon zu spät.
Ich habe den Aprilscherz auf eurer Homepage gesehen. Ihr würdet euch in The Cello Guys umbenennen.
Ja. Hat er dir gefallen?
Sehr. Ich hab es einen kurzen Moment lang geglaubt, bis ich das Datum sah.
Steven: Das war eine tolle Idee von Al. Es sind einfach große Momente. Wir lieben diese Rivalität. Während der Konzerte ärgern wir uns gegenseitig. Das ist sehr spaßig. Es macht den Spaßfaktor der Piano Guys aus. Ich bin nicht sauer deswegen, aber ich tue so als ob.
Es gibt Stücke wie das „Ave Maria“, auf denen du das Cello in acht Spuren spielst. Könnt ihr das auf der Bühne machen?
Steven: Da arbeiten wir mit Videos. Wie schon gesagt. Du wirst mich einen Teil des Songs live spielen hören und im Hintergrund siehst du auf der Leinwand die übrigen Celli.
Du benutzt also keinen Looper?
Steven: Doch, ich arbeite auch mit Loops. Zumindest bei einigen Songs.
Und ich habe auch gesehen, dass ihr das Piano als Saiteninstrument nutzt, zum Beispiel in „What Makes You Beautiful“. Da werden die Saiten gezupft. Ihr macht Percussion auf und mit dem Holz. Wer hat so großartige Ideen?
Vor allem Al. Das ist meistens Al. Nein, wir alle haben solche Ideen. In diesem speziellen Fall war es ein geschäftliches Meeting und wir waren im Klaviergeschäft. Wir standen drum herum und haben uns unterhalten. Plötzlich begann jemand, dagegen zu schlagen, ein anderer hat an den Saiten gezupft und bevor wir wussten, was passierte, haben wir alle auf dem Piano gespielt. Wir dachten, das ist cool. Irgendwann mal, wenn wir unterwegs sind, werden wir die Idee nutzen. Und so kam es. Wir brauchen da nie lange. Wir hatten die Idee, haben ein Lied arrangiert, zusammen geprobt. Dann gingen wir ins Studio zum Videodreh. Das dauerte höchstens 4-5 Tage. Aber wir waren unsicher, ob wir es wirklich veröffentlichen sollen. Darf man das mit einem Piano machen? Letztlich haben wir es veröffentlicht und es ist unser am meisten gesehenes Video bis heute. Inzwischen haben wir 400 Millionen Views auf unserem Kanal. Drei Millionen YouTube Subscribers. Eine Million Facebook-Fans. Das hat uns überwältigt. Es ist wundervoll.
„What Makes You Beautiful“ war auch das Video, was mich letztlich von euch überzeugt hat.
Paul: Danke. Wir spielen es auf jeder Show. Ich und Al kommen raus und wir beschließen die Show damit. Irgendwann muss man ja auch aufhören. (Die anderen lachen.)
Ein Konzept wie „Rock meets classic“ funktioniert ja oft so, dass man die Originalsongs mit Gitarren und Schlagzeug holt und mit bombastischen Streichern umspielt. Ihr wählt aber Stücke aus, die allein mit Piano und Cello ihre Wirkung erzielen. Wie tut ihr das?
Das ist gar nicht so einfach. Wir probieren verschiedene Sachen aus und manchmal funktioniert es nicht mit Piano und Cello. Wir verändern die Tonart und probieren es wieder. Aber wir wählen nur Songs aus, die sich richtig anfühlen. Die zu unseren Instrumenten und zu unserem Stil passen. Die Kinder helfen uns oft bei der Auswahl. Wir haben zusammen 16 Kinder, musst du wissen. Und wir haben einen großen klassischen Hintergrund. Wir wählen klassische Musikstücke aus, die wir mögen. Das ist viel geworden über die Jahre. Und wir schreiben unsre eigene Musik.
Jon: Das ist sowieso das schwierigste. Du musst unter so vielen Tönen auswählen und entscheiden, welcher Ton als nächstes kommt. (Wieder großes Gelächter von den anderen.)
Und ihr versucht Stile zu kopieren, wie in „Michael Meets Mozart“, ohne aber tatsächlich deren Musik zu nutzen.
Ja, das ist wie bei einem Koch, der sein eigenes Gericht kreiert. Er bekommt Einflüsse von überall her, macht aber trotzdem sein eigenes Gericht. Und wir nutzen viele Einflüsse. Wenn du all unsre Tracks anhörst, wirst du viele verschiedene Sachen finden. Wir hatten das Gefühl, in One Direction ist manchmal die Musik von Bach versteckt. Und es hat großen Spaß gemacht, das heraus zu arbeiten. Die meisten Leute wissen das nicht, aber wenn du einen unsrer Songs hörst, all die Sounds, die komplette Sinfonie, die Percussion – das wird von Steve auf seinen Celli gemacht. Er hat viele davon in allen Varianten. Traditionelle Celli, Steel Celli, elektrische Celli. Sie können sich anhören wie Streicher, Viola, Doublebass, Schlagzeug – alles was du hörst wurde von einem Piano oder einem Cello gespielt. Mit einer Ausnahme: manchmal nutzen wir eine Kick Drum. Aber abgesehen davon ist alles von den beiden Instrumenten. Wir nutzen Als Studio. Er ist Musikproduzent und Toningenieur. Es macht großen Spaß, ein Musikstudio als Instrument zum Musikschreiben zu nutzen. (Alle lachen).
Ja, das tun wir doch. Wir müssen uns keine Sorgen machen, dass wir für die Zeit bezahlen müssen. Wir experimentieren zusammen. Außerdem haben wir unsere Väter und unsere Kinder. Wir testen die Songs aus. Das nennen wir den „Disney-Test“. Ist der Song in Ordnung? Etwas, das wir unseren Kids zeigen können? Wäre es okay, wenn Kinder den Song im Original sehen, den wir covern? Das originale Video auf YouTube? Das ist eine der Herausforderungen. Denn es gibt gar nicht so viele Videos und Lyrics, die in Ordnung („clean“) sind – also familienfreundlich.
Ihr covert also nichts von Miley Cyrus?
Steven: Du hast es erfasst. Manche ihrer Songs sind wirklich gut („catchy“). „Wrecking Ball“ – hey, das ist ein klasse Song. Ich dachte: Super. Schau dir mal das Video an. Und dann so etwas. Ich hab es sofort ausgeschaltet. Für Kids – oder auch für mich – ist das nichts. (Mal wieder großes Gelächter.)
Wie Jon und Paul schon gesagt haben: Es ist nicht einfach. Wir lassen auch Songs uns auswählen, indem sie uns inspirieren. Wirklich. Das ist es – die Inspiration.
Ich finde es aber interessant, dass ihr kindgerechte Lyrics und die Darstellung im Originalvideo zum Ausgangspunkt eurer Überlegungen macht. Es gibt nicht viele Musiker, die so handeln.
Danke, dass du es so siehst. Wir haben schon viele gute Ideen deshalb verworfen. Sachen, die wirklich super funktioniert hätten.
Eure Videos sind extrem aufwendig. Manchmal sieht man ein Piano in der Wüste, auf einem Felsen oder der chinesischen Mauer. Ist das alles echt? Fliegt ihr da per Hubschrauber hin? Oder wird auch getrickst?
Paul: Du weißt ja jetzt, dass ich ein Klaviergeschäft hatte. Mein Vater hat Klaviere transportiert. Er ist super, unglaublich. Er hat nie ein Piano beschädigt. So haben wir einfach Erfahrung und Zugang zu den richtigen Techniken. Jemanden, der uns einen Flügel transportiert, wohin auch immer wir ihn haben wollen. Wir machen das selbst. Nur für die chinesische Mauer – da haben wir 30 Leute engagiert, die uns geholfen haben. Die mussten ungefähr 1000 Stufen hoch.
Steven: Es gibt nur ein Video, bei dem wir Tricktechnik, einen Greenscreen genutzt haben. Was denkst du, welches es war?
Ich denke „Cello Wars“.
Steven: Genau. Alles andere ist wirklich echt. Das ist so aufregend. Manchmal sind wir wie kleine Kinder, die eine neue Idee haben und diese umsetzen wollen. Gegen jedes Gesetz. Okay, kommen wir zur nächsten Frage: Wie heißt die Hauptstadt von Utah?
Keine Ahnung.
Und die Hauptstadt von Deutschland?
Berlin.
Bingo. (Alle lachen.)
Was ist denn euer höchstes Ziel? Was wollt ihr unbedingt noch tun? Ein Video auf dem Mond drehen?
Steven: Einen Flügel aus einem Flugzeug werfen – und Jon spielt Piano bis zum Aufschlag. Ein Dreiminutenwalzer in 20 Sekunden. Das wär’s. Unser lustigstes Video haben wir in Berlin gedreht. Es heißt auch so. Kennst du das?
Nie gesehen.
Das ist in Deutschland für YouTube gesperrt. Irgendwelche rechtliche Gründe. Du musst es auf MyVideo anschauen. Wir waren an all diesen Orten, der Siegessäule, dem Brandenburger Tor, dem Berliner Dom. Es war traumhaft. Deutschland inspiriert uns.
Eine letzte Frage. Das will meine Frau gern wissen, die selbst Harfe spielt: Wie viele Celli hat Steven?
Es sind 18. Sie alle haben verschiedene Namen und eine Persönlichkeit. Das hier ist Boris. Er geht mit auf die Promotour. Wir haben aber auch 25 Klaviere. Und in jedem Flügel steckt eine Harfe.
Vielen Dank an euch. Dass ihr hier in Saarbrücken wart und euch so viel Zeit für meine Fragen genommen habt.
Wir danken dir auch. Es war schön, dir zu begegnen. Wenn du im November in die Saarlandhalle kommst: Bring Florian und deine ganze Familie mit. Ihr werdet viel Spaß haben.
Davon bin ich überzeugt.
Ein großes Dankeschön geht an Nadja von Popp Concerts, die uns das Interview vermittelt und uns vor Ort gewohnt herzlich betreut hat.