Ganz am Ende überlässt Greg Dulli seinen vier Mitstreitern die Bühne. Während der 57-Jährige im Backstagebereich verschwindet, nutzen der ewige John Curley am Bass, Schlagzeuger Patrick Keeler, der erst vor einem Jahr neu hinzugestoßene Leadgitarrist Christopher Thorn und Keyboarder und „Mädchen für alle anderen Instrumente“ Rick G. Nelson den Abgang ihres Masterminds, um mit dem The Smiths-Cover „There Is A Light That Never Goes Out“ den furiosen Schlusspunkt unter einen schweißtreibenden Abend im Kölner Luxor zu setzen.
Zuvor haben die Afghan Whigs ihre Fans lange, sehr lange warten lassen. Während wir uns draußen in der nicht minder aufgeheizten Kölner Abendluft mit einem kalten Kölsch die Zeit vertreiben, werden wir immerhin Zeuge wie ein Kamikazefahrer dem auf der Luxemburger Straße geparkten Tourbus den linken Außenspiegel abrasiert. War der Konzertbeginn für 20 Uhr angekündigt, so dauert es eine geschlagene Stunde und drei Kaltgetränke länger, bis die Band mit „Jyja“ von ihrem im September erscheinenden neunten Album „How Do You Burn?“ in ihr Set startet. Der Song feiert heute seine Live-Premiere. Das Publikum im gut gefüllten Luxor setzt sich aus Leuten aller Altersklassen zusammen, was umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, dass die Afghan Whigs bereits seit 1986 Kultstatus besitzen und ihre wechselvolle Geschichte seitdem von zahlreichen Trennungen und Reunions geprägt war.
Doch egal wie alt oder jung man sich auf und vor der Bühne fühlt oder tatsächlich ist, die Stimmung ist vom ersten Ton an mitreißend. Dafür sorgt eine Band, die vor Spielfreude sprüht und allen voran natürlich Greg Dulli, der dem Ganzen gesanglich die sprichwörtliche Krone aufsetzt. Ihr Tourmanager hat in seiner kurzen Einführungsrede vor der Show nicht zu viel versprochen, als er „sehr laute Rockmusik“ ankündigte. Und die gibt es anderthalb Stunden oder 23 Songs lang auf die in meinem Fall ungeschützten Ohren, nur unterbrochen durch ein paar launige Ansagen von Greg Dulli.
Die Afghan Whigs pflügen sich mit ihrem seit jeher auch von Rhythm & Blues- und Soulelementen beeinflussten Rocksound durch nahezu ihre komplette Bandgeschichte. Angefangen bei „Son Of The South“ vom zweiten Album „Up In It“, mit dem sie 1990 beim legendären Sub Pop-Label ihren ersten Plattenvertrag bekamen, bis hin zu insgesamt vier Songs vom kommenden Album „How Do You Burn?“, das nahtlos an die Qualitäten der beiden beeindruckenden Vorgänger „Do To The Beast“ und „In Spades“ anzuknüpfen scheint. Jedenfalls ist vor und nach „Demon In Profile“ von „In Spades“, das von den beiden neuen Stücken „Please, Baby, Please“ und „A Line Of Shots“ eingerahmt wird, kein Bruch zu erkennen. Außer dem Debüt „Big Top Halloween“ von 1988 und „Congregation“ von 1992 ist jedes ihrer bisherigen Alben mit mindestens einem Song vertreten, was insofern schade ist, weil gerade „Congregation“ mein persönliches Afghan Whigs-Erweckungserlebnis darstellt. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau.
Wie immer lassen Greg Dulli und Co. dabei auch den ein oder anderen Coversong nicht aus. Werden „The House Of The Rising Sun“ von den Animals oder „Personal Jesus“ von Depeche Mode als Beispiele für den ersten Gitarrenunterricht nur angespielt, erweist die Band Bo Diddley mit „Who Do You Love?“ und Andrew Lloyd Webber mit „Heaven On Their Minds“ die vollständige Ehre. Als letzteres 1973 im Rahmen des Musicals „Jesus Christ Superstar“ veröffentlicht wurde, tanzten einige der Anwesenden noch mit der Windel um den Weihnachtsbaum.
Nach gut anderthalb Stunden tanzen dann alle gemeinsam zu den Klängen von „There Is A Light That Never Goes Out“, während sich Greg Dulli unter grossem und verdientem Jubel verabschiedet und die übrigen Bandmitglieder die ungewohnte Freiheit für ein wildes Klanggewitter nutzen. Als wir anschließend aus dem tropisch warmen Luxor in die tropisch warme Nacht hinaustreten, hat nicht nur der Busfahrer seinen Außenspiegel repariert, sondern wir auch das wohlige Gefühl genossen, dass nicht alles auf der Welt aus den Fugen geraten ist. Wir gehen mit der Gewissheit nach Hause, dass man trotz Corona und Ukrainekrieg immer noch mit netten Menschen einen unbeschwerten Abend erleben und sich dabei auf eine Band verlassen kann, die schon grossartig war, als Russland noch zur Sowjetunion gehörte. Und die es bis heute geblieben ist.