Im Jahr 2015 hatte Matthias Reim Großes vor. Er wollte sein 25jähriges Bühnenjubiläum mittels einer breit angelegten Tour und einer DVD-Veröffentlichung feiern. Dann der Schock für alle Fans. Er musste aufgrund einer Herzmuskelerkrankung alle Termine absagen. Kein schöner Moment, aber jede Niederlage ist eine Chance zum erneuten Aufstehen. Kein Zufall also, dass das aktuelle Album den Titel „Phoenix“ trägt. Matthias sagte selbst dazu: „Ich hatte Zeit, über mein Leben zu reflektieren und über meine Musik. Jetzt fühle ich mich wie neugeboren.“
Die Deutschland-Tournee begann mit einem Jahr Verspätung im Sommer 2016. Ich besuchte das Konzert in der Jahrhunderthalle Frankfurt. Mit gemischten Gefühlen – das muss ich gestehen. Immerhin läuft Matthias Reim immer noch unter dem Label „Schlager“, und das ist nicht unbedingt mein Ding. Was die 1300 Zuschauer in der renommierten Location dann zu sehen bekamen, war lupenreiner Rock’n’Roll. Und ich kann nur sagen, dass ich von meinem ersten Reim-Konzert absolut begeistert war.
Das Publikum war bunt gemischt: Enthusiastische Frauen, brav klatschende Männer, ein paar mitgebrachte Kinder, Die-hard-Fans mit selbst gestalteten T-Shirts und (leider auch) die üblichen Partylöwen und -löwinnen mit blinkenden Hasenöhrchen. Der Opener „Alles was ich will“ erklang stimmgewaltig im Santiano-Sound. Und schon war es vorbei mit dem Sitzplatz-Konzert. Der Saal stand geschlossen auf und die Party konnte beginnen. Die Ordner mühten sich noch, die Fans auf den Plätzen zu halten, doch spätestens zur zweiten Konzerthälfte war auch hier jede Ordnung aufgelöst. Gut so, denn die dort gebotene Rockparty verlangte einfach ein tanzendes Publikum.
Matthias Reim ist stimmlich und körperlich in Topform. Die überstandene Krankheit merkt man ihm nicht an – und er machte sie auch in seinen Ansagen nicht zum Thema. Im stilsicheren weißen Hemd beherrschte er zwar die Bühne, ließ seiner überragenden Band aber genug Raum, um auch ein Rock-Publikum zu begeistern. Die Gitarren waren stets im Vordergrund und lieferten gemeinsam mit Drums und Keyboard ein starkes Brett ab. Selbst Balladen wie „Ich liebe dich“ wurden in diesem Sound zu atmosphärischen Rocksongs.
Sieben Songs kamen vom jüngsten Album „Phoenix“. Matthias Reim gehört also nicht zu den Sängern, die sich auf ihren alten Erfolgen ausruhen. Die Setlist zog sich durch alle Jahrzehnte des Musikschaffens. Man muss ihm zu Gute halten, dass er immer wieder neue Lieder kreiert, während es manchen Kollegen ausreicht, von Schlagernacht zu Ballermann-Party zu tingeln. In seinen Ansagen wurde deutlich, wie viel Spaß es dem Nordhessen macht, mit eigenen Songs für ein komplettes Konzert auf der Bühne zu stehen. Er erzählte gern – „Geschichten aus dem Leben eines Mannes“, wie er selbst sagte, und kam zum Schluss: „Wir Typen sind ganz okay.“
Matthias spielte selbst Gitarre, das will ich nicht unerwähnt lassen, und trug somit zum Rockfeeling bei. Beim größten Schlagermoment war er gar nicht auf der Bühne: Backgroundsänger Mitch Keller durfte seinen Coversong „Zu Hause“ vortragen, mit dem er auf die Melodie von „First Day Of My Life“ (Mel C) selbst einen kleinen Hit gelandet hatte. Ordentliches Stimmvolumen – herzlicher Applaus für den aufgehenden Stern am Schlagerhimmel.
Nach einer Stunde gab es eine kurze Pause. Danach ging es mit „Einsamer Stern“ und einem emotionalen Erzähl-Intro weiter. Wieder gab es Rock vom Feinsten. Selbst der kleine Akustikpart zeigte die Band in wundervoller Spiellaune und schaffte eine heimelige Bühnenatmosphäre, wie sie auch Revolverheld auf ihrer unplugged-Tour nicht besser hin bekommen haben. Nur schade, dass die Backgroundsänger und die -sängerin Antonia so sehr im Hintergrund blieben. Deren ausdrucksstarke Stimmen hätte man während des ganzen Konzerts gerne mal deutlicher und im Vordergrund gehört. Reim bezeichnete „Im Himmel geht es weiter“ als seinen schönsten Song – und dem kann ich nur zustimmen: Ein unheimlich emotionaler Moment.
Zur Bandvorstellung glänzte Schlagzeuger Elute, der mir von seiner Zeit bei Guildo Horn noch gut in Erinnerung ist, als Entertainer der Massen. „Sowieso für dich das Letzte“ läutete mit lauten Tönen die Endphase des Konzerts ein. Und ganz zum Schluss erklang der zweitgrößte Hit des Meisters: „Ich hab‘ geträumt von dir“. Das neue Arrangement macht ihn zum lupenreinen Deutschrock-Titel. Da muss keiner Angst haben, beim Mitsingen erwischt zu werden.
Im Zugabenblock gab es den autobiographischen Titel „Rampenlicht“ – und einer fehlte ja noch. Mathias Reim legte eine gewisse Selbstironie an den Tag, als er nach zwei Stunden Konzertlänge fragte: „Ganz ehrlich – könnt ihr’s noch hören?“ Die Begeisterungsschreie aus dem Publikum ließen keine Zweifel, und so kam er nicht umhin, auch „Verdammt ich lieb‘ dich“ zu spielen. Man könnte jetzt denken, der Song sei so abgenudelt, dass er nur noch für die üblichen Fetenhits taugt. Doch weit gefehlt! Reim und Band legten auch hier einen Rock’n’Roll-Hammer hin, der sich gewaschen hat. Die Zuschauer feierten noch lange, nachdem die Saallichter schon eingeschaltet waren.
Man kann Matthias Reim nur für seine unermüdliche Schaffenskraft bewundern. Er stürzte sich nach der Erkrankung mit Eifer in die Genesung, quälte sich jeden Tag stundenlang, änderte seine Essgewohnheiten, stellte das Rauchen weitestgehend ein – immer das Ziel vor Augen: 2016 will ich wieder auf der Bühne stehen. Und wie er dies nun tut, ist durch und durch lobenswert. Statt Schlagerparty gibt es eine kraftvolle Band mit außerordentlichen Instrumentalisten. Im Verlauf des Konzerts hatte ich jederzeit das Gefühl, dort eine aufeinander eingespielte Truppe zu sehen und nicht die üblichen Sessionmusiker, die Otto Normal-Schlagersänger so mit sich bringt. Chapeau für dieses Konzertereignis.
Setlist Matthias Reim, 13.11.2016, Jarhunderthalle Frankfurt am Main
- Alles was ich will
- Ich hab‘ mich so auf dich gefreut
- Ich liebe dich
- Drei Akkorde und die Wahrheit
- Doch da war mehr
- Was ist nur los?
- Zu früh um zu gehen
- Stoppschild
- Du fehlst mir
- Selten so gelacht
- Zu Hause (Mitch Keller)
- Du bist mein Glück
- Das Lied
- Einsamer Stern
- Ich bin nicht verliebt (unverwundbar)
- Hallo, ich möcht‘ gern wissen wie’s dir geht
- Mein Leben ist Rock’n‘ Roll
- Im Himmel geht es weiter
- Ganz egal
- Träume
- Verdammt für alle Zeit
- Sowieso für dich das Letzte
- Halleluja
- Küssen oder so
- Ich hab‘ geträumt von dir
- Rampenlicht
- Verdammt ich lieb‘ dich