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Kettcar "Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich)"

Unsere Wertung: 6 von 9 Punkten.

Der süße Duft der Widersprüchlichkeit – Kettcar-Liebe mal anders

Ich nehme es direkt mal vorweg: Ich liebe Kettcar. Die fünf Männer aus Hamburg machen meiner Meinung nach seit ihrer Gründung 2001 bis auf ein paar Ausnahmen wirklich gute Songs mit teils sehr wichtigen Botschaften (wie zum Beispiel in „Mannschaftsaufstellung“ vom letzten Album „Ich vs. Wir“) und einfach ganz viel guter Laune. Nun haben sie am 15.03.2019 ihre EP „Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich)“ mit fünf neuen Songs digital veröffentlicht. Die digitale Veröffentlichung ist ja nun schon ein paar Tage her und wir veröffentlichen hier auf Musicheadquarter erst jetzt ein Review dazu. Ich erkläre euch nun, wieso das so ist.

Mit meiner sehr hohen Meinung von Kettcar habe ich mich auf die neue EP gestürzt, sobald ich die Audiodateien in meinem Mailpostfach hatte. Und dann? Dann wusste ich nicht so recht etwas damit anzufangen. Man merkt allein schon am Cover und am Untertitel „Wir vs. Ich“, dass Kettcar der Tradition des Albums „Ich vs. Wir“ von 2017 treu bleiben, aber gleichzeitig das letzte Album kontrastieren möchten. Das hört man auch musikalisch, auch wenn es sich bei den fünf Songs der EP nicht um Überbleibsel des letzten Albums handelt. Es geht weiterhin darum, aktuelle Verhältnisse zu kritisieren, diesmal aber nicht aus der Vogelperspektive, sondern auf die Rolle der einzelnen Person heruntergebrochen. Die Idee ist gut, denn wie auch schon die Frauenbewegung der 1970er Jahre proklamierte: Das Private ist politisch! Und so war ich sehr gespannt darauf, was Kettcar dieses Mal abgeliefert haben.

In dem Song „Palo Alto“ stellen die Musiker unterschiedliche Menschen vor, die sich in einem Waschsalon zufällig treffen: ein Journalist, ein Plattenverkäufer, ein Bankangestellter und eine Pornodarstellerin. Diese sollen wohl die in Zeiten des digitalen Kapitalismus aussterbenden Berufe widerspiegeln, wobei ich es sehr schade finde, dass ausgerechnet die Frau in diesem Fall wieder eine mit Sexualität konnotierte Rolle bekommt. Vielleicht bewegen sich Kettcar hier aber auch auf einer Metaebene und verpacken in diese Rollenzuteilung eine weitere Gesellschaftskritik – wer weiß. Gemeinsam brechen alle zusammen nach Palo Alto, einer Stadt in Kalifornien, auf, wo sich neben der Stanford University auch viele bekannte Computerunternehmen finden lassen. Diese Stadt wollen sie niederbrennen – „Burn, Palo Alto, burn“. Am Ende des dazu veröffentlichten Musikvideos gibt es einen radikalen Stimmungswechsel: Sollen sie wirklich Palo Alto oder doch eher sich selbst zerstören? Trotz der  wichtigen und tiefsinnigen Botschaft des Songs gelingt es Kettcar mit „Palo Alto“ einen neuen Ohrwurm zu kreieren.

„Scheine in den Graben“ ist der zweite Song der EP. Neben Kettcar wirken viele weitere Künstler*innen an dem Song mit: Schorsch Kamerun, Jen Dender, Bela B, Jörkk Mechenbier, Sookee, Felix Brummer, Marie Curry, Gisbert von Knyphausen, Safi und David Fjørt. Auch hier ist die Message wieder super: Kritisiert werden hier Charity-Events, bei denen es eigentlich nicht um humanitäre Hilfe, sondern um Selbstdarstellung geht. Musikalisch passt der Song meiner Meinung nach aber nicht wirklich zu „Palo Alto“, es ist keine Kontinuität zu erkennen, was mich irritiert.

Auch „Notiz an mich selbst“ klingt wieder ganz anders als die beiden ersten Songs der EP. „Notiz an mich selbst“ ist irgendwie typisch Kettcar und erinnert an ältere Lieder wie „Rettung“ vom Album „Zwischen den Runden“ von 2012 oder „Balkon gegenüber“ vom 2002 erschienenen Album „Du und wieviel von deinen Freunden“. Nur leider ist hier die Message nicht so klar erkennbar, da so viele Stilmittel eingebaut sind, dass ich nicht so richtig durchblicke. Ich mag Musik, über die ich nachdenken muss, aber es scheint für mich irgendwo eine magische Grenze zwischen zu wenig und zu viel Nachdenk-Potential zu geben, wovon abhängt, ob ich einen Song mag oder nicht.

In „Natürlich für alle“ geht es darum, ob es im Kapitalismus überhaupt eine kritische Art von Konsum geben kann. Vielleicht soll der große Teile des Songs über gleichbleibende Takt eine Anspielung auf die Eintönigkeit und das Maschinenartige im Kapitalismus sein, rein aus musikalischer Perspektive macht er den Song leider etwas langweilig.

„Weit draußen“ bildet den Abschluss der EP und lässt sie ruhig ausklingen. Es geht um das Wiedersehen mit einer alten Freundin, die mit ihrem Kind hinaus auf‘s Land gezogen ist, um mitleidigen Blicken in Bezug auf ihr Kind zu entgehen. Thematisiert wird dabei die mit der Situation verbundene Scham und Verzweiflung, aber auch Verlogenheit. Und das mit krassen Sätzen wie: „Ich schwöre, ich liebe mein Kind / Aber ich hasse mein Leben“. Das Gefühl spiegelt sich auch in der Musik wider.

Ich finde es sehr schwer zu fassen, aber irgendwas stört mich an der neuen Kettcar EP. Und aus diesem Grund habe ich mir mit meinem Review auch so viel Zeit gelassen. Die EP birgt viel Irritationspotential, denn irgendwie erkennt man Kettcar wieder, irgendwie aber auch nicht – ich wusste einfach nicht so recht, was ich dazu schreiben soll. Ich glaube es ist der fehlende musikalische rote Faden. Ich mag Alben, bei denen man merkt, dass sie einen tieferen Sinn haben, warum die Songs so angeordnet sind, wie es der Fall ist, weil sie musikalisch zueinander überleiten. Diesen roten Faden habe ich bei „Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich)“ irgendwie nicht so recht finden können. Dennoch kann ich es auf jeden Fall empfehlen mal reinzuhören. Ab 17.05.2019 habt ihr dann auch die Chance die EP als Vinyl zu erwerben. Ich würde es tun, denn auch wenn das Album für mich keine wirkliche musikalische Kontinuität erkennen lässt, sind die Botschaften, die Kettcar hier senden, unheimlich wichtig und sollten uns alle zum Nachdenken anregen.

Ich liebe linke, politische Musik! Und Kettcar, falls ich das noch nicht erwähnt hatte.

Nach einer kurzen Tour im Frühjahr spielen Kettcar ab Juni auf zahlreichen Festivals. Nach einigen neuen Bestätigungen sieht der Festivalplan für die Hamburger nun wie folgt aus:

Kettcar – Festivals & Open Airs 2019

  • 13.06. Merkers, Rock Am Berg
  • 15.06. Leipzig, Parkbühne
  • 13.07. Münster, Nah Am Wasser
  • 19.-21.07. Karlsruhe, Das Fest
  • 20.07. Jena, Kulturarena
  • 26.07. Würzburg, Hafensommer
  • 27.07. Schrobenhausen, Noisehausen
  • 09.08. Hannover, Fährmannsfest
  • 10.08. Großefehn, Großefehn Open Air
  • 11.08. Bonn, Kunst!Rasen (mit Muff Potter)

Letzte Aktualisierung am 27.07.2024 um 03:44 Uhr / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Bezahlte ANZEIGE